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BERICHT
ACR Convergence 2020
Auswahl vom Jahrestreffen des American College of Rheumatology
Das Meeting ACR Convergence 2020 war das erste vollständig virtuell durchgeführte Treffen des American College of Rheumatology. Mit mehr als 16 000 Besuchern aus 111 Ländern erreichte es einen Besucherrekord. Nachfolgend eine Auswahl der interessanten Studien.
«Die Behandlungsmöglichkeiten bei einer Kniearthrose sind begrenzt. Steroidinjektionen gelten als sichere und effektive Intervention zur Linderung von Schmerzen. Kliniker und Patienten müssen deshalb wissen, ob Steroidinjektionen eine Kniearthrose verschlimmern oder nicht», erklärte Prof. Justin J. Bucci, Boston University School of Medicine, Boston, USA. Denn eine frühere Kohortenstudie wies auf ein dreifach erhöhtes Risiko für das Fortschreiten der Kniearthrose nach dem Einsatz der Injektionen hin. Deshalb wurde ein möglicher Zusammenhang in einer aktuellen Kohortenstudie erneut untersucht (1). Darin wurden Gonarthrosepatienten, die Kortikosteroidinjektionen erhalten hatten, mit Arthrosepatienten verglichen, die Hyaluronsäureinjektionen bekommen hatten, da bei beiden Gruppen mit einem fortgeschrittenen Krankheitsbild zu rechnen ist. Injektionen mit Hyaluronsäure werden nicht mit einem erhöhten Knorpelverlust assoziiert. Bucci und Mitarbeiter nutzten als Datenquelle zwei grosse Kohortenstudien von Menschen mit Kniearthrose (MOST und OAI), die entweder Kortikosteroid- oder Hyaluronsäureinjektionen erhalten hatten. Sie untersuchten das Ausmass der radiologischen Progression und den Anteil an Knietotalendoprothesen (TEP). Das Fortschreiten der Arthrose wurde in beiden Studien mit dem Kellgren- und dem Lawrence-Score (KL) sowie anhand der Gelenkspaltverengung bewertet.
Kein Progressionsrisiko bei Kortikosteroidinjektionen
Insgesamt analysierten die Forscher 792 Kniegelenke, wovon 647 mit Kortikosteroidinjektionen und 145 mit Hyaluronsäureinjektionen behandelt worden waren. Sie fanden heraus, dass die TEP-Rate bei Patienten, die einmalig eine Hyaluronsäureinjektion erhalten hatten, grösser war als bei denjenigen mit einer einmaligen Kortikosteroidinjektion (p = 0,04). Dagegen gab es bei den Patienten, die über Injektionen bei mehreren Untersuchungen berichteten, keinen Unterschied zwischen den Inhaltsstoffen. Die multivariable Analyse zeigte ein ähnliches Ausmass der Progression im Röntgen für beide Injektionsbehandlungen, sowohl bei Einzel- als auch bei Mehrfachuntersuchungen.
«Kortikosteroidinjektionen bei Kniearthrose sind im Vergleich zu Hyaluronsäureinjektionen nicht mit einer höheren Rate an röntgenologischer Progression oder einer Progression zu einer TEP assoziiert», schlussfolgerten die Autoren.
Warfarin: Erhöhtes Risiko für Gelenkersatz?
In einer Fallkontrollstudie wurde unter Verwendung von Daten aus dem Health Improvement Network ein möglicher Zusammenhang zwischen gerinnungshemmender Therapie und der Notwendigkeit eines Gelenkersatzes bei Arthrosepatienten untersucht (2). Die 913 eingeschlossenen Fälle waren sämtlich mit Knie- beziehungsweise Hüftendoprothese versorgt worden. Diese Patienten wurden nach Alter und Geschlecht mit 3652 Kontrollen gematched. Die Stichprobe umfasste Erwachsene im Alter von 40 bis 80 Jahren aus den Jahren 2009 bis 2018, die wegen Vorhofflimmerns mit Warfarin oder direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) behandelt worden waren. Zu den Ausschlusskriterien gehörten schwere Komorbidität, die die Operationsfähigkeit einschränkte, sowie eine Verwendung von Warfarin oder DOAK innerhalb eines Jahres vor der Studie. Das Durchschnittsalter der Probanden, von denen 48 Prozent weiblich waren, betrug 75,1 Jahre. 64,8 Prozent erhielten Warfarin, 35,1 Prozent DOAK. Unter den Kontrollen waren es 56,3 versus 43,6 Prozent, die Warfarin respektive DOAK bekamen. Die Ergebnisse zeigten, dass das bereinigte Risiko für Knieoder Hüftersatz bei den mit Warfarin Behandelten um 57 Prozent höher lag. «Wir haben dann die Dauer der Warfarineinnahme und der Medikation mit DOAK untersucht und ein inkrementell zunehmendes Risiko für Hüft- beziehungsweise Kniendoprothetik in Bezug auf die Dauer der Warfaringabe festgestellt», betonte Studienleiterin Dr. Priyanka Ballal, Boston University Medical Center, USA. Bei Patienten mit Warfarineinnahme über 4 Jahre war das Risiko für einen Gelenkersatz sogar verdoppelt. «Unsere Studie führt zu der Überlegung, ob bei Patienten mit entsprechender Indikation und bestehendem Arthroserisiko DOAK gegenüber Warfarin der Vorzug gegeben werden sollte», schloss Ballal.
