Transkript
Von Nierenschutz bis COVID-19
Was ist neu in der Nephrologie?
BERICHT
Für sein Update zu aktuellen Entwicklungen in der Nephrologie hat sich Prof. Thomas Fehr, Chefarzt Innere Medizin am Kantonsspital Graubünden, auf drei Bereiche konzentriert: den Schutz der Nieren, den Zusammenhang zwischen Nierenerkrankungen und einer Infektion mit SARS-CoV-2 und die Therapie der membranösen Nephropathie.
Zunächst einmal gibt es mit den SGLT2-Hemmern neue Möglichkeiten, die Niere zu schützen, und diese Optionen haben nicht nur die Welt der Nephrologie verändert. Nephrologie, Kardiologie und Endokrinologie seien damit enger zusammengerückt, so Fehr. Eine nephroprotektive Therapie kann die Progression einer chronischen Niereninsuffizienz verlangsamen, wie die Mitch-Kurve zeigt (siehe Abbildung): «Wenn wir nur ein paar Grad gewinnen, kann das 5 oder 10 Jahre mehr bis zur Notwendigkeit einer Dialyse bedeuten.» Aus den 1990er-Jahren stammt die Erkenntnis, dass die Blockade des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) mit ACE-Hemmern oder Angiotensinrezeptorblockern nephroprotektiv wirkt, in den 2000er-Jahren erkannte man den positiven Effekt durch die Korrektur einer metabolischen Azidose mit Natriumbikarbonat. Beide Massnahmen wirkten sich sowohl bei einer diabetischen als auch bei einer nicht diabetischen Nephropathie günstig aus. In den 2010er-Jahren schliesslich beobachtete man einen günstigen Einfluss der SGLT2-Hemmer auf die diabetische Nephropathie. Diese Moleküle, welche die Natrium- und Glukosetransporter 2 im proximalen Tubulus inhibieren und neben dem antidiabetischen auch einen diuretischen Effekt haben, bilden eine neue Klasse von Antidiabetika. Bislang zählen dazu Empagliflozin (Jardiance®), Dapagliflozin (Forxiga®) und Canagliflozin (Invokana®).
Neue Ära der Nephroprotektion ...
In der EMPA-REG-OUTCOME-Studie (n = 7020) kam es bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und einem hohen
KURZ & BÜNDIG
� SGLT2-Hemmer präsentieren einen neuen Standard der Nephroprotektion – zusätzlich zu RAS-Hemmern und auch bei Patienten ohne Diabetes mellitus.
� Eine Infektion mit SARS-CoV-2 führt in etwa 30 Prozent der Fälle zu einem akuten Nierenversagen. Eine chronische Nierenerkrankung erhöht das Risiko für einen COVID-19-assoziierten Todesfall (Odds Ratio: 2–4).
� Zur Therapie einer membranösen Nephropathie hat sich Rituximab im Vergleich zum Protokoll mit Ciclosporin nach 24 Monaten als überlegen erwiesen.
Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse unter Empagliflozin (25 mg vs. 10 mg vs. 0 mg plus Standardtherapie) im Vergleich zu Plazebo signifikant seltener zum kombinierten kardiovaskulären Endpunkt aus Tod/Myokardinfarkt oder Schlaganfall (Hazard Ratio [HR]: 0,86; p = 0,04 für Überlegenheit) (1). Auch das Fortschreiten einer Nephropathie (gemessen am Auftreten einer Makroalbuminurie, an der Verdoppelung des Kreatininwerts oder am Beginn eines Nierenversagens) konnte signifikant verlangsamt werden (HR: 0,61; p < 0,001) (2). In der 2019 publizierten CREDENCE-Studie (n = 4401) mit Canagliflozin wurde als primärer Endpunkt erstmals ein renaler Endpunkt gewählt (3). Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 unter optimaler RAS-Hemmer-Therapie konnte durch die zusätzliche Gabe von Canagliflozin (100 mg/Tag) im Vergleich zu Plazebo das relative Risiko für das Eintreten des zusammengesetzten primären Endpunkts (Nierenversagen, Verdoppelung des Kreatininwerts, kardiovaskulärer oder renaler Tod) hoch signifikant um 30 Prozent reduziert werden (HR: 0,7; p = 0,00001). Wegen der klaren Überlegenheit des Verums sei die Studie vorzeitig abgebrochen worden, wie der Experte betonte. Neben einer signifikanten Reduktion der Albuminurie wurde auch eine geringere Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) erreicht – und damit die Nephroprotektion dokumentiert. Auch eine Metaanalyse, die über 38 000 Patienten umfasste, zeigte die nephroprotektive