Transkript
SUMMER SCHOOL
Gastroenterologie
Morbus-Crohn-Schub, Medikamentennebenwirkung oder etwas ganz anderes?
Manchmal kann die Vorgeschichte in die Irre führen und vom Naheliegenden ablenken. Bei Patienten mit verändertem Stuhlverhalten sollte immer auch das Dosisschema der oralen Medikation überprüft und eventuell angepasst werden.
Gerhard Rogler
Eine 59-jährige Patientin mit bekanntem Morbus Crohn stellt sich in der Sprechstunde vor, da sie Beschwerden hat wie bei einem akuten Schub ihrer Grunderkrankung. Sie berichtet über zunehmende Bauchschmerzen, häufige Diarrhöen, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und einen Gewichtsverlust von 4 kg. In der letzten Zeit sei zudem der Blutdruck schlecht einstellbar. Sie habe zurzeit einen Blutdruck von 185/100 mmHg trotz einer ausgebauten Medikation mit Bisoprolol 2,5 mg, Candesartan 16 mg und Amlodipin 5 mg.
Anamnese und klinische Befunde
Die körperliche Untersuchung der Patientin ist unauffällig. Ein Ultraschall des Abdomens erbringt keinen richtungsweisenden Befund. Zur Vorgeschichte der Patientin ist bekannt, dass 1993 der Morbus Crohn mit einem Befall des terminalen Ileums und des Kolons diagnostiziert wurde. Sie hat einen Sohn, der seit seinem 14. Lebensjahr ebenfalls an einem Morbus Crohn leidet. Der Morbus Crohn wurde initial mit Budesonid behandelt. 2009 trat eine entzündliche Striktur des terminalen
Ileums auf, sodass zusätzlich mit Azathioprin therapiert wurde. Daraufhin entwickelte die Patientin eine Pankreatitis. Da sie in der MRI-(Magnetresonanztomografie-)Bildgebung auch eine Sakroiliitis zeigte, wurde eine Therapie mit Infliximab 5 mg/kg Körpergewicht initiiert. Danach war die Patientin lange beschwerdefrei. Da 2011 ein Wirkverlust auftrat, wurde auf Adalimumab umgestellt. Unter dieser Therapie war die Patientin von 2011 bis 2016 in einer stabilen Remission. Wegen eines autonomen Adenoms der Schilddrüse erfolgte eine Thyreoidektomie im Jahr 2014. Eine Substitutionstherapie mit L-Thyroxin vertrug sie über die Jahre ohne Probleme. 2019 war der Morbus Crohn nun erneut vermehrt aktiv (Abbildungen 1a und 1b), was mit systemischen Steroiden behandelt wurde. Zum gleichen Zeitpunkt wurde eine Therapie mit Ustekinumab (Stelara®) begonnen. Die klinische Symptomatik der Patientin verbesserte sich daraufhin deutlich. Das Calprotectin als Marker für die intestinale Entzündung lag vor der Therapieumstellung bei einem Wert von 374 µg/g Faeces (Abbildung 2a). Nach 2 Monaten
Abbildung 1a: Endoskopischer Befund 1b: Sonografischer Befund vor Therapie-
(Aufhebung der Gefässzeichnung, ge- wechsel (Darmwandverdickung auf
schwollene Mukosa und fibrinbelegte 4,2 mm [normal < 2 mm] über eine Ulzera) Länge von 5,2 cm) 1c: Sonografischer Befund bei aktueller Vorstellung: Darmwand 1,7 bzw. 2,3 mm, damit im Normbereich, normale 3-Schichtung (Abbildungen: Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universität Zürich) 436 ARS MEDICI 14–16 | 2020 SUMMER SCHOOL Abbildung 2a: Labor vor der Therapieumstellung (Schub des M. Crohn): CRP, Calprotectin und TSH jeweils deutlich erhöht 2b: Labor bei Vorstellung: CRP und Calprotectin im Norm bereich, TSH stark supprimiert (Abbildungen: Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universität Zürich) war das Calprotectin im Normbereich (34 µg/g Faeces) (Abbildung 2b). Das C-reaktive Protein (CRP) war vor Beginn der Therapie mit Ustekinumab mit 15 mg/l klar erhöht (Abbildung 2a). Es normalisierte sich innerhalb von 6 Wochen und lag ebenfalls im Normbereich (Abbildung 2b). Sämtliche anderen Laborparameter lagen zu Beginn der Therapie im Normbereich. Das thyreoideastimulierende Hormon (TSH) war damals mit 6,8 mU/l erhöht, sodass die Thyroxinsubstitutionstherapie adaptiert wurde. Bereits 2 Monate vor der aktuellen Vorstellung hatte sich die Patientin in einem regionalen Spital vorgestellt, da sich ihre Situation klinisch bereits verschlechterte. Sie berichtete damals schon über zunehmende Bauchschmerzen, zunehmende Durchfälle, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Gelenkschmerzen, Durchschlafstörungen und einen Blutdruck von 190/110 mmHg. Kurz vor der aktuellen Vorstellung traten zudem