Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Prävention
Grösste Altersstudie Europas liefert erste Resultate
Vitamin D3 (2000 IE/Tag), Omega-3-Fettsäuren (1 g/Tag) und ein einfaches Krafttraining zu Hause bringen relativ rüstigen Personen ab 70 Jahren offenbar nicht die Vorteile, die man sich davon erhofft. Innert 3 Jahren zeigten sich im Vergleich mit Plazebo durch keine der drei Massnahmen oder durch deren Kombination Vorteile bezüglich der Kognition, des Blutdrucks, der nicht vertebralen Frakturen, der physischen Leistungsfähigkeit und der Infektionsrate.
Die DO-HEALTH-Studie gilt als grösste Altersstudie Europas. Sie soll die Frage beantworten, welche Interventionen sinnvoll sind, um ein gesundes Altern zu fördern. Die Teilnehmer wurden von Dezember 2012 bis November 2014 in die Studie aufgenommen, das letzte Follow-up erfolgte im November 2017. Die Probanden waren bei Aufnahme in die Studie mindestens 70 Jahre alt, und sie waren in den 5 Jahren zuvor nicht schwer erkrankt (z. B. Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall usw.). Sie lebten selbstständig zu Hause, ihre Kognition war normal, und sie waren ausreichend mobil, um einmal jährlich die Studienzentren aufzusuchen. Die meisten Teilnehmer wurden in der Schweiz rekrutiert (552 in Zürich, 253 in Basel, 201 in Genf). An den ausländischen Studienzentren waren es 350 Teilnehmer in Berlin, 200 in Innsbruck, 300 in Toulouse und 301 in Coimbra. Die Studie wurde von der EU finanziert und von Prof. Heike Bischoff-Ferrari, Geriatrie und Altersforschung am Universitätsspital Zürich, geleitet. Insgesamt wurden 2157 Personen in die Studie aufgenommen, 1900 von ihnen (88%) waren bis zum Schluss dabei. Die Teilnehmer waren im Durchschnitt rund 75 Jahre alt, etwas mehr als die Hälfte von ihnen waren Frauen (61,7%). Insgesamt 25 Personen starben im Verlauf der Studie, etwa gleich viele in allen Studiengruppen. Die Randomisierung in 8 etwa gleich grosse Studiengruppen ermöglichte einen Vergleich aller Massnahmen einzeln oder in Kombinationen mit Plazebo beziehungsweise einem Kontrolltraining. Alle Probanden erhielten 2 gleich aussehende Kapseln pro Tag (je nach
Gruppe mit Substanz oder mit Plazebo), und alle trainierten zu Hause (Krafttraining oder Gelenkmobilitätstraining als Kontrolle). Die 8 Gruppen waren wie folgt definiert: (1) Vitamin D3 (2000 IE/ Tag), (2) Omega-3-Fettsäuren (1 g/Tag), (3) Krafttraining, (4) Vitamin D3 + Omega-3-Fettsäuren, (5) Vitamin D3 + Krafttraining, (6) Omega-3-Fettsäuren + Krafttraining, (7) Vitamin D3 + Omega-3-Fettsäuren + Krafttraining und (8) Plazebos + Kontrolltraining.
Kein Nutzen für rüstige Rentner?
Frühere Studien hatten nahegelegt, dass zumindest einige der Konstellationen zu einer Verbesserung des einen oder anderen klinischen Endpunkts führen könnten. Die Schlussfolgerung der Studienautoren ist eine andere: «Bei Erwachsenen ohne bedeutende Komorbiditäten im Alter von 70 Jahren oder älter führte die Behandlung mit Vitamin D3, Omega-3-Fettsäuren oder einem Krafttrainingsprogramm nicht zu statistisch signifikanten Unterschieden beim systolischen oder diastolischen Blutdruck, bei nicht vertebralen Frakturen, bei der physischen Leistung, bei den Infektionsraten oder bei der kognitiven Funktion. Diese Resultate sprechen nicht für eine Wirksamkeit dieser drei Interventionen bezüglich der genannten klinischen Endpunkte.» Man hatte sich bei der Rekrutierung bemüht, einen hohen Anteil älterer Personen mit einem hohen Frailty-Risiko in die Studie einzubeziehen. Mindestens 40 Prozent der Studienteilnehmer sollten Personen sein, die in den 12 Monaten vor Studienbeginn gestürzt waren, und in der Tat war das bei rund 42 Prozent der Probanden der Fall. Trotzdem waren viele von ihnen offenbar recht rüstig: 83 Prozent der Teilnehmer seien bereits zuvor körperlich aktiv gewesen, schreiben die Studienautoren. Auch die kognitive Funktion war bei den meisten sehr gut, sodass auch hier kaum eine Verbesserung erreichbar war. Obendrein hatten die meisten Studienteilnehmer keinen Vitamin-D-Mangel zu Studienbeginn (59,1%), und alle durften
zusätzlich 800 IE Vitamin D3 täglich einnehmen, falls sie das wollten.
