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BERICHT
Diabetische Nierenerkrankungen
Renoprotektion mit den neuen Antidiabetika
Bislang waren ACE-Hemmer und Sartane der Goldstandard in der Therapie der diabetischen Nierenerkrankung. Mit der Entwicklung der SGLT2-Hemmer und der GLP-1-Rezeptor-Agonisten haben sich in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten ergeben. Mit diesen Antidiabetika können die Albuminurie und die Verschlechterung der Nierenfunktion effizient gebremst werden.
Eine diabetische Nierenerkrankung (diabetic kidney disease, DKD) ist eine klinische Diagnose, die aufgrund einer Albuminurie und/oder einer tiefen geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) gestellt wird. Es handelt sich dabei um eine chronische Nierenerkrankung bei Diabetes und ist kein eigener Phänotyp. Abzugrenzen davon sei die diabetische Nephropathie, die glomeruläre Läsionen bezeichne, erklärte Prof. Katherine Tuttle, Institute of Translational Health Sciences, University of Washington (USA), am Jahreskongress der American Diabetes Association. Patienten mit einer DKD haben nur ein relativ tiefes Risiko (10%), ein terminales Nierenversagen zu erleiden, das eine Dialyse oder eine Nierentransplantation erforderlich macht. Die meisten DKDPatienten sterben aufgrund anderer Ursachen, häufig an kardiovaskulären Folgen oder wegen Infektionen (1).
Worauf ist zu achten?
Bei Patienten mit Diabetes sollte der Blutdruck gut kontrolliert sein. Bei Blutdruckwerten > 130/80 mmHg und einem Albumin-Kreatinin-Quotienten > 30 bis 300 mg/g (Mikroalbuminurie) sollten sie ein Antihypertensivum, vornehmlich einen ACE-Hemmer oder ein Sartan, erhalten. Bei einem Albumin-Kreatinin-Quotienten > 300 mg/g empfehle sich die Gabe eines ACE-Hemmers oder Sartans auch ohne vorliegende Hypertonie, zitierte die Nierenspezialistin die amerikanischen Empfehlungen (2).
KURZ & BÜNDIG
� In der Behandlung der diabetischen Nierenerkrankung waren ACE-Hemmer und Sartane der Goldstandard, sie bleiben immer noch in klinischem Gebrauch.
� SGLT2-Hemmer reduzieren auch das Risiko für renale Störungen wie Albuminurie, eGFR-Abfall und terminale Niereninsuffizienz.
� GLP-1-Rezeptor-Agonisten reduzieren ebenfalls das Risiko für renale Störungen wie Albuminurie und eGFR-Abfall.
SGLT2-Hemmer
Unter den Antidiabetika haben sich vor allem SGLT2-Hemmer und GLP-1-Rezeptor-(RA-)Agonisten als zusätzlich nephroprotektiv erwiesen. Neben kardiovaskulären Ereignissen und dem Fortschreiten der Herzinsuffizienz reduzieren sie auch die Makroalbuminurie und bremsen den Abfall der eGFR bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und kardiovaskulären Erkrankungen. Erstmals zeigte sich der im Vergleich zu Plazebo gebremste Abfall der eGFR im Zeitverlauf unter Empagliflozin (3). Die DAPA-HF-Studie habe einen Nutzen selbst bei herzinsuffizienten Patienten mit bereits tiefer eGFR (4) und unter Canagliflozin auch eine Verlangsamung der Progression zur terminalen Niereninsuffizienz gezeigt (5), so Tuttle. Canagliflozin belegte in der CREDENCE-Studie seine nephroprotektive Eigenschaft. Die