Transkript
FORTBILDUNG
Unklare Synkope: Wann droht Gefahr?
Abklärung und Behandlung von plötzlichen transienten Bewusstseinsverlusten
Ein plötzlicher Bewusstseinsverlust im Sinne einer Synkope ist für die meisten Patienten ein bedrohliches Ereignis. Diese Sorge kann berechtigt sein, insbesondere wenn es sich um eine kardiale Synkope handelt. Bei der Reflexsynkope und der orthostatischen Synkope ist die Prognose dagegen sehr gut. Allein durch eine gründliche Basisuntersuchung lässt sich bei zwei Dritteln der Patienten die Ursache einer der drei Synkopenarten zuordnen.
Ali Aydin
Synkopen sind ein häufiges Problem in der Praxis. Eine klare Strategie bezüglich der Diagnostik und der anschliessenden
MERKSÄTZE
� Die neue Leitlinie der ESC beschreibt wichtige praxisrelevante Aspekte in der Diagnostik und der Therapie der Synkope.
� Bei ca. zwei Dritteln aller Patienten gelingt durch eine gründliche Basisuntersuchung (Anamnese, körperliche Untersuchung, Blutdruckmessungen, EKG) eine Diagnosestellung und eine Zuordnung der Synkope als reflektorische, orthostatische oder kardiale Synkope.
� Etwa ein Drittel aller Fälle bleibt allerdings zunächst unklar. Hier ist eine erweiterte Untersuchung erforderlich, die insbesondere bei Vorhandensein einer kardialen Vorgeschichte oder kardialer Beschwerden wie Angina, Dyspnoe oder Palpitationen eine ausführliche kardiologische Diagnostik erfordert. In der Regel besteht diese aus der Durchführung einer Echokardiografie, einer Ergometrie, ggf. auch aus einer Koronarangiografie oder einer elektrophysiologischen Untersuchung.
� Ereignisrekorder, insbesondere implantierbare Ereignisrekorder, können intermittierende Rhythmusstörungen detektieren und spielen eine wichtige Rolle bei V. a. auf rhythmogene Synkopen. Hingegen werden sogenannte autonome Tests wie der Kipptischtest oder der Karotisdruckversuch in der neuen Leitlinie deutlich abgewertet. Sie stellen lediglich Bestätigungstests bei V. a. eine reflektorische Synkope dar und sollten deshalb nicht bei jeder unklaren Synkope durchgeführt werden.
� In der Therapie spielen vor allem nicht medikamentöse Strategien eine wichtige Rolle. In Einzelfällen können medikamentöse Optionen oder die Schrittmachertherapie bei Nachweis von kardioinhibitorischen Synkopen erwogen werden.
Therapie ist unverzichtbar, um lebensbedrohlich gefährdete Patienten rechtzeitig zu identifizieren. Die European Society of Cardiology (ESC) hat im Jahre 2018 eine ausführliche Leitlinie erstellt (1). Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) hat ein Manual zur Diagnostik und Therapie der Synkope herausgegeben, das die Grundlage für die anschliessenden Empfehlungen darstellt (2).
Hintergrund
In Zeiten knapper zeitlicher und struktureller Ressourcen ist die rationale, möglichst wirtschaftliche Diagnostik ein wichtiger Anspruch ärztlicher Tätigkeit. Dem gegenüber steht teilweise der Wunsch sowohl des Arztes als auch des Patienten nach einer ausführlichen Abklärung der Ursache der Synkope, die sich in der Regel für den Patienten und die Angehörigen als potenziell lebensbedrohlich präsentiert – und dies auch sein kann. Ziel der diagnostischen Evaluation ist es, Patienten mit eher «benignen» Synkopen wie zum Beispiel einer vasovagalen Synkope von den Patienten zu differenzieren, bei denen die Synkope Ausdruck einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung ist.
Epidemiologie der Synkope
Etwa jeder dritte Mensch erleidet in seinem Leben mindestens eine Synkope (3). Ungefähr 1 Prozent aller Vorstellungen in Notaufnahmen erfolgt wegen einer Synkope (4, 5). Nicht selten benötigen die Patienten nach einer initialen notfallmässigen Beurteilung eine weiterführende ambulante Abklärung. Oft sind dabei Vertreter mehrerer Fachdisziplinen wie Neurologen, Internisten, Kardiologen, HNO-Ärzte usw. involviert.
