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BERICHT
Schlafstörungen
Insomnie multifaktoriell angehen
Foto: zVg
Fast die Hälfte der Patienten in Hausarztpraxen leidet unter Schlafstörungen. Die Patienten darauf anzusprechen, lohnt sich, denn bei Insomnie gibt es eine wirksame Therapie. Dabei steht die Verhaltensanpassung an erster Stelle. Wenn diese keine ausreichende Besserung bringe, könne medikamentös nachgeholfen werden, erklärte PD Dr. Steffi Weidt, Psychiatrische Universitätsklinik, Zürich, am Forum für medizinische Fortbildung (FOMF) Allgemeine Innere Medizin.
Mit Ein- und Durchschlafstörungen hat etwa
ein Drittel der Schweizer Bevölkerung zu
kämpfen. Wenn die Störungen während min-
destens eines Monats mindestens 3-mal pro
Woche auftreten, wichtige Lebensbereiche be-
einträchtigt sind und ihnen keine ursächlichen
somatischen oder psychiatrischen Erkrankun-
gen zugrunde liegen, spricht man von einer
Insomnie. Diese kann bei einer Dauer von über
PD Dr. Steffi Weidt
3 Monaten bereits chronifizieren. Je länger die Insomnie anhält, desto länger dauert die The-
rapie. In der Regel benötige die Therapie etwa so viel Zeit
wie die Insomnie bereits bestanden habe, erklärte die Psych-
iaterin. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig darauf zu reagie-
ren, denn das Chronifizierungsrisiko sei sehr hoch. Mit zu-
nehmendem Alter tritt die Insomnie häufiger auf, bei Frauen
mehr als bei Männern. In einer Hausarztumfrage zeigte sich
laut der Referentin, dass 46 Prozent der Patienten an insom-
nischen Beschwerden litten. Ob es sich dabei jeweils um eine
Insomnie handelt, muss mit verschiedenen Schritten abge-
klärt werden. So stellt sich nach Ausschluss einer organi-
schen Ursache die Frage, ob es sich um eine Störung im
Rahmen einer psychiatrischen Erkrankung handelt oder um
eine eigenständige Entität. Bei einer Depression könne bei-
des parallel bestehen, wie beispielsweise bei Patienten mit
vollständig remittierter Depression, aber weiterhin persistie-
renden Schlafstörungen, so Weidt. In diesem Fall müssen
beide Erkrankungen für sich behandelt werden.
MERKSÄTZE
� Insomnien sind häufig. Es lohnt sich, danach zu fragen. � Es gibt eine wirksame Therapie. � Therapie der ersten Wahl ist immer eine kognitive Verhal-
tenstherapie mit Psychoedukation, Schlafhygiene, Schlafrestriktion usw.
� Medikamente sind immer Therapie der zweiten Wahl.
In der Abklärung von insomnischen Beschwerden empfiehlt Weidt, die 5 P abzuarbeiten: Sie stehen für physikalisch, physiologisch, psychologisch, psychiatrisch und pharmakologisch. Mit physikalisch sind Schmerzsyndrome, RestlessLegs-Syndrom oder Infekte gemeint, für physiologisch stehen Schichtarbeit, Schlafhygiene oder ein Jetlag. Bei psychologischen Themen ist an eine Belastung, eine Lebenskrise sowie Paar- oder Familienkonflikte zu denken, ebenso muss eine manifeste psychiatrische Erkrankung ausgeschlossen werden. Eine Insomnie kann auch pharmakologische Gründe haben: Antihypertonika, Diuretika, Atemwegstherapeutika, Glukokortikoide sowie Zytostatika können den Schlaf beeinflussen. Eine adäquate Überprüfung des Einnahmezeitpunkts kann das Problem vielleicht lösen. An einen Wirkverlust von Benzodiazepinen oder eine andere Suchtproblematik ist ebenfalls zu denken. Ein Schlafprotokoll (QR-Link), das der Patient über eine Woche führen soll, gibt Aufschluss über die Schlafgewohnheiten und das Ausmass der Insomnie.
