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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Geriatrie
Rückgang der Hüftfrakturen um mehr als 60 Prozent
Von 1970 bis 2010 ist die Inzidenz von Hüftfrakturen in der US-amerikanischen Framingham-Kohorte um mehr als 60 Prozent gesunken. Dafür dürfte in erster Linie ein gesünderer Lebensstil verantwortlich sein, schreiben Dr. Timothy Bhattacharyya, NIH Bethesda, USA, und sein Team in der Zeitschrift «JAMA Internal Medicine». Die Framingham-Studie begann mit dem Ziel der Erforschung kardiovaskulärer Erkrankungen mit einer ersten Kohorte von 30- bis 60-Jährigen, die von 1948 bis 1952 aufgenommen wurden. Sie wird seitdem mit weiteren Kohorten und der Erforschung weiterer Erkrankungen fortgesetzt. Die zweite Generation der Framingham-Kohorte, die sogenannte Offspring-Kohorte, startete 1971, die mittlerweile dritte Generation 2016. In der vorliegenden Studie wurden Daten der ersten und zweiten Generation einbezogen. Altersbereinigt sank die Inzidenz von Hüftfrakturen von 1970 bis 2010 um 4,4 Prozent pro Jahr
(95%-Konfidenzintervall: 6,8–1,9%) oder – über den gesamten Zeitraum hinweg betrachtet, um mehr als 60 Prozent. Wer Anfang der 1950er-Jahre mit 30 bis 60 Jahren in die Kohorte aufgenommen wurde, hatte im Alter von 85 bis 89 Jahren ein fast dreimal höheres Risiko für Hüftfrakturen als später geborene 85- bis 89-Jährige, die Anfang der 1970er-Jahre in die Offspring-Kohorte eingetreten waren: Pro Jahr erlitten 20 von 1000 Teilnehmern der ersten Kohorte eine Hüftfraktur, in der Offspring-Kohorte waren es nur 7 bis 8 pro 1000. Die Ursache für den Rückgang der Hüftfrakturen sei weniger auf die neueren Therapiemöglichkeiten als vielmehr auf einen gesünderen Lebensstil zurückzuführen. So betrage der risikomindernde Einfluss der Bisphosphonate bestenfalls 4,8 Prozent, also deutlich weniger als der beobachtete Rückgang der Hüftfrakturen von 67 Prozent. Dies spreche nicht gegen die erwiesene Wirk-
samkeit dieser Medikamente, aber sie
wurden nur von sehr wenigen Personen
in der Kohorte genommen und könnten
somit nicht der wichtigste Grund für die
positive Entwicklung sein, so die Stu-
dienautoren.
Als wesentliche Gründe für den Rück-
gang der Hüftfrakturen sehen sie den
Rückgang des starken Alkoholkonsums
(≥ 3 Drinks pro Tag) und den Rückgang
des Rauchens. Der Anteil der Personen,
die mindestens 3 alkoholische Drinks
pro Tag konsumierten, sank in 40 Jah-
ren von 7 auf 4,5 Prozent und der Anteil
der Raucher von 38 auf 15 Prozent,
während die Prävalenz anderer Risiko-
faktoren, wie beispielsweise eine frühe
Menopause (< 45 Jahre) oder Unterge- wicht, relativ stabil war. RBO s Swayambunathan J et al.: Incidence of hip fracture over 4 decades in the Framingham Heart Study. JAMA Intern Med 2020; published online July 27, 2020. Epilepsie Wer Auto fahren darf, kann auch Waffen besitzen Foto: Sebastian Pociecha, Unsplash Die Schweizerische Epilepsie-Liga empfiehlt, dass Epilepsiepatienten, die Auto fahren dürfen, auch eine Feuerwaffe erwerben, besitzen und verwenden können, sofern keine anderen Hinderungsgründe dagegen sprechen. In der Regel sei das nach einem Jahr ohne epileptische Anfälle der Fall. Jeder Einzelfall sei von den zuständigen Behörden indivi- duell zu prüfen. Nach Auftreten eines Anfalls sollten Waffenbesitzer den Umgang mit Waffen sofort einstellen und einen Neurologen konsultieren – das gelte auch bei einem