Definition des transienten Bewusstseinsverlusts und der Synkope
Ein transienter Bewusstseinsverlust (transient loss of consciousness, TLOC) kann traumatisch oder nicht traumatisch bedingt sein (vgl. Abbildung auf Seite 597). Zu den nicht
ARS MEDICI 19 | 2020
593
FORTBILDUNG
traumatischen TLOC zählen epileptische Anfälle, psychogene Synkopen und seltenere Formen wie zum Beispiel die Subarachnoidalblutung. Die Synkope (von griechisch: συνκοπή [synkopé] = zusammenstossen, ausstossen [6]) ist ein durch eine zerebrale Minderperfusion bedingter transienter Bewusstseinsverlust, der drei Merkmale aufweist: – plötzlicher Beginn – kurzzeitige Dauer – spontane Reversibilität.
Tabelle 1:
Klassifikation der Synkope (2)
Nerval vermittelte Reflexsynkope
– vasovagal: – orthostatische vasovagale Synkope (VVS): im Stehen, seltener im Sitzen – emotionaler Stress: Furcht, Schmerz (somatisch oder viszeral), Eingriff, Phobie
– situativ: – Miktion – gastrointestinale Stimulation (Schlucken, Defäkation) – Husten, Niesen – nach körperlicher Anstrengung – andere (z. B. Lachen, Spielen eines Blechblasinstruments) – Karotissinussyndrom
– nicht klassische Formen (ohne Prodromi und/oder ohne ersichtliche Auslöser und/oder atypische Präsentation)
Synkope durch orthostatische Hypotonie (OH)
– medikamenteninduzierte OH (häufigste Ursache der OH): z. B. Vasodilatatoren, Diuretika, Phenothiazin, Antidepressiva
– Volumenmangel: Blutung, Diarrhö, Erbrechen usw. – primäres autonomes Versagen (neurogene OH): reines auto-
nomes Versagen, Multisystematrophie, Parkinson-Krankheit, Lewy-Körper-Demenz – sekundäres autonomes Versagen (neurogene OH): Diabetes, Amyloidose, Rückenmarkverletzung, autoimmune autonome Neuropathie, paraneoplastische autonome Neuropathie, Niereninsuffizienz
Kardiale Synkope
– Arrhythmie als primäre Ursache – Bradykardie – Sinusknotenfunktionsstörung (inkl. Bradykardie/Tachykardie-Syndrom) – atrioventrikuläre Leitungsstörung – Tachykardie – supraventrikulär – ventrikulär
– strukturell kardial: Aortenstenose, akuter Myokardinfarkt/Ischämie, hypertrophe Kardiomyopathie, kardiale Neubildungen (Vorhofmyoxom, Tumoren usw.), Perikarderkrankungen/Tamponade, angeborene Anomalien der Koronararterien, Dysfunktion einer Herzklappenprothese
– kardiopulmonal und grosse Gefässe: Lungenembolie, akute Aortendissektion, pulmonale Hypertonie
Von erheblicher praktischer Relevanz ist die deutliche Vereinfachung der Klassifikation der Synkope in der ESC-Leitlinie. Je nach pathophysiologischer Ursache werden Synkopen aktuell in nur noch drei Entitäten und ihre jeweiligen Untergruppen eingeteilt (Tabelle 1) (2).