Wirkung dieser Substanzklasse bei Patienten mit Diabetes mellitus eindrücklich (4). In allen aufgeführten renalen Belangen habe sich ein Vorteil und im Vergleich zu Plazebo eine Risikoreduktion um 30 bis 40 Prozent gezeigt, so Fehr. ... auch für Patienten ohne Diabetes mellitus Die kürzlich publizierte DAPA-CKD-Studie zeigte erstmals auch einen signifikanten Vorteil für Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (CKD) unabhängig von einem Diabetes mellitus (5). In dieser Studie erhielten rund 4300 unselektierte Patienten mit CKD, mit oder ohne Diabetes mellitus, zusätzlich zur RAS-Hemmung 10 mg Dapagliflozin versus Plazebo. Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus einem anhaltenden Rückgang der geschätzten GFR um mindestens 50 Prozent, Nierenerkrankung im Endstadium sowie kardiovaskulärem oder renalem Tod. Aufgrund der überwältigenden Wirksamkeit in der Verumgruppe sei auch diese Studie vorzeitig gestoppt worden, wie Fehr be- ARS MEDICI 12 | 2021 353 BERICHT Abbildung: Progression der chronischen Niereninsuffizienz (nach Fehr) richtete. Für den primären Endpunkt fand man nach 2,4 Jahren eine Abnahme der Inzidenz um 39 Prozent (HR: 0,61; p < 0,001), für die nierenspezifischen Parameter eine Abnahme um 44 Prozent (HR: 0,56; p < 0,001) und bei den Todesfällen jeglicher Ursache eine Abnahme um 31 Prozent (HR: 0,69; p = 0,004). Diese Resultate fanden sich konsistent über alle Subgruppen hinweg – und mit diesen Daten hat eine neue Ära begonnen, haben doch auch die SGLT2-Hemmer damit bei einer nicht diabetischen Nephropathie ihre herz- und nierenschützenden Effekte unter Beweis stellen können. Der Effekt der SGLT2-Hemmer bewege sich in der gleichen Grössenordnung wie derjenige der ACE-Hemmer, und das additiv, unterstrich der Experte. COVID-19 und die Niere Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und einer GFR < 30, ebenso dialysepflichtige sowie transplantierte Patienten zählen, was eine potenzielle Erkrankung mit SARS-CoV-2 angeht, zu den Risikopatienten. Sie sind stärker gefährdet, an den Folgen einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu sterben, als Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen oder Risikofaktoren, Diabetes oder Lungenerkrankungen (6). Diese Patienten hätten den gleichen Anspruch auf Schutzmassnahmen wie Patienten mit Herzinsuffizienz oder Infarkt, so Fehr. Bei 25 bis 40 Prozent der Patienten, die im Verlauf der ersten Welle mit SARS-CoV-2 infiziert waren, traten akute Nierenprobleme auf (7). Sowohl die Inzidenz als auch der Schweregrad nahmen im Lauf der Zeit ab. Ob SARS-CoV-2 direkt die Niere infizieren kann, ist Gegenstand der Diskussion. Die Entwicklung einer akuten Niereninsuffizienz im Rahmen einer Infektion mit SARS-CoV-2 gilt als Prädiktor für die Mortalität (8). Die Prognose für das Überleben des ersten Monats nach Infektion ist deutlich schlechter als bei Patienten ohne akute Nierenbeteiligung. Unklar sei bislang jedoch, ob die Niere daran schuld sei, oder ob dies nur ein Ausdruck dessen sei, wie schlecht es den Patienten gehe, merkte Fehr an. Neue Option für die Therapie einer membranösen Nephropathie Eine membranöse Nephropathie ist eine glomeruläre Nephritis, die sich mit einem nephrotischen Syndrom präsentiert. Nur bei einem Drittel der Betroffenen kann man von einer spontanen Remission ausgehen, bei allen anderen Patienten verläuft die Erkrankung progressiv, je zur Hälfte etwa lang- sam respektive schnell. Primär handelt es sich um eine Auto- immunerkrankung, als wichtigstes Hauptautoantigen gilt der Phospholipase-A2-Rezeptor. Daneben gibt es auch ein paar sekundäre Ursachen: Tumoren, Infektionen wie eine Hepatitis B oder Malaria sowie systemische Erkrankungen wie beispielsweise ein Lupus. Zur membranösen Nephropathie gibt es zwei neue Aspekte. Zum einen diagnostisch: Die kombinierte serologische Be- stimmung der Autoantikörper (membrangebunden sowie intrazellulär) beziehungsweise deren Ergebnis