Transkript
UEG-Week
Reizdarmsyndrom
Therapie richtet sich nach dem Hauptsymptom
Das Reizdarmsyndrom ist eine sehr häufige funktionelle Störung des Verdauungstrakts. Die Therapie richte sich nach den vorherrschenden Symptomen und habe bessere Erfolgschancen, wenn sie vom Patienten selbst ausgewählt werden könne, wie Prof. Jan Tack, Head of Clinic, Department of Gastroenterology, University of Leuven (B), an der UEG-Week erläuterte. Auch mit einer Ernährungsanpassung kann eine Linderung erreicht werden.
Foto: vh
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In der Behandlung des Reizdarmsyndroms (ir-
ritable bowel syndrome, IBS) gibt es viele Op-
tionen. Die verschiedenen Therapien orientie-
ren sich jeweils am vorherrschenden Symptom
Diarrhö, Verstopfung, Schmerz und Blähungen
(Tabelle).
Gegen Diarrhö kann Loperamid eingesetzt
werden, was aber gemäss Tack nur kurz wirkt
und als Notfallmedikation anzusehen ist. Co-
Prof. Jan Tack
lestyramin, pflanzliche Fasern, FODMAP-Diät, Rifaximin und Probiotika seien weitere Optio-
nen. Zum Thema Probiotika zeigte eine an der
UEG-Week präsentierte Studie am Mausmo-
dell mit IBS und Angsterkrankung, dass die
Veränderung des Mikrobioms durch Zugabe
von Saccharomyces boulardii die gastrointesti-
nale Transitzeit verkürzt und auch das Verhal-
ten normalisiert. Das liefere Hinweise darauf,
dass dieses Probiotikum die Darm-Hirn-Achse
beeinflussen könne, so Tack (1).
Äussert sich das Reizdarmsyndrom hauptsäch-
Prof. Stine Storsrud
lich durch Verstopfung, kann die Verabrei-
chung von pflanzlichen Fasern und Quellstof-
fen durch Verkürzung der Transitzeit und Vergrösserung des
Stuhlgewichts Linderung verschaffen. Genügt das nicht, sind
je nach Präferenzen des Patienten osmotische Laxanzien,
Sekretagoga wie Linaclotid oder Lubiproston oder das Pro-
kinetikum Prucaloprid einen Versuch wert.
Schmerz als Hauptsymptom sei das schwierigste Problem
beim Reizdarmsyndrom, so Tack. Spasmolytika werden bei
dieser Problematik oft verschrieben. Dazu zählt das pflanz-
liche Pfefferminzölpräparat (Colpermin®), das in dieser In-
dikation zwar häufig eingesetzt wird, doch bislang ohne Evi-
denz von qualitativ hochstehenden Untersuchungen ist. Das
hat sich nun geändert. In einer doppelblind randomisierten
Studie mit 190 IBS-Patienten aus 4 niederländischen Spitälern
erhielten die Teilnehmer entweder 182 mg Pfefferminzöl oder
Plazebo während 8 Wochen. Das Durchschnittsalter der Teil-
nehmer lag bei 34 Jahren, 78 Prozent von ihnen waren weib-
lich. Als primärer Endpunkt war ein Rückgang um mindes-
tens 30 Prozent im Wochendurchschnitt der stärksten tägli-
chen Schmerzen definiert. Als zweiter primärer Endpunkt galt
die generelle Linderung der IBS-Symptome. Nach 8 Wochen
zeigte sich zwischen dem Pfefferminzölpräparat und Plazebo zwar kein signifikanter Unterschied im Schmerzempfinden, beim zweiten Endpunkt war jedoch gegenüber Plazebo eine Linderung der Gesamtsymptomschwere zu beobachten (2). Nach welchen Kriterien die Therapeutika in den einzelnen Symptomkategorien auszuwählen seien, richte sich nach den individuellen Symptomen, so Tack. Es helfe auch, die Patienten über die erwartbaren Wirkungen und Nebenwirkungen sowie den Zeitraum bis zu einer möglichen Wirkung zu informieren und sie dann die Therapie auswählen zu lassen.
