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FORTBILDUNG
Zöliakie und assoziierte Hauterkrankungen
Glutenfreie Kost kann dermatologische Symptome häufig lindern
Die Zöliakie ist eine autoimmunologisch bedingte Enteropathie, bei der die Schleimhaut des Dünndarms mehr oder minder stark geschädigt wird. Die extraintestinalen Manifestationen können fast alle Organe betreffen, auch die Haut.
Jobst Henker
Ausgelöst wird die Zöliakie durch das Klebereiweiss Gluten bei genetisch prädisponierten Personen. Die genetische Disposition besteht in der nahezu 100-prozentigen Positivität der Zöliakiepatienten für die genetischen Marker HLA-DQ2 und/oder -DQ8.
Wie häufig ist die Zöliakie?
Die Prävalenz der Zöliakie beträgt in der Schweiz wie auch in anderen europäischen Ländern etwa 1 Prozent. In den letzten Jahren ist anscheinend eine echte Zunahme der Zöliakie in
MERKSÄTZE
� Die Zöliakie ist mit einer Reihe von Erkrankungen assoziiert, darunter die Dermatitis herpetiformis, die Alopezie, die Psoriasis und die Vitiligo.
� Falls bei einer dieser Erkrankungen zusätzlich eine Zöliakie diagnostiziert wird und dann eine glutenfreie Ernährung erfolgt, ist eine Besserung der Hautaffektionen möglich. Deshalb sollten bei einer notwendigen Labordiagnostik auch die zöliakiespezifischen Antikörper bestimmt werden.
� Bei der Dermatitis herpetiformis liegt fast immer eine Dünndarmschädigung vor, sodass die Behandlung neben dem Arzneimittel Dapson in einer glutenfreien Ernährung besteht.
� Ist die Alopecia areata mit einer Zöliakie assoziiert, besteht eine gute Heilungschance unter einer glutenfreien Kost.
� Eine Komorbidität von Psoriasis und Zöliakie wird bei bis zu 4,3 Prozent der Patienten mit Psoriasis angegeben. Offenbar kann auch eine glutenfreie Ernährung bei einigen Patienten mit Psoriasis die Hautaffektionen bessern, zuvor sollte eine Zöliakie abgeklärt werden.
� Bei Vitiligopatienten (ca. 3% Komorbidität mit Zöliakie) scheint eine Besserung der Hautveränderungen unter glutenfreier Kost auch dann möglich, wenn serologisch keine Zöliakie nachweisbar ist.
Deutschland zu beobachten. Hier liegt die Prävalenz gemäss einer kürzlich publizierten Studie bei 0,9 Prozent (1). Die Methodik und die Bewertung der Ergebnisse dieser Studie sind nicht unwidersprochen (2, 3). In einer biopsiegeprüften Studie aus dem Jahr 2002 ergab sich eine Häufigkeit von 0,2 bis 0,3 Prozent (4).
Diagnostik und Behandlung
Diagnostiziert wird eine Zöliakie durch den serologischen Nachweis zöliakiespezifischer Antikörper und die histologische Bestätigung der Dünndarmschleimhautveränderung. Zöliakiespezifische Antikörper sind Immunglobulin-A-(IgA-) und IgG-Antikörper gegen Gewebetransglutaminase (tissue transglutaminase, tTG; syn. Transglutaminase 2 [TG2]) und Endomysium (EmA). Ein selektiver IgA-Mangel (Bestimmung von Gesamt-IgA) muss vorher ausgeschlossen werden, da bei dessen Vorliegen EmA- und tTG-IgA-Antikörper nicht nachweisbar sein können. Zur Vorfelddiagnostik genügt die Bestimmung eines Antikörpers (tTG oder EmA); beide sind genügend sensitiv und hinreichend spezifisch. Es besteht allerdings keine 100-prozentige Übereinstimmung der beiden genannten Antikörper, sodass die Bestimmung beider Antikörper eine bessere Aussage erlaubt. Die Bestimmung von Antikörpern gegen deamidierte Gliadinpeptide ist für die Primärdiagnostik nicht geeignet. Schnelltests mit Kapillarblut, Speichel- oder Stuhltests können gar nicht zur Zöliakiediagnostik empfohlen werden. Die derzeit einzige Behandlungsmöglichkeit der Zöliakie ist eine lebenslange glutenfreie Kost.
