Transkript
FORTBILDUNG
Melanommanagement in der Hausarztpraxis
Wichtige Rolle des Hausarztes auch bei Therapiemonitoring und Nachsorge
In der Melanombehandlung und in der medikamentösen Tumortherapie hat sich in den vergangenen zehn Jahren sehr viel verändert. Das ist gut für die Melanompatienten: Ihre Prognose ist heute signifikant besser. Durch das rasante Tempo in der Krebsmedizin ist auch der Hausarzt ständig mit neuen Therapien, Arzneimittelkombinationen und Nebenwirkungsprofilen konfrontiert.
Britta Wolff, Monika-H. Schmid-Wendtner
Die Inzidenz des Melanoms steigt seit Jahren an. Auch künftig ist bei einer alternden Bevölkerung und aufgrund des seit Jahrzehnten praktizierten Lebensstils, der sich auch in einer vermehrten Sonnenexposition zeigt, von einer weiteren Zunahme auszugehen. Besteht der Verdacht auf ein Melanom, sollte dieses beim gesunden Patienten primär operativ entfernt und gegebenenfalls im Anschluss entsprechend der vertikalen Tumordicke nachexzidiert werden (s. Fallbericht). Bei einem In-situ-Melanom (bei dem die Basalmembran noch nicht überschritten wurde) ist – entsprechend den aktuellen Leitlinien – eine komplette Exzision mit histologischer Schnittrandkontrolle ausreichend. Im klinischen Alltag kann die operative Entfernung mit einem Sicherheitsabstand von wenigen Millimetern einfacher durchführbar sein (1). Dickere Tumoren sollten mit einem Sicherheitsabstand von 1 cm (Tumordicke bis 2 mm) beziehungsweise 2 cm (Tumordicke ≥ 2 mm) operiert werden. Die Tumordicke gilt weiterhin als wichtigster prognostischer Faktor (2).
Fallbericht
Melanom als Zufallsbefund in der Praxis
Ein 48-jähriger Patient, der über schwere Beine klagt, stellt sich bei seinem Hausarzt vor. In der körperlichen Untersuchung zeigt sich neben deutlichen Zeichen der chronisch venösen Insuffizienz eine dunkelbraun-hellbraune, teils depigmentierte, scharf begrenzte, unregelmässig konfigurierte Plaque an der rechten Wade (Abbildung). Der Patient kann keine sichere Angabe zur Dauer des Bestehens der Hautveränderung machen. Es folgt die Überweisung zum niedergelassenen Dermatologen bei dringendem Verdacht auf ein kutanes Melanom. Nach operativer Entfernung des Tumors (histologisch bestätigt sich ein Melanom, vertikale Tumordicke 2,2 mm, pT3a), Nachexzision mit 2 cm Sicherheitsabstand und Sentinel-Lymphknoten-Exstirpation in der Hautklinik wird das pathologische AJCC-Stadium mit IIA festgelegt.
MERKSÄTZE
� Die Tumordicke gilt weiterhin als wichtigster prognostischer Faktor.
� Die Entfernung von Sentinel-Lymphknoten ist wichtig für die genaue Stadieneinteilung und Prognoseeinschätzung von Melanompatienten.
� Eine komplettierende Lymphknotendissektion wird bei Mikrometastasen in Sentinel-Lymphknoten nicht mehr empfohlen. Sie wird weiterhin bei Makrometastasen durchgeführt, um das progressionsfreie Überleben zu verbessern.
� Therapien mit Checkpoint- und Tyrosinkinaseinhibitoren sind in den AJCC-Stadien III und IV indiziert.
Abbildung: Ansicht des Melanoms im Dermatoskop (Auflichtmikroskop)
Untersuchung der Sentinel-Lymphknoten
Das therapeutische Vorgehen und die Nachsorge richten sich nach dem pathologischen Stadium des kutanen Melanoms gemäss American Joint Committee on Cancer (AJCC), das auf der entsprechenden TNM-Klassifikation basiert (3). Ab
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einer Tumordicke von 1 mm (AJCC-Tumorstadium IB) soll eine Untersuchung von Sentinel- beziehungsweise Schildwächterlymphknoten, also der ersten regionären Lymphknoten im jeweiligen Abflussgebiet, erfolgen, da sich hieraus weitere Konsequenzen für eine mögliche adjuvante Therapie und für die Prognoseeinschätzung ergeben. Eine komplettierende und möglicherweise für den Patienten belastende Lymphknotendissektion wird bei Mikrometastasen in Sentinel-Lymphknoten aufgrund aktueller Studienergebnisse nicht mehr empfohlen (4, 5). Bei einer Makrometastasierung führt man auch weiterhin eine komplettierende Lymphknotendissektion durch, um das progressionsfreie Überleben zu verbessern.
Bildgebung: Wann und für wen?
