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Titel
Dosierung ohne Jetlag – Medikamenteneinnahme bei Reisen mit Zeitverschiebung
Untertitel
-
Lead
Bei Zeitverschiebungen, die über mehr als 2 Stunden hinausgehen, muss die Einnahme von Medikamenten angepasst werden. Im Folgenden werden die Formeln zum Errechnen der Dosiserhöhungen und -reduktionen sowie ein vereinfachtes Schema für die Medikamenteneinnahme vorgestellt. Besondere Regeln gelten für Insulin, Kortikosteroide und orale Kontrazeptiva.
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Rubrik
Summer School
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53103
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SUMMER SCHOOL
Dosierung ohne Jetlag
Medikamenteneinnahme bei Reisen mit Zeitverschiebung

Bei Zeitverschiebungen, die über mehr als 2 Stunden hinausgehen, muss die Einnahme von Medikamenten angepasst werden. Im Folgenden werden die Formeln zum Errechnen der Dosiserhöhungen und -reduktionen sowie ein vereinfachtes Schema für die Medikamenteneinnahme vorgestellt. Besondere Regeln gelten für Insulin, Kortikosteroide und orale Kontrazeptiva.
CRM Handbuch Reisen mit Risiko

Für die Medikamenteneinnahme bei Zeitverschiebung sollte dem Patienten ein genauer Einnahmeplan für Hin- und Rückreise mitgegeben werden. Grundsätzlich muss bei Reisen mit Zeitverschiebung in Richtung Westen (= verlängerter Tag) die Dosis erhöht beziehungsweise ergänzt werden, bei Reisen in Richtung Osten (= verkürzter Tag) ist die Dosis hingegen zu reduzieren.
Uhr erst am Zielort umstellen
Prinzipiell sollte man die Uhr für die Dauer des Flugs bis zur Ankunft am Zielort beziehungsweise bis kurz vor der Landung auf der Zeit des Abflugorts belassen, um die Medikamenteneinnahme bis zur Ankunft zu den gewohnten Zeiten fortzusetzen. Erst am Zielort wird sie auf die neue Ortszeit umgestellt, und zwar nach der Einnahme einer erhöhten/ zusätzlichen Dosis (Reise nach Westen) beziehungsweise einer erniedrigten Dosis (Reise nach Osten). Danach wird die Medikation am Zielort wieder in normaler Dosierung zu den gewohnten Zeiten gemäss Ortszeit fortgesetzt. Besondere Regeln gelten für die Insulintherapie bei Diabetes mellitus, für Glukokortikoide und für orale Kontrazeptiva.
Nach Westen: Einnahme 1-mal täglich
Für Medikamente, die 1-mal täglich genommen werden (alle 24 Stunden), wird die Zusatzdosis wie folgt errechnet: (Zeitverschiebung in Stunden/24) × normale Tagesdosis = zusätz-
MERKSÄTZE
� Bei Reisen mit Zeitverschiebung von mehr als 2 Stunden muss die Medikamenteneinnahme angepasst werden.
� In Richtung Westen wird die Dosis einmalig erhöht beziehungsweise ergänzt.
� In Richtung Osten wird die Dosis einmalig reduziert. � Während des Flugs sollte die Einnahme nach dem gewohnten
Schema beibehalten werden (Uhr erst am Zielort umstellen).