Multimodal ansetzen
Soll eine Insomnie überhaupt behandelt werden? Dafür sprechen zum Beispiel die Schwächung des Immunsystems durch Schlafmangel sowie die Erhöhung des Cortisolspiegels, die einer Immunsuppression Vorschub leistet. Ausserdem wurde von einer Häufung von Kolon- und Mammakarzinomfällen bei langjährigen Schichtarbeitern berichtet, vermutlich in Zusammenhang mit der Immunsuppression (1). Die Behandlung der Insomnie ist multimodal. Ein Teil davon ist die Psychoedukation, mit der der Patient mehr Wissen über gesunden Schlaf erwirbt sowie über die Tatsache, dass die Schlafdauer mit steigendem Alter abnimmt. In diesem Zusammenhang soll auch die Schlaferwartung korrigiert werden, wonach man viel und immer tief schlafen müsse. Schlaferwartung, Schlafrestriktion und die gedankliche Fixierung tagsüber auf einen erfolgreichen nächtlichen Schlaf lassen sich mittels kognitiver Verhaltenstherapie gut in der Gruppentherapie angehen. Die Vermittlung von Schlafregeln ist ein weiteres Element (Kasten). Dabei sind regelmässige Aufsteh- und Zubettgehzeiten mit maximal 30 Minuten Abweichung wichtig. Die Bettliegezeit soll auf höchstens 7 Stunden beschränkt werden, mit dem Ziel, dass der Schlafdruck
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Tabelle: Optionen der Pharmakotherapie bei Insomnie
Vorteil
Nachteil
Phytotherapie
Baldrian (Baldriparan®)
2–4 Dragees keine Anhängigkeit, gut verträglich geringe Wirksamkeit
Baldrian/Hopfen (Redormin®) 500 mg
Endogene Therapie
Melatonin retard (Circadin®) 2 mg
Verkürzung der Einschlaflatenz,
Interaktionen, Cave bei Leber-
gut verträglich, gute Schlafqualität und Nierenfunktionsstörungen
Antidepressiva
Mirtazapin (Remeron®)
7,5–15 mg
keine Anhängigkeit, gut verträglich Interaktionen, off label,
Trazodon (Trittico®)
25–150 mg
anticholinerge Effekte,
Trimipramin (Surmontil®)
25–50 mg
Gewichtszunahme
Antidepressiva: Melatoninrezeptor-Agonist
Agomelatin (Valdoxan®)
25–50 mg
keine Anhängigkeit, gut verträglich, Transaminasenerhöhung?,
keine anticholinergen Effekte
Interaktionen, off label
Niedrig potente atypische Neuroleptika
Quetiapin (Seroquel®)
12,5–200 mg geringer Gewöhnungseffekt,
Spätdyskinesien, Hangover,
gute Verträglichkeit
Interaktionen, off label
Benzodiazepine
Lorazepam (Temesta®)
1 mg
geringe Toxizität,
Kumulation, Abhängigkeit und
Lormetazepam® (Noctamid®) 1–2 mg
wenig Interaktionen
Toleranz, Schlaffragmentierung,
Oxazepam (Seresta®)
15–30 mg
Störung der Schlafarchitektur,
Flurazepam (Dalmadorm®)
15–30 mg
kognitive Störungen, Sturzrisiko,
verminderte Reaktionsgeschwin-
digkeit, paradoxe Wirkung
Z-Hypnotika
Zolpidem (Stilnox®)
5–10 mg
besseres Nutzen-Risiko-Profil
Kumulation, Abhängigkeit und
Zopiclon (Imovane®)
7,5 mg
als Benzodiazepine, geringe Toxizität, Toleranz, Schlaffragmentierung,
wenig Interaktionen
verminderte Reaktions-
geschwindigkeit
Quelle: S. Weidt, FOMF AIM 2020
Kasten:
Regeln für einen gesunden Schlaf, «Schlafhygiene»
▲ Mindestens 2 Stunden vor dem Zubettgehen keinen Alkohol trinken. ▲ 4 bis 8 Stunden vor dem Zubettgehen keinen Kaffee trinken. ▲ Vor dem Zubettgehen keine grösseren Mengen essen oder trinken. ▲ Wenn man nachts aufwacht, nichts essen. Der Körper gewöhnt sich
schnell daran. ▲ Körperliche Anstrengung nach 20 Uhr vermeiden, wenn es den
Schlaf beeinflusst. Sportliche Aktivitäten auf den Tag verlegen. ▲ In der Schlafumgebung sollte man sich wohlfühlen. ▲ Zwischen Alltag und dem Zubettgehen eine Übergangstätigkeit
einbauen (Zähneputzen, Lüften usw.). Im Bett fernsehen, am Computer oder am Handy arbeiten vermeiden. ▲ Ein regelmässiges Zubettgehritual hilft. ▲ Das Bett nur zum Schlafen benützen (Stimuluskontrolle). ▲ Wacht man nachts auf und kann nicht wieder einschlafen, soll man aufstehen und sich mit etwas Monotonem beschäftigen, bis zum Erreichen der nötigen Bettschwere. ▲ Bei nächtlichem Aufwachen, kein helles Licht einschalten, sonst sinkt der Melatoninspiegel. Nicht auf die Uhr schauen. ▲ Nach dem Aufstehen am Morgen sollte man sich nach Möglichkeit eine halbe Stunde hellem Tageslicht aussetzen.
