Transkript
Vorsicht: Kontaktekzeme!
Patienten mit chronischen Wunden
FORTBILDUNG
Bei Patienten mit nicht heilenden chronischen Wunden lohnt es sich, nach Kontaktsensibilisierungen zu fahnden. Diese Hautreaktionen sind meist durch eine lange Krankheitsdauer, häufigen Wechsel von Lokaltherapeutika und eine vorgeschädigte Hautbarriere bedingt. Bei Hautekzemen im Wundbereich und passender Anamnese hilft oft eine Epikutantestung weiter.
Dorothee Busch, Cornelia Erfurt-Berge
Schätzungen zufolge leidet in der Schweiz rund 1 Prozent der Bevölkerung an chronischen Wunden wie zum Beispiel «offenen Beinen». Diese zeigen auch nach acht Wochen keine Heilungstendenz, und oft liegt schon eine Erkrankung vor, wie chronisch venöse Insuffizienz (Ulcus cruris venosum), periphere arterielle Verschlusskrankheit (Ulcus cruris arteriosum) oder Diabetes mellitus (diabetisches Fusssyndrom). Der häufigste Vertreter: Ulcus cruris venosum. Der Hausarzt hat einen grossen Stellenwert bei Patienten mit chronischen Wunden – er ist meist die erste Anlaufstelle. Wundpatienten werden zudem oft erst im späteren Krankheitsverlauf in spezialisierten Wundzentren vorstellig (1). Da es sich dabei vorwiegend um ältere Patienten handelt, ist von steigenden Fallzahlen – bedingt durch den demografischen Wandel – auszugehen. Treten in der Wundumgebung ekzematöse Hautveränderungen auf, kann es sich um eine Kontaktallergie handeln.
MERKSÄTZE
� Kontaktsensibilisierungen sind ein häufiges Problem bei Patienten mit chronischen Wunden.
� Bei Verdacht auf Kontaktallergie gibt eine gezielte Anamnese Hinweise zur Planung eines Epikutantests zur weiteren Diagnostik.
� Potenzielle Allergenquellen bei Patienten mit chronischen Wunden sind u. a. Konservierungsmittel, Duftstoffe, Bestandteile von Salbengrundlagen, Emulgatoren oder topische Antibiotika.
� Essenziell zur Prävention irritativer Ekzeme sind ein adäquates Exsudatmanagement und der Schutz von Wundrand und -umgebung. Ekzeme sollten mittels basis therapeutischer Hautpflege und Rückfettung frühzeitig behandelt werden.
Patienten mit chronischen Wunden
Kontaktsensibilisierungen sind ein häufiges Problem bei Patienten mit chronischen Wunden. Bei Ulcus cruris venosum oder venös bedingter Stauungsdermatitis wurden Sensibilisierungsraten von um die 60 Prozent beschrieben (5, 10). Ursächlich für die oft auftretenden Sensibilisierungen sind unter anderem eine lange Erkrankungsdauer, der häufige Wechsel verschiedener Wundauflagen und Externa sowie eine oft vorgeschädigte Hautbarriere. Weitere Risikofaktoren sind das entzündliche Wundmilieu und eine verstärkte Penetration der Substanzen durch okklusive Verbände und fettige Salbengrundlagen (6). Viele Patienten versuchen zudem zunächst eine Eigenbehandlung der Wunde mit «Hausmitteln», die häufig auf pflanzlichen Inhaltsstoffen basieren und so ein hohes Sensibilisierungspotenzial aufweisen.
Spezifisches Allergenspektrum
Mehrere Studien konnten zeigen, dass sich gerade bei Patienten mit venösem Ulkus andere häufige Kontaktallergene finden als bei Vergleichsgruppen ohne diese Erkrankungen (2, 7). Potenzielle Allergenquellen bei Patienten mit chronischen Wunden sind unter anderem Konservierungsmittel, Duftstoffe, Bestandteile von Salbengrundlagen, Emulgatoren oder topische Antibiotika. In einer grossen Datenauswertung von 2003 bis 2013 aus mehr als 50 deutschsprachigen Kliniken fanden sich Duftstoffe, Wollwachsalkohole (Lanolin), Cetylstearylalkohol, Kolophonium oder Konservierungsmittel wie tertiäres Butylhydrochinon unter den häufigsten Allergenen der Patienten mit Ulcus cruris venosum beziehungsweise Stauungsdermatitis (2). In der Kontrollgruppe waren typische Allergene wie Nickel-(II)-Sulfat bedeutsam (8). Typ-I-Reaktionen im Sinne von akuten allergischen Reaktionen wie Urtikaria oder Quincke-Ödem sind im Zusammenhang mit Wundtherapeutika selten. Relevant sind hier vor allem Latexbestandteile, wie etwa in Handschuhen. Auch Sensibilisierungen gegen sogenannte «moderne Wundauflagen» müssen in Betracht gezogen werden, da in den wenigen Studien zu diesem Thema teils über sehr hohe Sen-
ARS MEDICI 20 | 2020
633
FORTBILDUNG
sibilisierungsraten berichtet wurde. Zu prüfen bleibt bei allen nachgewiesenen Sensibilisierungen die klinische Relevanz (3, 10). Die fehlende Deklarierungspflicht von Medizinprodukten und damit von Wundauflagen erschwert die Kenntnis der genauen Produktbestandteile.