erstmaligen Anfall. Behandelnde Ärzte sollten ihre Patienten entsprechend informieren; gemäss Waffengesetz haben sie, falls nötig, trotz ärztlicher Schweigepflicht ein Melderecht. Die Schweizerische Epilepsie-Liga hat in Zusammenarbeit mit Behördenvertretern ein Merkblatt erarbeitet, das behandelnde Ärzte, die zuständigen Institutionen sowie die Betroffenen dabei unterstützen soll, die Eignung eines Epilepsiepatienten hinsichtlich des Waffenbesitzes zu beurteilen. «Mit unserem Merkblatt plädieren wir für ein einheitliches Vorgehen in der Schweiz», so Prof. Dr. Stephan Rüegg, Past-Präsident der Epilepsie-Liga. Man wolle damit Gefahren minimieren, es aber auch Epilepsiebetroffenen grundsätzlich ermöglichen, sich im Schiesssport zu engagieren, zu jagen oder Waffen zu sammeln. Gemäss Schweizer Waffengesetz sollten Waffenbesitzer nicht «zur Annahme Anlass geben, dass sie sich selbst oder Dritte mit der Waffe gefährden könnten». Beim Entscheid, ob eine solche Gefährdung vorliegt oder nicht, haben die kantonalen Behörden einen grossen Ermessensspielraum. Link zum Merkblatt: https://www.rosenfluh.ch/qr/waffen RBO s Medienmitteilung der Schweizerischen EpilepsieLiga vom 13. August 2020. 494 ARS MEDICI 17 | 2020 Forschung Wundverband mit antibakteriellem Peptid Rückspiegel An der Eidgenössischen Material- und Forschungsanstalt (Empa) wird ein neuartiger Wundverband mit antibakteriellen Eigenschaften entwickelt. In ersten Versuchen habe sich das neue Material als hautfreundlich und bakterizid erwiesen, heisst es in einer Medienmitteilung der Empa. Das Team um Katharina Maniura vom Biointerfaces-Labor in St. Gallen stellt dafür feine Membranen aus Zellulosenanofasern mithilfe eines starken elektrischen Feldes her (sog. electrospinning). Die Zellulosefasern haben einen Durchmesser unter 1 µm. Sie werden unter Zusatz von Polyurethan in mehreren Schich- ten zu einem zarten, aber flexiblen dreidimen- sionalen Gewebe gesponnen, und das Gewebe wird mit antibakteriell wirksamen Peptiden angereichert. In Bakterienkulturen wurden so gut wie alle Keime durch die peptidhaltigen Membranen abgetötet. Denkbar sei auch, die Membranen mit anderen therapeutischen Wirkstoffen zu koppeln. RBO/EMPA s Medienmitteilung der Empa vom 11. August 2020 auf idw-online. Weishaupt R et al.: Antibacterial, cytocompatible, sustainably sourced: Cellulose membranes with bifunctional peptides for advanced wound dressings. Adv Healthc Mater 2020; 9(7): e1901850. Ernährung Heutiger Weizen enthält nicht mehr Gluten als vor 120 Jahren In den letzten Jahren sind die Prävalenzen von Zöliakie und Weizenallergie gestiegen. Auch eine Gluten- oder Weizensensitivität wird häufiger diagnostiziert als früher. Häufig ist zu hören, dass moderne Weizenzüchtungen mehr immunreaktives Protein enthielten als ältere Weizensorten. Doch das ist offenbar ein moderner Mythos. Ein Team um Prof. Katharina Scherf an der TU München hat nun den Proteingehalt von 60 bevorzugten Weizensorten aus der Zeit zwischen 1891 und 2010 untersucht. Sie griffen dafür auf das Saatgutarchiv des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben zurück und wählten für jedes Jahrzehnt der betrachteten 120 Jahre jeweils 5 führende Weizensorten aus. Um vergleichbare Proben zu generieren, bauten sie die verschiedenen Sorten in den Jahren 2015, 2016 und 2017 unter jeweils gleichen geografischen und klimatischen Bedingungen an. Weizenkörner bestehen zu etwa 