Bedeutung für die Praxis
«Die Resultate stellen die heutigen Empfehlungen des BAG bezüglich Vitamin-D-Supplementation bei älteren Erwachsenen mit Vitamin-D-Mangel und Sturzrisiko nicht infrage – ebenso wenig die belegte präventive Wirkung von Trainingsprogrammen», sagte Studienleiterin Bischoff-Ferrari. In der Medienmitteilung der Universität anlässlich der Publikation wird auch hervorgehoben, dass bestimmte Gruppen vielleicht doch profitieren könnten. So war der systolische Blutdruck bei Männern mit Vitamin D niedriger, und bei den 70- bis 74-Jährigen waren Infektionen mit Vitamin D seltener. In der Publikation werden die Subgruppenresultate als Anlass für neue Hypothesen bewertet, die in weiteren Studien zu überprüfen wären. Gleichzeitig gibt man zu bedenken, dass die Unterschiede klein und wahrscheinlich nicht klinisch relevant seien. Persönlich schätzt Bischoff-Ferrari die klinische Relevanz der Subgruppenresultate offenbar höher ein: «Angesichts der Sicherheit und Erschwinglichkeit der Supplemente sowie der hohen Sterblichkeit durch Infektionen bei älteren Erwachsenen haben diese Ergebnisse eine Relevanz für die Volksgesundheit.» Auch der möglicherweise geschlechtsspezifische Effekt von Vitamin D auf die Senkung des systolischen Blutdrucks solle weiter untersucht werden. Das Studienteam erwarte als nächstes die Resultate der DO-HEALTH-Interventionen in Bezug auf die Prävention von Krebserkrankungen, den Cholesterinspiegel, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stürze, Gebrechlichkeit und Gesundheitskosten, heisst es in der Medienmitteilung der Universität Zürich. RBO s
Bischoff-Ferrari HA et al.: Effect of vitamin D supplementation, omega-3 fatty acid supplementation, or a strength-training exercise program on clinical outcomes in older adults: the DO-HEALTH randomized clinical trial. JAMA 2020; 324(18): 1855–1868. Medienmitteilung der Universität Zürich vom 10. November 2020.
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ARS MEDICI 24 | 2020
Coronapandemie
Sollen Kinder und Jugendliche Masken tragen?
Rückspiegel
In einer gemeinsamen Stellungnahme erläutern die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie «pädiatrie schweiz» und der Berufsverband Kinder- und Jugendärzte in der Praxis «kinderärzte.schweiz» ihre Empfehlungen zum Tragen von Masken im Kindes- und Jugendalter. Die Pädiater empfehlen das Tragen von Masken s ab 12 Jahren (bzw. 11 Jahren in den Kan-
tonen mit Sekundarschule ab 11 Jahren) in der Öffentlichkeit (z. B. Schulgelände, öffentlicher Verkehr), wenn Abstandsregeln nicht zuverlässig eingehalten werden können s ab 12 Jahren plus Abstand beim Kontakt mit besonders gefährdeten Personen s ab 12 Jahren in der Arztpraxis s ab 6 Jahren mit Symptomen in der Arztpraxis (kann auch auf asymptomatische Kinder erweitert werden, um gefährdete Praxismitarbeiter zu schützen).
