Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Was sagt man einem unbelehrbaren Impfgegner? «If you don’t like the vaccine, try the disease!»
sss
Impfgegner gibt es übrigens nicht nur in Europa und den USA, nein, auch in Afrika und Asien. Nur die Verschwörungstheorien lauten dort anders. In Nigeria verdächtigt man nicht Bill Gates, die Menschheit dezimieren zu wollen, sondern die US-Regierung. Man behauptet, sie wolle mit den Impfungen muslimische Frauen unfruchtbar machen. In Pakistan hiess es, die Impfteams gegen Polio seien getarnte amerikanische Söldner, die Osama bin Laden aufspüren wollten. Mitglieder der Impfteams wurden deswegen ermordet. Die Folge: In Afghanistan und Pakistan erkranken weiterhin Menschen an Kinderlähmung (Polio).
sss
So wie bei jeder Krise Krisengewinnler gibt’s heutzutage Coronagewinnler. Seit überall Maskenpflicht herrscht, gehören eindeutig die Bauchredner dazu!
sss
Es gab Zeiten, da galt die Bezeichnung «Querdenker» als Lob! Die meisten Querdenker und Nonkonformisten waren damals politisch links oder progressiv; quer denken und opponieren wurde als «machtkritisch» und «wahrheitssuchend» anerkennend gewürdigt. Heute beherrschen Grüne und Linke den öffentlichen, den kulturellen wie auch den akademischen Diskurs. Wer heute quer denkt und unangepasst ist, gilt nicht als aufklärerisch, sondern als Populist – und wird nicht gelobt, sondern diffamiert – so wie es früher den «Langhaarigen und Linken» erging. Die Techniken der Machtsicherung bleiben eben
immer die gleichen; sie wechseln nur Herkunft, Richtung und Zielobjekte.
sss
Für Deutsche und Schweizer ist Jammern ihre Art, Zufriedenheit auszudrücken. Die frivole Gisela nimmt’s schulterzuckend zur Kenntnis: «Sollen wir etwa nicht mehr jammern dürfen, nur weil’s uns gut geht?»
sss
«Der menschengemachte Klimawandel ist wissenschaftlicher Konsens und kann nicht zur Debatte stehen.» Die zornigen jungen Frauen, die da fürs Klima vor die Kameras drängen, argumentieren wie … – genau: wie WIR früher, nämlich falsch! Es gibt Ideologien, die man nicht zu diskutieren braucht, aber es gibt keine wissenschaftlichen Erkenntnisse – schon gar nicht solche, über die angeblich «Konsens herrscht» –, die nicht zur Diskussion stehen dürfen. Jede wissenschaftliche Erkenntnis ist eine auf Zeit, übermorgen ersetzt durch eine neue. Aber den Jugendlichen geht’s ja auch nicht um Wissenschaft, sondern um … ach, erinnern Sie sich noch an Ihre aufmüpfige Jugendzeit? Was war damals wirklich wichtig? Mal ehrlich! Freund oder Freundin, Bewunderung vom andern Geschlecht, Anerkennung, nächtelange Diskussionen, Auflehnung gegen Obrigkeiten, Sex (oder irgendeine Vorstufe davon …), ein bisschen Weltschmerz, Marx und Mao, Antiimperialismus, Pazifismus, Gerechtigkeit. WIR wussten genau, was richtig ist, WIR wussten, wer die Bösen waren und die Schuldigen, WIR waren überzeugt: Würde man auf uns hören, die Welt würde endlich, endlich besser. Unser Glück (oder Pech): Es gab noch nicht so viele Anbiederer bei Politikern und Journalisten, die jeden unserer pubertären Fürze zur politischen Bewegung hochjubelten.
sss
Und ja, stimmt, sie sind ein Ärgernis, diese besserwisserischen jugendlichen Stänkerer. Aber es braucht sie, irgendwie. Stellen Sie sich vor, die täten alle erwachsen. Furchtbar. Nicht auszuhalten. Selbst wenn es sie nicht bräuchte: Es gab sie zu jeder Zeit. Nur, es sei jemandem jenseits von Sturm und Drang erlaubt, den beneidenswert eloquenten jugendlichen Weltenrettern 2020 etwas wehmütig, ein wenig gönnerhaft und ein klein wenig spiessiger als damals zuzuhören und zuzuschauen und sie – in Erinnerung an eigene Vermessenheiten – nicht ganz so wichtig zu nehmen, wie sie sich gerade fühlen.
sss
Fände man’s nicht auf der Website www.evangelisch.de/ würde man’s nicht glauben. Württembergs Kirche wirbt für eine noch bessere Willkommenskultur. Das über 200 Seiten dicke Buch «Ich bin ein Fremder gewesen: Mission zwischen Fluchtursachenbekämpfung und Willkommenskultur» endet mit kulturellen Tipps zum Umgang mit Menschen aus orientalischen Ländern: Seinen Hund solle man zu Hause lassen, da Hunde als unrein gelten, seinem Gegenüber solle man nie direkt widersprechen, und Händeschütteln mit Personen des anderen Geschlechts sei tabu. Sie spinnen, die Germanen. Nur Houellebecq würde es wohl achselzuckend zur Kenntnis nehmen; er hat’s in seinem Roman «Unterwerfung» prophezeit.
sss
Und das meint Walti: Ich wage gar nicht zu befürchten, was ich befürchte, befürchten zu müssen.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 20 | 2020