Basisdiagnostik
Zur Abklärung einer Synkope empfiehlt die ESC-Leitlinie ein abgestuftes Vorgehen: Initial sollte bei allen Patienten mit einer Synkope eine obligate Basisdiagnostik durchgeführt werden. Die Basisdiagnostik umfasst: – ausführliche Anamnese – ausführliche körperliche Untersuchung – Blutdruckmessung im Liegen und Stehen – 12-Kanal-EKG in Ruhe. Bei 60 bis 70 Prozent aller Bewusstseinsverluste gelingt die Diagnosestellung bereits nach initialer Basisdiagnostik, sodass im Anschluss gleich die entsprechende Therapie begonnen werden kann (Tabelle 2) (7). Allerdings bedeutet das im Umkehrschluss, dass etwa 30 bis 40 Prozent aller Patienten eine erweiterte Diagnostik benötigen (7). Sie ist vor allem dann erforderlich, wenn die Ursache der Synkope unklar bleibt und/oder eine kardiale Synkope vermutet werden kann. Eine routinemässige Verwendung neurologischer Untersuchungsverfahren (z. B. EEG [Elektroenzephalografie] und CT [Computertomografie] des Kopfes) sollte nur bei eindeutigen Auffälligkeiten eingesetzt werden. Ist eine kardiale Synkope wahrscheinlich, empfiehlt es sich, eine Echokardiografie, ein externes oder internes EKG-Monitoring, Belastungstests sowie gegebenenfalls eine Koronarangiografie oder eine elektrophysiologische Untersuchung durchzuführen. Ist eine kardiale Synkope eher unwahrscheinlich, spielen ein externes oder internes EKG-Monitoring sowie gegebenenfalls sogenannte autonome Tests eine wichtige Rolle in der Diagnostik. Zu den autonomen Tests zählen dabei der Kipptischtest und die Karotisdruckmassage zur Bestätigung der vasovagalen Synkope beziehungsweise des Karotissinussyndroms. Die Ergebnisse der Tests sind dabei immer im Sinne von Bestätigungstests zu deuten, da positive Testergebnisse auch bei gesunden Personen sowie bei Patienten mit einer kardialen Synkope auftreten können. Ist eine kardiale Synkope eher unwahrscheinlich und die Häufigkeit des Auftretens sehr gering, ist eine weitere Abklärung in der Regel nicht erforderlich. Ein ausführliches, beratendes Gespräch über die gutartige Prognose mit einfachen allgemeinen Verhaltensempfehlungen reicht in diesen Fällen aus.
Risikostratifizierung
Während die Prognose sowohl bei der Reflex- als auch bei der orthostatischen Synkope sehr günstig und die Lebenserwartung nicht beeinträchtigt ist, besteht bei kardial bedingten Synkopen eine im Vergleich zur Normalbevölkerung erhöhte Mortalität (8). In der Framingham-Studie zeigte sich, dass Patienten mit einer kardialen Synkope die schlechteste Prognose von allen Patienten mit einer Synkope hatten. Die 5-Jahres-Letalität betrug 50 Prozent. Ebenfalls deutlich erhöht war die Letalität bei Patienten mit sogenannten unklaren Synkopen: Hier betrug die 5-Jahres-Letalität 30 Prozent (8).
594
ARS MEDICI 19 | 2020
FORTBILDUNG
Tabelle 2:
Eigenschaften der verschiedenen Synkopen
Reflexsynkope
Orthostatische Synkope
Kardiale Synkope
Anamnese
typische Trigger, längeres Stehen, Schmerz, Wärme, Angst, Miktion u. a.
oft kurz nach dem Aufstehen aus der liegenden Position
i. d. R. keine Trigger, kardiale Risikofaktoren
Alter
eher jüngere Patienten
eher ältere Patienten
eher ältere Patienten
Vorerkrankungen
oft keine
kardiale Erkankungen, Diabetes, arterielle Hypertonie, neurologische Erkrankungen
kardiale Erkankungen, ggf. positive Familienanamnese
Körperliche Untersuchung
i. d. R. unauffällig
abhängig von Grunderkrankungen
abhängig von Grunderkrankungen
EKG i. d. R. unauffällig
variabel
variabel
Therapie
– Aufklärung – Beseitigen/Meiden der Trigger – Volumen – Counterpressure-Manöver
– Anpassen der Medikation – Volumen – Stützstrümpfe – ggf. Medikation (z. B. Midodrin)
abhängig von der Ursache: Schrittmacher, ICD, PCI, EPU usw.
Lebenserwartung
nicht eingeschränkt
nicht eingeschränkt
eingeschränkt
ICD: implantierbarer Kardioverter-Defibrillator, PCI: perkutane Koronarintervention, EPU: elektrophysiologische Untersuchung
Ein Schwerpunkt der neuen ESC-Leitlinien ist die Definition von Minor- und Major-Risikofaktoren, die es anhand klinischer Faktoren möglich macht, Synkopen mit einem geringen von solchen mit einem erhöhten Risiko zu unterscheiden.
