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ZERTIFIZIERTEFFOORRTTBBIILLDUNG
Aus der Diabetologie
Antidiabetika richtig eingesetzt
Fotos: KD
Bei Diabetes kann durch geeignete Medikamente das Risiko kardiovaskulärer Komorbiditäten signifikant gesenkt werden. Wichtig dabei ist jedoch die Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen der Patienten. Diabetologe Dr. Fabian Meienberg vom Kantonsspital Baselland und Diabetes-Fachberaterin Regina Amiet von der Diabetesberatung Kantonsspital Baselland brachten an der Acamed-Fortbildung für Hausärzte in Pratteln die Zuhörer auf den neuesten Wissensstand.
Dr. Fabian Meienberg
«Die Diabetologie ist anspruchsvoller, aber auch spannender geworden. Wir müssen heute nicht nur den Fokus auf die Reduktion des HbA1c-Wertes legen, sondern basierend auf spezifischen Informationen zum Diabetespatienten auch auf eine ganze Reihe anderer Parameter», erklärte Meienberg. So sei mit der Ende 2015 erschienenen EMPA-REG-Studie «vieles auf den Kopf gestellt» worden, wie man heute, ein paar Jahre später, wisse.
Rasche Reduktion des kardiovaskulären Risikos
In der Studie mit mehr als 7000 Teilnehmern wurde erstmals der Nachweis erbracht, dass ein Antidiabetikum (Empagliflozin) bei Risikopatienten mit Typ-2-Diabetes die Inzidenz
Nebenwirkungen der neuen Antidiabetika
DPP-4-Hemmer s schon lange im Einsatz (seit 2006 zugelassen) s gute Verträglichkeit, wenige Nebenwirkungen s Vorsicht mit Saxagliptin und Alogliptin bei Herzinsuffizienz s bei Pankreatitis kontraindiziert
GLP-1-Agonisten s schon lange im Einsatz (seit 2005) s akute Nebenwirkungen meist vorübergehend (Nausea, Übelkeit,
Erbrechen …) s bei Pankreatitis kontraindiziert s Retinopathieprogression bei vorbestehender diabetischer Retino-
pathie (Augenarzt konsultieren)
SGLT2-Hemmer s bedeutendste Nebenwirkung: Candidiasis (ca. 10%), Harnwegs-
infekte möglich s leichte Dehydration und dadurch Hypotonie und kurzfristige
Einschränkung der Nierenfunktion s Ketoazidose (Vorsicht bei schlanken Diabetikern) s noch keine Langzeitdaten! s Hinweise darauf, dass Osteoporose mit Frakturen ein Problem
werden könnte s eine Studie: Amputationsrisiko erhöht
kardiovaskulärer Komplikationen einschliesslich tödlicher Ereignisse im Vergleich zur Standardbehandlung signifikant verringert (1). Das Risiko für den primären Studienendpunkt (Herztod, Herzinfarkt und Schlaganfall) wurde um 14 Prozent reduziert (Inzidenz: 10,5 vs. 12,1%). Auch die Gesamtsterberate konnte um 32 Prozent (NNT über 3 Jahre: 39) und die herzinsuffizienzbedingte Hospitalisationsrate um 35 Prozent gesenkt werden. Solche Ergebnisse seien nach den Worten von Meienberg im kardiovaskulären Bereich «schon ein Wort». Vor allem die sehr rasche Risikoreduktion sei eine «kleine Sensation», so der Experte. Die Studie geht letztlich auf die sogenannte Rosiglitazon-Kontroverse im Jahr 2007 zurück, nach der die amerikanische FDA für die Evaluation der Sicherheit neuer Typ-2-Diabetes-Medikamente verpflichtende kardiovaskuläre «outcometrials» eingeführt hatte. Mittlerweile haben zwei weitere SGLT2-Hemmer (Canagliflozin und Dapagliflozin) diese Effekte mehr oder weniger bestätigt, während bei den DPP-4Hemmern ein solcher Effekt nicht gezeigt werden konnte. Bei den GLP-1-Analoga hat sich ebenfalls ein protektiver Effekt hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse gezeigt, allerdings hat diese Substanzklasse keinen positiven Effekt auf den Verlauf einer Herzinsuffizienz, erklärte der Diabetologe (siehe Tabelle). Warum SGLT2-Hemmer die kardiovaskuläre Mortalität so rasch senken können, ist letztlich unbekannt. Zwar wurden auch der HbA1c-Wert und der Blutdruck im Vergleich zur Standardbehandlung reduziert, aber diese Effekte seien wahrscheinlich zu schwach, um die Outcomes tatsächlich zu erklären (2). Die für Meienberg wahrscheinlichste, aber immer noch spekulative Erklärung: Durch die SGLT2-Hemmer wird die «Insulinresistenz respektiert» und die überschüssige Glukose im Blut nicht in die Körperzellen verschoben, sondern über den Urin ausgeschieden, was sich möglicherweise auf gewisse Gewebe protektiv auswirkt. GLP-1-Analoga lösen dieses Problem über die Appetithemmung, wodurch eine grosse Menge an Glukose gar nicht mehr ins System gelangt. DPP-4Hemmer und Sulfonylharnstoffe würden hingegen den Blutzucker senken, indem die Glukose in die Zellen verschoben wird, was möglicherweise eine Organdysfunktion begünstigt.
