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Titel
Allgemeine Innere Medizin/Hausarztmedizin – Ich war enttäuscht, dass der Pandemieplan nicht funktioniert hat
Untertitel
Interview mit Dr. med. Regula Capaul Fachärztin Allgemeine Innere Medizin, Zürich, Hausärztin und Co-Präsidentin SGAIM, Past-Präsidentin VZI (Vereinigung Allgemeiner und Spezialisierter Internistinnen und Internisten, Zürich) Franklinstrasse 1 8050 Zürich
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Rückblick 2020/Ausblick 2021
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49624
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RÜCKBLICK 2020/AUSBLICK 2021

Allgemeine Innere Medizin/ Hausarztmedizin
Dr. med. Regula Capaul Fachärztin Allgemeine Innere Medizin, Zürich, Hausärztin und Co-Präsidentin SGAIM, Past-Präsidentin VZI (Vereinigung Allgemeiner und Spezialisierter Internistinnen und Internisten, Zürich) Franklinstrasse 1 8050 Zürich
Ich war enttäuscht, dass der Pandemieplan nicht funktioniert hat
Wie hat die Coronapandemie Ihre Arbeit im vergangenen Jahr beeinflusst?
Das Erlebnis der sozialen Interaktion mit Fachkollegen an Kongressen und Fortbildungen fehlt mir sehr. Als Co-Präsidentin der SGAIM arbeite ich in verschiedenen Gremien mit, da sehe ich wenigstens ab und zu noch Fachkollegen. Von virtuellen Kongressen und Seminaren hat man einen Wissenszuwachs, die soziale Komponente, der Austausch mit Kollegen, fehlt aber gänzlich. Nachdem der SGAIM-Frühjahrskongress ersatzlos gestrichen und auf den nächsten Frühling verschoben worden war, konnten wir in der Coronaflaute vom Sommer wenigstens den SGAIM-Herbstkongress im September in Lugano durchführen. Wir hatten fast 700 Teilnehmer, so viele wie noch nie! Als Hausärztin fand ich es im Lockdown problematisch, dass aufgrund der ausserordentlichen Situation Patienten mit chronischen Krankheiten nicht mehr wagten, die nötigen Kontrolluntersuchungen wahrzunehmen. Ich habe in dieser Zeit viele Telefonkonsultationen durchgeführt und die Patienten mit instabilen chronischen Krankheiten überzeugen können, gewisse Kontrollen trotzdem in der Praxis durchführen zu lassen. Das hat sich gelohnt, um Patienten zu beraten und Hospitalisationen zu vermeiden. Wir haben als SGAIM den Bundesrat auch dazu aufgerufen, den Menschen den Gang zum Arzt oder in die Notfallstation nicht als problematisch darzustellen, was er dann auch geändert hat. Denn es ist ebenfalls problematisch, bei gewissen Krankheitsbildern einfach drei Monate zu warten. Seit dem Ausbruch der Pandemie hat sich auch noch etwas anderes in der Hausarztpraxis geändert: Durch die Hygienemassnahmen und die Kontaktbeschränkungen fällt in der Hausarztpraxis auch die Behandlung von anderen Infekten, vor allem respiratorischen und gastrointestinalen, weg. Das betrifft bei mir, übers Jahr gesehen, etwa 20 Prozent der Patientenkontakte. Falls dennoch respiratorische Symptome auftreten, werden diese zuerst in Bezug auf einen möglichen Coronainfekt abgeklärt.
Haben Sie selbst Coronatests durchgeführt?
Ja, ich habe von Beginn an Abstriche für PCR-Tests durchgeführt. Die Patienten erhalten von uns beziehungsweise vom Labor innerhalb von 24 Stunden Bescheid. Den Schnelltest wende ich erst seit Kurzem bei den wenigen Patienten an, die aufgrund ihrer Symptome und des zeitlichen Auftretens da-

für qualifizieren. Im positiven Fall ist der Test gut, weil die Patienten ihre Umgebung sehr schnell informieren können.

Was hätte man in der Pandemiebekämpfung besser machen können?
Insgesamt bin ich als Schweizer Bürgerin sehr froh, dass und wie der Bundesrat das Heft in die Hand genommen hat. Leider haben der Bundesrat und das BAG während der ersten Welle die niedergelassenen Ärzte als helfende Kraft bei der Bewältigung dieser Pandemie vergessen. Ein Zusammenzug der frei gewordenen ärztlichen und pflegerischen Kapazitäten, auch aus Kliniken, die in dieser Zeit keine Patienten behandeln durften, wäre sinnvoller gewesen, als Armeeangehörige ohne Fachkenntnisse zu organisieren. Das gilt auch für die kommende grosslogistische Übung mit der zweimaligen Impfung von zirka 6 Millionen Personen. Ich glaube nicht, dass sich Armeeangehörige für die Verimpfung besser eignen als Gastroenterologen, Orthopäden oder andere Spezialisten, die pandemiebedingt mehr Zeit haben. Ich war auch sehr enttäuscht, dass der Pandemieplan nicht funktioniert hat. Demnach hätte jede Einwohnerin und jeder Einwohner im Land 50 Masken analog zu den Jodtabletten präventiv erhalten sollen. Masken, Schutzmaterial, Desinfektionsmittel waren nicht ausreichend vorhanden. Wir waren in den Praxen mit der Beschaffung auf uns allein gestellt, mit bekanntem Resultat. Das muss besser laufen, und es müssen Lehren für einen künftig auf allen Ebenen funktionierenden Pandemieplan daraus gezogen werden.

Welche neuen Erkenntnisse und Erfahrungen

des letzten Jahres fanden Sie für Ihr Fachgebiet

besonders spannend?

Die Coronapandemie hatte auch eine positive Seite: Durch

die Verlagerung aller Fortbildungsaktivitäten ins Digitale

waren wir gezwungen, uns als Nutzer wie auch als Organi-

satoren von Kongressen der SGAIM und des KHM mit die-

sen Onlinetools auseinanderzusetzen, und haben diesbezüg-

lich viel gelernt. Einiges wird sicher bleiben. So könnte man

vielleicht in Zukunft bei Kongressen einen Teil der Vorträge

für virtuelle Teilnehmer öffnen oder auswärtigen Referenten

zusätzlich die digitale Möglichkeit anbieten, damit diese sich

den Weg und den damit verbundenen zeitlichen Aufwand

sparen können.

Die Allgemeininternisten sind in den Spitälern während der

Coronapandemie sehr gefordert. Das scheint nicht allen Be-

teiligten klar zu sein. Wie kann sonst begründet werden, dass

mitten in der Pandemiebewältigung zwei internistischen

Chefärzten in Bülach und Uster gekündigt wurde? Die Wert-

schätzung gegenüber dem Fachbereich Allgemeine Innere

Medizin steht im Vergleich zu anderen Disziplinen in einem

auffälligen Missverhältnis. Eine wichtige Aufgabe der

SGAIM ist es, die Verantwortlichen im Gesundheitswesen

und die Bevölkerung über die Wichtigkeit des medizinischen

Generalismus für unser Gesundheitswesen zum Wohl der

Patienten zu informieren und die Stellung der Allgemeinen

Inneren Medizin aufzuwerten.

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ARS MEDICI 1+2 | 2021

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