subfebrile Temperaturen, Halsschmerzen und Haarverlust auf. Die Zuweisung erfolgte unter der Vorstellung einer erneuten Aktivität des Morbus Crohn oder einer ungewöhnlichen Nebenwirkung von Ustekinumab. Wegen der subfebrilen Temperaturen dachte man auch an eine opportunistische Infektion unter der immunsuppressiven Therapie. Wie oben erwähnt, war die körperliche Untersuchung unauffällig. Im Ultraschall wurde keine Entzündung des terminalen Ileums nachgewiesen (Abbildung 1c). Das Calprotectin als Marker für die intestinale Entzündung lag mit 38 µg/g Stuhl im Normbereich (Abbildung 2b). Das CRP war mit 1,7 mg/l ebenfalls im Normbereich. Allerdings war das gleichzeitig bestimmte TSH basal mit 0,08 mU/l an der Nachweisgrenze (Abbildung 2b). Welche Diagnose ergibt sich also aus den genannten Befunden? Die Patientin stellte sich offensichtlich weder mit einem akuten Schub des Morbus Crohn vor noch mit einer Therapienebenwirkung oder einer opportunistischen Infektion, sondern litt an dem Vollbild einer medikamentös induzierten Hyperthyreose durch Übersubstitution. Jede länger dauernde Diarrhö kann die Resorption oraler Medikamente oder die Aufnahme von Nahrungsmolekülen reduzieren (1). Auch wenn Durchfälle beispielsweise durch einen Lipasehemmer induziert werden, ändert sich die Thyroxinabsorption (2). Für orale Kontrazeptiva ist das natürlich am besten bekannt. Die Resorption einer oralen Medikation wird aber auch durch Durchfälle bei einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung eingeschränkt. Das war der Fall, als die Patientin vor Beginn der Ustekinumabtherapie an einer hohen Aktivität des Morbus Crohn litt. Da das TSH basal erhöht war und die Patientin über Abgeschlagenheit klagte (die allerdings vermutlich auf die Crohn-Aktivität zurückzuführen war), wurde die orale Schilddrüsenhormonsubstitution gesteigert. Die Patientin hatte jedoch sehr gut auf die neue Therapie des Morbus Crohn angesprochen. Die Durchfälle reduzierten sich, es kam zu einer besseren Resorption der oralen Medikation. Das führte dann zu einer Übersubstitution mit L-Thyroxin. Fazit Auch bei einer aktiven Colitis ulcerosa kann sich die Resorption von Medikamenten im Dünndarm vermindern. Die Dünndarmpassagezeit ist auch bei einer reinen Colitis be- 438 ARS MEDICI 14–16 | 2020 SUMMER SCHOOL schleunigt, was sich auf die Resorption von Medikamenten und Nahrungsbestandteilen auswirkt (1). Deshalb kommt es auch bei Patienten mit Colitis ulcerosa während der aktiven Phase zu Vitamin-D- oder Vitamin-B12-Mängeln, obwohl der Dünndarm gar nicht entzündet ist (3). Folglich ist es auch nicht sinnvoll, bei einer stark aktiven Colitis mit mehr als 10 Stuhlgängen pro Tag orale Steroide zu geben. Diese können nicht wirken, da sie ungenügend resorbiert werden. Ein Morbus Crohn mit Entzündung des Ileums verursacht ebenfalls eine Einschränkung der Resorptionsfähigkeit des Dünndarms (4). Wenn sich nun bei erfolgreicher Therapie die Entzündung und die Resorption bessern, müssen oral verabreichte Medikamente gegebenenfalls in ihrer Dosierung angepasst werden. Take Home Message Bei deutlichen Veränderungen des Stuhlverhaltens wie Auf- treten oder Sistieren chronischer Durchfälle sollte immer auch über eine Dosisanpassung der oralen Medikation nach- gedacht werden. s Referenzen: 1. Roy SK et al.: Persistent diarrhea: total gut transit time and its relation- ship with nutrient absorption and clinical response. J Pediatr Gastroenterol Nutr 1991; 13: 409–414. 2. Filippatos TD et al.: Orlistat-associated adverse effects and drug interactions: a critical review. Drug Saf 2008; 31: 53–65. 3. Madanchi M (Swiss IBD Cohort Study Group) et al.: The relevance of vitamin and iron deficiency in patients with inflammatory bowel diseases in patients of the Swiss IBD Cohort. Inflamm Bowel Dis 2018; 24: 1768–1779. 4. Stillhart C et al.: Impact of gastrointestinal physiology on drug absorption in special populations–an UNGAP review. Eur J Pharm Sci 2020; 147: 105280. Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich E-mail: gerhard.rogler@usz.ch Interessenlage: Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Fallbericht bestehen. ARS MEDICI 14–16 | 2020 439