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FAST-Studie rehabilitiert Febuxostat in puncto Sicherheit
Nachdem es innerhalb der CARES-Studie Hinweise auf vermehrt kardiovaskuläre Ereignisse gegeben hatte, wurden von den europäischen Regulierungsbehörden neue Sicherheitsdaten zu Febuxostat im Vergleich zu Allopurinol als Gichttherapeutikum gefordert. Zur Untersuchung der Nichtunterlegenheit wurde daraufhin die offene, prospektive FAST-Studie initiiert, deren Ergebnisse nun vorliegen (3). Die 6128 Gichtpatienten in der FAST-Studie waren > 60 Jahre alt, hatten ≥ 1 kardiovaskulären Risikofaktor und wurden bereits mit Allopurinol therapiert. Nach Erreichen des Harnsäurezielwerts von < 0,357 mmol/l (< 6 mg/dl) erfolgte die Randomisierung: Entweder wurde Allopurinol in der erforderlichen Dosis fortgesetzt oder durch 80 mg Febuxostat pro Tag mit der Option zur Erhöhung auf 120 mg ersetzt. Der primäre Studienendpunkt setzte sich aus verschiedenen schweren kardiovaskulären Ereignissen zusammen: stationäre Aufnahme wegen nicht tödlichen Apoplex, nicht tödlichen Myokardinfarkts, biomarkerpositiven akuten Koronarsyndroms oder kardiovaskulär bedingten Todes. Für die Nichtunterlegenheit von Febuxostat wurde eine Cut-offHazard-Ratio von 1,3 festgelegt. Die Cox-Modelle wurden sowohl für die On-Treatment-Analyse (OT) als auch für die Intention-To-Treat-Population (ITT) erstellt. 85,3 Prozent der Studienpatienten waren männlich. Das Durchschnittsalter betrug knapp 72 Jahre, und bei 33,4 Prozent war schon zuvor eine Herz-Kreislauf-Erkrankung diagnostiziert worden. Die mediane Beobachtungszeit innerhalb der Studie betrug 4 beziehungsweise 3,6 Jahre unter Therapie. Im Ergebnis war Febuxostat Allopurinol mit p-Werten < 0,001 sowohl in der OT- als auch in der ITT-Analyse nicht unterlegen. Das OT-Ergebnis für die Gesamtmortalität war für Febuxostat mit einer Hazard Ratio von 0,75 nominell sogar niedriger, in der ITT-Analyse zeigte sich die Hazard Ratio jedoch nicht mehr signifikant. Auch die Analysen für den Tod zeigten keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Unter Febuxostat traten 222 (7,2%) Todesfälle auf, unter Allopurinol 263 (8,6%). 59,4 Prozent der Allopurinolempfänger hatten mindestens ein schwerwiegendes, unerwünschtes Ereignis gegenüber 57,3 Prozent derjenigen, die mit Febuxostat behandelt worden waren. Febuxostat war also in beiden Analysen (OT und ITT) Allopurinol nicht unterlegen. «Im Gegensatz zu früheren Studien gab es keine Hinweise auf eine erhöhte Mortalität mit Febuxostat, und wir glauben, dass die Aufsichtsbehörden die Zulassungsbeschränkungen für Febuxostat überprüfen sollten», schloss Prof. Thomas MacDonald, Universität Dundee, Grossbritannien, seinen Vortrag.