Substanzklasse den individuellen Gegebenheiten anpassen
Die Hauptstütze der Diabetestherapie ist nach wie vor Metformin. Durch die langjährige Erfahrung stehe dieser Wirk-
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stoff, neben der Veränderung des Lebensstils, immer noch an erster Stelle der therapeutischen Massnahmen. Liegen kardiovaskuläre Erkrankungen vor, seien SGLT2-Hemmer und GLP-1-Analoga die Mittel der Wahl, so Meienberg. Ist eine Herzinsuffizienz mit im Spiel, sei der SGLT2-Hemmer vorzuziehen. Zwar können dabei leichte Verschlechterungen der Nierenfunktion akut auftreten, langfristig zeigen die Studien jedoch protektive Effekte. Auch bei Metformin gebe es bis zu einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) 45 keine Einschränkungen, unter GFR 30 sollte man damit jedoch nicht mehr behandeln. Auch bei herzinsuffizienten Patienten sei Vorsicht geboten, so Meienberg. Hingegen könne man mit gewissen DPP-4-Hemmern unter Dosisanpassung auch bei Niereninsuffizienz bis zur Dialyse behandeln. Dabei zeichnet sich vor allem Linagliptin aus, da es bei Niereninsuffizienz in der Dosierung nicht angepasst werden muss. Auch das GLP-1-Analogon Semaglutide kann bei schwerster Niereninsuffizienz gegeben werden, was ein nicht zu unterschätzender Vorteil sei, so der Spezialist. Hingegen sind SGLT2-Hemmer nur bei GFR über 45 zugelassen, da bei schwächer werdender GFR die blutzuckersenkende Wirkung stark nachlässt. Natürlich kann auch mit Insulin bis zur Dialyse weiter behandelt werden. Hinsichtlich des BMI sind GLP-1-Analoga klar im Vorteil. Allerdings ist die Wirkung auf das Körpergewicht sehr variabel, so die Erfahrung des Baselbieter Diabetologen. Bei manchen Patienten passiere nichts, andere reduzieren ihr Körpergewicht unter dieser Substanzklasse um zehn Kilogramm.
Sinnvolle Kombinationen
Gut zu kombinieren sind Metformin mit SGLT2-Hemmern respektive DPP-4-Hemmern und Basisinsulinen. Nicht bezahlt wird derzeit die Kombination von SGLT2-Hemmern mit GLP-1-Analoga. Bei schlanken Patienten sollten gewichtsreduzierende Substanzen (SGLT2-Hemmer, GLP-1-Analoga)
nur zurückhaltend und unter enger Beobachtung des Körpergewichts eingesetzt werden. Diese Patienten profitieren häufig sehr gut von einem Basisinsulin. Wenn ein Basisinsulin nicht ausreicht, kommen Bolusinsuline zum Zug.
Messung des Gewebezuckers
Auch die Glukosemessung hat sich in den vergangenen fünf Jahren enorm verändert. «Wir kommen immer mehr weg von der traditionellen Blutzuckermessung hin zur Bestimmung der Gewebeglukose mittels Sensortechnik», erklärte die Diabetes-Fachberaterin Re- Regina Amiet gina Amiet von der Diabetesberatung Kantonsspital Baselland. Dieser Sensor wird am Oberarm oder am Abdomen angelegt, misst den Zucker im Fettgewebe und übermittelt die Daten auf ein Lesegerät. Dabei kommt es im Vergleich zum Blutzucker zu einer zeitlichen Verzögerung des Gewebezuckerspiegels von 12 bis 15 Minuten. Je instabiler der Blutzucker ist, desto grösser der Rückstand des Gewebezuckers. Daher dürfe man in manchen Situationen dem Sensor nicht trauen, weshalb sich im Zweifelsfall eine zusätzliche kapilläre Blutzuckermessung empfehle, so Amiet. Über einen «Trendpfeil» wird angezeigt, ob der Gewebezucker ansteigt oder abfällt, was einer Warnung entspreche und sehr sinnvoll sei. In der Schweiz existieren momentan zwei Systeme: Das «Continuous Glucose Monitoring System» (CGMS) und das «Flash Glucose Monitoring» (FGM). Beim CGMS werden alle Messwerte kontinuierlich erfasst und über einen Transmitter sofort auf ein kompatibles Mobilgerät übertragen. Zudem ist eine Alarmfunktion (z.B. Hypoalarm) programmierbar und eine Überwachung durch Angehörige möglich.