lich zur normalen Tagesdosis einzunehmende Menge. Beispiel: Zeitverschiebung +6 Stunden, Einmaldosis pro Tag 100 mg; 6/24 = 1/4  25 mg zusätzlich zu 100 mg, also 125 mg. Es empfiehlt sich, am Abflugtag die gewohnte Dosis zum normalen Einnahmezeitpunkt zu nehmen, bei der Ankunft am Zielort oder noch während des Fluges einmalig eine um 1/4 höhere Dosis einzunehmen, dann die Uhr umzustellen und mit der neuen Ortszeit im gewohnten Rhythmus mit normaler Dosierung fortzufahren.
Nach Westen: Einnahme 2- oder 3-mal täglich
Die folgenden Dosisberechnungen bei mehrfachen Einzeldosen gelten nur bei gleichen Einzeldosen! 2-mal täglich, alle 12 Stunden: (Zeitverschiebung in Stunden/12) × normale Einzeldosis = zusätzlich zur normalen Einzeldosis einzunehmende Menge. Beispiel: Zeitverschiebung +8 Stunden, Einnahme 2-mal täglich 100 mg; 8/12 = 2/3  66,6 mg zusätzlich zu einer 100 mg Einzeldosis, also 166,6 mg. Die letzte Einnahme in normaler Dosis am Abflugtag erfolgt noch zu gewohnter Zeit. Die nächste Dosis dann entweder noch während des Flugs (nach 12 Stunden, normale Einzeldosis) oder nach Ankunft am Ziel einmal die erhöhte Einzeldosis, danach Umstellung der Uhr und weitere Einnahme gemäss neuer Ortszeit. 3-mal täglich, alle 8 Stunden: (Zeitverschiebung in Stunden/8) × normale Einzeldosis = zusätzlich zur normalen Einzeldosis einzunehmende Menge. Beispiel: Zeitverschiebung +10 Stunden, Einnahme 3-mal täglich 100 mg (Einzeldosis 100 mg, Tagesdosis 300 mg); 10/8 = 5/4  125 mg zusätzlich zu der normalen Tagesdosis. Weil die Zeitverschiebung in diesem Beispiel grösser ist als das normale Einnahmeintervall von 8 Stunden, muss eine zusätzliche Dosis von 100 mg während des Flugs eingeschoben werden, ausserdem muss bei der ersten Einnahme nach Ankunft die Dosis von 100 mg auf 125 mg erhöht werden. Danach erfolgen die Umstellung der Uhr und die weitere normale Einnahme gemäss Ortszeit. Tabelle 1 enthält ein vereinfachtes Schema für die Medikamenteneinnahme bei Reisen mit Zeitverschiebung in Richtung Westen.

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Tabelle 1:
Vereinfachtes Schema der Medikamenteneinnahme bei Zeitverschiebung in Richtung Westen

Richtung Westen plus 3–6 Stunden zusätzlich benötigt: 1/4 der Tagesdosis
plus 7–9 Stunden zusätzlich benötigt: 1/3 der Tagesdosis
plus 10–12 Stunden zusätzlich benötigt: 1/2 der Tagesdosis

Einnahme 1-mal tgl.

2-mal tgl.

3-mal tgl.

um 1/4 erhöhte Tagesdosis bei Ankunft danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

gewohnte Einnahmezeiten während des Flugs beibehalten bei Ankunft einmalig um 1/2 erhöhte Einzeldosis danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

gewohnte Einnahmezeiten während des Flugs beibehalten bei Ankunft einmalig um 1/4 erhöhte Tagesdosis danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

um 1/3 erhöhte Tagesdosis bei Ankunft danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

gewohnte Einnahmezeiten während des Flugs beibehalten bei Ankunft einmalig um 2/3 erhöhte Einzeldosis danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

Einnahmezeiten alle 8 Stunden während des Flugs beibehalten, 1/3 der Tagesdosis (= 1 zusätzliche Einzeldosis) einschieben nach Ankunft weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

1/2 Tagesdosis zusätzlich nach 17–18 Stunden (gemäss Heimatzeit) danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

Einnahmezeiten alle 12 Stunden während des Flugs beibehalten 1 zusätzliche Einzeldosis einschieben nach Ankunft weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

Einnahmezeiten alle 8 Stunden während des Flugs beibehalten bei Ankunft 1/2 zusätzliche Tagesdosis einschieben danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

Bei einer Zeitverschiebung bis zu 2 Stunden sind keine Anpassungen notwendig.