Quelle: S. Weidt, FOMF AIM 2020
allmählich steigt. Tagsüber sind längere Nickerchen zu vermeiden, wenn es nicht anders geht, sollen diese maximal 20 bis 30 Minuten betragen.
Evidenzbasiert behandeln
Gemäss S3-Leitlinie gibt es Evidenz für die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie, sie soll bei Erwachsenen jeden Alters als erste Behandlungsoption bei Insomnie durchgeführt werden (Empfehlungsgrad A). Eine medikamentöse Therapie kann begonnen werden, wenn die kognitive Verhaltenstherapie keinen ausreichenden Erfolg gebracht hat oder nicht durchführbar ist (2). Dazu eignet sich eine effektive Kurzzeittherapie mit Benzodiazepinrezeptor-Agonisten (Z-Hypnotika: Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon) während 3 bis 4 Wochen (Empfehlungsgrad A), die gleich wirksam sind wie Benzodiazepinhypnotika (Empfehlungsgrad A). Zur Langzeitbehandlung werden Z-Hypnotika generell jedoch nicht empfohlen (Empfehlungsgrad B) (2). Ebenfalls wirksam ist eine Kurzzeitbehandlung mit sedierenden Antidepressiva (Empfehlungsgrad A), eventuell vorbestehende Kontraindikationen sind jedoch zu prüfen. Auch für sedierende Antidepressiva erteilt die Guideline keine generelle Empfehlung zur Langzeittherapie (Empfehlungsgrad A). Antipsychotika sollten gemäss Leitlinie wegen unzureichender Datenlage in dieser Indikation nicht eingesetzt wer-
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den (Empfehlungsgrad A), mit Ausnahme von niedrig potenten Antipsychotika bei gerontopsychiatrischen Patienten (2). In der praktischen Anwendung sind laut Weidt auch weitere Behandlungsoptionen einen Versuch wert. Dazu gehören auch pflanzliche Präparate wie beispielweise Baldrian oder Baldrian/Hopfen. Sie seien zwar nicht so stark wirksam wie Hypnotika, jedoch gut verträglich, und sie erzeugten keine Abhängigkeit. Retardiertes Melatonin (Circadin®) als endogene Pharmakotherapie ist eine weitere gut verträgliche Möglichkeit. Zugelassen zur Kurzzeit- und Monotherapie ab dem 55. Lebensjahr verkürzt es die Einschlaflatenz und erzeugt eine gute Schlafqualität. Bei Leber- und Niereninsuffizienz ist jedoch mit Vorsicht vorzugehen, da zu diesen Komorbiditäten Daten fehlen. Melatonin wird über Zytochrom P450 1A verstoffwechselt. Pharmakokinetische und pharmakodynamische Interaktionen sind beschrieben, beispielsweise mit Fluvoxamin, Methoxypsoralen, Cimetidin, Östrogenen, Chinolonen, Carbamazepin, Rifampicin sowie Alkohol und Hypnotika. Als Antidepressiva können gemäss Referentin Mirtazapin, Trazodon und Trimipramin als gut verträgliche Optionen versucht werden. Sie führen nicht zu Abhängigkeiten, werden in dieser Indikation aber off label angewendet. Auf Interaktionen und Nebenwirkungen muss geachtet werden. Quetiapin als niedrig potentes Neuroleptikum wird von manchen Psychiatern in tiefer subtherapeutischer Dosis ebenfalls bei Insomnien eingesetzt. Bei Patienten mit Depression sei das eine sinnvolle Option, bei reinen Insomnikern ohne psychiatrische Grunderkrankung sollten dagegen nebenwirkungsärmere Optionen bevorzugt werden.
Bei Benzodiazepinen und Z-Hypnotika, die sehr wirksam
sind, eine geringe Toxizität aufweisen und wenig Interaktio-
nen haben, erschweren nach 3 bis 4 Wochen Wirkverlust und
Gewöhnung die Therapie. Mit dem Absetzen sollte alternativ
eine Psychotherapie begonnen werden, damit der Patient
Strategien erlernt, mit denen er die wieder beginnende Inso-
mieproblematik bewältigen kann.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Insomnie», FOMF Allgemeine Innere Medizin Zürich, 4. bis 7. 11. 2020.
Referenzen: 1. Foster RG et al.: The rhythm of rest and excess. Nat Rev Neurosci.
2005;6(5):407-414. 2. S3-Leitlinie: Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen, Kapitel «Insom-
nie». https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/063-003.html. Letzter Zugriff: 29.1.21.
Schlafprotokoll https://www.rosenfluh.ch/qr/schlafprotokoll
Klinischer Behandlungsalgorithmus Insomnie S3-Leitlinie https://www.rosenfluh.ch/qr/leitlinie-insomnie
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