Risikofaktoren für eine potenziell gefährliche Synkope
Für den Hausarzt in der alltäglichen Praxis stellt sich in Anbetracht der geringen Zeitkapazität und der nicht sofort verfügbaren kardialen diagnostischen Möglichkeiten die Frage, wie der gefährdete Patient identifiziert werden kann. Eine 2013 publizierte internationale Metaanalyse mit über 43 000 Patienten, die sich in einer Notaufnahme mit Synkope vorstellten, zeigt immerhin eine 1-Monats-Letalität von 4,3 Prozent, das heisst, 1 von 23 Patienten mit einer Synkope verstirbt innerhalb eines Monats (9). Zu jeweils einem Drittel lagen eine kardiale, eine nicht kardiale sowie eine unklare Genese vor. In Tabelle 3 finden sich die Odds Ratios der wichtigsten klinischen Faktoren, in Tabelle 4 detaillierte Bewertungen der Risikofaktoren (2).
Ereignisrekorder zur Abklärung
Ereignisrekorder sind subkutan implantierbare EKG-Rekorder von wenigen Zentimetern Grösse (10). Sie können sowohl automatisch als auch durch den Patienten getriggert während eines synkopalen oder präsynkopalen Ereignisses ein 1-Kanal-EKG aufzeichnen. In etwa 50 Prozent aller Fälle lassen sich dabei initial noch nicht detektierte Rhythmusstörungen aufzeigen (11). Dank der langen Laufzeit der Batterie kann eine EKG-Überwachung über bis zu 3 Jahre si-
chergestellt werden. Moderne Ereignisrekorder verfügen über telemedizinische Optionen, die auch asymptomatische Ereignisse zeitnah beziehungsweise quasi online an behandelnde Ärzte übertragen können (12). Eine schon im Jahre 2006 publizierte Studie konnte auch einen ökonomisch bedeutsamen Effekt der frühzeitigen Implantation eines Ereignisrekorders nachweisen: Es zeigte sich, dass durch die frühzeitige Implantation des Ereignisrekorders die Kosten auf ein Drittel im Vergleich zur Vergleichsgruppe ohne Ereignisrekorder gesenkt werden konnten (13).
Tabelle 3:
Mortalitätsrisiko bei einer Synkope
Symptome Palpitationen vor einer Synkope Synkope während einer körperlichen Belastung Kardiale Vorgeschichte Nachweis einer Blutung Synkope im Liegen Fehlen von Prodromi Alter (je 10 Jahre) Synkope mit Traumafolge
Odds Ratio 65 17
14 13 7,6 7,1 5,4 5
ARS MEDICI 19 | 2020
595
FORTBILDUNG
Tabelle 4:
Risikofaktoren bei Synkopen (2)
SYNKOPALES EREIGNIS
Geringes Risiko
– geht mit für eine Reflexsynkope typischen Prodromi einher (z. B. Benommenheit, Wärmegefühl, Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen) – nach einem plötzlichen, unerwarteten, unerfreulichen Anblick, Geräusch, Geruch oder Schmerz – nach längerem Stehen oder in überfüllten, überhitzten Räumen – während oder nach einer Mahlzeit – ausgelöst durch Husten, Defäkation oder Miktion – bei Kopfdrehen oder Druck auf den Karotissinus (z. B. durch Tumoren, Rasieren, engen Kragen) – beim Aufstehen aus dem Liegen/Sitzen
Hohes Risiko
Major – neu einsetzender Thoraxschmerz, Atemnot, Abdominalschmerz oder Kopfschmerz – Synkope während Belastung oder im Liegen – plötzlich einsetzende Palpitation unmittelbar gefolgt von einer Synkope
Minor (hohes Risiko nur in Verbindung mit einer strukturellen Herzerkrankung oder auffälligem EKG) – keine Warnsymptome oder kurze (< 10 s) Prodromi – SCD in jungen Jahren in der Familienanamnese – Synkope im Sitzen
MEDIZINISCHE VORGESCHICHTE
Geringes Risiko
– jahrelang rezidivierende Synkopen mit Merkmalen eines geringen Risikos mit denselben Charakteristika wie die aktuelle Episode – Fehlen einer strukturellen Herzerkrankung
Hohes Risiko
Major – schwere strukturelle oder koronare Herzerkrankung (Herzinsuffizienz, niedrige LVEF oder früherer Myokardinfarkt)
KÖRPERLICHE UNTERSUCHUNG
Geringes Risiko
– normaler Befund
Hohes Risiko