Kürzerer Tag nach Osten: Reduktion der Dosis
Da sich der Tag beim Flug nach Osten verkürzt, muss die Medikamentendosis vermindert werden. Die Reduktion errechnet sich wie folgt: Einnahme 1-mal täglich, alle 24 Stunden: 24/24 – (Zeitverschiebung in Stunden/24) × übliche Tagesdosis = verringerte Tagesdosis. Beispiel: Zeitverschiebung –6 Stunden, Tagesdosis 100 mg; 24/24 – 6/24 = 18/24 = 3/4 der Tagesdosis von 100 mg  75 mg als Dosis für die einmalig reduzierte Einnahme bei Ankunft. Danach erfolgen die Umstellung der Uhr und die weitere normale Einnahme gemäss Ortszeit. 2-mal täglich, alle 12 Stunden: 12/12 – (Zeitverschiebung in Stunden/12) × übliche Einzeldosis = einmalig verringerte Dosis. Beispiel: Zeitverschiebung –8 Stunden, 2-mal täglich 100 mg; 12/12 – 8/12 = 4/12 = 1/3 der Einmaldosis von 100 mg  33,3 mg als einmalig reduzierte Einzeldosis bei Ankunft. Danach erfolgen die Umstellung der Uhr und die weitere normale Einnahme gemäss Ortszeit. 3-mal täglich, alle 8 Stunden: 8/8 – (Zeitverschiebung in Stunden/8) × übliche Einzeldosis = verringerte Dosis. Beispiel: Zeitverschiebung –10 Stunden, 3-mal täglich 100 mg (Tagesdosis 300 mg); 8/8 – 10/8 = –2/8 = –1/4 der Dosierung von 100 mg  hier muss 1 Dosis komplett ausgelassen und zusätzlich 1 Einzeldosis bei der Ankunft um 1/4 reduziert werden (= 3/4 der Einzeldosis einnehmen). Aus Praktikabilitätsgründen könnte man auch einfach nur 1 Dosis auslassen und dann mit der normalen Einzeldosis bei der Ankunft gemäss Ortszeit mit der gewohnten Einnahme fortfahren. Tabelle 2 enthält ein vereinfachtes Schema für die Medikamenteneinnahme bei Reisen mit Zeitverschiebung in Richtung Osten.

Insulintherapie bei Diabetes mellitus
Auch hier muss die Insulindosis der Tagesverlängerung beim Flug nach Westen beziehungsweise der Tagesverkürzung beim Flug nach Osten angepasst werden. Für die Dosisanpassung werden die oben genannten Formeln benutzt. Flug nach Westen: Bei der konventionellen Insulintherapie mit einer festen Mischung aus schnell wirksamem Normalinsulin und Verzögerungsinsulin kann am Morgen des Abflugtags die normale Menge des Mischinsulins gespritzt und die durch die Tagesverlängerung entstehende Insulinlücke mit Normalinsulin zwischendurch ausgeglichen werden. Als Faustregel gilt: 4 Prozent der Insulintagesdosis mehr pro Stunde Zeitverschiebung. Am Zielort wird die gewohnte Therapie mit Mischinsulin gemäss neuer Ortszeit fortgesetzt. Während des Flugs und in den ersten Tagen nach der Ankunft sollten die Blutzuckerwerte engmaschig – mindestens alle 4 Stunden – kontrolliert werden, um Blutzuckerschwankungen durch Zeitverschiebung, Reisestress und Ernährungsumstellung frühzeitig zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern. Auf der Reise selbst sollten unbedingt Traubenzucker und kohlenhydratreiche Snacks im Handgepäck mitgeführt werden, um einer Hypoglykämie vorzubeugen. Flug nach Osten: Auch hier wird am Morgen des Abflugtags die normale Insulinmenge gespritzt. Die aufgrund der Tagesverkürzung einmal weniger benötigte Menge bei der Ankunft errechnet sich nach der bereits oben vorgestellten Formel. Beispiel: –8 Stunden Zeitverschiebung bei Reise Richtung Osten: 12/12 – 8/12 = 4/12 = 1/3, das heisst, dass bei der Ankunft einmal 1/3 der gewohnten Dosis gespritzt wird. Danach wird die Uhr umgestellt und die normale Therapie wie gewohnt gemäss neuer Ortszeit fortgesetzt. In den ersten Tagen sollte auch hier der Blutzucker engmaschig kontrolliert werden.

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Tabelle 2:
Vereinfachtes Schema der Medikamenteneinnahme bei Zeitverschiebung in Richtung Osten

Richtung Osten
minus 3–6 Stunden weniger benötigt: 1/4 der Tagesdosis
minus 7–9 Stunden weniger benötigt: 1/3 der Tagesdosis
minus 10–12 Stunden weniger benötigt: 1/2 der Tagesdosis

Einnahme 1-mal tgl.