Autotaxininhibition – neues Therapieziel bei kutaner systemischer Sklerose
Bisher fehlt eine zielgerichtete Therapie für Patienten mit kutaner systemischer Sklerose – das könnte sich jetzt durch den Autotaxininhibitor Ziritaxestat ändern (4). Vaskulopathie, Entzündung und Fibrose sind eine spezifische Trias von Merkmalen, die bei der systemischen Sklerose (SSc) zu finden sind. Zwar ist die Pathogenese der SSc letztlich nicht geklärt, doch Lysophosphatidsäure (LPA) ist ein bekanntes
profibrotisches und proentzündliches Lysophospholipid, das in der Pathogenese der SSc involviert ist. LPA wird an Entzündungsherden durch die autotaxinvermittelte Hydrolyse von Lysophosphatidylcholin und anderen Lysophospholipiden gebildet. Ziritaxestat ist ein Autotaxininhibitor, der die LPA-Bildung hemmt und möglicherweise die derzeitige Behandlungslücke schliessen könnte. In die randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Phase-IIa-Studie wurden 33 erwachsene Patienten mit früher diffuser kutaner SSc eingeschlossen und erhielten randomisiert im Verhältnis 2:1 24 Wochen lang oral Ziritaxestat (600 mg 1-mal täglich) oder Plazebo. Immunsuppressive Hintergrundtherapien durften unverändert weitergeführt werden, wenn die Dosen für ≥ 3 Monate vor der Ziritaxestatbehandlung stabil waren. Die Hautdicke wurde mit dem modifizierten Rodnan Skin Score (mRSS) bestimmt. Alle Patienten hatten beim Screening mRSS-Werte > 10. Der primäre Endpunkt war die Veränderung dieses Scores gegenüber dem Ausgangswert nach 24 Wochen. Die meisten Patienten (95,2% in der Ziritaxestat- und 83,3% in der Plazebogruppe) erhielten eine immunsuppressive Hintergrundtherapie. Bei Studienbeginn betrugen die mittleren mRSS-Werte 27,0 und 22,5. Die Hautdicke wurde ab Woche 16 bis zum Studienende in der Ziritaxestatgruppe signifikant im Vergleich zu Plazebo gesenkt (um –2,8; p = 0,0411). «Dieser Effekt ist signifikant, da diese Verbesserung trotz der immunsuppressiven Hintergrundtherapie eintrat», erklärte Prof. Dinesh Khanna, University of Michigan Scleroderma Program, Ann Arbor, USA. «Es ist ein schönes Ergebnis, weil wir selbst mit einer kleinen Zahl von 33 Patienten ein signifikantes Ergebnis erzielt haben», sagte er. Die Behandlung mit Ziritaxestat erwies sich als verträglich, hatte allerdings keinen Einfluss auf die Lungenfunktion. «Wir glauben, dass diese Ergebnisse die weitere Erforschung von Ziritaxestat unterstützen», schloss Khanna.
Tyrosinkinasehemmer effektiv bei Psoriasisarthritis
Deucravacitinib ist ein neuartiger oraler Tyrosinkinase2(TYK2-)Inhibitor, der weitaus selektiver als andere Medikamente dieser Klasse ist, da er nicht an die Kinasedomäne bindet, sondern nur an eine regulatorische Domäne von TYK2 ausserhalb des aktiven Zentrums (5). Dadurch hemmt es nachgeschaltete Signalwege, die für die Pathophysiologie der Psoriasis und der Psoriasisarthritis (PsA) wichtig sind, wie Interleukin (IL) 23 und IL-22. In einer Phase-II-Studie wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Deucravacitinib bei Patienten mit aktiver PsA nach einer Behandlungsdauer von 16 Wochen untersucht. 180 von 203 Patienten (89%) mit vergleichbaren Ausgangsparametern schlossen die Studie ab. 15 Prozent der Studienteilnehmer sprachen nur unzureichend auf TNF-Inhibitoren an. Patienten, die mit beiden Dosen Deucravacitinib (6 mg bzw. 12 mg) behandelt worden waren, zeigten im Vergleich zu Plazebo ein signifikant besseres Ansprechen, gemessen anhand einer Verbesserung der Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) um 20 Prozent (52,9% bzw. 62,7% vs. 31,8% in der Plazebogruppe). Die Substanz war auch bei einem ACR-50- und ACR-70-Ansprechen überlegen. Interessanterweise sprachen Patienten mit einem Kör-