Studie wurde wegen des grossen Vorteils in der Verumgruppe vorzeitig gestoppt. Bis dahin wurden 4401 Patienten mit einer eGFR von 30 bis 90 ml/min/1,73 m2 während 2,6 Jahren nachverfolgt, sie erhielten doppelblind randomisiert Canagliflozin 100 mg oder Plazebo. Der primäre Endpunkt war als Kombination aus terminaler Niereninsuffizienz (Dialyse, Transplantation oder eGFR < 15 ml/min/1,73 m2), einer Verdoppelung des Serumkreatinins oder renal oder kardiovaskulär bedingtem Tod definiert. Unter Canagliflozin lag die Ereignisrate des primären Endpunkts bei 43,2 pro 1000 Patientenjahre (vs. 61,2 unter Plazebo), was eine relative Risikoreduktion von 30 Prozent ergibt (Hazard Ratio [HR]: 0,70; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,59–0,82; p = 0,00001). Das Risiko für die nierenspezifischen Endpunkte terminale Niereninsuffizienz, Verdoppelung des Serumkreatinins oder renal bedingter Tod war um 34 Prozent kleiner (HR: 0,66; 95%-KI: 0,53–0,81; p < 0,001), jenes für eine terminale Niereninsuffizienz wurde um 32 Prozent reduziert (HR: 0,68; 95%-KI: 0,54–0,86; p < 0,002) (5). Eine Metaanalyse über alle bis zu dieser Zeit verfügbaren SGLT2-Hemmer-Studien (EMPA-REG OUTCOME mit Empagliflozin, CANVAS und CREDENCE mit Canagliflozin und DECLARE-TIMI 58 mit Dapagliflozin) mit gesamthaft 38 723 Patienten zeigte eine konsistente Wirkung der SGLT2-Hemmer in der Risikoreduktion von Dialyse, Trans-
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plantation oder nierenbedingtem Tod um 33 Prozent wie auch die Verlangsamung der Progression zur terminalen Niereninsuffizienz oder zum akuten Nierenversagen. Der renoprotektive Nutzen bestand unabhängig von den eGFRWerten bei Studieneinschluss, dem Vorhandensein einer Albuminurie oder der Einnahme von Hemmern des ReninAngiotensin-Systems (RAS) (6).
GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Die zweite Antidiabetikagruppe, die bei Patienten mit Diabetes zur Nierenprotektion eingesetzt werden kann, ist die Gruppe der GLP-1-RA. Sie reduzieren das Risiko für schwere atherosklerotische kardiovaskuläre Ereignisse und kardiovaskulären Tod (Liraglutide), verringern die Makroalbuminurie und bremsen den Abfall der eGFR über alle Stadien der chronischen Nierenerkrankung (Liraglutide, Dulaglutide). Ein kardiovaskulärer wie auch renaler Nutzen sei selbst bei Patienten mit vorbestehender chronischer Nierenerkrankung gezeigt worden (7), fasste Tuttle zusammen. Patienten mit sehr tiefen eGFR-Werten wurden in der AWARD-7-Studie (Dulaglutide vs. Insulin glargin) eingeschlossen, deren sekundärer Endpunkt unter anderem die Veränderung der eGFR während eines Jahres war. In der Dulaglutidegruppe lag die eGFR nach einem Jahr bei 34 ml/ min/1,73 m2 (vs. 31,3 mit Insulin), der Unterschied zur Kontrollgruppe war signifikant (8). Wie die Wirkung zustande kommt, ist nicht restlos geklärt. GLP-1-Rezeptoren existieren in der Niere, insbesondere in Endothelzellen, Makrophagen und proximalen Tubuluszellen. Antinflammatorische und diuretische Eigenschaften würden diskutiert, so Tuttle.
Gibt es neue Kandidaten?