Major – unerklärlicher systolischer Blutdruckwert in der Notaufnahme von < 90 mmHg – Hinweis auf gastrointestinale Blutung in der Rektaluntersuchung – persistierende Bradykardie (< 40/min) im Wachzustand und ohne körperliches Training – undiagnostiziertes systolisches Geräusch
EKG
Geringes Risiko
– normales EKG
Hohes Risiko
Major – EKG-Veränderungen, vereinbar mit akuter Ischämie – AV-Block II° (Typ Mobitz 2) oder AV-Block III° – langsames AF (< 40 bpm) – persistierende Sinusbradykardie (< 40/min) oder wiederholter sinuatrialer Block
oder Sinusarrest von > 3 s im Wachzustand und ohne körperliche Anstrengung – Schenkelblock, intraventrikuläre Leitungsstörung, ventrikuläre Hypertrophie
oder Q-Zacken, vereinbar mit ischämischer Herzkrankheit oder Kardiomyopathie – anhaltende und nicht anhaltende VT – Fehlfunktion eines implantierbaren kardialen Geräts (Schrittmacher oder ICD) – ST-Strecken-Hebung mit Typ-1-Morphologie in den Ableitungen VI–V3 (Bruga-
da-Muster) – QTc > 460 ms in wiederholten 12-Kanal-EKGs, hinweisend auf LQTS
Minor (hohes Risiko nur, wenn Anamnese für arrhythmogene Synkope spricht) – AV-Block II° (Typ Mobitz 1 = Wenckebach) und AV-
Block I° mit deutlich verlängertem PR-Intervall – asymptomatische unangemessene milde Sinusbrady-
kardie (40–50/min) oder langsames AF (40–50/min) – paroxysmale SVT oder paroxysmales AF – QRS-Komplex mit Präexzitation – verkürztes QTc-Intervall (≤ 340 ms) – atypische Brugada-Muster – negative T-Wellen in den rechtspräkordialen Ablei-
tungen, Epsilon-Wellen hinweisend auf ARVC
SCD: plötzlicher Herztod (sudden cardiac death), LVEF: linksventrikuläre Ejektionsfraktion, AV-Block: Atrioventrikularblock, AF: Vorhofflimmern (atrial fibrillation), VT: ventrikuläre Tachykardie, ICD: implantierbarer Kardioverter-Defibrillator, LQTS: Long-QT-Syndrom, SVT: supraventrikuläre Tachykardie, ARVC arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie.
596
ARS MEDICI 19 | 2020
FORTBILDUNG
Kardiovaskuläre autonome Tests
Zu den kardiovaskulären autonomen Tests zählen das aktive Stehen, der Karotisdruckversuch sowie die Kipptischuntersuchung.
Aktives Stehen Beim aktiven Stehen erfolgt eine intermittierende Messung von Blutdruck und Herzfrequenz im Liegen sowie während des Stehens über 3 Minuten. Diese Untersuchung ist Bestandteil der initialen Synkopenabklärung und sollte bei allen Patienten mit einer Synkope durchgeführt werden. Sie dient der Detektion einer orthostatischen Dysfunktion. Der aktive Stehtest ist positiv bei – Abfall des systolischen Blutdrucks ≥ 20 mmHg oder – Abfall des diastolischen Blutdrucks ≥ 10 mmHg oder – Abfall des systolischen Blutdrucks auf Werte ≤ 90 mmHg.
Karotisdruckversuch Der Karotisdruckversuch wird für Patienten mit unklarer Synkope über 40 Jahre empfohlen, wenn die Ursache mit einem Reflexmechanismus vereinbar ist. Die Spezifität des Tests ist gering: Etwa 20 Prozent einer gesunden, asymptomatischen Kontrollgruppe (Alter: 58 Jahre) hatten ein positives Testergebnis, ohne jemals eine Synkope erlitten zu haben (14). Das Ergebnis ist positiv, wenn während des Karotisdrucks die Symptome reproduziert werden können und eine Bradykardie beziehungsweise eine Hypotonie erkennbar ist. Er hat somit den Charakter eines Bestätigungstests bei Verdacht auf ein Karotissinussyndrom.
Kipptischtest Der Kipptischtest ist nicht Bestandteil der initialen Synkopenabklärung. Er wird empfohlen bei Patienten mit V. a. eine vasovagale Synkope. Auch hier ist die Spezifität des Tests sehr
gering. Etwa 8 bis 13 Prozent einer gesunden, asymptomatischen Kontrollgruppe zeigen einen positiven Kipptischtest (15). Selbst bei einer kardialen Synkope beträgt der Anteil eines positiven Kipptischtests etwa 50 Prozent (15, 16). Somit eignet sich der Kipptischtest lediglich als Bestätigungstest bei V. a. vasovagale Synkope zur Provokation der Beschwerden während der Untersuchung.
