Transkript
Brandverletzungen im Kindesalter
Wann muss man mit Narben rechnen?
BERICHT
In der Schweiz müssen jährlich rund 300 Kinder wegen Verbrühungen und Verbrennungen stationär aufgenommen werden, zwei Drittel von ihnen sind jünger als 5 Jahre. An der Fortbildung «Pädiatrie Update Refresher» erläuterte KD Dr. med. Kathrin Neuhaus vom Zentrum für brandverletzte Kinder am Universitätskinderspital Zürich die notwendigen Sofortmassnahmen sowie die Einstufung des Verbrennungsgrades und die daraus folgenden weiteren Behandlungsschritte.
Wenn ein Kind Verbrühungen oder Verbrennungen erlitten hat, solle man in den ersten beiden Tagen gegenüber den Eltern noch kein Statement wagen, ob Narben zurückbleiben werden oder nicht, empfahl die Referentin. Der Wundgrund verändert sich in dieser Zeit noch, was die Einstufung als Grad-2b-Verbrennung (gibt höchstwahrscheinlich Narben) oder vielleicht doch noch als Grad-2a-Fall (keine Narben zu befürchten) erschwert.
Brandblasen öffnen?
Weil die Beurteilung des Wundgrunds für die korrekte Einstufung des Verbrennungsgrads, die Prognose und die weitere Behandlung von zentraler Bedeutung ist (Tabelle), werden Brandblasen bei der Erstversorgung am Universitätskinderspital in Zürich grundsätzlich geöffnet, und alle
Sofortmassnahmen
s Die unmittelbare Kühlung mit Leitungswasser (20–25 °C) für 5 bis 10 Minuten ist ein bewährtes Mittel, um den Verbrennungsschmerz akut etwas zu lindern. Keinesfalls darf man dafür Eiswasser verwenden. Man darf nur das betroffene Körperteil kühlen und auch das nur dann, wenn maximal 15 Prozent der Körperoberfläche betroffen sind.
s Unterkühlung ist eine grosse Gefahr für Verbrennungsopfer. Es ist wichtig, das Kind warmzuhalten. Wenn man eine Notfallwärmefolie zur Hand hat, umso besser: Sie kann gleichzeitig als Wundabdeckung dienen. Für den Transport ins Spital braucht es keinen speziellen Verband. Ein einfacher, sauberer, nicht adhäsiver Verband oder die Wärmefolie reichen aus.
s Eine prophylaktische Antibiotikagabe ist nicht notwendig. Wundkontaminationen sind zwar häufig, Infektionen aber selten.
s Die i.v. Flüssigkeitsgabe während des Transports ins Spital ist nur nötig, wenn ≥ 10 Prozent der Körperoberfläche betroffen sind oder wenn es ≥ 5 Prozent sind und der Transport länger als 1 Stunde dauert. Infrage kommen Ringer-Acetat- oder Ringer-Lactat-Lösung (keine Kolloide!) gemäss der 10-10-Regel: 10 ml/kg als Bolus und 10 ml/kg/h kontinuierlich.
Blasenreste werden entfernt (Wundreinigung mit Octenisept®, Débridement unter Sedation). Die bessere Sicht auf den Wundgrund ist jedoch nicht der einzige Grund: Die Flüssigkeit in den Brandblasen ist ein hervorragender Nährboden für Bakterien, die Blasen sind schmerzhaft, sie spannen, und sie können die Beweglichkeit erheblich einschränken. Nur isolierte Blasen über den Fingerkuppen werden in der Regel nicht geöffnet, weil sie meist ohne Probleme eintrocknen.
Kein täglicher Verbandwechsel
Man sollte Wundauflagen wählen, die lange auf der Wunde verbleiben können, sodass ein Wechsel allenfalls alle 5 bis 7 Tage notwendig ist. Es gibt auch Wundauflagen, die nie gewechselt werden müssen. Für Grad-2a-Verbrennungen gut geeignet sei Suprathel®, sagte Neuhaus. Dabei handelt es sich um eine spezielle Membran, die auf der Wunde verbleibt, bis diese abgeheilt ist. Wenn sich das neue Epithel gebildet hat, löst sich die Membran von selbst. Am Kinderspital in Zürich verwendet man nach der Erstversorgung in der Notaufnahme in der Regel einen silberbeschichteten Schaumverband, der leicht applizierbar ist, nicht mit der Wunde verklebt und lange auf der Wunde verbleiben kann (MepilexAg® oder PolymemAg®). Theoretisch wäre damit ein Verbandwechsel auch ohne Narkose möglich. In der Praxis überforderten grossflächige Wunden jedoch die Geduld von Kleinkindern, sodass man eine erneute Sedation für den Verbandwechsel bei Verletzungen an mehreren Lokalisationen, wie zum Beispiel an Thorax und Arm oder an beiden Händen, erwägen sollte, sagte Neuhaus. Bei höhergradigen Verbrennungen (ab Grad 2b/3) oder Verdacht auf Infektionen sind andere Eigenschaften der Wundauflage entscheidend: «Dann zählt nur noch der Infektionsschutz.» Für solche Wunden verwendet man am Kinderspital in Zürich Acticoat® mit einem hohen Silberanteil. Diese Wundauflage verklebt zwar mit der Wunde, das ist aber kein Problem, weil in diesen Fällen ohnehin operiert werden muss und die Wundauflage erst unter Narkose im OP wieder abgenommen wird.
