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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Coronapandemie
Asymptomatisch Infizierte am Husten erkennen
Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, wird zurzeit eine App entwickelt, die asymptomatisch mit SARS-CoV-2-Infizierte an ihrem speziellen Hustengeräusch erkennen soll. Die MIT-Forscher trainierten ein Computersystem mit künstlicher Intelligenz mit Tausenden von Hustenaufnahmen und gesprochenen Worten. Die Hustengeräusche (Husten auf Kommando, wie beim Auskultieren) wurden von Freiwilligen mit ihrem Smartphone oder Tablet aufgezeichnet und auf einen MIT-Server hochgeladen. In einem be-
gleitenden Fragebogen gaben sie Auskunft darüber, ob sie COVID-19-Symptome hatten, ob sie glaubten, infiziert zu sein oder nicht, und ob ein Testergebnis als Bestätigung vorlag. Nachdem das System mit den Aufnahmen von 4256 Personen trainiert worden war, wurden ihm 1064 neue Aufnahmen präsentiert. Der Algorithmus kann offenbar erstaunlich gut zwischen einem normalen Hustengeräusch und dem Hustengeräusch eines COVID-19-Patienten unterscheiden: Die Sensitivität beträgt 98,5 Prozent, die Spezifität 94,2 Prozent, berichten die MIT-For-
scher. Werden dem System nur Husten-
geräusche von asymptomatischen Per-
sonen vorgespielt, liege die Sensitivität
bei 100 Prozent und die Spezifität bei
83,2 Prozent.
Das Team arbeitet nun an einer App, die
asymptomatische Personen als tägli-
chen Coronaschnelltest verwenden
könnten, um bei bedenklichem Befund
einen Arzt oder ein Testzentrum zur
Abklärung aufzusuchen – man müsste
dafür nur kurz in sein Smartphone hus-
ten.
RBO s
Medienmitteilung des MIT am 29. Oktober 2020.
SARS-CoV-2-Infektion
Immunologisches Gedächtnis nachgewiesen
Bisher war unklar, ob eine überstandene SARS-CoV-2-Infektion beziehungsweise eine COVID-19-Erkrankung zu einem anhaltenden immunologischen Gedächtnis führt, das vor einer erneuten Infektion schützen kann. So hatten mehrere Studien gezeigt, dass SARS-CoV-2-spezifische Antikörper bei vielen Menschen mit überstandener COVID-19-Erkrankung nur über we-
nige Monate nachweisbar sind und deshalb möglicherweise auch nur einen zeitlich begrenzten Schutz vor einer erneuten Infektion bieten können. Ein Forscherteam am Universitätsklinikum in Freiburg im Breisgau konnte jetzt zeigen: Nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion werden Immunzellen gebildet, die im Körper erhalten bleiben und bei einer erneuten
Infektion eine schnelle Immunantwort vermitteln könnten.
RBO/Universität Freiburg s
Medienmitteilung der Universität Freiburg im Breisgau auf idw-online am 12. November 2020 zu Schulien I et al.: Characterization of pre-existing and induced SARS-CoV-2-specific CD8+ T cells. Nat Med 2020; published online 12 Nov 2020.
Kardiologie
Herzinfarkt wegen US-Wahl?
Kurz vor den aktuellen Präsidentschaftswahlen in den USA publizierte ein Autorenteam aus Kalifornien, dass in den beiden Tagen nach der Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 die Hospitalisationsrate wegen kardiovaskulärer Ereignisse in Südkalifornien deutlich höher gelegen habe als an den gleichen Wochentagen in der Woche vor dem Wahltermin. Erfasst wurden Herzinfarkte, Schlaganfälle und Notaufnahmen wegen Thoraxschmerz oder instabiler Angina
pectoris von Patienten der Kaiser Permanente Southern California, eines integrierten Gesundheitssystems mit rund 4,6 Millionen Versicherten. In den beiden Tagen nach der Wahl 2016 wurden 573 Ereignisse pro 100 000 Personenjahre gezählt (bzw. 94 Hospitalisationen), in der Woche zuvor an den gleichen Wochentagen 353 Ereignisse pro 100 000 Personenjahre (58 Hospitalisationen). Alter, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit spielten keine Rolle, so die Studienautoren.
Bleibt nur die Frage, ob politische Präferenzen eine solche gespielt haben könnten und ob der aktuelle Wahlausgang 2020 ähnlich negative Effekte nach sich gezogen hat – in Südkalifornien wahrscheinlich eher nicht. RBO s
Mefford M et al.: Sociopolitical stress and acute cardiovascular disease hospitalizations around the 2016 presidential election. Proc Natl Acad Sci USA 2020; 117(43): 27054–27058.
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Pharmakotherapie
Steigert finanzielle Belohnung die Compliance bei Statintherapie?
Rückspiegel
Auf Dauer Medikamente einnehmen zu müssen, ohne akut einen Nutzen davon zu haben, aber möglicherweise langfristig davon zu profitieren, halten viele Patienten nicht durch. Studien zeigen, dass mitunter nicht einmal jeder zweite Herzinfarktpatient sein Statin regelmässig einnimmt. In den USA hat man nun getestet, welche Form der finanziellen Belohnung eine medikamentöse Lipidsenkung unterstützen könnte und ob der Effekt auch nach Beendigung des Belohnungsprogramms beibehalten wird.