70 Prozent aus Stärke. Ihr Proteinanteil liegt in der Regel bei 10 bis 12 Prozent, das meiste davon ist Gluten. Gluten ist ein Proteingemisch aus Gluteninen und Gliadinen, wobei vor allem Letztere für ungewünschte Immunreaktionen verantwortlich sein sollen. Wie Analysen des Wissenschaftlerteams zeigen, blieb der Glutengehalt über die letzten 120 Jahre konstant, wobei sich die Zusam- mensetzung des Glutens jedoch leicht verän- derte. Während der Anteil der immunolo- gisch bedenklichen Gliadine um rund 18 Prozent sank, stieg im Verhältnis der Ge- halt der Glutenine um etwa 25 Prozent an. Darüber hinaus beobachtete man, dass mit einer höheren Niederschlagsmenge im Ernte- jahr auch ein höherer Glutengehalt des Wei- zens einherging. Insgesamt hatten Umweltbedingungen wie die Niederschlagsmenge einen grösseren Ein- fluss auf die Proteinzusammensetzung als Züchtungsunterschiede. Auch habe man keine Hinweise darauf gefunden, dass sich das immunreaktive Potenzial des Weizens durch die züchterischen Massnahmen verän- dert habe, so Scherf. Allerdings seien auch noch nicht alle im Weizen enthaltenen Pro- teine im Hinblick auf ihre physiologischen Effekte untersucht. RBO s Medienmitteilung des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie, TU München, vom 11. August 2020 auf idw-online. Pronin D et al.: Wheat (Triticum aestivum L.) breeding from 1891 to 2010 contributed to increasing yield and glutenin contents but decreasing protein and gliadin contents. J Agric Food Chem 2020; published online ahead of print July 24, 2020. ARS MEDICI 17 | 2020 Vor 10 Jahren CAR-T-Zell-Therapie In den USA werden einem Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie (CLL) erstmals gentechnisch modizifierte, autologeT-Lymphozyten infundiert. An dem Projekt unter der Leitung des Immunologen Carl June sind die Universität von Pennsylvania und das Children’s Hospital in Philadelphia beteiligt. CAR steht für «chimeric antigen receptor». CAR-T-Lymphozyten sind gentechnisch modifizierte zytotoxische T-Zellen, die diesen chimären Antigenrezeptor tragen und über das Oberflächenprotein CD19 Leukämiezellen (und B-Lymphozyten) binden und diese abtöten. Vor 50 Jahren Super-8-Ärztefortbildung Ein Tochterunternehmen des Axel-SpringerVerlags, Berlin, produziert erstmals Fortbildungsfilme für Ärzte, die durch Pharmawerbung finanziert werden. Fachlich betreut wird das Projekt durch einen Beirat, dem unter anderem der Präsident und der Vizepräsident der deutschen Ärztekammer angehören. Technisch setzt man auf ein System mit Super-8Filmkassetten plus separaten Tonkassetten, die mit einem speziellen Abspielgerät synchronisiert wiedergegeben und auch auf dem TV-Gerät angeschaut werden können. Vor 100 Jahren Patient hört mit Für kleine Eingriffe in der Praxis wird Chlormethan Tropfen für Tropfen auf einen Mund und Nase bedeckenden Stoff geträufelt. Erwache der Patient vorzeitig, solle man sich davor hüten «durch Nachschütten grosser Dosen Bewusstlosigkeit erzwingen zu wollen», berichtet man in ARS MEDICI.Vielmehr solle man den Patienten erwachen lassen und ihn erneut narkotisieren. Angst vor dem Bekanntwerden der Narkosepanne brauche man nicht zu haben, denn «wegen des raschen Eintritts der Betäubung plaudert der Patient nichts aus». In Acht nehmen solle man sich aber bei Gesprächen während des Eingriffs, weil das Gehör des Patienten bei der Narkose zuletzt schwindet und zuerst wiederkehrt. RBO s