Wundumgebung und Kontaktekzem
Als Teil des Wundassessments ist auch die Beurteilung der Wundumgebung bedeutsam. Deren Zustand kann beispielsweise durch chronisch entzündliche Prozesse, wie sie im Laufe der chronischen Ulzeration auftreten, beeinträchtigt sein. Unter einem Ekzem versteht man zunächst die typische Morphe mit Rötung, Schuppung, Bläschen, Erosionen mit Nässen oder tiefere Hauteinrisse (Rhagaden). Am häufigsten tritt ein sebostatisches Ekzem im Rahmen der chronisch-venösen Insuffizienz auf. Bei neu erkennbaren ekzematösen Hautveränderungen ist es für den Arzt wichtig, zwischen toxisch-irritativer Genese, zum Beispiel durch unzureichendes Exsudatmanagement, und kontaktallergischer Genese im Sinne einer Typ-IV-Spätreaktion (T-Zell-vermittelt) zu unterscheiden (7). In der Praxis sind diese jedoch nicht immer eindeutig zu differenzieren. Allergische Ekzeme können auch auf Grundlage von toxisch-irritativen Läsionen entstehen (sog. Pfropfallergie). Ein fehlerhaftes Exsudatmanagement ist jedoch deutlich häufiger Ursache akuter ekzematöser Veränderungen. Diese kön-
Abbildung 2: Vorbereitete Testkammern (Finn Chambers) für die Epikutantestung am Rücken: Es können standardisierte Substanzen in entsprechendem Träger (meist Vaseline) oder auch die patienteneigenen Wundauflagen (linke Reihe oben) getestet werden (© Hautklinik, U niversitätsklinikum Erlangen, S. Schnetz).
nen dann durch Optimierung der lokalen Wundversorgung rasch effektiv behandelt werden. Daneben müssen differenzialdiagnostisch Hinweise auf spezifische zugrunde liegende Dermatosen in der Wundumgebung, wie Vaskulitiden, kutane Tumoren oder Pyoderma gangraenosum, klar abgegrenzt werden.
Kasuistik
Der Patient W. stellt sich mit ekzematösen, feinlamellär schuppenden, teils erosiven Hautveränderungen an beiden Unterschenkeln in unserer dermatologischen Ambulanz vor (Abbildung 1). Eine chronisch venöse Insuffizienz beidseits mit Zustand nach Ulcus cruris venosum links ist bei ihm bekannt. Kompressionsstrümpfe trägt der Patient nur ungern, da die Haut darunter juckt. Er verwendet zur Hautpflege ver- Abbildung 1: Feinlamellär schupschiedene Externa aus dem pende, teils erosive Ekzemherde an Supermarkt. Zuletzt pro- den Unterschenkeln eines Patienten bierte er eine Melkfettmi- mit chronisch venöser Insuffizienz schung aus, die ihm der (© Hautklinik, UniversitätskliniNachbar empfohlen hatte. kum Erlangen, S. Schnetz) Seit einigen Wochen wurde es zunehmend schlimmer mit dem Juckreiz und der Schuppung an beiden Beinen. Die allergologische Testung ergibt positive Reaktionen auf Duftstoffmix I und II, Cetylstearylalkohol und Amerchol L-101. Der Patient erhält zur Lokaltherapie eine Individualrezeptur mit Mometasonfuroat 0,1% in wollwachsalkoholfreier Basissalbe. Die positiv getesteten Substanzen muss er künftig vermeiden. Die Kompressionstherapie soll der Patient nun regelmässig anwenden.
Weiterführende Diagnostik
Bei Verdacht auf ein kontaktallergisches Geschehen stehen eine gezielte Anamnese bezüglich der verwendeten Produkte, der Beginn und die Dauer der Anwendung sowie das Ausmass und die Dynamik der Reaktion an erster Stelle. Kontaktallergisch bedingte Ekzeme sind durch Juckreiz, unscharfe Begrenzung und Streuherde ausserhalb des Allergenkontakts gekennzeichnet. Mithilfe der anamnestischen Angaben kann der Arzt zur weiteren Diagnostik den Epikutantest planen. Hierfür lassen sich – nach Empfehlung der Deutschen KontaktallergieGruppe (der auch die Schweiz angeschlossen ist) – vorgegebene Substanzen verwenden. Zudem kann man der Anamnese entsprechend patienteneigene, verdächtige Substanzen wie Wundauflagen oder Externa aufbereiten und im Epikutantest prüfen (3, 9). Die Testsubstanzen werden in kleinen Kammern aus Aluminium mit Pflastern auf dem Rücken des Patienten angebracht (Abbildung 2) und nach zwei Tagen wieder entfernt. Abgelesen und beurteilt wird der Test nach 48 und 72 Stunden. Ein positives Testergebnis liegt bei Hautrötung, Infiltration und/ oder Papeln oder Bläschen vor und weist eine Kontakt-sensibilisierung nach. Eine Zunahme der Reaktion ist im zeitlichen Verlauf zu erwarten. Durch Nachweis des Zusammenhangs zwischen dem positiv getesteten Allergen und dem Auftreten ekzematöser Hautveränderungen nach dessen Anwendung auf der Haut kann der Arzt die Diagnose einer Kontaktallergie stellen. Eindeutig identifizierte Kontaktallergene sind in der weiteren (Wund-)Behandlung selbstverständlich zu vermeiden. Dies kann in der Praxis für Therapeut und Patient aber zur Herausforderung werden.