Komorbiditäten sind häufig
Die Zöliakie ist mit einer Reihe (meist autoimmunologischer) Erkrankungen assoziiert (siehe Kasten). Bei den Hauterkrankungen sind es die Dermatitis herpetiformis, die Alopecia areata, die Psoriasis und die Vitiligo. Obwohl Shuster und Marks 1965 «the skin is the mirror of the intestine» postulierten (5) und später den Begriff «dermatogenic enteropathy» prägten (6), gibt es in der Fachliteratur kaum signifikant nachweisbare Beziehungen zwischen Hauterkrankungen und Zöliakie (7), auch wenn es diesbezüglich Einzelmitteilungen gibt. So berichtet eine kleine Studie mit 6 Kindern im Alter von 2½ Monaten bis 10 Jahren von ekzematösen Hautveränderungen, bei denen
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Kasten:
Mit der Zöliakie assoziierte Erkrankungen
▲ Schilddrüse: Autoimmunthyreoiditis ▲ Pankreas: Typ-1-Diabetes ▲ Nebennierenrindenunterfunktion (M. Addison) ▲ Lunge: Hämosiderose, allergische Alveolitis ▲ Leber: primär biliäre Zirrhose, Autoimmunhepatitis, Hepatopathie
(erhöhte Transaminasen bis Leberversagen) ▲ Herz: Myokarditis, Kardiomyopathie ▲ polyglanduläres Autoimmunsyndrom ▲ lymphozytäre Autoimmungastritis ▲ Darm: M. Crohn, mikroskopische Kolitis ▲ Niere: IgA-Nephritis ▲ Osteopathie (Osteoporose/Osteomalazie) ▲ ZNS: Ataxie, Epilepsien, psychische und psychiatrische Erkrankun-
gen, intrazerebrale Verkalkungen ▲ genetische Erkrankungen: Ullrich-Turner-Syndrom, Williams-
Beuren-Syndrom, Trisomie 21
Abbildung 1: Dermatitis herpetiformis Duhring (© Jobst Henker)
in der Dünndarmbiopsie histologisch eine partielle Zottenatrophie bestand (8).
Dermatitis herpetiformis Duhring
Die Hautvariante der Zöliakie ist die Dermatitis herpetiformis Duhring. Sie ist gekennzeichnet durch in Gruppen stehende herpesähnliche Bläschen, die oft stark jucken (Abbildung 1). Die Hautveränderungen können alle Körperregionen betreffen. Diagnostiziert wird die Erkrankung durch den Immunfluoreszenznachweis von granulären IgA-Ablagerungen an der Basalmembran in der papillären Dermis. Die dazu notwendige Hautbiopsie wird mit einer Stanze durchgeführt. In nahezu allen Fällen einer Dermatitis herpetiformis besteht eine Zöliakie, sodass die Behandlung ebenfalls in einer glutenfreien Kost besteht. Adjuvant kann das antibiotisch wirksame und entzündungshemmende Arzneimittel Dapson (4,4’-Diaminodiphenylsulfon) eingesetzt werden.
Alopecia areata
Die Alopecia areata ist eine Autoimmunerkrankung (Abbildung 2). Mädchen haben etwas häufiger eine Alopecia areata als Jungen (Verhältnis 1,5:1)(11). Ausser mit Schilddrüsenerkrankungen, Vitiligo und Atopien kann die Alopecia areata auch mit einer Zöliakie assoziiert sein. Abbildung 2a zeigt einen kindli-
chen Patienten mit florider Zöliakie, dessen Läsionen nach einem Jahr glutenfreier Kost abgeheilt waren. Es sollten deshalb bei Patienten mit Alopecia areata bei einer Labordiagnostik die zöliakiespezifischen Antikörper mitbestimmt werden. Eine Alopezie im Haarwirbelbereich kann auch bei der Incontinentia pigmenti (Bloch-Sulzberger-Syndrom) vorkommen.