2-mal tgl.

3-mal tgl.

3/4 Tagesdosis bei Ankunft danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

1/2 Einzeldosis einmalig bei Ankunft danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

1/4 der Einzeldosis einmalig bei Ankunft danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

2/3 Tagesdosis bei Ankunft danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

1/3 Einzeldosis bei Ankunft danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

1 Einzeldosis auslassen danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

1/2 Tagesdosis bei Ankunft danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

1 Einzeldosis auslassen danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

1 Einzeldosis während des Flugs auslassen bei Ankunft 1/2 Einzeldosis anstelle ganzer Einzeldosis danach weiter wie gewohnt gemäss Ortszeit

Bei einer Zeitverschiebung bis zu 2 Stunden sind keine Anpassungen notwendig.

Glukokortikoide
Kortisonpräparate sollten entsprechend dem zirkadianen Rhythmus der körpereigenen Kortisonausschüttung am besten morgens vor 8 Uhr eingenommen werden. In manchen Fällen ist nachmittags eine zweite (kleinere) Dosis erforderlich. Da sich der Organismus durchschnittlich um maximal 2 Stunden an eine Zeitverschiebung anpasst, sollte die Einnahme von Kortikoiden schrittweise an die neue Ortszeit angepasst werden. Das bedeutet, dass bei Westreisen mit Tagesverlängerung die Einnahme täglich um 2 Stunden nach hinten geschoben wird, bis die übliche Einnahmeuhrzeit gemäss neuer Ortszeit erreicht ist. Bei Ostreisen mit Tagesverkürzung muss die Einnahme dementsprechend jeden Tag um 2 Stunden vorverlegt werden. Das gelingt am einfachsten, wenn eine «Medikamentenuhr» mitgenommen wird, die täglich um 2 Stunden vor (bei Reisen nach Osten) oder zurück (bei Reisen nach Westen) gestellt wird, bis die Zeit auf der Medikamentenuhr mit der Ortszeit übereinstimmt.
Orale Kontrazeptiva
Bei Kombinationspräparaten mit Östrogen- und Gestagenanteil bleibt der Empfängnisschutz erhalten, wenn das Einnahmeintervall auf nicht mehr als (einmalig) 36 Stunden verlängert wird. Das gilt auch für desogestrelhaltige Minipillen, nicht aber für Minipillen, die nur Gestagen enthalten.

Bei Gestagen-Minipillen ist der Schutz nach Überschreiten eines Einnahmeintervalls von maximal 27 Stunden nicht mehr sicher gegeben. Reise nach Westen: Beträgt die Zeitverschiebung weniger als +12 Stunden, kann die Einnahme (ausser bei gestagenhaltigen Minipillen) zu den gewohnten Uhrzeiten fortgesetzt werden, ohne dass der Empfängnisschutz beeinträchtigt wird. Bei grösseren Zeitverschiebungen, die an die 12-Stunden-Grenze herankommen, kann aber auch einmalig ein verkürztes Einnahmeintervall eingeschoben und danach die Einnahme zur neuen Ortszeit wie gewohnt fortgesetzt werden. Bei gestagenhaltigen Minipillen sollte auf Westreisen mit einer Tagesverlängerung von mehr als 3 Stunden eine zusätzliche Pille eingenommen und damit das Einnahmeintervall verkürzt werden. Reise nach Osten: Die Pilleneinnahme kann zur gewohnten Tageszeit fortgesetzt werden. Das gilt auch für gestagenhaltige Minipillen. Diese einmalige Verkürzung des Einnahmeintervalls am Reisetag bereitet in der Regel keine Probleme.
Dieser Artikel wurde, leicht bearbeitet und gekürzt, mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers (CRM Centrum für Reisemedizin GmbH) aus dem aktuellen «CRM Handbuch Reisen mit Risiko» 2021 übernommen: «CRM Handbuch Reisen mit Risiko» 2021, 336 Seiten, ISBN 978-3-941386-334, Einzelausgabe 49,90 Euro, Abonnement 46,90 Euro pro Jahr (jeweils zzgl. 7,90 Euro Versandkosten). Weitere Informationen und Bestellung: http://crm.de/medien

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