Transkript
EDITORIAL
Si tacuisses, philosophum mansisses
«Corona kotzt mich an.» Mit diesem knackigen Satz reagierte kürzlich ein lieber Kollege auf die offenbar nicht als harmlos empfundene Nachfrage, ob der Herr Professor René Z., von dem er mir begeistert erzählte, nicht derjenige sei, der im umstrittenen Film des Journalisten Reto Brennwald auf- beziehungsweise in Erscheinung getreten sei. Falls Sie den Film nicht kennen: Mit der Doku «Unerhört!» (unerhoert-der-film.ch) will Brennwald den angeblich zu wenig oder eben ungehörten Stimmen jener eine Bühne geben, die den Auswirkungen der Coronapandemie gelassener gegenüberstehen als die Behörden, die die ganze Aufregung nicht verstehen und die Schäden der Gegenmassnahmen für gravierender halten als die Pandemie und ihre medizinischen Folgen selber. Der Satz sass. Nicht weil mein Freund und Kollege etwas aussprach, dem viele Leuten zustimmen, sondern weil er offensichtlich mehr transportierte als seine verständliche persönliche Befindlichkeit. Nicht Corona kotzt meinen Freund an, sondern … – ich vermute, er ärgert sich vor allem darüber, dass es in Zeiten von Corona nicht mehr möglich ist, über jemanden wie Prof. René Z. zu sprechen, einen gewiss verdienten Chirurgen, der in aller Welt, von Südafrika bis Banda Aceh, wertvolle Einsätze geleistet und viel Spannen-
des zu erzählen hat, ohne an seine Rolle in Brennwalds
Film zu erinnern, in dem er sich etwa mit dem Satz
positioniert: «Es bruucht sicher kei Schutzmaske.»
und COVID-19 einem grippalen Infekt gleichsetzt. Und
an Werbevideos (inzwischen gelöscht!) für die Region
Savognin-Bivio-Albula, in denen er 2020 mit der Aus-
sage warb, die Viren hätten «nicht gern warm, nicht
gern UV-Licht, nicht gern trocken und nicht gern
Wind» und deshalb bestehe (in Savognin) «keine Ge-
fahr für eine zweite Welle».
Nun ist René Z. zwar nicht der einzige Arzt, der im Film
als Zeuge dafür auftritt, dass unsere Gesellschaft –
wie fast alle Gesellschaften ausser etwa in Schweden
(Zitat: «Die haben mehr Tote, logisch …»), Belarus
oder Brasilien – unangemessen ängstlich auf das
Coronavirus reagiere und dass Begriffe wie «neues»
(Virus), «Pandemie», «exponentiell», «an» (statt «mit»)
oder «Übersterblichkeit» tendenziös verwendet wür-
den. Aber gegenüber der Mehrzahl der Fachleute blei-
ben Z. & Co. halt eine (eher kuriose) Minderheit.
Si tacuisses, philosophus mansisses! Tja, ich kann’s
nicht ändern: Prof. Z. hat nun mal nicht geschwiegen,
und so ist er halt kein kluger Mann geblieben und muss
sich an dem messen lassen, was er gesagt hat. «Gsaat
isch gsaat» heisst es in Schaffhausen. Soll man darü-
ber hinwegsehen, einem lieben Freund zuliebe? Viel-
leicht sollte man.
Vielleicht kotzt meinen Freund aber auch an, dass die
vergangenen Monate den Nachweis nicht erbringen
konnten, dass Prof. Z. und andere Kritiker recht haben.
Dass stattdessen fast jeder Tag zeigt, dass sich so ein
Virus nicht an unsere Wünsche hält, sondern an seine
ihm eigene Bestimmung. Dabei würde ich den Vor-
wurf, völlig daneben gelegen zu haben, noch so gerne
ertragen, wenn es denn so wäre. Ist es aber nicht.
Vielleicht hat meinen Freund aber auch nur geärgert,
dass ich meiner mangelnden Bewunderung für Herrn
Prof. Z. mit dem Zusatz Ausdruck gegeben habe, dass
mir Renée Z. lieber wäre. Sorry, wenn das zu viel war!
Kann man aber verstehen, oder?
s
Richard Altorfer
ARS MEDICI 8 | 2021
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