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BERICHT
Tabelle:
Verbrennungsgrade
Grad Charakteristika 1 schmerzhafte Rötung (Sonnenbrand), rein epidermale Verletzung 2a Blasen, sehr schmerzhaft, Wundgrund feucht und rosig, Rekapillarisierung normal, Verletzung bis in obere Dermis, Basalmembran weitgehend intakt 2b Blasen, weniger schmerzhaft, Wundgrund trockener mit punktförmigen Einblutungen, Rekapillarisierung verzögert oder fehlend, Verletzung bis in die tiefere Dermis, Basalzellen teilweise intakt 3 keine Blasen, weniger schmerzhaft, Wundgrund trocken und lederartig, Haare leicht herausziehbar, keine Rekapillarisierung, komplette Dermis betroffen, Basalmembran und Basalzellen zerstört 4 vollständige Verkohlung, auch subkutane Strukturen betroffen, Flexionsstellung
Prognose rasche Spontanheilung Spontanheilung innert 10 Tagen, keine Narbenbildung limitierte Spontanheilung innerhalb von 2 bis 4 Wochen, in der Regel Narbenbildung, meist Operation notwendig Heilung dauert länger als 3 Wochen, immer Narbenbildung, Operation notwendig
keine Spontanheilung, Narben, Operation notwendig, evtl. auch Amputation von Extremitäten
Hauttransplantationen
Spalthauttransplantate werden möglichst von der Kopfhaut entnommen. Diese bei Kindern proportional grosse Fläche erlaubt eine Entnahme von bis zu 350 cm2. Die Rötung an der Entnahmestelle verschwindet mit der Zeit, und die Haare wachsen sehr schnell nach. Wenn die Hautentnahme korrekt durchgeführt wird, bleiben an der Kopfhaut keine Narben (haarlose Areale) zurück. Hauttransplantate für die Handinnenfläche müssen dicker sein. Sie werden zum Beispiel an den Fusssohlen entnommen. Die Entnahmestelle an der Fusssohle wird mit einem Transplantat von der Kopfhaut geschlossen. Eine netzartige Erweiterung der Spalthaut (Meshtransplantat) wird für kleinflächige Verletzungen nicht verwendet, zum einen, weil eine Expansion der Spalthaut aufgrund der ausreichenden Entnahmefläche nicht notwendig ist, und zum anderen, weil Meshtransplantate mit ihrer auch nach der Abheilung sichtbaren Gitterstruktur zu einem deutlich schlechteren ästhetischen Resultat führen (no mesh, no mess).
Lebensgefährlich: das Toxic-Shock-Syndrom
Die Mortalität dieser lebensgefährlichen, akuten, schweren systemischen Erkrankung liegt zwischen 15 und 50 Prozent. Auslöser sind bakterielle Exotoxine, die eine überschiessende Immunantwort (Zytokinsturm) induzieren, welche letztlich zu Gewebeschäden, zu Organfehlfunktionen und – unbehandelt – zu Multiorganversagen führt. Das Toxic-Shock-Syndrom kann bei allen thermischen Verletzungen auftreten. Es ist häufig mit Verbrennungen und Verbrühungen im frühen Kindesalter assoziiert und kommt vor allem bei Kindern mit eher kleinflächigen Verletzungen vor. Eine besonders vulnerable Patientengruppe kann man sich mithilfe der 2er-Regel merken: 2 Prozent der Körperoberfläche betroffen, 2-jähriges Kind am 2. Tag nach dem Unfall. Es gibt 3 obligate klinische Kriterien für das ToxicShock-Syndrom: s Fieber ≥ 39 °C s reduzierter Allgemeinzustand s generalisiertes Exanthem/generalisierte Erythrodermie.
«Wenn Sie so etwas im Zusammenhang mit einer thermischen Verletzung sehen, müssen Sie an das Toxic-Shock-Syndrom denken und das Kind sofort ins Spital zuweisen!», sagte Neuhaus. Häufig bestehen auch gastrointestinale und neurologische Begleitsymptome sowie eine Lymphopenie. Rechtzeitig erkannt, ist das Toxic-Shock-Syndrom in der Regel gut behandelbar.
Was hilft gegen Narben?
Während Grad-2a-Verbrennungen innerhalb von zirka
2 Wochen narbenlos abheilen, ist das bei höhergradigen
Verletzungen nicht der Fall. Brandverletzungen, die im
Kindesalter nicht innerhalb von 2 bis 3 Wochen abheilen,
hinterlassen Narben und erfordern bei entsprechender
Grösse eine Hauttransplantation. Auch nach einer Spalt-
hauttransplantation kommt es in der Regel zu einer gewis-
sen Narbenbildung, diese ist aber im Vergleich mit der
Narbenbildung ohne Operation deutlich geringer und das
ästhetisch und funktionelle Endresultat besser.
Es gibt viele Möglichkeiten, die Narbenbildung zu beein-
flussen. Dazu gehören Massage, Silikongele und -pflaster,
Kompressionskleidung für zirka 12 Monate (so kurz wie
möglich, so lang wie nötig), Physio- und Ergotherapie
sowie das Anpassen von Schienen. Sonnenschutz, eine im
Kindesalter ohnehin obligate Massnahme, ist für Kinder
mit Brandwunden noch wichtiger.
Auch eine Lasertherapie ist möglich. Bei sehr starker Nar-
benbildung oder sehr starkem Juckreiz kann sie früh ein-
gesetzt werden; meist erfolgt sie bei Bedarf im Lauf des
Wachstums, wenn Narben nicht ausreichend mitwachsen.
Wenn die Narben zu funktionellen Einschränkungen füh-
ren, sind im Lauf des Wachstums häufig auch operative
Narbenkorrekturen (lokale Lappenplastik oder erneute
Hauttransplantation) notwendig.
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Renate Bonifer
«Thermische Verletzungen im Kindesalter», Referat von KD Dr. med. Kathrin Neuhaus am FOMF Pädiatrie Update Refresher am 27. Oktober 2020 in Zürich.
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