Behandlung der Synkope
Die Therapie der Synkope orientiert sich am zugrunde liegenden Mechanismus.
Therapie der kardialen Synkope Bei struktureller kardialer oder kardiopulmonaler Genese ist eine entsprechende Therapie der Grunderkrankung erforderlich, zum Beispiel die Koronarintervention bei der Behandlung eines Myokardinfarkts. Bei Herzrhythmusstörungen ist je nach Arrhythmie eine spezifische medikamentöse oder interventionelle Behandlung indiziert. Insbesondere ist die Evaluation einer elektrophysiologischen Untersuchung, einer Schrittmacher- oder einer ICD-Therapie (ICD = implantierbarer Kardioverter-Defibrillator) zu überprüfen.
Therapie der Reflexsynkope Bei allen Patienten mit Reflexsynkope sollten eine Aufklärung über die gute Prognose und eine ausführliche Erklärung der Diagnose erfolgen. Bestimmte Trigger und auslösende Situationen sollten gemieden werden. Häufig reichen Aufklärung und allgemeine Lebensstilveränderungen aus, um die Rezidivrate deutlich zu senken (17). Falls vorhanden und vertretbar, sollten blutdrucksenkende Medikamente angepasst oder abgesetzt werden. Kleinere randomisierte Studien konnten weiterhin zeigen, dass isometrische Gegenregulationsmanöver bei Auftreten von Prodromi Synkopen abwenden können (18).
TLOC
nicht traumatischer TLOC
TLOC durch Schädeltrauma
Synkope
epileptische Anfälle
psychogen
seltene Ursachen
Reflexsynkope
orthostatische Hypotonie
kardial
generalisiert:
• tonisch
• klonisch
• tonischklonisch
• atonisch
• psychogene Pseudosynkope (PPS)
• psychogene, nicht epileptische Anfälle (PNES)
• Subclavian-StealSyndrom
• vertebrobasiläre TIA • Subarachnoidalblutung • zyanotisches
Atemanhalten
Abbildung: Definition des transienten Bewusstseinsverlusts (transient loss of consciousness, TLOC; TIA: transitorische ischämische Attacke)
ARS MEDICI 19 | 2020
597
FORTBILDUNG
Medikamentöse Therapien mit Fludrocortison oder Midodrin oder das sogenannte Kipptischtraining erhalten aufgrund der schwachen Datenlage nur eine eingeschränkte Empfehlung (19). Eine Schrittmachertherapie wird nur bei Nachweis spontaner, symptomatischer Asystolien > 3 Sekunden bei über 40-Jährigen beziehungsweise bei asymptomatischen Pausen > 6 Sekunden empfohlen (20). Insgesamt ist die Indikation für eine Schrittmachertherapie gerade bei jungen Patienten wegen der eingeschränkten Datenlage und des unklaren Wirkmechanismus kritisch zu betrachten (21 – 23). Implantierbare Ereignisrekorder erleichtern dabei die Detektion von Bradykardien erheblich (20). In seltenen Einzelfällen kann auch die Schrittmacherimplantation bei Patienten mit rezidivierenden Synkopen erwogen werden, die bei der Kipptischuntersuchung eine kardioinhibitorische Reaktion zeigen.
Therapie der orthostatischen Synkope Auch hier sind wie bei der Reflexsynkope eine ausführliche Aufklärung über die gute Prognose und ein Vermeiden von Triggern empfohlen. Eine ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit und ggf. Salz ist essenziell, genauso wie die Anpassung einer möglichen antihypertensiven Medikation. Isometrische Gegenregulationsmanöver bei Auftreten von Prodromi können helfen, Synkopen abzuwenden. Als weitere nicht medikamentöse Massnahmen sind Stützstrümpfe und das Schlafen mit leicht erhöhtem Oberkörper empfohlen. Die Datenlage für medikamentöse Optionen bei orthostatischen Synkopen ist besser als bei Reflexsynkopen, sodass Midodrin oder Fludrocortison vor allem bei Versagen der nicht medikamentösen Massnahmen empfohlen werden können.
