Transkript
FORTBILDUNG
Wundauflage weise wählen!
Behandlungsoptionen bei diabetischem Fuss
Mit dem diabetischen Fuss muss sich auch der Hausarzt immer wieder beschäftigen – etwa im Zusammenhang mit einer diabetischen Neuropathie und/oder einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Die Entlastung des Fusses und eine vernetzte Versorgung sollten beim diabetischen Fusssyndrom immer im Fokus stehen. Bei der Wundbehandlung sind moderne Wundauflagen hilfreich.
Ralf Lobmann
Das diabetische Fusssyndrom (DFS) stellt eine grosse Herausforderung bei der Behandlung von Menschen mit Diabetes dar. Die International Working Group on the Diabetic Foot hat das DFS definiert als die Infektion und den Gewebeuntergang an Füssen von Menschen mit Diabetes – einhergehend mit neurologischen Störungen und verschiedenen Stadien einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK). Diese reichen von der Weichteilinfektion bis zur Gangrän des Fusses. Grundsätzlich ist eine Wunde als chronisch definiert, die trotz kausaler und sachgerechter lokaler Behandlung innerhalb von mehreren Wochen keine eindeutige Heilungstendenz zeigt. Die Initiative Chronische Wunden e. V. hat dies für Diabetespatienten durch das Statement ergänzt, dass «jede Wunde bei Menschen mit Diabetes ab dem ersten Tag als chronisch» gilt. Damit wird die besondere Komplexität der diabetischen Fussläsion hinsichtlich ihrer Ätiopathogenese (Neuropathie, pAVK, Infektion), Diagnostik und Therapie unterstrichen.
Neue internationale Leitlinie
Alle vier Jahre erarbeitet die International Working Group on the Diabetic Foot eine neue internationale Leitlinie – 2019 wurde sie zuletzt veröffentlicht. Bei der diabetischen Fussläsion ist immer eine möglichst konsequente Entlastung not-
MERKSÄTZE
� Das diabetische Fusssyndrom (DFS) ist definiert als Infektion und Gewebeuntergang an Füssen von Menschen mit Diabetes, einhergehend mit neurologischen Störungen und verschiedenen Stadien einer pAVK.
� Die nicht konsequent sichergestellte Entlastung der betroffenen Extremität ist einer der häufigsten Gründe für eine unzureichende Wundheilung bei Diabetespatienten.
� Zur Lokaltherapie der diabetischen Wunde ist aus der Vielfalt an verfügbaren Wundauflagen jeweils eine Auswahl hinsichtlich der Aspekte Exsudatkontrolle, Komfort und Kosten zu treffen.
� Die Behandlung des komplexen DFS ist als multidisziplinäre Teamaufgabe zu verstehen, die sowohl den niedergelassenen Bereich, spezialisierte ambulante Wundzentren als auch stationäre und Rehabilitationseinrichtungen einschliesst.
wendig. Diese kann zur völligen Immobilisation und zur stationären Aufnahme führen und lässt sich im Regelfall mit einer entsprechenden Zweischalenorthese oder einer konfektionierten Orthese (Aircast®, VACOped) realisieren. Gerade die nicht konsequent sichergestellte Entlastung der betroffenen Extremität ist einer der häufigsten ursächlichen Gründe für eine unzureichende Wundheilung bei Menschen mit Diabetes. Die Leitlinie stellt mit starkem Empfehlungsgrad fest, dass beim neuropathischen Ulkus das Entfernen von schorfigem und nekrotischem Gewebe sowie der störenden umgebenden Hornhaut im Sinne eines scharfen Débridements allen anderen weiteren Verfahren vorzuziehen ist. Eine relative Kontraindikation wäre hier das Vorliegen einer pAVK, die vor einem Débridement ausgeschlossen werden muss. Sollten trotz einer peripheren Neuropathie doch Schmerzen beim Patienten auftreten, ist die entsprechende Lokalanästhesie anzuwenden.