Zur Teilnahme an der Studie wurden Personen mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko und einem LDL > 2,6 nmol/l (100 mg/dl) eingeladen, die täglich ein Statin einnehmen sollten, das aber gemäss eigenen Angaben oder den Bezugsdaten ihrer Apotheke aber nicht zuverlässig durchhielten. Die Probanden erhielten Tablettenbehälter, die beim Öffnen ein Signal an den Studienserver senden. Alle Probanden wurden jeden Tag zur gleichen Uhrzeit per SMS, Mail oder Telefon daran erinnert, ihr Statin einzunehmen. Die rund 800 Studienteilnehmer wurden in 4 Gruppen eingeteilt: s Die Kontrollgruppe erhielt keine Beloh-
nung. s Gruppe 1 erhielt als unmittelbare Beloh-
nung für das Öffnen der Tablettendose sofort einen 2-stelligen Zahlencode, mit dem sie an einem Gewinnspiel teilnehmen konnten. Waren beide Zahlen richtig (Chance 1:100) erhielten sie 200 US-Dollar; stimmte eine der Zahlen, erhielten sie 10 Dollar (Chance 18:100). s Gruppe 2 erhielt die gleiche Belohnung, aber nur, wenn das Statin vor dem Ein-
Foto: Igal Ness, Unsplash
treffen der täglichen Erinnerungsnachricht
bereits eingenommen worden war. Öffne-
ten sie ihre Pillenbox erst danach, wurde
die mögliche Gewinnsumme halbiert.
s Gruppe 3 erhielt als Belohnung ebenfalls
den 2-stelligen Zahlencode für das Ge-
winnspiel, unabhängig davon, wann sie
die Pillendose öffneten, aber mit mögli-
chen Gewinnen von nur 50 oder 5 Dollar.
Zusätzlich wurden 45 Dollar pro Monat
ausgesetzt, die sie nur erhielten, wenn sie
ihr Statin täglich eingenommen hatten; für
jeden Tag ohne Statin wurde ihnen 1,50
Dollar abgezogen.
Die Belohnungsphase dauerte 6 Monate.
Nach 12 Monaten wurden die Lipidwerte der
Probanden bestimmt, um nachzuprüfen, ob
ein langfristiger Effekt nachweisbar war.
Die Compliance in der Belohnungsphase war
mit allen drei Belohnungssystemen ungefähr
gleich hoch: An 84 bis 87 Prozent der 180
Tage in der Belohnungsphase wurde die Pil-
lendose einmal täglich geöffnet. In der Kon-
trollgruppe traf das nur für 69 Prozent der
Tage zu. Im Durchschnitt erhielten die Teil-
nehmer innert 6 Monaten in den Belohnungs-
gruppen 380 bis 465 Dollar.
Einen nachhaltigen Effekt hatte die Beloh-
nungsstrategie offenbar nicht: Am Ende, nach
insgesamt 12 Monaten, lag der LDL-Rück-
gang in allen 4 Gruppen in der gleichen
Grössenordnung, nämlich bei Werten von
0,83 nmol/l (32,4 mg/dl; Gruppe 1) bis
0,94 nmol/l (36,5 mg/dl; Gruppe 3); in der
Kontrollgruppe sank das LDL median um
0,86 nmol/l (33,5 mg/dl).
Die Studienautoren vermuten, dass die gene-
rell gute Betreuung der meisten Studienteil-
nehmer durch ihre behandelnden Ärzte ein
Grund dafür sein könnte, dass das LDL auch
in der Kontrollgruppe in gleichem Masse
sank. Weil in der Belohnungsphase ein Com-
plianceunterschied sichtbar wurde, sind sie
jedoch davon überzeugt, dass finanzielle Be-
lohnungsstrategien trotzdem prinzipiell hilf-
reich sein könnten, vor allem bei Patienten,
die ihren Hausarzt nur selten aufsuchen oder
in Regionen mit mangelnder ärztlicher Ver-
sorgung leben.
RBO s
Barankay I et al.: Effect of patient financial incentives on statin adherence and lipid control: a randomized clinical trial. JAMA Netw Open 2020; 3(10): e2019429.
Vor 10 Jahren
Stammzellprojekt gestoppt
Im November 2010 stoppt das Unternehmen Geron in den USA überraschend eine Studie mit modifizierten embryonalen Stammzellen. Im Jahr zuvor gab die FDA grünes Licht für die Behandlung von Querschnittgelähmten mit derartigen Zellen, und im September 2020 wurden sie erstmals einem Patienten injiziert. Seinen Rückzug begründet das Unternehmen mit finanziellen Überlegungen.
Vor 50 Jahren
Methadonsubstitution
In den USA wird eine grosse klinische Studie publiziert, die an mehreren New Yorker Spitälern durchgeführt wurde. Sie belegt, dass Heroinabhängigen mithilfe von Methadon eine Rückkehr ins normale Alltagsleben gelingen kann. Sieben Jahre zuvor hatten Ärzte an der Rockefeller-Universität in New York das Schmerzmittel Methadon Heroinabhängigen zur Linderung von Entzugsschmerzen gegeben. Bereits nach wenigen Tagen war eine deutliche physische und psychische Verbesserung zu beobachten, und das Verlangen nach Heroin sank beträchtlich.
Vor 100 Jahren
Palladium gegen Adipositas
Als wirksame Injektionen gegen Adipositas empfiehlt ein Arzt im Leserforum von ARS MEDICI das Präparat «Leptynol», eine kolloidale Palladiumverbindung. Die damals bereits bekannte katalytische Wirkung des Metalls soll im Organismus angeblich die Fettverbrennung ankurbeln.
RBO s
ARS MEDICI 23 | 2020
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