Transkript
BERICHT
Mikroskopische Kolitis
Antworten auf praktische Fragen
Bei chronischen wässrigen Durchfällen, nicht blutiger Diarrhö und endoskopisch unauffälligem Kolon kann es sich auch um eine mikroskopische Kolitis handeln. Die europäische Gastroenterologengesellschaft hat aufgrund der bestehenden Unsicherheiten und der neuen Möglichkeiten im klinischen Management evidenzbasierte Guidelines entwickelt, die zur Verbesserung der Betreuung von Patienten mit mikroskopischer Kolitis beitragen sollen. Sie gibt darin Antworten auf praktische Fragen.
Nach Durchsicht der bestehenden Literatur zu mikroskopischer Kolitis (MC) beträgt die Inzidenz nach Schätzung des Guidelinekomitees 11,4 Prozent/100 000 Personenjahre, die der beiden Subtypen kollagenöse Kolitis (CC) und lymphozytäre Kolitis (LC) 0,6–16,4/100 000 beziehungsweise 0,6–16,0/ 100 000 Personenjahre. Die Prävalenz wird auf 119/100 000 Personen geschätzt (Subtypen 50 bzw. 61/100 000 Personen). Bei etwa 13 Prozent der Patienten mit chronischen wässrigen Durchfällen ist eine MC zu finden. Was begünstigt diese Erkrankung? Als Risikofaktor gelte nach wie vor das Rauchen, doch sei unklar, ob ein Rauchstopp den Krankheitsverlauf zu beeinflussen vermöge, relativierte der Erstautor der Guideline (1), Prof. Stephan Miehlke, an der UEG-Week. Frauen haben ein höheres Risiko, an einer MC zu erkranken. Eine chronische oder häufige Einnahme von Protonenpumpenhemmern (PPI), nicht steroidalen Antiphlogistika (NSAID) oder selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI) ist ebenfalls mit einem höheren Risiko behaftet, wenn auch der kausale Zusammenhang dazu fehlt. Ein Stopp von zurzeit eingenommenen Medikamenten soll jedoch nur dann erwogen werden, wenn der Symptombeginn in einem zeitlichen Zusammenhang steht.
Wie sie abgeklärt wird
Als häufigstes Symptom tritt eine chronisch wässrige, nicht blutige Diarrhö auf, meist begleitet von Defäkationsdrang, nächtlichen Stuhlgängen und Stuhlinkontinenz. Bei Patienten, bei denen eine diarrhölastige funktionelle Darmerkrankung vermutet wird, sollte eine MC ausgeschlossen werden, vor allem bei vorhandenen Risikofaktoren oder fehlendem Ansprechen auf eine Reizdarmtherapie. Die Lebensqualität ist bei einer MC je nach Schwere der Krankheitsaktivität und der Begleiterkrankungen stark beeinträchtigt. Die MC wird mittels einer Ileokolonoskopie mit Biopsie vom linken und rechten Kolon diagnostiziert. Mit der Messung des fäkalen Calprotectins kann die MC nicht ausgeschlossen und auch nicht überwacht werden. Es sei auch empfohlen, Patienten mit einer MC auf das Vorhandensein einer Zöliakie zu screenen, die Inzidenz sei bei diesen Patienten höher als bei Patienten ohne MC, sagte Miehlke. Eine Testung auf eine chologene Diarrhö beziehungsweise auf ein Gallensäureverlustsyndrom gehört dagegen nicht zur Routineabklärung, weil die Symptome beider Entitäten nicht unterscheidbar sind, beides jedoch nebeneinander exisitieren kann.
Pharmakologische Therapie
Ziel der Therapie ist das Erreichen einer anhaltenden Remission. In Ermangelung anderer Kriterien kann von einer klinischen Remission gesprochen werden, wenn es innerhalb einer Woche durchschnittlich zu weniger als 3 Stühlen und weniger als 1 wässrigen Stuhl kommt. Die Guidelines empfehlen als Therapie orales Budesonid zur Induktion der Remission wie auch zur Erhaltungstherapie. Eine Metaanalyse über 4 randomisiert kontrollierte Studien mit 161 Patienten mit dem CC-Subtyp zeigte nach 8 Wochen eine klinische Remissionsrate von 81 Prozent unter Budesonid 9 mg/Tag (vs. 36% unter Plazebo). In der Erhaltungstherapie hielt die Remission nach 6 Monaten bei 68 Prozent der Patienten an, unter Plazebo nur bei 20 Prozent (2). Bei Patienten mit dem LC-Subtyp trat in einer weiteren gepoolten Analyse über 3 Studien unter Budesonid bei 84 Prozent der Teilnehmer eine klinische Remission (vs. 43% unter Plazebo) ein (3–5). Wegen der Ähnlichkeit zum CC-Subtyp kann von einer Remissionserhaltung bei fortgeführter Therapie mit Budesonid ausgegangen werden. Punkto Sicherheit sind von einer Therapie mit oralem Budesonid bei MC-Patienten keine schweren Nebenwirkungen zu erwarten, ebenso wenig eine Erhöhung des Risikos für osteoporotische Knochenfrakturen, obschon sich die Knochendichte bei längerer Einnahme verringern könnte. Prednisolon oder andere Kortikosteroide sollten dagegen nicht eingesetzt werden.