634
ARS MEDICI 20 | 2020
FORTBILDUNG
Prävention und Therapie bei Ekzemen
Essenziell zur Prävention irritativer Ekzeme sind ein adäqua-
tes Exsudatmanagement und der Schutz von Wundrand und
-umgebung, um eine Pfropfsensibilisierung auf vorgeschädig-
ter Haut zu verhindern. Ekzeme sind mithilfe von basisthe-
rapeutischer Hautpflege und Rückfettung frühzeitig zu be-
handeln. Hierzu zählt auch das im Rahmen chronisch venöser
Insuffizienz auftretende sebostatische Ekzem.
Die empfohlene Galenik hängt vom Zustand der Wunde und
ihrer Umgebung ab. Während nässende, erosive Areale durch
hydrophile Externa ausgetrocknet werden, sollte man tro-
ckene oder schuppende Läsionen mit fetthaltigen Grundlagen
versorgen. Bei akut entzündlichen Veränderungen ist eine
glukokortikoidhaltige Lokaltherapie eine Behandlungsop-
tion für die Wundumgebung. Superinfizierte oder koloni-
sierte Wunden werden mit Antiseptika behandelt. Der Ein-
satz topischer Antibiotika sollte aufgrund des erhöhten
Allergiepotenzials vermieden werden und vor allem kein Ein-
satz direkt in der Wunde erfolgen.
Für die Hautpflege von Patienten mit chronischen Wunden,
aber auch mit chronisch venöser Insuffizienz, sollte der Arzt
aufgrund des beschriebenen Allergenspektrums Produkte
ohne Duftstoffe, Parabene, Wollwachsalkohole und tertiäres
Butylhydrochinon bevorzugen (4).
s
Korrespondenz: Dorothee Busch, cand. med. PD Dr. med. Cornelia Erfurt-Berge Hautklinik Universitätsklinikum D-91054 Erlangen
Interessenlage: Die Autorinnen haben keine Interessenkonflikte deklariert.
Dieser Artikel erschienen zuerst in «Der Allgemeinarzt» 2/2019. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
Literatur: 1. Weindorf M, Dissemond J: Ulcus cruris: Seit Jahren immer wieder offene
Beine. MMW Fortschr Med 2011; 153: 39–40. 2. Erfurt-Berge C et al.: The current spectrum of contact sensitization in
patients with chronic leg ulcers or stasis dermatitis – new data from the Information Network of Departments of Dermatology (IVDK). Contact Dermatitis 2017; 77: 151–158. 3. Erfurt-Berge C, Mahler V: Contact sensitization in patients with lower leg dermatitis, chronic venous insufficiency and/or chronic leg ulcer: assessment oft he clinical relevance of contact allergens. J Investig Allergol Clin Immunol 2017; 27 (6): 378–380. 4. Geier J et al.: Hautpflege bei chronisch venöser Insuffizienz – Was ist aus allergologischer Sicht zu berücksichtigen? Phlebologie 2018; 02: 50–104. 5. John SM, Geier J: Unterschenkelekzem bei chronisch-venöser Insuffizienz – aktuelle allergologische Aspekte. Allergenspektrum beim «Beinpatienten» im IVDK 1994–1995. Zeitschrift für Dermatologie 1998; 184: 16–23. 6. Lehnen M et al.: Kontaktsensibilisierungen von Patienten mit chronischen Wunden: Resultate einer Untersuchung im Zeitraum 1999–2004. Hautarzt 2006; 57: 303–306, 308. 7. Mahler V: Kontaktekzeme. Aktuelle Dermatologie 2014; 40: 95–107. 8. Mahler V et al.: Current trends in patch testing – new data from the German Contact Dermatitis Research Group (DKG) and the Information Network of Departments of Dermatology (IVDK). Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft 2014; 12: 583–592. 9. Schnurch A et al.: Performing patch testing with contact allergens. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft 2008; 6: 770–775. 10. Valois A et al.: Contact sensitization to modern dressings: a multicentre study on 354 patients with chronic leg ulcers. Contact Dermatitis 2015; 72: 90–96.
636
ARS MEDICI 20 | 2020