PD Dr. Ali Aydin Abteilung für Kardiologie Krankenhaus Reinbek St. Adolf-Stift Akad. Lehrkrankenhaus der Universität Hamburg D-21465 Reinbek
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 12/2020. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Literatur: 1. Brignole M et al.: 2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management
of syncope. Eur Heart J 2018; 39(21): 1883–1948. 2. von Scheidt W et al.: Manual zur Diagnostik und Therapie von Synkopen.
Kardiologe 2019; 13: 198–215. 3. Ganzeboom KS et al.: Lifetime cumulative incidence of syncope in the
general population: a study of 549 Dutch subjects aged 35–60 years. J Cardiovasc Electrophysiol 2006; 17(11): 1172–1176. 4. Blanc JJ et al.: Prospective evaluation and outcome of patients admitted for syncope over a 1 year period. Eur Heart J 2002; 23(10): 815–820. 5. Olde Nordkamp LR et al.: Syncope prevalence in the ED compared to general practice and population: a strong selection process. Am J Emerg Med 2009; 27(3): 271–279. 6. Pfeifer W: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2. Aufl. München, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1993. 7. van Dijk N et al.: High diagnostic yield and accuracy of history, physical examination, and ECG in patients with transient loss of consciousness in FAST: the Fainting Assessment study. J Cardiovasc Electrophysiol 2008; 19(1): 48–55. 8. Soteriades ES et al.: Incidence and prognosis of syncope. NEJM 2002; 347(12): 878–885. 9. D‘Ascenzo F et al.: Incidence, etiology and predictors of adverse outcomes in 43 315 patients presenting to the Emergency Department with syncope: an international meta-analysis. Int J Cardiol 2013; 167(1): 57–62. 10. Krahn AD et al.: Use of an extended monitoring strategy in patients with problematic syncope. Reveal Investigators. Circulation 1999; 99(3): 406– 410. 11. Inamdar V et al.: The utility of implantable loop recorders for diagnosing unexplained syncope in 100 consecutive patients: five-year, single-center experience. J Invasive Cardiol 2006; 18(7): 313–315. 12. Sakhi R et al.: Insertable cardiac monitors: current indications and devices. Expert Rev Med Devices 2019; 16(1): 45–55. 13. Farwell DJ et al.: The clinical impact of implantable loop recorders in patients with syncope. Eur Heart J 2006; 27(3): 351–356. 14. Volkmann H et al.: Diagnostic value of carotid sinus hypersensitivity. Pacing Clin Electrophysiol 1990; 13(12 Pt 2): 2065–2070. 15. Forleo C et al.: Head-up tilt testing for diagnosing vasovagal syncope: a meta-analysis. Int J Cardiol 2013; 169(4): e49–e50. 16. Ungar A et al.: Diagnosis of neurally mediated syncope at initial evaluation and with tilt table testing compared with that revealed by prolonged ECG monitoring. An analysis from the Third International Study on Syncope of Uncertain Etiology (ISSUE-3). Heart 2013; 99(24): 1825–1831. 17. Aydin MA et al.: A standardized education protocol significantly reduces traumatic injuries and syncope recurrence: an observational study in 316 patients with vasovagal syncope. Europace 2012; 14(3): 410–415. 18. Dockx K et al.: Physical manoeuvers as a preventive intervention to manage vasovagal syncope: a systematic review. PLoS One 2019; 14(2): e0212012. 19. Schleifer JW, Shen WK: Vasovagal syncope: an update on the latest pharmacological therapies. Expert Opin Pharmacother 2015; 16(4): 501–513. 20. Brignole M et al.: Pacemaker therapy in patients with neurally mediated syncope and documented asystole: Third International Study on Syncope of Uncertain Etiology (ISSUE-3): a randomized trial. Circulation 2012; 125(21): 2566–2571. 21. de Jong JSY et al.: Pacing in vasovagal syncope: a physiological paradox? Heart Rhythm 2020; 17(5 Pt A): 813–820. 22. Raviele A et al.: A randomized, double-blind, placebo-controlled study of permanent cardiac pacing for the treatment of recurrent tilt-induced vasovagal syncope. The vasovagal syncope and pacing trial (SYNPACE). Eur Heart J 2004; 25(19): 1741–1748. 23. Brignole M et al.: The benefit of pacemaker therapy in patients with neurally mediated syncope and documented asystole: a meta-analysis of implantable loop recorder studies. Europace 2018; 20(8): 1362–1366.
598
ARS MEDICI 19 | 2020