Die initiale Ausbreitungsuntersuchung ist ebenfalls an das Tumorstadium angepasst. Bis einschliesslich AJCC-Stadium IIB (also einer Tumordicke von 4 mm, sofern keine Ulzeration des Primärtumors und keine Metastasierung vorliegen) ist bei asymptomatischen Patienten allein die Lymphknotensonografie als Bildgebung erforderlich (6). Zudem wird ab dem Stadium IB der Tumormarker Protein S-100 B bestimmt (7). Eine Schnittbildgebung mittels MRT (Kopf) und CT (Hals, Thorax, Abdomen) oder gegebenenfalls PET-CT wird für Melanompatienten als primäre Ausbreitungsdiagnostik erst ab einem AJCC-Stadium IIC empfohlen (8). Es ist vor allem darauf hinzuweisen, dass die Bildgebung mittels Röntgenthoraxaufnahme und Abdomensonografie in keinem Tumorstadium standardmässig empfohlen wird – aufgrund der geringeren Sensitivität und Spezifität im Vergleich zu anderen Staging-Verfahren (9).
Bessere Prognose dank neuer Therapien
In den letzten Jahren hat sich durch die Einführung zahlreicher wirksamer Therapien die Prognose für Patienten mit metastasierten Melanomen entscheidend verbessert. Es wurden adjuvante Melanomtherapien zugelassen, die das Rezidivrisiko um die Hälfte reduzieren (10, 11). Zur adjuvanten Therapie aller
Melanompatienten ab Stadium III kann man eine Immuntherapie mit einem PD-1-Antikörper über 12 Monate durchführen. Diese Präparate gehören zur Gruppe der Checkpoint-Inhibitoren. In der Schweiz sind die Substanzen Nivolumab (Opdivo®) und Pembrolizumab (Keytruda®) zugelassen. Liegt eine Mutation des aktivierenden BRAF-Onkogens vor, kann man alternativ mit spezifischen BRAF- (Dabrafenib [Tafinlar®]) und MEK-Inhibitoren (Trametinib [Mekinist®]) behandeln. Die Kombination eines BRAF- mit einem MEK-Inhibitor erfolgt, um die Wahrscheinlichkeit einer Resistenzbildung zu reduzieren und die Verträglichkeit der Therapie zu verbessern. Die Systemtherapie im fernmetastasierten Stadium IV erfolgt ebenfalls mit Checkpoint-Inhibitoren, den PD-1-Antikörpern (Nivolumab oder Pembrolizumab), oder der Kombination aus einem PD-1-Antikörper (Nivolumab) und einem CTLA-4-Inhibitor (Ipilimumab [Yervoy®]) beziehungsweise, bei Vorliegen einer entsprechenden Mutation, mit BRAF/MEK-Inhibitoren. Kombinationen oben genannter Therapeutika beziehungsweise ihre sequenzielle Gabe werden derzeit in grossen Studien bezüglich Wirksamkeit und Toxizitätsprofil geprüft. Die gute Wirksamkeit der Therapie geht erwartungsgemäss mit einer Reihe möglicher Nebenwirkungen einher. Mögliche unerwünschte Wirkungen einer BRAF/MEK-InhibitorTherapie sind unter anderem Exantheme, Photosensitivität, Fatigue, Fieber, Übelkeit, Sehstörungen (seröse Retinopathie) und die Verminderung der kardialen Auswurffraktion. Aktuell sind drei BRAF/MEK-Inhibitor-Kombinationen verfügbar: Vemurafenib/Cobimetinib (Zelboraf®/Cotellic®), Dabrafenib/ Trametinib (Tafinlar®/Mekinist®) und Encorafenib/Binimetinib (Braftovi®/Mektovi®). Sie unterscheiden sich hinsichtlich häufiger Nebenwirkungen. Dies ermöglicht einen Wechsel bei Auftreten substanztypischer Nebenwirkungen. Für die Immuntherapie ist besonders auf die mögliche Entwicklung von Autoimmunerkrankungen an potenziell allen Organsystemen hinzuweisen. Dabei ist die Rate an schwerwiegenden Komplikationen im Sinne von Grad-3- bis
Tabelle:
Beispiele häufiger Nebenwirkungen der Immuntherapie bei Melanom
Organsystem Gastrointestinal Hepatisch
Pulmonal Endokrinologisch
Kardial
Komplikation Autoimmunkolitis Autoimmunhepatitis
Pneumonitis Hypophysitis Adrenalitis
Schilddrüsenfunktionsstörung Myokarditis, Perikarditis, Myokardinfarkt, Perikardtamponade, Myokardfibrose
Symptome Diarrhö, Blut im Stuhl u. a. Fatigue, Gelenk- oder Muskelschmerzen, Appetit-/Gewichtsverlust, Übelkeit, Juckreiz, Diarrhö Husten, Dyspnoe, Brustschmerzen u. a. Fatigue, Übelkeit, Verwirrtheit Dehydratation, Hypotonie, Hyponatriämie (–> Schock) Symptome der Hypo- oder Hyperthyreose
Fatigue, Dyspnoe, Tachykardie, Schwindel
Substanz v. a. Ipilimumab alle (insbesondere Ipilimumab/ Nivolumab-Kombination)
alle PD-1-Antikörper mehr als CTLA-4-Antikörper
Immuntherapie allgemein (selten)
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Grad-4-Reaktionen bei der Kombinationstherapie mit Nivolumab/Ipilimumab höher als bei einer Monotherapie mit Nivolumab oder Pembrolizumab. Häufige Nebenwirkungen und ihre Symptome zeigt die Tabelle. Eine Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren und den anderen genannten Substanzklassen sollte nur durch onkologisch versierte Ärzte in einem interdisziplinären Setting erfolgen, um ein korrektes Management potenziell lebensbedrohlicher Nebenwirkungen sicherzustellen.
