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BERICHT
Morbus Crohn
Behandlung mit Biologika
Die Therapie des Morbus Crohn ist eine Herausforderung, denn die Rezidivrate ist bei dieser Erkrankung hoch. Bei mittelschwerer bis schwerer Ausprägung kommen Biologika zum Zug, mit denen eine Remission erreicht werden kann. Doch auch bei diesen Therapien kann es zu Rezidiven kommen, sodass Kombinationen in Erwägung gezogen werden müssen.
Die jährliche Inzidenz des Morbus Crohn liegt bei 3,9 bis 20/100 000 Einwohner, die Prävalenz bei 26 bis 323. Es handelt sich dabei um eine segmentale, diskontinuierliche, subakute Entzündung, die den gesamten Verdauungstrakt betreffen kann. Die transmuralen Entzündungsstellen sind segmental lokalisiert und zeichnen sich durch Mikroerosionen, Fissuren, Ulzerationen, Granulome, Infiltrationen und erweiterte Lymphgefässe aus. Das kann sich durch krampfartige Schmerzen, Diarrhö, Fieber und Gewichtsverlust äussern, muss aber nicht unbedingt mit dem endoskopischen oder histologischen Befund korrelieren. Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen kommt es durch Fehlsteuerung der Immunreaktion zu einer überschiessenden Aktivierung von entzündungshemmenden Zytokinen. Ziel von immunmodulierenden Therapien ist es daher, das Gleichgewicht des Immunsystems durch Supprimierung wiederherzustellen. Das erklärt auch die Therapiewirkung von Kortikosteroiden, Azathioprin, Interleukin-(IL-)Hemmern oder monoklonalen Antikörpern.
Remission erreichbar durch Interleukinhemmung
In der Therapie des mittelschweren bis schweren Morbus Crohn ist der IL-12/23-Hemmer Ustekinumab schon seit Längerem zugelassen. Im IM-UNITI-Studienprogramm induzierte Ustekinumab eine lang anhaltende Response und Remission im Rahmen einer Erhaltungstherapie von bis zu 3 Jahren (1–3). An der UEG-Week präsentierte Prof. William Sandborn, University of California, San Diego, La Jolla (USA), die 5-Jahres-Daten der IM-UNITI-Longterm-Extension-Studie. Nach der anfänglichen intravenösen Induktionsund subkutanen Erhaltungstherapie erhielten 354 Patienten, die nach 44 Wochen darauf angesprochen hatten, in der Studienerweiterung weiterhin Ustekinumab 90 mg s.c. alle 8 Wochen während gesamthaft 5 Jahren. Nach Studienende zeigte sich, dass die erreichte Remission für viele Patienten anhaltend war: In Woche 44 hatten 53 Prozent aller Patienten eine Remission erreicht, nach 5 Jahren waren immer noch 34 Prozent in Remission. Davon waren fast alle (89%) steroidfrei. In den Subgruppen der Anti-TNF-naiven Patienten waren die Remissionsraten höher: 65 Prozent nach 44 Wochen und 44 Prozent nach 5 Jahren. Patienten, denen vorab
ein Anti-TNF nicht geholfen hatte, erreichten nach 44 Wochen zu 41 Prozent die Remission, bei der Hälfte davon (21%) hielt sie noch nach 5 Jahren an. Die Antikörperbildung gegen Ustekinumab blieb auch nach 5 Jahren tief, sie betraf 5 Prozent der Patienten. In der Studienverlängerung traten keine neuen immunvermittelten Sicherheitssignale auf. Mit diesen Resultaten liegen nun Daten zur längsten Anti-IL-12/23-Behandlung bei Patienten mit Morbus Crohn vor. Gemäss diesen sei es den Patienten möglich, unter Ustekinumab s.c. die Remission aufrechtzuerhalten, so Sandborn abschliessend.
Vedolizumab: Anfangskonzentration wichtig
Der immunsuppressive monoklonale Antikörper Vedolizumab, der bei Morbus Crohn eingesetzt wird, hemmt die Einwanderung von T-Lymphozyten aus dem Blut in das Darmgewebe durch Bindung an das α4β7-Integrin. Eine retrospektive Real-World-Kohortenstudie mit klinischen und pharmakologischen Daten ging der Frage nach, ob die Serumkonzentration mit der Wirkung zusammenhängt. Mit einem pharmakokinetischen Modell, der Vedolizumabdosierung, dem Ausgangskörpergewicht und der Albuminkonzentration kann die Serumkonzentration berechnet werden. Bei 391 Patienten mit Morbus Crohn stellten sich in den Wochen 14, 26 und 52 Raten von klinischer Remission von 42, 43 und 32 Prozent ein, die Raten der endoskopischen Remission beliefen sich auf 66, 70 und 69 Prozent, die der tiefen Remission lagen bei 24, 30 und 21 Prozent. Gemäss Berechnung zeigten sich Unterschiede in der Vedolizumabkonzentration und in der Fläche unter der Kurve in den ersten 6 Wochen zwischen den Patienten mit und ohne Remission. Damit bestätigen sich frühere Ergebnisse, wonach die Vedolizumab-Serumkonzentration und das klinische Outcome korrelieren. Eine adäquate Arzneimittelkonzentration in der Induktionstherapie könne damit ein wichtiger Prädiktor für den kurz- wie auch für den langfristigen Verlauf sein, so die Schlussfolgerung von Dr. Niels Vanda Casteele an der UEGWeek. Patienten mit Morbus Crohn haben auch hohe Einbussen bei der Lebensqualität und der Produktivität. Neben der Wirk-
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samkeit und der Sicherheit von Therapien sind das wichtige Parameter, die es in der Gesamtschau zu berücksichtigen gilt. Um darüber ein klareres Bild zu bekommen, wurden Patientenbeurteilungen hinsichtlich dieser Parameter aus den Daten der VISIBLE-2-Studie analysiert. Die VISIBLE-2-Studie war eine doppelblind randomisierte, plazebokontrollierte Phase-III-Studie, bei der die Sicherheit und die Wirksamkeit von Vedolizumab 108 mg s.c. oder Plazebo alle 2 Wochen als Erhaltungstherapie nach 6-wöchiger intravenöser Induktion bei Patienten mit mittelschwerem bis schwerem Morbus Crohn untersucht wurden. Die klinische Remission als Endpunkt wurde anhand verschiedener Parameter bezüglich Entzündung, Stuhlfrequenz, Bauchschmerzen, Wohlbefinden, Arbeitsproduktivität und Einschränkung der Aktivität beurteilt. Nach 52 Wochen zeigte sich, dass unter Vedolizumab mehr Patienten eine klinische Remission erreichten als unter Plazebo. Die Verbesserungen bei der Lebensqualität und der Arbeitsproduktivität waren ab der 6. Woche sichtbar und hielten bis zur 52. Woche in beiden Studienarmen an.