Wundauflagen
Im Rahmen der Lokaltherapie der diabetischen Wunde gibt es eine Vielfalt verfügbarer Wundauflagen, wobei nur für wenige derzeit auch eine entsprechende studienbasierte Evidenz vorliegt. Im Rahmen der Leitlinienempfehlung raten die Autoren mit starkem Empfehlungsgrad dazu, den Wundverband vorrangig nach den Aspekten Exsudatkontrolle, Komfort und Kosten auszuwählen. Wundverbände mit Zusätzen von antimikrobiellen Stoffen sollte man nicht verwenden. In welcher Wundheilungsphase beziehungsweise in welchem Wundstadium man verschiedene Wundauflagen sinnvoll einsetzen kann, ist in der Leitlinie ebenfalls geregelt (Kasten 1). Ohne Empfehlung für eine Routineanwendung bleiben biologisch aktive Produkte wie zum Beispiel Kollagen, Wachstumsfaktoren oder Bio-Engineered-Tissue-Produkte (vgl. Kasten 2). Zurückhaltend werden Silber oder andere mikrobiologisch wirksame Wundauflagen ebenso gesehen wie Anwendungen, die das natürliche Milieu beeinflussen sollen (z. B. Strom, elektromagnetische Therapie oder Stosswellentherapie). Bezüglich des Einflusses der Kompressionstherapie, die grundsätzlich auch beim Patienten mit milder Neuropathie und pAVK möglich ist, sowie des Einsatzes der innovativen Therapie mit Kaltplasma konnte sich im Rahmen der Leitlinie keine Empfehlung herausbilden, da hier die Datenlage noch als zu gering angesehen wurde. Die Leitlinie hebt auch explizit zwei randomisierte, kontrollierte Studien hervor, darunter die Explorer-Studie, die einen
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Kasten 1:
Welche Wundauflage wann?
Reinigungsphase/blutende Wunden ▲ bevorzugt: Alginate ▲ möglich: Saugkompressen, imprägnierende Gaze
Exsudative Phase ▲ bevorzugt: Saugkompressen, Alginate, Schaumstoffe, Nassthera-
peutika ▲ möglich: imprägnierende Gaze, Hydrokolloide
Belegte Wunde ▲ bevorzugt: Hydrogele, Nasstherapeutika ▲ möglich: Alginate, Hydrokolloide, Schaumstoffe, Hydropolymere
Infizierte Wunden ▲ bevorzugt: Kohlekompressen (bei Geruch), Alginate ▲ möglich: Nasstherapeutika, Hydropolymere
Granulationsphase ▲ bevorzugt: Hydrogele, Hydrokolloide, Hydropolymere ▲ möglich: Alginate, Schaumstoffe
Epithelisierungsphase ▲ bevorzugt: Folien ▲ möglich: Hydrogele, Hydrokolloide, Hydropolymere
Kasten 2:
Produkte ohne Empfehlung für die Routineanwendung
Beim diabetischen Fusssyndrom gehören dazu biologisch aktive Produkte, z. B: ▲ Kollagen ▲ Wachstumsfaktoren ▲ «bio-engineered tissue» ▲ Silber oder andere mikrobiologisch wirksame Produkte (topische
Applikation oder in Wundauflagen)
Keine Anwendung von Produkten, die das natürliche Milieu beeinflussen (z. B. Strom, elektromagnetische Therapie, Stosswellentherapie)
Ohne ausreichende Evidenz zum aktuellen Zeitpunkt sind: ▲ Kaltplasmatherapie ▲ Einfluss der Kompressionstherapie
TLC-NOSF-beschichteten (TLC: Technology Lipido-Colloid, NOSF: Nano-Oligosaccharid-Faktor) PU-Schaum gegen Plazebo getestet hat. Hier ergab sich ein Vorteil in der Verumgruppe mit einer um 60 Prozent häufigeren Abheilung innerhalb eines 20-Wochen-Studienzeitraums (p = 0,002). Die Studie zeigte auch, dass es unabhängig von der Wundauflage entscheidend war, bei den Diabetespatienten frühzeitig mit einer intensiven und strukturierten Wundtherapie zu beginnen. So lag die Wahrscheinlichkeit für eine Wundheilung innerhalb von 20 Wochen bei 57 versus 19 Prozent, wenn die Wunde bereits mehr als 12
Monate bestand. Im Vergleich von Kontrollgruppe und TLCNOSF-Gruppe ergab sich dann auch kontinuierlich ein Vorteil bei der TLC-NOSF-Behandlungsgruppe.
