Transkript
SUMMER SCHOOL
Gynäkologie
Typische Symptome – aber sind es wirklich nur die Wechseljahre?
Die Anamnese der 50-jährigen Patientin legt den Verdacht auf eine hormonelle Ursache ihrer Beschwerden nahe. Eine entsprechende Behandlung führt leider nicht zur gewünschten Besserung. Manchmal verstellt das Offensichtliche den Blick auf begleitende Probleme ...
pract. med. Fabian Kraxner
Die 50-jährige verheiratete Geschäftsfrau meldet sich beim Hausarzt wegen erhöhter Erschöpfbarkeit, Appetitlosigkeit sowie Kopfschmerzen. Ausserdem könne sie nicht mehr gut ein- und durchschlafen. In der Anamnese wird präzisiert, dass die Regelblutung seit Monaten kürzer und seltener geworden ist. Sie diagnostizieren ein Klimakterium mit mittelschwerer Symptomatik, klären über die Vor- und Nachteile einer Hormonsubstitution mit Östrogen auf. Schliesslich entscheidet sich die Patientin für ein pflanzliches Präparat. Sie verschreiben ein Traubensilberkerzenextrakt. Ist der Fall gelöst? Einige Tage später meldet sich der Ehemann bei Ihnen. Er berichtet, dass seine Frau wirre Inhalte von sich gebe. Sie würde sich derzeit im Zimmer einschliessen. Sie sage, dass die Polizei sie suche und alle anderen Räume im Haus überwacht würden. Ausserdem habe eine männliche Stimme ihr gesagt, die Polizei würde sie schon finden. Letztlich musste die Patientin per fürsorgerischer Unterbringung eingewiesen werden und erhielt eine neuroleptische Medikation. Nach wenigen Wochen konnte sie die Klinik wieder verlassen.
Fazit
Viele Frauen leiden in der Perimenopause an einer Verschlechterung ihres psychischen Befindens mit erhöhter Stimmungslabilität, Reizbarkeit, Nervosität, Schlafstörungen und depressiver Verstimmung. Auch schwere Depressionen und Psychosen treten in dieser Lebensphase vermehrt auf. Die Ursachen bleiben divers. Gehäuft führen das Absinken des Östrogenspiegels sowie vielfältige psychosoziale und körperliche Veränderungen zu psychischen Beschwerden. In diesem Fallbeispiel sind der Realitätsbezug, die Einsicht und die Fähigkeit zur Bewältigung des Alltags so weit gestört, dass die Frau den üblichen Lebensanforderungen nicht genügen kann. Generell: Wann darf der Hausarzt sich mit einer Diagnose, die scheinbar die Beschwerden erklärt, zufriedengeben, und wann sollte er weiterforschen? Diese Frage lässt sich leider nicht pauschal beantworten, aber wir sollten unsere Patienten öfter einmal fragen: Welche Ursache vermuten Sie denn? s
pract. med. Fabian Kraxner E-Mail: fabel@gmx.ch
ARS MEDICI 14–16 | 2020
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