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EDITORIAL
Älterwerden gibt zu tun
Das Alter ereilt jeden, den einen besser, den anderen schlechter. Damit das Pendel aber eher auf der guten Seite bleibt, können Ihre Patienten einiges dafür tun. Zum Beispiel in Bewegung bleiben, um den Muskelabbau zu verlangsamen, wie Prof. Cornel Sieber, Chefarzt Klinik für Innere Medizin, Kantonsspital Winterthur, in dieser Schwerpunktausgabe zum Alter anregt. Doch ist nicht die Muskelmasse allein ausschlaggebend für die Kraft, sondern auch die Muskelfunktionalität. Warum die Muskelfunktionalität bei den meist adipösen Rentnern aus anatomischen Gründen in Gefahr ist und warum sie häufig über einen Pflegeheimeintritt entscheidet, lesen Sie auf den Seiten 466 ff.
Bewegung hält nicht nur den Körper fit, sondern auch den Geist. Die Inzidenz der Demenz ging infolge verbesserter Behandlung der vaskulären Risikofaktoren gemäss Prof. Reto Kressig, Ärztlicher Direktor Universitäre Altersmedizin, Felix-Platter-Spital, Basel, in den letzten Jahren zwar zurück, trotzdem steigen die Fallzahlen aus demografischen Gründen noch an. Eine frühe Diagnose ermöglicht eine phasengerechte Therapie und selbstständige Lebensentscheidungen. Was dazu wichtig ist, steht auf den Seiten 464 ff.
Im Alter soll auch genügend gegessen werden, das gelingt nicht allen alten Menschen. Malnutrition ist ein gefährliches geriatrisches Syndrom, das die Mortalität wie auch perioperative Komplikationen ansteigen lässt. Wie eine Malnutrition einfach zu diagnostizieren ist, dass die Ursache in den wenigsten Fällen auf maligne oder auf komplikationsreiche Erkrankungen zurückzuführen ist und welche Massnahmen dagegen ergriffen werden können, beschreibt der Leiter der Akutgeriatrie in Gmunden, Primarius Dr. Peter Dovjak (S. 470). Wenn der Patient die Nahrung schliesslich ganz verweigert, müssen behandelbare Ursachen von bewussten Entscheidungen differenziert werden. Verunmöglichen Schleimhautschäden im Mund, eine Gastritis, eine Dysphagie oder andere therapierbare Gründe die Nahrungsaufnahme? Worauf in diesem Fall geachtet und wie eine Mangelernährung verhindert oder behoben werden kann, erfahren Sie von der Chefärztin des Geriatriespitals Otterndorf (S. 474).
In Bewegung bleiben soll aber nicht nur der Körper,
sondern auch der Geist. Andere Länder zu erkunden
oder einfach den eigenen vier Wänden zu entfliehen,
ist zu einem beliebten Hobby des «golden age» ge-
worden. Die Pensionierten verreisten aus Gewohnheit
und vernachlässigten ihr Leben am Wohnort, schimpfte
kürzlich Philosoph und Publizist Ludwig Hasler in einer
Schweizer Zeitung. Der Mensch sei doch eher ein Welt-
gestalter als ein Weltenbummler. Die Pensionierten
sollten sich aktiv in die Gesellschaft einbringen, jetzt
wo sie Zeit hätten, Reisen und Fliegen würden allmäh-
lich vulgär.
Das würde den Geist zweifellos auf Trab halten und
nebenbei auch die Frage klären, wie Pensionierte wie-
der mehr Zeit haben könnten.
s
Valérie Herzog
ARS MEDICI 17 | 2021
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