Psoriasis
Die Schuppenflechte ist eine gutartige, aber nicht heilbare Hautkrankheit. Es gibt verschiedene Verlaufsformen. Die häufigste ist die Psoriasis vulgaris. Schätzungsweise sind in der Schweiz knapp 2 Prozent, in Deutschland 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung von dieser Hautkrankheit betroffen. Wahrscheinlich handelt es sich auch um eine Autoimmunkrankheit. Die Behandlungsversuche sind vielfältig: Klimatherapie, äusserliche Wirkstoffe (Dithranol [in der Schweiz nicht mehr im Handel], Abkömmlinge von Vitamin D3, Tazaroten [in der Schweiz nicht mehr im Handel] – ein Abkömmling von Vitamin A, Kortikoide), innerliche Wirkstoffe (Ciclosporin, Acitretin, Dimethylfumarat, Methotrexat, Kortikoide) und «alternative» Heilverfahren, wie die traditionelle chinesische Medizin und ayurvedische Anwendungen. Bei 0,2 bis 4,3 Prozent der Patienten mit Psoriasis besteht eine Zöliakie (12). In einer Studie wurden Mukosaveränderungen bei 22 Patienten mit Psoriasis in Dünndarmbiopsien im Vergleich zu einer Kontrollgruppe mit 20 Gesunden gefunden (13). Allerdings wurden die Biopsien nur stereomikroskopisch beurteilt, was die Aussage doch erheblich einschränkt. Offenbar kann eine glutenfreie Ernährung bei einigen Patienten mit Psoriasis die Hautaffektionen bessern (14, 15). Vor Beginn einer solchen Diät sollte jedoch durch Bestimmung der zöliakiespezifischen Antikörper eine Zöliakie ausgeschlossen werden.
Abbildung 2: Alopecia areata bei einem Kind mit florider Zöliakie (a); Abheilung der Alopezie nach einem Jahr glutenfreier Kost (b) (© Jobst Henker)
Vitiligo
Die Vitiligo oder Weissfleckenkrankheit (Leucopathia acquisita) ist eine erworbene Pigmentstörung, bedingt durch die Zerstörung der Melanozyten in Haut und Schleimhäuten. Die Patho-
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Abbildung 3: Typische Hautveränderungen bei Vitiligo (© Jobst Henker)
genese ist noch unklar. Vieles spricht für einen Autoimmun-
prozess (16). Die Prävalenz liegt in der kaukasischen
Bevölkerung zwischen 0,5 und 2 Prozent. In Deutschland leidet
etwa 1 Million Einwohner an dieser Hauterkrankung (Abbil-
dung 3).
Die Vitiligo ist mit anderen Autoimmunerkrankungen asso-
ziiert. Das sind im Besonderen die Autoimmunthyreoiditis,
der Typ-1-Diabetes, die Autoimmungastritis, die Alopecia
areata und anscheinend auch die Zöliakie. Eine Vitiligo
wurde bei Zöliakiepatienten in 0 bis 9,1 Prozent der Fälle
gefunden (17–21).
Es empfiehlt sich deshalb, bei einer routinemässigen Blutab-
nahme bei Vitiligopatienten auch die zöliakiespezifischen Anti-
körper zu bestimmen. Im positiven Fall ist eine Gastroduode-
noskopie mit Dünndarmbiopsie zur Sicherung der Diagnose zu
empfehlen. Bei bestätigter Zöliakie und streng glutenfreier Kost
ist die Chance auf eine Repigmentierung gegeben (26).
Besteht serologisch kein Hinweis auf eine Zöliakie, kann mit
dem an einer Vitiligo Erkrankten der Behandlungsversuch mit
einer mehrmonatigen glutenfreien Kost besprochen werden.