Einfluss der Ernährung
Der Einfluss der Ernährung auf gastrointestinale Symptome bei IBS-Patienten scheint gross zu sein. Bis zu zwei Drittel der Patienten reagierten auf ein oder mehrere Nahrungsmittel, berichtete Prof. Stine Storsrud, Sahlgrenska University Hospital, Gothenburg (S), an der UEG-Week. Daher sei der Wunsch naheliegend, mit einem veränderten Ernährungsmuster die Symptome steuern zu können. Doch muss dazu der Trigger bekannt sein, was oft schwierig und nur über Ausschlussverfahren herauszufinden ist. Dazu eignen sich Ausschlussdiäten wie die FODMAP-Diät, die glutenfreie Ernährung, die Low-Carb-Diät oder die IgG-Diät, auch mit dem Ziel, das Mikrobiom zu verändern. Der Effekt einer FODMAP-Diät wurde in verschiedenen, randomisiert kontrollierten Studien untersucht. Trotz guter kurzfristiger Evidenz hielt der Effekt langfristig nur zu einem gewissen Grad an. Die Resultate zur glutenfreien Diät liessen dagegen keinen klaren Schluss zu. Es scheint aber, dass die Patienten diese einer FODMAP-Diät vorziehen würden. Keine oder eine kleine Wirkung ist von Low-Carb-Diäten zu erwarten, bei der IgG-Diät sind die Resultate unklar. Möglicherweise kann mit Nahrungsmittelzusätzen die Symptomatik etwas gelindert werden. Probiotika wie beispielweise Bifidobacterium bifidum MIMBb75 haben in einer plazebokontrollierten Studie ihre symptomlindernde Wirkung unter Beweis stellen können (3). Eine Metaanalyse über die Wirksamkeit und die Sicherheit von Prä-, Pro- und Synbiotika sei dagegen zu dem Schluss gekommen, dass Pro- und Synbiotika in der Reduktion von IBS-Symptomen zwar global besser seien als Plazebo, es aber aufgrund der grossen Heterogenität der Studien nicht klar sei, welche Stämme besonders von Vorteil seien (4), so Storsrud.
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CongressSelection Gastroenterologie | März 2021
UEG-Week
Therapieoptionen bei Reizdarmsyndrom je nach vorherrschendem Symptom
Diarrhö
Obstipation
Loperamid Imodium®, div. Generika pflanzliche Fasern
Colestyramin (Quantalan®)
osmotische Laxanzien
pflanzliche Fasern
Linaclotid (Axulta®, Constella®)
FODMAP
Prucaloprid (Resolor®)
Probiotika
Rifaximin (Xifaxan®)
Schmerz Spasmolytika Pfefferminzöl (Colpermin®) FODMAP Antidepressiva Linaclotid (Axulta®, Constella®) Probiotika evtl. Antibiotika
Blähungen Spasmolytika Pfefferminzöl (Colpermin®) FODMAP Antidepressiva Probiotika Rifaximin (Xifaxan®)
Quelle: J. Tack, UEG-Week 2020
Einen lindernden Effekt haben auch lösliche pflanzliche Fasern wie Flohsamen, unlösliche dagegen würden die Symptome noch verstärken (5). Zum Pfefferminzöl gibt es Daten einer Metaanalyse, die eine lindernde Wirkung bei IBS-Patienten belegt (6). Bezüglich der Wirkung von Aloe vera sei die Evidenz dagegen unklar, so die Expertin. Die britischen Guidelines empfehlen für IBS-Patienten in erster Linie, folgende Ernährungsmuster zu befolgen: • regelmässige Mahlzeiten • Bewegung, Erholung • genügend Trinken • Verringerung des Kaffee-, Tee- und Alkoholkonsums • fettarm essen • Reduktion von Getreideprodukten und frischen Früchten • Meiden von Sorbitol bei Diarrhö • Probiotika ausprobieren. Erst wenn der Erfolg dieser Massnahmen ungenügend ist, sollte eine FODMAP-Diät versucht werden, diese soll allerdings von erfahrenen Ernährungsberatern begleitet bei Patienten mit Essstörungen jedoch nicht angewendet werden. s
Quelle: «Pharmacology: What’s in the pipeline for IBS?». United European Gastro-
enterology Week (UEGW) 2020, 10. bis 14. Oktober, virtuell.
Referenzen: 1. Constante M et al.: Saccharomyces boulardii CNCM I-745 improves
gut-brain axis dysfunction in humanized mouse model of IBS with comorbid anxiety. Poster P0052. United European Gastroenterology Week (UEGW) 2020, 10. bis 14. Oktober, virtuell. 2. Weerts ZZRM et al.: Efficacy and safety of peppermint oil in a randomized, double-blind trial of patients with Irritable bowel syndrome. Gastroenterology. 2020;158(1):123–136. 3. Andresen V et al.: Heat-inactivated Bifidobacterium bifidum MIMBb75 (SYN-HI-001) in the treatment of irritable bowel syndrome: a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled clinical trial. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2020;5(7):658– 666. 4. Asha MZ et al.: Efficacy and Safety of Probiotics, Prebiotics and Synbiotics in the Treatment of Irritable Bowel Syndrome: A systematic review and meta-analysis. Sultan Qaboos Univ Med J. 2020;20(1):e13–e24. 5. Nagarajan N et al.: The role of fiber supplementation in the treatment of irritable bowel syndrome: a systematic review and meta-analysis. Eur J Gastroenterol Hepatol. 2015;27(9):1002–1010. 6. Alammar N et al.: The impact of peppermint oil on the irritable bowel syndrome: a meta-analysis of the pooled clinical data. BMC Complement Altern Med. 2019;19(1):21.
Valérie Herzog
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