Transkript
Keine Angst vor der Lufu!
Asthma und COPD frühzeitig erkennen
FORTBILDUNG
Die chronischen Atemwegserkrankungen Asthma und COPD werden häufig viel zu spät erkannt. Dabei lassen sich mit einem einfachen Lungenfunktionstest die Funktion und die Leistung der Lunge gut kontrollieren und eine sichere Diagnose stellen.
Thomas Hausen
Viele Patienten mit Asthma oder COPD bleiben lang unentdeckt und werden erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert (1), wobei das in stärkerem Mass für die COPD gilt als für das Asthma. Diese Verzögerung ist umso bedauerlicher, als Asthmatiker heute dank moderner therapeutischer Möglichkeiten in der Regel ein beschwerdefreies Leben führen können. Aber auch COPD-Patienten kann man heute recht gut helfen. Der Stolperstein auf dem Weg zu häufiger und früher entdeckten Patienten mit chronischer Atemwegserkrankung ist die möglichst frühe Diagnose. Hier gilt es primär, die unverständliche Scheu vor der Lungenfunktionsprüfung (Lufu) und ihrer Interpretation zu überwinden. Für diese Zurückhaltung gibt es eine mögliche Erklärung: Während der Ausbildung bekamen wir täglich EKG und Röntgenbilder zu sehen, sind damit quasi gross geworden. Im Gegensatz dazu zählte die Lungenfunktionsprüfung nicht zu unserem täglichen Brot. Hierfür wurde unser Blick nicht geschult. Dabei ist die Interpretation einfacher als beim EKG. Mithilfe der Lungenfunktionsprüfung lassen sich mehr pathologische Befunde erheben als mit einem EKG oder einer Röntgenthoraxaufnahme. Das konnte Magnussen bereits in den 1980er-Jahren eindrucksvoll nachweisen (2). Wer bei seinen Patienten ohne Verdacht auf Atemwegserkrankung eine Lungenfunktionsuntersuchung durchführt, wird viele unerkannte Ventilationsstörungen finden (3). Selbstverständlich müssen diese dann differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Allgemein soll die Lungenfunktionsuntersuchung folgende Fragen beantworten: s Wie viel Luft kann ein- und ausgeatmet werden?
MERKSÄTZE
� Mithilfe der Lungenfunktionsprüfung lassen sich mehr pathologische Befunde erheben als mit einem EKG oder einer Röntgenthoraxaufnahme.
� Sehen Sie sich zuerst den Kurvenverlauf an, dann die Messwerte.
� Eine Lungenfunktionsuntersuchung ohne Bronchospasmolysetest ist unvollständig.
s Wie viel Luft kann wie schnell ausgeatmet werden? s Und speziell: Besteht eine Ventilationsstörung? s Wenn ja, ist es eine Obstruktion (häufiger) oder eine
Restriktion (seltener)? s Ist die Ventilationsstörung medikamentös zu beeinflussen? s Wie verhält sie sich unter Therapie?
Lungenfunktionsuntersuchung
Die Untersuchung sollte man im Sitzen vornehmen, weil die Normalwerte in sitzender Position ermittelt worden sind. Meist muss der Patient nur den Anweisungen der Geräte folgen. Allerdings ist es empfehlenswert, ihm den genauen Ablauf kurz zu schildern, vor allem die korrekte forcierte Exspiration. Bei wenigen Patienten kann es beim Lungenfunktionstest zu einer harmlosen pulmonalen Synkope kommen. Sie kollabieren plötzlich, sind kurz abwesend und dann wieder vollkommen klar. Am häufigsten tritt das bei fortgeschrittener chronischer Atemwegserkrankung auf. Die Geräte liefern die ermittelten Lungenfunktionsparameter sowie eine Atemschleife mit einer Inspirations- und einer forcierten Exspirationskurve.
Erster Blick auf den Kurvenverlauf!