kann einen Hinweis auf die Prognose geben – inwieweit sich das jedoch auch für eine Behandlung nutzen lässt, ist derzeit noch un- klar (9). Zum anderen therapeutisch: Die Behandlung orien- tiert sich grundsätzlich am Ausmass der Proteinurie sowie an der Nierenfunktion. Aufgrund der Möglichkeit für eine spontane Remission wird bei einer leichteren Ausprägung zunächst mit ACE-Hemmern behandelt; wenn sich bei einer intermediären Proteinurie (zwischen 3 und 8 g/24 Stunden) und stabiler Nierenfunktion nach einem halben Jahr darun- ter kein Erfolg einstellt, kommen Immunsuppressiva zum Einsatz. Patienten mit schwerer nephrotischer Proteinurie und abnehmender Nierenfunktion erhalten direkt Immun- suppressoren. Standardmässig kamen dabei bislang zwei Protokolle zum Einsatz: das Cattran-Protokoll (Ciclosporin + Kortikosteroide) sowie das Ponticelli-Protokoll (Cyclo- phosphamid + Kortikosteroide). Alternativ kommt neben einer Lipidapherese und Adrenocorticotropin neu auch Ritu- ximab infrage. Dies geht auf die MENTOR-Studie zurück, in der der Namensgeber des Cattran-Protokolls dieses mit Rituximab verglich (10). 130 Patienten mit einer Proteinurie ≥ 5g/Tag und einer GFR ≥ 40 ml/min erhielten entweder Rituximab (2 × 1000 mg im Abstand von 14 Tagen, Wieder- holung nach 6 Monaten bei partiellem Ansprechen) oder Ciclosporin (Beginn mit 3,5 mg/kg für 12 Monate). Das Follow-up lief über insgesamt 24 Monate. Der primäre Endpunkt war definiert als komplette (Protein- urie < 0,3 g/24 Stunden) oder partielle Remission nach 24 Monaten; bei Letzterer musste die Proteinurie um > 50 Prozent reduziert worden sein und < 3,5 mg/24 Stunden liegen. Zum Ende der Behandlung nach 12 Monaten sei die Therapie mit Rituximab dem bisherigen Schema ebenbürtig gewesen, nach 24 Monaten habe sie sich der bisher besten Therapie als überlegen erwiesen, berichtete der Experte. Mit einer nur zweimaligen Gabe zu Beginn sei es gelungen, die Patienten über einen Zeitraum von 2 Jahren zu stabilisieren, so Fehr. «Und wir wissen von anderen Autoimmunerkran- kungen, zum Beispiel von der Therapie der Lupusnephritis, dass wir eine Erhaltungstherapie mit Rituximab anschliessen und die Remission erhalten können – für dieses Krankheits- bild ist das derzeit noch nicht untersucht.» s Christine Mücke Quelle: «Nephrology 2020 – what’s hot, what’s new?», Vortrag von Prof. Thomas Fehr anlässlich des FOMF Innere Medizin Update Refresher, 4. Dezember 2020. 354 ARS MEDICI 12 | 2021 Referenzen: 1. Zinman B et al.: Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2015;373(22):2117-2128. 2. Wanner C et al.: Empagliflozin and Progression of Kidney Disease in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2016;375(4):323-334. 3. Perkovic V, Jardine MJ, Neal B et al.: Canagliflozin and Renal Outcomes in Type 2 Diabetes and Nephropathy. N Engl J Med. 2019;380(24):22952306. 4. Neuen BL, Young T, Heerspink HJL et al.: SGLT2 inhibitors for the prevention of kidney failure in patients with type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis (published correction appears in Lancet Diabetes Endocrinol. 2019 Dec;7(12):e23). Lancet Diabetes Endocrinol. 2019;7(11):845-854. 5. Heerspink HJL et al.: Dapagliflozin in Patients with Chronic Kidney Disease. N Engl J Med. 2020;383(15):1436-1446. 6. Gansevoort RT, Hilbrands LB: CKD is a key risk factor for COVID-19 mortality. Nat Rev Nephrol. 2020;16(12):705-706. 7. Bowe B et al.: Acute Kidney Injury in a National Cohort of Hospitalized US Veterans with COVID-19. Clin J Am Soc Nephrol. 2020;16(1):14-25. 8. Chan L et al.: AKI in Hospitalized Patients with COVID-19. J Am Soc Nephrol. 2021;32(1):151-160. 9. Ghiggeri GM et al.: Multi-Autoantibody Signature and Clinical Outcome in Membranous Nephropathy. Clin J Am Soc Nephrol. 2020;15(12):17621776. 10. Fervenza FC et al.: Rituximab or Cyclosporine in the Treatment of Membranous Nephropathy. N Engl J Med. 2019;381(1):36-46. BERICHT ARS MEDICI 12 | 2021 355