Weitere häufige Symptome
Bei Menschen mit Diabetes treten sehr häufig Kuppen und Läsionen auf – nicht zuletzt weil durch die Polyneuropathie eine Krallenzehenfehlstellung entsteht. Hier hat sich als Verfahren die Tenotomie etabliert. Diese ist ein isolierter Weichteileingriff mit Aufhebung der Torsionsfehlstellung der Zehe durch die operative Durchtrennung der FHL- oder der FDLSehne (FHL: Flexor hallucis longus, FDL: Flexor digitorum longus). Man unterbricht dadurch die fortgesetzte Traumatisierung bei apikaler Zehenläsion. Die Aufhebung der Plantarisierung führt zu einer sofortigen Entlastung der Läsion auch ohne externe Entlastungsmittel. Als Nachteil – allerdings auch als vertretbares Risiko – erweisen sich sicher der Verlust der Zehenbeweglichkeit sowie das Risiko für die Entstehung einer Transferläsion oder eines hochstehenden Zehs (kick-up toe). Eine Läsion, die sich innerhalb von 2 bis 3 Wochen nicht signifikant verbessert, sollte immer evaluiert und der betroffene Patient gegebenenfalls einem spezialisierten Wundzentrum oder einer Schwerpunktpraxis vorgestellt werden.
Diabetischer Fuss verlangt Teamarbeit
Das komplexe DFS ist als Teamaufgabe zu verstehen, die im niedergelassenen Bereich beginnt, sich über spezialisierte ambulante Wundzentren und dann stationäre Einrichtungen bis zu Rehabilitationseinrichtungen und kontinuierlicher Nachsorge fortsetzt. Diese Kooperationen betreffen sowohl die ärztlichen Disziplinen (Innere Medizin, Diabetologie, Gefässchirurgie, Radiologie, Angiologie, Orthopädie usw.) als auch die unbedingt für den Erfolg notwendigen Assistenzberufe wie Diabetesberatung, Wundexperten, Podologen, Orthopädieschuhmacher oder -techniker. Nicht zuletzt sind die Mitarbeit und die Compliance des einzelnen Patienten – was sich manchmal aufgrund des schlecht einsehbaren und schmerzlosen Befunds für den Patienten als schwierig gestaltet – unabdingbar für den Heilungserfolg. Entsprechende Strukturen finden sich zwar sehr wohl in urbanen Ballungszentren, in ländlichen und Flächenregionen hingegen nicht regelhaft. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft entwickelt hier deshalb ein telemedizinisches Facharztkonsil für den niedergelassenen Kollegen. Nach Eingabe von Basisbefunden kann er direkt von einem Experten ein konsiliarisches Feedback zum DFS und zum weiteren Management erhalten. Das ist ein wichtiger Schritt – neben einem verpflichtenden Zweitmeinungsverfahren, wie es gerade derzeit in Baden-Württemberg evaluiert worden ist –, um die chronischen Wunden von Menschen mit Diabetes zügiger zur Abheilung zu bringen und damit die Zahl von Major- und zunehmend auch Minor-Amputationen nachhaltig zu reduzieren. s
Prof. Dr. med. Ralf Lobmann Klinikum Stuttgart D-70374 Stuttgart
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
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Literatur: 2. Edmonds M et al: Sucrose octasulfate dressing versus control dressing in
patients with neuroischaemic diabetic foot ulcers (Explorer): an international, multicentre, double-blind, randomised, controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6(3): 186–196. 3. Lobmann R et al.: Diabetischer Fuss. Beispiel für sektorenübergreifendeVersorgungsstrukturen. Der Diabetologe 2017; 13: 8–13. 4. https://iwgdfguidelines.org/guidelines/guidelines/
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