Der erste Fehler ist, den Blick nicht auf die Fluss-VolumenKurve, sondern sofort auf die gemessenen Werte zu richten und sich vielleicht sogar mit dem Vergleich von Soll- und Istwerten zufriedenzugeben. Denken Sie aber daran, wie Sie ein EKG interpretieren! Hier ist es selbstverständlich, zuerst den Kurvenverlauf zu betrachten. Damit steht meist schon die Diagnose. Die EKG-Messwerte brauchen Sie meist nicht, allenfalls zur genaueren Differenzierung. Ähnlich ist es bei der Interpretation der Lungenfunktionsprüfung. Hierbei gilt es, Folgendes zu beachten: 1. Ist das Ergebnis überhaupt zu verwerten? s Die Einatemschleife (unter der X-Achse) kann zuerst ein-
mal vernachlässigt werden. s Im Idealfall sehen Sie als Ergebnis der forcierten Exspira-
tion (oberhalb der X-Achse) ein Dreieck aus X-Achse, einer kürzeren zweiten Seite mit möglichst steilem Anstieg und einem langsamen, am besten leicht nach oben (konvex) gewölbten, nach rechts abfallenden Schenkel (Abbildung 1).
ARS MEDICI 22 | 2021
683
FORTBILDUNG
Flow (l/s)
0
Volumen (l)
9
Abbildung 1: Im Idealfall sehen Sie als Ergebnis der forcierten Exspiration (oberhalb der X-Achse) ein Dreieck aus X-Achse, einer kürzeren zweiten Seite mit möglichst steilem Anstieg und einem langsamen, am besten leicht nach oben (konvex) gewölbten, nach rechts abfallenden Schenkel.
2. Hinweise für schlechte Mitarbeit können sein: s eine kleine Atemschleife = zu geringe Inspiration s ein flacher Anstieg und/oder bogiger Verlauf = kein kor-
rektes forciertes Atemmanöver s ein welliger Abfall = keine kontinuierliche Exspiration
(Ausnahme: Hustenattacken, z. B. bei hyperreaktivem Bronchialsystem). Trotz intensiver Einweisung sind einige Patienten nicht in der Lage, ein verwertbares Ergebnis abzuliefern. Das sollte man auch dem Assistenzpersonal vermitteln, das die Schuld unter Umständen bei sich sucht. Wenn der Kurvenverlauf eine schlechte Mitarbeit signalisiert, verwerfen Sie die Untersuchung! Versuchen Sie nicht, krampfhaft etwas aus den Daten herauszulesen. Die Untersuchung ist und bleibt unbrauchbar!
Abbildung 2: Normal ist eine lange, gleichmässig abfallende oder leicht nach oben gewölbte Linie. Die zur X-Achse gebogene Kurve belegt eine Obstruktion. Die Intensität der Biegung entspricht der Intensität der Obstruktion.
FEV1
vermindert
normal
VC
vermindert
Abb. 1
normal
Obstruktion Restriktion keine Ventilationsstörung
Abbildung 3: Unterscheidung zwischen Obstruktion und Restriktion anhand von forciertem exspiratorischen Volumen (FEV1) und Vitalkapazität (VC)
Diagnose durch Blick auf den Kurvenverlauf
s Die Intensität der Biegung entspricht der Intensität der
Die Steilheit zu Beginn der Exspiration symbolisiert die forcierte
Obstruktion (Abbildung 2).
Exspiration zum Peak-Flow. Ist diese steil und hoch genug?
s Ein Knick in dieser abfallenden, dann meist verkürzten
Die nach rechts abfallende Linie symbolisiert die weitere Ex-
Linie ist ein Hinweis auf einen Bronchialkollaps (check
spiration mit kontinuierlich abnehmendem Volumen. Nor-
valve [Rückschlagventil]), typisch für ein Emphysem mit
mal ist eine lange, gleichmässig abfallende oder leicht nach
gefangener Luft (trapped air).