Obwohl mit den bestehenden RAS-Hemmern und den neuen Antidiabetika die Nierenfunktion von vielen Patienten vor einer Verschlechterung geschützt werden könne, gebe es immer Patienten, denen diese Therapien nicht helfen würden, schränkte Tuttle ein. Für diese Patienten ist es wichtig, neue Behandlungswege zu erforschen. Ein Ansatz ist der Endothelin-A-Rezeptor-Antagonist Atrasentan, bei dem beobachtet wurde, dass er bei kurzfristiger Gabe bei Patienten mit Typ-2-Diabetes die Albuminurie reduziert, ohne eine Natriumretention zu induzieren. Die Langzeitstudie SONAR überprüfte die sichere Anwendung von Atrasentan in renaler Hinsicht. Die Patienten mit Typ-2-Diabetes und einer eGFR zwischen 25 und 70 ml/min/1,73 m2 und einer AlbuminKreatinin-Ratio zwischen 300 und 5000 mg/g hatten in den vorvergangenen 4 Wochen RAS-Hemmer in maximaler oder maximal verträglicher Dosierung erhalten. Die Patienten er-
hielten anschliessend Atrasentan 75 mg/Tag. Jene Patienten,
deren Albumin-Kreatinin-Ratio ohne substanzielle Flüssig-
keitsretention um 30 Prozent sank, wurden in die doppelblind
randomisierte Studienphase mit einer medianen Follow-
up-Zeit von 2,2 Jahren aufgenommen (n = 2648). Sie erhiel-
ten entweder Atrasentan 75 mg/Tag oder Plazebo. Als primä-
rer Endpunkt galt die Kombination aus einer anhaltenden
Verdoppelung des Serumkreatinins während ≥ 30 Tagen und
einer terminalen Niereninsuffizienz (Dialyse ≥ 90 Tage,
Transplantation oder renal bedingter Tod).
Unter Atrasentan verschlechterte sich die Nierenfunktion ge-
mäss Definition des primären Endpunkts bei 79/1325 Patien-
ten (6%) und unter Plazebo bei 105/1323 (7,9%), was eine
signifikante relative Risikoreduktion von 35 Prozent ergibt
(HR: 0,65; 95%-KI: 0,49–0,88; p = 0,0047) (9). Zu einer
Flüssigkeitsretention und anämischen Ereignissen kam es in
der Atrasentangruppe häufiger, und herzinsuffizienzbedingte
Hospitalisationen traten numerisch häufiger, aber ohne Sig-
nifikanz auf (3,5 vs. 2,6%) (p = 0,208). Todesfälle ereigneten
sich in beiden Gruppen etwa gleich häufig (58/4,4% bzw.
52/3,9%) (p = 0,65).
Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem Risiko für eine
terminale Niereninsuffizienz könnte der Endothelinrezeptor-
antagonist zum Schutz der Nierenfunktion in Zukunft eine
Rolle spielen (9).
s
Valérie Herzog
Quelle: «Treatment for diabetic kidney disease», Jahreskongress der American Diabetes Association, 12. bis 16. Juni 2020, virtuell.
Referenzen: 1. Alicic RZ et al.: Diabetic kidney disease: challenges, progress, and possi-
bilities. Clin J Am Soc Nephrol 2017; 12: 2032–2045. 2. Wheeler DC et al.: Summary of KDIGO guideline. Kidney Int Suppl 2013;
83: 377–383. 3. Wanner C et al.: Empagliflozin and progression of kidney disease in type
2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 323–334. 4. McMurray JJV et al.: Dapagliflozin in patients with heart failure and redu-
ced ejection fraction. N Engl J Med 2019; 381: 1995–2008. 5. Perkovic V et al.: Canagliflozin and renal outcomes in type 2 diabetes and
nephropathy. N Engl J Med 2019; 380: 2295–2306. 6. Neuen BL et al.: SGLT2 inhibitors for the prevention of kidney failure in
patients with type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7: 845–854. 7. Kristensen SL et al.: Cardiovascular, mortality, and kidney outcomes with GLP-1 receptor agonists in patients with type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis of cardiovascular outcome trials. Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7: 776–785. 8. Tuttle KR et al.: Dulaglutide versus insulin glargine in patients with type 2 diabetes and moderate-to-severe chronic kidney disease (AWARD-7): a multicentre, open-label, randomised trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6: 605–617. 9. Heerspink HJL et al.: Atrasentan and renal events in patients with type 2 diabetes and chronic kidney disease (SONAR): a double-blind, randomised, placebo-controlled trial. Lancet 2019; 393: 1937–1947.
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