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pergewicht von ≥ 90 kg (im Vergleich zu < 90 kg) oder einer früheren TNF-Inhibitor-Therapie ähnlich gut an wie Patienten ohne diese Faktoren. Die Behandlung bewirkte auch in beiden Dosen im Vergleich zu Plazebo signifikante funktionelle Verbesserungen, sichtbar im Health Assessment Questionnaire Disability Index. Bei Patienten in der Verumgruppe gingen damit eine höhere Lebensqualität und ein Abklingen von Sehnenscheidenentzündungen Hand in Hand. Auch die Hautsymptome besserten sich. Die Behandlung wurde im Allgemeinen gut vertragen, wobei das Sicherheitsprofil mit demjenigen in der früheren Psoriasisstudie übereinstimmte: Auch hier zeigte sich der TYK2-Hemmer signifikant wirksamer als Plazebo. «Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Deucravacitinib eine vielversprechende Behandlung für Patienten mit aktiver PsA werden könnte, und unterstützen die weitere klinische Entwicklung dieser Substanz», schloss Prof. Philip J. Mease, University of Washington, USA. Oft übersehen: Osteoporose bei Männern «Die aktuellen Empfehlungen für die Osteoporosetestung bei Männern sind eher inkonsistent, was zu viel Unklarheit und einer weiteren Zunahme der Krankheitslast führt», erklärte Prof. Jeffrey Curtis, Universität Alabama Birmingham, USA, in seinem Vortrag (6). Die vorgestellte Studie umfasste männliche Medicare-Leistungsempfänger im Alter von mindestens 65 Jahren, die zwischen Januar 2010 und September 2014 eine geschlossene Fragilitätsfraktur erlitten hatten. Von den 9876 eingeschlossenen Patienten waren 90,3 Prozent Kaukasier und 61 Prozent ≥ 75 Jahre alt. Die Frakturen betrafen unter anderem Wirbelsäule (30,8%), Hüfte (26,7%) und Unterarm (9,0%). Bereits vor ihrer Fragilitätsfraktur litten 62,8 Prozent der Männer unter muskuloskeletalen Schmerzen, und 48,5 Prozent wurden deswegen Opioide verordnet. Dazu kamen innerhalb der untersuchten Kohorte zusätzliche Komorbiditäten oder Medikamente, die das Sturzrisiko erhöhen, wie zum Beispiel Mobilitätsstörungen (22,4%) sowie Beta- (44,0%) beziehungsweise Alphablocker (35,8%). Knochendichtemessungen wurden in den letzten 2 Jahren zuvor nur bei weniger als 6 Prozent der Männer durchge- führt. Dazu passend, wurde bei 92,8 Prozent der Patienten eine Osteoporose vor der Fraktur weder diagnostiziert noch behandelt. Nur 2,1 Prozent bekamen eine Therapie auf- grund einer Osteoporosediagnose, während bei 2,8 Prozent eine Osteoporose diagnostiziert wurde, ohne dass sie in der Folge therapiert wurden, und 2,3 Prozent standen unter Osteoporosemedikation, ohne dass eine etablierte Diagnose vorlag. Insbesondere bei älteren männlichen Patienten ab 75 Jahre sanken die Raten für Knochendichtescans zwischen 2012 (6,0%) und 2014 (4,3%). Osteoporose bei Männern wird also insgesamt zu selten dia- gnostiziert und behandelt, selbst bei den am stärksten Ge- fährdeten mit Begleiterkrankungen, die mit Stürzen verbun- den sind. Ein besseres Management der männlichen Osteo- porose wäre dringend nötig, damit Bedürftige eine wirksame Therapie bekommen. «Wir müssen alles tun, was wir kön- nen, um das Frakturrisiko und die daraus resultierende Morbidität und Mortalität zu mildern», war das Fazit von Curtis. s Susanne Kammerer Quelle: Vorträge beim ACR Convergence 2020 Meeting. Literatur: 1. Bucci JJ et al.: Progression of knee OA with use of intra-articular cortico- steroids (CS) vs hyaluronic acid (HA). P1652. 2. Ballal P et al.: Warfarin Use and Risk of Knee and Hip Replacements. S0934. 3. MacDonald T et al.: Long Term Cardiovascular Safety of Febuxostat and Allopurinol in Patients with Chronic Gout: The Febuxostat versus Allopurinol Streamlined Trial (on Behalf of the FAST Investigators) L08. 4. Khanna D et al.: A Phase 2a Randomized, Double-blind, Placebo-controlled Study of Ziritaxestat in Early Diffuse Cutaneous Systemic Sclerosis (NOVESA). Late Breaking Abstract L09. 5. Mease PJ et al.: Efficacy and Safety of Deucravacitinib (BMS-986165), an Oral, Selective Tyrosine Kinase 2 Inhibitor, in Patients with Active Psoriatic Arthritis: Results from a Phase 2, Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Trial. Abstract-Nr. L03. 6. Williams S et al.: Characterization of Older Male Patients with a Fragility Fracture. P0533. ARS MEDICI 7 | 2021 189