Wann und welche Kombinationstherapie?
Auch wenn in den letzten Jahren mit monoklonalen Antikörpern grosse Fortschritte in der Therapie des Morbus Crohn hätten erzielt werden können, seien die Patienten nach einem Jahr nur noch zu einem Drittel in Remission, bedauert Prof. Laurent Peyrin-Biroulet, Universitätsspital Nancy (F). Patienten mit Morbus Crohn haben eine hohe Rezidivrate. Eine Kombination dieser Therapien ist bei Therapieversagern eine Option, gute Erfahrungen zum Beispiel mit der Kombination Infliximab/Azathioprin konnten bereits gemacht werden: In der SONIC-Studie erhöhte sich damit die Chance auf eine steroidfreie klinische Remission nach 26 Wochen im Vergleich zur Monotherapie (4). Bei der Kombination von Infliximab und Natalizumab war der synergistische Effekt dagegen nicht so ausgeprägt (5). Es scheine also nicht so einfach zu sein, gibt der Experte zu bedenken. In den letzten Jahren wurden viele Kombinationen in CaseReports publiziert, mit unterschiedlichem Erfolg. Zumindest eines lasse sich pauschal sagen: Es träten nicht mehr Nebenwirkungen auf, so Peyrin-Biroulet. Eine retrospektive Untersuchung zu verwendeten Zweierkombinationen bei chronisch entzündlicher Darmerkran-
kung wurde inzwischen publiziert. Dabei waren die häufigs-
ten Kombinationen Vedolizumab/Adalimumab und Vedoli-
zumab/Ustekinumab, neue Sicherheitssignale waren nicht
aufgetreten (6). Eine neue Phase-IV-Studie (EXPLORER)
untersucht nun die Kombination zweier Biologika (Vedolizu-
mab/Adalimumab) plus Methotrexat bei 60 neu diagnosti-
zierten biologikanaiven Patienten mit höherem Komplika-
tionsrisiko infolge hoher Krankheitsaktivität. Die Patienten
erhalten die Dreierkombination während 26 Wochen zur
Remissionsinduktion, danach werden Adalimumab und ab
Woche 34 auch Methotrexat abgesetzt. Die weitere Erhal-
tungstherapie bis zur Woche 78 erfolgt dann mit Vedolizu-
mab allein. Wirksamkeit und Sicherheit werden dabei von
Interesse sein.
Welche monoklonalen Antikörper miteinander kombiniert
werden sollen, kann noch nicht beatwortet werden. Man
kann aber von der Onkologie lernen, dass ein kombinierter
Ansatz bei mehreren Zielen zu einem grösseren Erfolg führt.
Deshalb sind bispezifische Antikörper, die zwei Ziele gleich-
zeitig ansteuern, derzeit in verschiedenen Fachgebieten in
Entwicklung. Sie könnten dereinst noch mehr Erfolg bringen
als die Kombination von Einzeltherapien (7).
s
Valérie Herzog
Quelle: «News Strategies in IBD». United European Gastroenterology Week (UEGW), 10. bis 14. Oktober 2020, virtuell.
Referenzen: 1. Feagan BG et al.: Ustekinumab as Induction and Maintenance Therapy
for Crohn’s Disease. N Engl J Med. 2016; 375(20): 1946–1960. 2. Sandborn WJ et al.: Long-term efficacy and safety of ustekinumab for
Crohn’s disease through the second year of therapy. Aliment Pharmacol Ther. 2018; 48(1): 65–77. 3. Hanauer SB et al.: IM-UNITI: Three-year Efficacy, Safety, and Immunogenicity of Ustekinumab Treatment of Crohn’s Disease. J Crohns Colitis. 2020; 14(1): 23–32. 4. Colombel JF et al.: Infliximab, azathioprine, or combination therapy for Crohn’s disease. N Engl J Med. 2010; 362(15): 1383–1395. 5. Sands BE et al.: Safety and tolerability of concurrent natalizumab treatment for patients with Crohn’s disease not in remission while receiving infliximab. Inflamm Bowel Dis. 2007; 13(1): 2–11. 6. Privitera G et al.: Dual Targeted Therapy: a possible option for the management of refractory Inflammatory Bowel Disease (published online ahead of print, 2020 Jul 17). J Crohns Colitis. 2020; jjaa149. 7. Peyrin-Biroulet L et al.: Bispecific antibodies: The next generation of targeted inflammatory bowel disease therapies. Autoimmun Rev. 2019; 18(2): 123–128.
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