Was ungenügende Evidenz hat
Von einer Therapie mit Mesalazin zur Remissionsinduktion wird in der Guideline abgeraten, weil der Beweis der Wirksamkeit in Studien in dieser Indikation nicht erbracht werden konnte, und zur Erhaltungstherapie gibt es keine Evidenz. Auch für Bismutsalicylat ist die Evidenz für eine Empfehlung nicht ausreichend. Das gilt auch für Loperamid, doch ist der Effekt bei chronischer Diarrhö belegt und die Verwendung nach Meinung des Guidelinekomitees bei einer milden Erkrankung einen Versuch wert. Die Verabreichung von Gallensäurebindern (Cholestyramin) bei MC-Patienten mit chologener Diarrhö ist empfohlen. Diese tritt bei etwa 14 Prozent der MC-Patienten gleichzeitig auf und scheint auf Cholestyramin in einigen Fällen anzusprechen. Antibiotika dagegen sollten bei MC nicht eingesetzt werden, da es dafür nicht genügend Evidenz gibt. Auch Probiotika
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Aktive mikroskopische Kolitis Induktion: Budesonid 9 mg/Tag, 6 bis 8 Wochen
klinische Remission
kein klinisches Ansprechen
Risikofaktoren wie Rauchen, NSAID und PPI vermeiden Intoleranz, Patientenwunsch
Loperamid, Cholestyramin
kein Rückfall
klinischer Rückfall Induktion: Budesonid 9 mg/Tag
andere Ursachen für die neu entdeckte Diarrhö
(z. B. chologene Diarrhö, Zöliakie)
entsprechend behandeln
keine Erhaltungstherapie
Chronisch aktive Erkrankung
Erhaltungstherapie: Budesonid tief dosiert (3–6 mg/Tag) ± Loperamid
chronisch aktive Erkrankung trotz Budesonid ≥ 6 mg/Tag, Intoleranz
Abkürzungen: NSAID: nicht steroidale Antiphlogistika, PPI: Protonenpumpenhemmer, 6-MP: 6-Mercaptopurin
Abbildung: Behandlungsalgorithmus bei mikroskopischer Kolitis
Alternativen erwägen: Loperamid, Cholestyramin
(oder in Kombination), Adalimumab, Infliximab,
Azathioprin/6-MP, Vedolizumab, Operation
finden keinen Platz auf der Empfehlungsliste, der Effekt der untersuchten Probiotika Lactobacillus acidophilus und Bifidobacterium animalis war Plazebo nicht überlegen, und VSL#3 brachte keine Veränderung in der Stuhlfrequenz.
Biologika bei Therapieversagen
Wenn unter der Therapie mit Budesonid keine ausreichende Remission erreicht und erhalten werden kann, können Immunsuppressiva wie Thiopurine, TNF-a-Hemmer oder Vedolizumab bei ausgewählten Patienten zum Einsatz kommen. Von der Verwendung von Methotrexat wird dagegen abgeraten. Von Azathioprin und 6-Mercaptopurin existieren in dieser Indikation Fallserien, die von einer Langzeitansprechrate berichten, die ein Absetzen der Kortikosteroide in 28 bis 89 Prozent der Fälle ermöglichen. Auch von Biologika wie Infliximab, Adalimumab und Vedolizumab gibt es Fallserien bei therapierefraktären MC-Patienten, denen zufolge bei einigen Patienten eine Remission erreicht werden konnte. Wenn alle Stricke reissen, kann ein chirurgischer Eingriff in Betracht gezogen werden. Es gibt aber nur wenige Fallbeschreibungen, und diese mit unterschiedlichem Erfolg.
Vorgehen bei aktiver MC
Das Guidelinekomitee empfiehlt in einem Therapiealgorithmus (Abbildung) in der Zusammenschau folgendes Vorgehen: Bei aktiver MC soll eine Induktionstherapie mit oralem Budesonid 9 mg/Tag während 6 bis 8 Wochen zur Remissionsinduktion installiert werden. Auf Patientenwunsch oder im Fall einer Unverträglichkeit können auch Loperamid oder Cholestyramin eingesetzt werden. Bei chronisch aktiver MC
und bei Ansprechen auf Budesonid ist eine Langzeittherapie
mit oralem Budesonid in der tiefstmöglichen Dosierung
(3–6 mg/Tag) angezeigt, solange es nötig ist. Der Zeitpunkt
für einen Therapiestopp sollte auf individueller Basis festge-
legt werden. Bei Langzeittherapie mit Budesonid ist bei Pati-
enten mit Risikofaktoren für eine Osteoporose eine Supple-
mentierung mit Kalzium und Vitamin D angezeigt sowie die
Überwachung der Knochendichte. Loperamid kann zusätz-
lich bei Bedarf zum Einsatz kommen. Bei budesonidrefraktä-
ren Patienten oder solchen, die mehr als 6 mg/Tag zur Remis-
sionserhaltung benötigen, kann ein Einsatz von Immunmo-
dulatoren oder Biologika erwogen werden.
s
Valérie Herzog
Quelle: «European guideline on the management of microscopic colitis». United European Gastroenterology Week (UEGW) 2020, 10. bis 14. Oktober, virtuell.
Referenzen: 1. Miehlke S et al.: European guidelines on microscopic colitis: Uni-
ted European Gastroenterology (UEG) and European Microscopic Colitis Group (EMCG) statements and recommendations. United European Gastroenterol J. 2020; 2050640620951905. 2. Kafil TS et al.: Interventions for treating collagenous colitis. Cochrane Database Syst Rev 2017; 11: CD003575. 3. Miehlke S, Madisch A, Karimi D, et al: Budesonide is effective in treating lymphocytic colitis: a randomized double-blind placebo-controlled study. Gastroenterology 2009; 136: 2092–2100. 4. Miehlke S, Aust D, Mihaly E, et al.: Efficacy and safety of budesonide, vs mesalazine or placebo, as induction therapy for lymphocytic colitis. Gastroenterology 2018; 155: 1795–1804. 5. Pardi DS, Loftus EV, Tremaine WJ, et al.: T1193 A randomized, double-blind, placebo-controlled trial of budesonide for the treatment of active lymphocytic colitis. Gastroenterology 2009; 136: A519–A520.
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