Eine generelle Maskenpflicht für Kinder ab 6 Jahren wird nicht empfohlen. Da es für das Tragen empfohlener Masken keine Kontraindikationen gebe, sollten lokale Behörden trotzdem unterstützt werden, falls diese eine Maskenpflicht ab 6 Jahren anordneten. In der ausführlichen Stellungnahme (Link s. unten) werden auch die Kriterien für einen Maskendispens genannt sowie Angaben zur Wahl der richtigen Maske und zum Tragen von Masken beim Sport gemacht.RBO s
Quelle: COVID – die Haltung von pädiatrie schweiz/kinderärzte.schweiz zum Tragen von Masken bei Kindern und Jugendlichen; 17. November 2020.
https://www.rosenfluh.ch/qr/masken_kinder
Rheumatoide Arthritis
Schmerzen trotz Remission oder niedriger Krankheitsaktivität
Nicht bei allen Rheumapatienten verschwinden mit der Entzündung auch die Schmerzen. In einer Studie aus Schweden, deren Ergebnisse an der Jahrestagung des American College of Rheumatology vorgestellt wurden, klagten nach einem Jahr noch 32 Prozent der Patienten über inakzeptable Schmerzen, obwohl sie im Stadium einer frühen RA mit wirksamen Medikamenten behandelt wurden. Bei zwei Dritteln dieser Patienten hatten die Medikamente die Entzündungsreaktionen im Körper weitgehend gestoppt, aber die inakzeptablen Schmerzen persistierten. Patienten, die zu Beginn der Erkrankung in einem Fragebogen eine stärkere Einschränkung im Alltag angegeben hatten, litten häufiger unter anhaltenden Schmerzen. Frauen waren in der Studie 2½-mal häufiger betroffen als Männer. Erfahrungsgemäss führe eine Dosissteigerung der Rheumamedikamente zu keiner
Schmerzlinderung, und sie trage nicht weiter zum Erhalt der Gelenke bei, wenn die Krankheitsaktivität bereits niedrig ist, heisst es in einer Medienmitteilung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie. Auf jeden Fall müssten RA-Patienten mit solchen Nichtgelenkschmerzen ernst genommen und konsequent behandelt werden. Die Rheumatologen sollten bei ihren Patienten persistierende Schmerzen trotz zurückgegangener Krankheitsaktivität im Blick haben und diese bei Bedarf auch interdisziplinär mit Schmerztherapeuten gemeinsam behandeln. DGRh/RBO s
Medienmitteilung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V. (DGRh) vom 24. November 2020. Eberhard A et al.: Predictors of unacceptable pain and unacceptable pain with low inflammation in early rheumatoid arthritis. Arthritis Rheumatol 2020; 72 (Suppl 10): Abstract No. 1716.
Vor 10 Jahren
ASS als Krebsprävention
Der britische Neurologe Peter M. Rothwell und der Epidemiologe Thomas W. Meade publizieren in der Zeitschrift «The Lancet» eine Studie, wonach Acetylsalicylsäure (ASS) nicht nur das Risiko für Kolonkarzinome, sondern auch für andere solide Tumoren vermindern könnte. Sie hatten ASS-Studien, die mit dem Ziel der kardiovaskulären Prävention Ende der 1970er-Jahre durchgeführt wurden, und die entsprechenden Sterberegister der nachfolgenden Jahrzehnte ausgewertet. Demnach war das Risiko, an einer Tumorerkrankung zu sterben, für Personen geringer, die jahrelang täglich mindestens 75 mg ASS eingenommen hatten.
Vor 50 Jahren
Amphetamine für Kinder
Die Gabe von Amphetaminen und ähnlichen Substanzen zur Behandlung des «Zappelphilipp-Syndroms» bei Kindern gewinnt an Popularität. In den USA werden solche Medikamente bereits rund 200 000 Kindern verordnet. Bereits Ende der 1930er-Jahre hatte der amerikanische Neurologe und Kinderarzt Charles Bradley entdeckt, dass bestimmte aufputschende Substanzen paradoxerweise bei hyperkinetischen Kindern eine beruhigende Wirkung entfalten können.
Vor 100 Jahren
So wird’s ein Knabe
Der Oberstabsarzt A. Zöller, Berlin, ist davon überzeugt, dass bevorzugt Knaben «in Ehen zwischen kräftigen Frauen und schwächlichen Männern» gezeugt würden. Das Gleiche gelte für jugendliche, gleichaltrige Ehegatten. Der Hauptfaktor aber sei das Alter der Eizelle. Wenn das Paar mit Ausnahme der ersten vier Tage nach dem Ende der Menstruation verhüte, würden zu 89 Prozent Knaben gezeugt, so Zöller. RBO s
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