Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Wir Schweizer sind so. Wir waren’s schon als Kinder. Nach der Algebraprüfung oder dem Französischdiktat übertrumpften wir uns gegenseitig in Klagen, wie schlecht es gelaufen sei und wie wenig man gewusst habe. Aber man habe sich halt auch nicht vorbereitet. Keiner will gelernt haben. Am Ende landeten dann doch alle zwischen «gut» und «sehr gut».
sss
«Was leider oft vergessen geht: Das Gegenteil eines Fehlers ist oft wiederum ein Fehler.
sss
Alle wollen heute aufklären, aufrütteln und erziehen. Vor allem die Schriftsteller und die Journalisten. Ach, würden die einen doch einfach Geschichten erzählen und die andern bloss berichten, was geschah.
sss
Die «Lügenpresse» lügt nicht. Nicht wirklich. Gefühlt allerdings schon. Da helfen auch die obligatorischen «Faktenchecks» nicht. Wenn die Lügen nicht als falsche Fakten daherkommen, sondern in Form von disqualifizierender Sprache, lassen sie sich nur mehr schwer erkennen und benennen. Schon gar nicht von sprachungewandten Lesern und Hörern. Die fühlen nur, dass da etwas gegen sie inszeniert wird und verheddern sich im verzweifelten, schrillen Vorwurf: «Lügenpresse»! Sie spüren, dass «rechte Mobs werfen Steine» und «bei linken Protesten fliegen Steine» (wie von selbst) nicht das Gleiche sind. Spüren den Missbrauch der Sprache als Waffe gegen ideologisch Unliebsame. Eine perfide Waffe, denn sie richtet sich gegen jene einfachen Leute, die sich mit der gleichen Waffe schlecht wehren können und dann erst noch herablas-
send selber als Lügner hingestellt werden.
sss
Apropos Bedeutung von Sprache: Kennen Sie Cambozola? Ja, den Käse. Eine Mischung aus Camembert und Gorgonzola. Man hätte den Käse auch Gorgobert nennen können, aber vermutlich hätte ihn dann niemand gegessen.
sss
Wissenschaft kennt keine todsicheren Fakten. Wissenschaft kennt Thesen (oder Hypothesen). Und die müssen falsifizierbar sein. Denn die Falsifizierbarkeit einer These (will heissen: die Möglichkeit, sie mit neuen Fakten zu widerlegen) ist Voraussetzung dafür, dass sie als wissenschaftlich gelten kann. Wer die Falsifizierbarkeit bereits im Kopf verhindert – indem er Fakten zu Glaubenssätzen erhebt oder Meinungen zu Fakten erklärt, so wie Coronaleugner oder Klimaalarmisten, betreibt ein unwissenschaftliches, stattdessen politisches Geschäft. Das Gleiche gilt allerdings auch für Coronaalarmisten und Klimaleugner.
sss
Manches hält man in der Schweiz kaum für möglich. Da will eine Gruppe von Leuten – man mag sie altmodisch nennen oder frauenfeindlich und sie belächeln, weil sie sich dagegen wehren, dass ungeborene Kinder getötet werden (dürfen): Abtreibungsgegner halt – einen «Marsch fürs Läbe» durchführen. Zunächst im rot-grünen Zürich, wo ihre Demo verboten wird. Als tolerantere Alternative wird ein Kongresszentrum in Winterthur gebucht. Alles paletti? Leider nicht, denn nun drohen Linksextreme – nicht den Abtreibungsgegnern selber, sondern dem Kongresszentrum – mit Gewalt und Sachbeschädigung.
Und siehe da: Obschon die Polizei den Schutz des «Marsches» garantierte, wird die Gruppe ausgeladen. Was gewiss als nachhaltiges Zeichen wahrgenommen werden wird von denen, die mit Gewalt drohen. Ein Signal von nicht zu übertreffender Feigheit und Kuscherei vor Politkriminellen, die eine freiheitliche Ideologie vortäuschen, in Wirklichkeit aber freie Meinung abwürgen. Wenn das Schule macht – und es macht Schule! –, dann sollten wir uns hüten, je wieder altmodische osteuropäische Diktatoren (manche in demokratischen Gewändern) zu kritisieren. Man muss die Meinung von Abtreibungsgegnern nicht teilen, aber sie führen nichts Böses im Schild, sie haben sich bloss einen Schutzauftrag gegeben. Was linker Meinungsterror hier – offenbar erfolgreich – provoziert, ist der GAU (grösste auszudenkende Umfaller). Ein Skandal.
sss
Demokratie muss alle aushalten, die nicht zu Waffen greifen. Sollte man meinen. In manchen Ländern, vor allem deutschsprachigen, und für manche Moralpolitiker reichen allerdings bereits ein zu grosses Auto, ein zu billiges Schnitzel, die Verweigerung von Gendergrammatik, 24° Celsius in der Stube, Sorgen über die sozialen, religiösen und finanziellen Folgen von zu viel Zuwanderung, die Nichtteilnahme an BLM-Demos oder die Frage «Was ist LGBTIQ?» für einen mit demokratischer Duldung nicht vereinbaren Faschismus- oder Rassismusverdacht.
sss
Und das meint Walti: Man hat mir vorgeworfen, ich jammere auf hohem Niveau. Nun, was soll ich sagen? Das ist das Niveau, auf dem ich lebe.
Richard Altorfer
568
ARS MEDICI 19 | 2020