- Asthma oder COPD ? -oben gewölbte Linie:
s Zur differenzierten Betrachtung der Ventilationsstörung
s Die zur X-Achse gebogene Kurve belegt eine Obstruktion.
dienen die gemessenen Volumina IVC (inspiratorisch ge-
Patient A
Patient B
66
4 Parameter 4 EGKS-Soll Messwert % B-Test %
2
IVC 2 6,08 4,94
FEV1
4,75 2,89
81 6,18 101 60 4,61 97
0
FEV1%VC 0 80
58
72 74 92
-2
EGKS-Soll: Refer-e2nzwerte der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS); IVC: in-
spiratorisch gemessene Vitalkapazität; FEV1: forciertes exspiratorisches Volumen; FEV1%VC: re-
-4 lative Einsekund-e4nkapazität (Tiffenau-Index)
-6
684
Abbildung 4: Junger Mann mit allergischem Asthma seit der Kindheit. Die Lungenfunktion (hellblaue Kurve) zeigt eine dePuatrlaicmheeteOr bsEStrGoulKlkStioMwneemrstsi-t z%ur XBT-e-Astchs%e gebogener ExspiPraartaiomnestekrurvESe.GolNKl SachMwIeenrsths-al%ationBTe-esitnes%Bronchospasmolytikums (dunkelblaue Kurve) verbessert sich die Lungenfunktion erheblich (positiver Bronchospasmolysetest) und nähert sich fast der NIoVrCmalkurve.6.D08er ve4r.9b4leib8e1nde6.R18est 1d0e1r Obstruktion enIVtCspricht dem2.8n8icht3r.4e8vers1i2b1len3,.8d2urc1h33Remodelling fixierten Teil (fuFnEVk1tionelle O4.7b5struk2.t8io9 n)6d0urc4h.6j1ahr9e7lang unterbliebenFeEaVn1tientzün2d.4l7iche T1.5h2erap61ie. 1.72 70
FEV1 % VC 80
58 72 74 92
ARS MEDICI 22 | 2021
FEV1 % VC 80
43 55 45 57
Abb. 4
hma oder COPD ? -
Patient B
6 4
2
0 -2
-4
-6
FORTBILDUNG
Parameter EGKS-Soll Messwert
IVC
2,88 3,48
FEV1
2,47 1,52
FEV1%VC 80
43
% B-Test 121 3,82 61 1,72 55 45
% 133 70 57
EGKS-Soll: Referenzwerte der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS); IVC: inspiratorisch gemessene Vitalkapazität; FEV1: forciertes exspiratorisches Volumen; FEV1%VC: relative Einsekundenkapazität (Tiffenau-Index)
%
BTest
%
81 6.18 101
60 4.61 97
72 74 92
Abbildung 5: Die «kleine» Exspirationskurve mit Zeichen der Obstruktion und fehlender Änderung im BronchospasmolysetePstarbaemsetätetrigt dESiGoelKlCSOPMwDeerstsb-e%i derBT5e-0st-jäh%rigen Raucherin.
