Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Kann man so sehen: Es mangelt nicht an Liebe in der Welt, es mangelt an erträglichen Erwartungen. (Elke Heidenreich)
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Bullshit der Woche, gleich im Doppelpack: «Die Krise stellt eine grosse Herausforderung dar.» Und: «Wir müssen an die Wirtschaft denken und neue Wachstumsimpulse setzen.»
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Onkel Hugo, nicht mehr der Jüngste, meint, es sei ihm noch nie so gut gegangen wie während der Corona-Shutdowns. Endlich habe er Ruhe und könne machen, was er immer schon gern wollte: zu Hause rumhängen, Zeitung lesen, telefonieren, aus dem Fenster schauen. Keiner, der ihn zu einem Spaziergang oder zum Nachtessen überreden wolle oder seinen Besuch genau dann ankündige, wenn er gerad allein etwas «bäschele». Niemand, der beleidigt sei, wenn er einen Termin absage. Und Geld brauche er auch viel weniger. Hugo grinst zufrieden. Hugo ein Misanthrop («Menschenfeind»)? Ein wenig glaubt man’s ihm. Aber nur ein wenig.
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Eine (sozioproktologische) Anekdote aus Österreich, die viel Wind gemacht hat. Es geht um einen aufgebrachten, sich ungerechtfertigt belästigt fühlenden Mann, der letzten Sommer in einem öffentlichen Park in Wien einen Polizisten absichtlich ange… ja, tatsächlich …furzt hatte. Folge: eine Busse von 500 Euro. Wogegen der Flatulierende natür-
lich Einspruch erhob. Der Verteidiger des windenden Parkbesuchers argumentierte, sein Klient sei vor einer Busse zu schützen, da der Furz unter das Recht auf freie Meinungsäusserung falle. Der Richter akzeptierte diese Argumentation allerdings nicht, und zwar mit der (nachvollziehbaren) Begründung, ein Furz habe «keinen kommunikativen Inhalt». Immerhin liess er Milde walten und reduzierte die Busse auf 100 Euro. Was dem Verteidiger jedoch nicht reicht; er zieht den Fall weiter. Auf dass etwas mehr Wind in die Angelegenheit komme und das flüchtige Wesen «kommunikativen Inhalts» juristische Klärung finde.
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Die frivole Gisela hatte an der Schöpfung schon immer so manches auszusetzen. Sie habe beispielsweise nie verstanden, warum die Welt nicht ohne Zecken und Viren auskäme. Ein Einwand, dem man als Hundebesitzer und potenzielles Corona-Opfer nur zustimmen kann. Diesmal aber hat sie’s, die mit Medizin ansonsten wenig am Hut hat, mit der weiblichen Anatomie: Wenn ein Architekt die Abwasserleitung unmittelbar neben der Säuglingsstation platziere, nenne sie das Pfusch. Man(n) (egal, ob Mediziner oder Laie) überlegt kurz, schweigt betreten und denkt dann: So ganz unrecht hat sie nicht.
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Eine deutsche Geschichte: Evelyn F. arbeitete 38 Jahre als Krankenschwester, wurde dann krank und bezieht jetzt in einer deutschen Grossstadt eine Rente von knapp 1000 Euro. In einem Leserbrief fragt sie, ob die Leute sich vorstellen
könnten, was für ein Gefühl sie beschleiche, wenn sie lese, dass ein 21-jähriger somalischer Ex-Pirat, der mit Granatwerfern und Kalaschnikows auf Leute geschossen habe, heute in derselben Stadt als Flüchtling mit genau dem gleichen Geldbetrag unterstützt werde. Es meint eine kritische Journalistin dazu: «Die grösste Wut bei den Menschen entsteht nicht aus Fremdenhass oder Angst vor Terror und Kriminalität. Die grösste Wut entsteht durch das Gefühl von Ungerechtigkeit.» Dem ist nichts beizufügen.
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Verbreitete Berufswünsche vor 60 Jahren: Lokomotivführer, Pilot oder Tierärztin. Die häufigsten Berufswünsche Jugendlicher heute: «irgendwas mit Medien» oder «irgendwas Soziales».
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Wenn man einen gravierenden Fehler mutig zugibt (was in der Politik selten vorkommt) und hoch und heilig verspricht, den Fehler zu korrigieren und es künftig besser zu machen (was in der Politik ab und zu doch vorkommt), dann aber rein gar nichts geschieht, sondern alles beim Alten bleibt (was in der Politik üblich ist, aber kaum auffällt), kann man mit gutem Grund von «verbaler Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre» sprechen.
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Und das meint Walti: Ich liebe ehrliche Sprichworte, zum Beispiel dieses: Die Letzten werden die Letzten bleiben.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 9 | 2021