Khandalavala und Nirmalraj beschreiben einen Fall einer Re-
pigmentierung bei einer in den USA aufgewachsenen 27 Jahre
alten Inderin unter einer glutenfreien Diät. Paraklinisch wurde
bei der Patientin ein «metabolisches Profil», unter anderem mit
Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG), Blutbild und thyreoidea-
stimulierendem Hormon (TSH), bestimmt, aber keine zöliakie-
spezifische Diagnostik durchgeführt (27).
s
Literatur: 1. Laass MW et al.: Zöliakieprävalenz bei Kindern und Jugendlichen in Deutsch-
land – Ergebnisse der KiGGS-Studie. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 553–560. 2. Henker J, Conrad K: Prävalenz nur geschätzt. Diskussionsbeitrag zur Publika-
tion Laass MW et al., Zöliakieprävalenz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Ergebnisse der KiGGS-Studie (Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 553–560). Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 221. 3. MothesT, Wolf J: Seropositivität kritisch betrachten. Diskussionsbeitrag zur Publikation Laass MW et al., Zöliakieprävalenz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Ergebnisse der KiGGS-Studie (Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 553–560). Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 221–222. 4. Henker J et al.: Prävalenz der asymptomatischen Zöliakie bei Kindern und Erwachsenen in der Region Dresden. Dtsch Med Wochenschr 2002; 127: 1511–1515. 5. Shuster S, Marks J: Dermatogenic enteropathy: a new cause of steatorrhoea. Lancet 1965, 1: 1367–1368. 6. Marks J, Shuster S: Dermatogenic enteropathy. Gut 1970; 11: 292–298. 7. Fry L: The skin and the small intestine. Curr Opin Gastroenterol 1986; 21: 223–227. 8. Heine W et al.: Partielle Zottenatrophie mit entzündlichen Veränderungen der Dünndarmschleimhaut beim konstitutionellen Ekzem und seborrhoischen Ekzem des Säuglings. Kinderärztl Prax 1976; 44: 399–402. 11. Wohlmuth-Wieser I et al.: Childhood alopecia areata – data from the National Alopecia Areata Registry. Pediatr Dermatol 2018; 35: 164–169. 12. Pietrzak D et al.: Digestive system in psoriasis: an update. Arch Dermatol Res 2017; 309: 679–693. 13. Barry RE et al.: Mucosal architecture of the small bowel in cases of psoriasis. Gut 1971; 12: 873–877. 14. Addolorato G et al.: Rapid regression of psoriasis in a coeliac patient after gluten-free diet. A case report and review of the literature. Digestion 2003; 68: 9–12. 15. Michaëlsson G et al.: Psoriasis patients with antibodies to gliadin can be improved by a gluten-free diet. Br J Dermatol 2000; 142: 44–51. 16. Hartmann A: Vitiligo. Diagnose, Differentialdiagnose und aktuelle Therapieempfehlungen. Der Hautarzt 2009; 60: 505–515. 17. Catassi C et al.: The coeliac iceberg in Italy. A multicentre antigliadin antibodies screening for coeliac disease in school-age subjects. Acta Paediatr Suppl 1998; 412: 29–35. 18. Seyhan M et al.: The mucocutaneous manifestation associated with celiac disease in childhood and adolescence. Pediatr Dermatol 2007; 24: 28–33. 19. Polanco I: Celiac disease. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2008; 47 Suppl 1: 3–6. 20. Reunala T, Collin P: Diseases associated with dermatitis herpetiformis. Br J Dermatol 1997; 136: 315–318. 21. Henker J: Zöliakie und assoziierte Erkrankungen. Auch an Glutenunverträglichkeit denken. Pädiatrix 2010; 1: 14–17. 26. Rodríguez-García C et al.: Repigmentation of vitiligo lesions in a child with celiac disease after a gluten-free diet. Pediatr Dermatol 2011; 28: 209–210. 27. Khandalavala BN, Nirmalraj MC: Rapid partial of vitiligo in a young female adult with gluten-free diet. Case Rep Dermatol 2014; 6: 283–287.
Prof. Dr. med. Jobst Henker Kinderzentrum Dresden-Friedrichstadt GmbH D-01067 Dresden
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 16/2020. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
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