Transkript
RÜCKBLICK 2020/AUSBLICK 2021
Suchtmedizin
PD Dr. med. Philip Bruggmann Chefarzt Innere Medizin Arud Zentrum für Suchtmedizin Zürich
Solche Massnahmen bergen schon die Gefahr, dass andere Krankheiten erst spät oder zu spät entdeckt werden. Mir ist aber bei uns kein solcher Fall bekannt. Im Checkpoint Zürich haben wir mit Selbsttests auf diese Massnahme reagiert. Menschen mit Risiken für HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten konnten ein Selbsttestkit bestellen und sich zu Hause selbst testen. Auch Medikamente haben wir per Post zugestellt.
Die E-Zigarette ist ein wirksames Mittel, um vom Tabakrauchen wegzukommen
Wie hat die Coronapandemie Ihre Arbeit im vergangenen Jahr beeinflusst?
Mit der ersten Welle im Frühjahr mussten wir unser Angebot in der Arud auf den Kopf stellen. Ein Grossteil unserer Patienten gehört aufgrund der zahlreichen Komorbiditäten zur COVID-19-Risikopopulation für schwere Verläufe. Es galt, die Kontakte zu minimieren und trotzdem die notwendige Versorgung in guter Qualität zu gewährleisten. Wir mussten Heimlieferungen von Heroin, Methadon und anderen Medikamenten sicherstellen. Ärztliche Heimbesuche, vermehrte Mitgaben der Substitutionsmedikamente und Videokonsultationen wurden eingeführt. Vor dem Zentrum installierten wir einen Container, bei dem alle Personen, die das Zentrum betreten, auf Symptome und Risikokontakte befragt und bei Bedarf direkt getestet werden. Überdurchschnittliche personelle Ausfälle erschwerten die Umsetzung dieser Massnahmen.
Haben Sie selbst Coronatests durchgeführt? Falls ja: Welche Probleme traten dabei auf?
Ja, wir führen Nasen-Rachen-Abstriche durch, sowohl bei unseren Patientinnen und Patienten als auch beim Personal. Probleme traten dabei keine auf. Wir konnten immer alle indizierten Tests durchführen und erhielten die Resultate innert 24 Stunden. Des Weiteren haben wir im Rahmen der nationalen Corona-Immunitas-Studie 120 unserer Patienten und Patientinnen auf Coronaantikörper getestet.
Hatten Sie Kontakt mit SARS-CoV-2-positiven Patienten, und wie sind Sie damit umgegangen?
Wir hatten sowohl bei den Patienten als auch beim Personal wenige SARS-CoV-2-positive Fälle. Einen direkten Kontakt mit einer infizierten Person hatte ich meines Wissens nicht. In der Arud gelten seit Mai eine Maskenpflicht und weitreichende Schutzvorkehrungen. Ich habe daher keine Bedenken, mich bei der Arbeit anzustecken.
Abgesehen von der Coronapandemie: Welche
neuen Erkenntnisse und Erfahrungen des letzten
Jahres fanden Sie für Ihr Fachgebiet besonders
spannend, und welche davon könnten Diagnose
und Therapie in der Hausarztpraxis künftig
verändern?
Wir befassen uns intensiv mit den Daten zu E-Zigaretten als
Mittel zur Rauchreduktion und Rauchentwöhnung. Dies ist ein
Gebiet in der Suchtmedizin, das immer noch stark vom Absti-
nenzdogma besetzt ist und wo Schadensminderung im Gegen-
satz zu vielen anderen substanzbezogenen Süchten kein allge-
mein anerkanntes Mittel ist. Die Erkenntnisse, dass die
E-Zigarette, sofern der Nikotingehalt genügend hoch dosiert ist
und kein «dual use» mit herkömmlichen Zigaretten betrieben
wird, ein wirksames und in der Bevölkerung breit akzeptiertes
Mittel ist, um vom Rauchen von Tabak wegzukommen, sind
gerade auch für unsere opioidabhängigen Patientinnen und
Patienten wichtig. In dieser Population liegt die Prävalenz von
Nikotinabhängigkeit bei nahezu 100 Prozent, und das Nikotin
wird fast ausschliesslich mittels herkömmlicher Zigaretten kon-
sumiert. Wenn nun eine Nikotinabstinenz nicht erreicht werden
kann, ist der Konsum von E-Zigaretten durchaus eine sehr
sinnvolle und ärztlich unterstützungswürdige, schadensmin-
dernde Massnahme. Die Rauchstoppberatung, die wohl in jeder
hausärztlichen Praxis stattfindet, wird durch die Möglichkeit
der Empfehlung von E-Zigaretten im Falle gescheiterter Absti-
nenzversuche bereichert und eine gut akzeptierte Massnahme
darstellen.
Das Argon-Kaltplasma-Beamer-Gerät, mit welchem wir chro-
nisch offene und teilweise infizierte Wunden behandeln, hat sich
als eine für viele Patienten sehr erfolgreiche, schmerzfreie und
effiziente Behandlungsmethode etabliert. Bei zahlreichen Perso-
nen konnten wir jahrelang offene Wunden deutlich verkleinern
oder gar schliessen. Aufgrund der hohen Prävalenz von chroni-
schen Wunden bei unserem suchtmedizinischen Klientel ist das
für uns eine ganz wichtige Errungenschaft.
Im Checkpoint Zürich konnten wir mit dem SwissPrE-
Pared-Studienprogramm vielen Menschen mit rezidivierenden
HIV-Risiken eine HIV-Präexpositions-Prophylaxe verschreiben
und dazu beitragen, dass die HIV-Inzidenz in der Schweiz weiter
sinkt.
s
Mussten Sie Untersuchungen und Behandlungen wegen der Coronapandemie verschieben? Falls ja: Welche Folgen könnte dies für die Patienten haben?
Ja, während des Lockdowns mussten wir gemäss der bundes-
rätlichen Anordnung alle nicht dringenden Termine absagen.
60 ARS MEDICI 3+4 | 2021