Nachsorge
Das Nachsorgeschema ist an das jeweilige Risikoprofil des Melanompatienten adaptiert und erfolgt über einen Gesamtzeitraum von 10 Jahren, entsprechend der aktuellen S3-Leitlinie Melanom (12). Hier werden in definierten Abständen körperliche Untersuchung, Lymphknotensonografie und Protein-S-100B-Bestimmungen vorgenommen. Ab dem AJCC-Stadium IIC ist zudem in den ersten 3 Jahren eine halbjährliche Schnittbildgebung empfohlen.
Fazit
Dem Allgemeinarzt kommt häufig eine Schlüsselrolle in der primären Diagnostik und Prävention maligner Hauttumoren zu, vor allem wenn bei Patienten ein unzureichendes Bewusstsein für mögliche Konsequenzen maligner Hautveränderungen besteht oder ein ärztlicher Erstkontakt ursprünglich wegen einer anderen Grunderkrankung zustande kommt. Der Hausarzt informiert seinen Patienten über die Gefahren einer exzessiven Sonnenexposition, überweist im Melanomverdachtsfall an den Dermatologen, beteiligt sich gegebenenfalls an der Nachsorge und am Therapiemonitoring und hat somit eine wichtige ärztliche Funktion in der primären und sekundären Melanomprävention.
Literatur: 1. Bechara FG et al.: Statement of the German Society of Dermatosurgery:
surgery margins in the treatment of melanoma in situ. JDDG 2019; 17(9): 949–950. 2. Scolyer RA et al.: (2020) Melanoma pathology reporting and staging. Mod Pathol 2020; 33(Suppl 1): 15–24. 3. Gershenwald JE et al.: Melanoma of the skin. In: Amin MB et al. (eds): AJCC cancer staging manual. 8th ed, New York, Springer, 2017. 4. Angeles CV et al.: Meta-analysis of completion lymph node dissection in sentinel lymph node-positive melanoma. Br J Surg 2019; 106(6): 672–681. 5. Faries MB et al.: (2017) Completion dissection or observation for sentinel-node metastasis in melanoma. N Engl J Med 2017; 376(23): 2211–2222. 6. Bafounta ML et al.: Ultrasonography or palpation for detection of melanoma nodal invasion: a meta-analysis. Lancet Oncol 2004; 5(11): 673–680. 7. Mocellin S et al.: The prognostic value of serum S100B in patients with cutaneous melanoma: a meta-analysis. Int J Cancer 2008; 123(10): 2370– 2376. 8. Xing Y et al.: Contemporary diagnostic imaging modalities for the staging of and surveillance of melanoma patients: a meta-analysis. J Natl Cancer Inst 2011; 103(2): 129-142. 9. Hafner J et al.: Baseline staging in cutaneous malignant melanoma. Br J Dermatol 2004; 150(4): 677-686. 10. Long GV et al.: Adjuvant dabrafenib plus trametinib in stage III BRAF-mutated melanoma. N Engl J Med 2017; 377(19): 1813–1823. 11. Long GV et al.: Dabrafenib plus trametinib versus dabrafenib monotherapy in patients with metastatic BRAF V600E/K-mutant melanoma: longterm survival and safety analysis of a phase 3 study. Ann Oncol 2017; 28(7): 1631–1639. 12. Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe: Leitlinienprogramm Onkologie. Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Melanoms. Langversion 3.2.2019, AWMF Registernummer: 032/024OL, http://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/melanom/ (abgerufen am 02.02.2020).
Dr. med. Britta Wolff Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Arnold-Heller-Strasse 3 D-24105 Kiel E-Mail: bwolff@dermatology.uni-kiel.de
Interessenlage: Die Autorinnen haben keine Interessenkonflikte deklariert.
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