IVC 2.88 3.48 121 3.82 133
FEV1
Tabelle:
2.47 1.52 61 1.72 70
DFuEVr1c%hfVüChr8u0 ng d43es B5r5on4c5hos57pasmolysetests
Abb. 5
1. Erhebung der Lungenfunktion wie gewohnt
2. Bronchospasmolyse und Fortsetzung Akuter Bronchospasmolysetest Inhalation eines Bronchospasmolytikums: a) 2 Hübe eines SABA (z. B. Salbutamol),
1 Hub Fenoterol (= grössere Wirkpotenz) b) 2 Hübe eines SAMA (Ipratropium)
Verzögerter (protrahierter) Bronchospasmolysetest Applikation/Inhalation: a) 14 Tage 20–40 mg Prednisolon b) 2-mal täglich Inhalation eines ICS in mittelhoher Dosis
3. Wiederholung der Lungenfunktionsprüfung nach a) 10 bis 15 Minuten b) ca. 30 Minuten (verz. Wirkeintritt)
a) 14 Tagen b) 4 bis 6 Wochen
4. Interpretation des Bronchospasmolysetests (vgl. Abbildungen 4 und 5) Positiv: Besserung des FEV1 um > 15% oder > 200 ml Negativ: ausbleibende Besserung oder FEV1 < 15% oder < 200 ml Bezogen auf die Gesamtobstruktion: voll, teil- oder nicht reversibel Hinweis: Selbstverständlich muss das ∆-FEV1 geringer ausfallen, wenn das Lumen des Bronchus durch Schleimhautschwellung und Verschleimung stärker eingeengt ist als überwiegend durch einen Bronchospasmus. Zur Vertiefung der Kenntnisse muss auf die weiterführende Spezialliteratur verwiesen werden. FEV1: forciertes exspiratorisches Volumen; ICS: inhalatives Kortikosteroid; SABA: kurz wirksamer Betaagonist; SAMA: kurz wirksamer Muskarinrezeptoragonist messene Vitalkapazität) oder FVC (forciert gemessene Vitalkapazität) und das FEV1 (forciertes exspiratorisches Volumen) in der ersten Sekunde der Expiration. Die FVC fällt durch die Kompression der Lunge kleiner aus, deshalb wird seit einigen Jahrzehnten die IVC empfohlen. Mithilfe der Parameter Vitalkapazität und FEV1 ist bereits eine sichere Diagnose zu stellen (Abbildung 3). Der Quotient aus FEV1 und Vitalkapazität (FEV1%VC) ist die relative Einsekundenkapazität (Tiffenau-Index). Der Tiffenau-Index ist bei COPD erniedrigt, und er hat sich bei Werten < 7 in zahlreichen Studien als verlässlichster Hinweis auf eine COPD erwiesen (4). Bronchospasmolysetest Der Bronchospasmolysetest gehört zu jeder Lungenfunktionsuntersuchung (Tabelle). Dies gilt für jede diagnostische Abklärung und Verlaufsbeurteilung beim Asthma. Der Test ist das wichtigste Kriterium zur Unterscheidung zwischen Asthma und COPD. Standard ist die Durchführung des aku- ten Tests mit einem SABA (kurz wirksamer Betaagonist), al- lein wegen des Zeitgewinns (Blockade des Raums) gegenüber einem SAMA (kurz wirksamer Muskarinrezeptoragonist) mit langsamerem Wirkeintritt. Der verzögerte, protrahierte Test kommt zum Einsatz, wenn der akute Test ohne Reaktion ge- blieben ist und man demnach von einer mehr oder weniger fixierten Obstruktion wie bei COPD ausgeht, obwohl der dringende Verdacht auf ein Asthma besteht. s Dr. med. Thomas Hausen Praxis für Allgemeinmedizin Grafenstrasse 52, D-45239 Essen E-Mail: th.hausen@t-online.de Interessenlage: Der Autor hat Honorare für Beratung und Vorträge von Aerocrine, Bayer, Berlin-Chemie und Novartis erhalten. Dieser Artikel erschien zuerst in «doctors today» 6/2021. Die bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. ARS MEDICI 22 | 2021 685 FORTBILDUNG Literatur: 1. Hausen T: Pneumologie für die Praxis. Akute und chronische Atemwegs- erkrankungen mit Besonderheiten im fortschreitenden Alter. Elsevier, 2017. 2. Magnussen H et al.: Was leistet eine routinemässige Spirometrie bei der internistischen Diagnostik. Dtsch Med Wochenschr. 1981;106:534-538. 3. Hausen T: Bedeutung der Spirometrie bei der Früherkennung von Atemwegserkrankungen. Dtsch Med Wochenschr. 1985;110:59-63. 4. Bhatt SP et al.: Discriminative Accuracy of FEV1%FVC Threshold for COPD-Related-Hospitalization and Mortality. JAMA. 2019;312:24382447. 686 ARS MEDICI 22 | 2021