Tabelle:
Neue Antidiabetika – kardiovaskuläre Outcome-Studien
Substanzklasse Studie
Substanz
SGLT2-Hemmer EMPA-REG Empagliflozin
OUTCOME
CANVAS
Canagliflozin
GLP-1-Analoga
DECLARE ELIXA
Dapagliflozin Lixisenatide
LEADER
Liraglutide
SUSTAIN
Semaglutide
EXSCEL
Exenatid
REWIND DPP-4-Hemmer SAVOR
Dulaglutide Saxagliptin
EXAMINE
Alogliptin
TECOS
Sitagliptin
CARMELINA Linagliptin
* statistisch signifikant
Hazard-Ratio MACE
Mortalität
(major cardiovascular event)
0,86*
0,68*
Herzinsuffizienzbedingte Hospitalisierung
0,65*
0,86* 0,93 1,02 0,87* 0,74* 0,91 (p = 0,06) 0,88* 1,00 0,96 0,98 1,02
0,87 0,93 0,94 0,85* 1,05 0,86 0,90 1,11 0,88 1,01 0,98
0,67* 0,73* 0,96 0,87 1,11 0,94 0,93 1,27* 1,19* 1,00 0,90
Quelle: Dr. F. Meienberg, Acamed 2019, adaptiert 2020
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Derzeit existieren in der Schweiz drei CGMS-Systeme (Medtronic, Dexcom, Roche) und ein FGM-System von Abbott. Da solche Geräte zwischen 1800 (FGM) und 4600 Franken (CGMS) pro Jahr kosten und somit nicht ganz billig sind, ist das Einholen einer Kostengutsprache durch den Facharzt erforderlich. Das Guardian Connect System von Medtronic kann mit einer Insulinpumpe gekoppelt werden. Dabei werden die Gewebezuckerwerte auf die Insulinpumpe übertragen. Besteht die Gefahr einer Hypoglykämie, schaltet sich die Pumpe ab. Beim Folgemodell kann die Pumpe die Basalrate automatisch anpassen. Auch «Dexcom G6» gehört zu den CGM-Systemen. Seine Sensortragedauer beträgt zehn Tage, der Transmitter ist drei Monate haltbar und eine Kalibrierung nicht notwendig. Bedingung für die Kostenübernahme ist ein insulinpflichtiger Diabetes mit intensivierter Insulintherapie – für Typ-1- und -2-Diabetiker, Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes, Patienten mit stark schwankenden Blutzuckerwerten (BrittleDiabetes), einem HbA1c über 8 Prozent, bei Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen und bei häufigen nächtlichen Hypoglykämien.
Einfache Anwendung
Beim «Flash Glucose Monitoring» wie beispielsweise beim «Freestyle Libre» werden die Werte im Sensor gespeichert und mittels eines Lesegerätes oder Mobiltelefons auf ein Ablese-
gerät übertragen. Das Gute an diesem System sei die einfache Anwendung, so die Expertin. Es ist 14 Tage tragbar und benötigt keine Kalibrierung. Neu ist der Freestyle Libre auch mit einer Alarmfunktion erhältlich. Für diese System ist ein Rezept vom Facharzt ausreichend. s
Klaus Duffner
Wissenschaftliche Leitung: Dr. med. Fabian Meienberg Leitender Arzt Endokrinologie & Diabetologie Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Baselland Rheinstrasse 26 4410 Liestal E-Mail: fabian.meienberg@ksbl.ch
Quelle: «Neues aus der Diabetologie», Acamed-Fortbildungsveranstaltung des Kantonsspitals Baselland für Hausärztinnen und Hausärzte, 16.Mai 2019 in Pratteln. Adaptiert 2020.
Referenzen: 1. Zinman B et al.: Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality
in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2015; 373:2117–2128. 2. Nolan CJ et al.: Insulin resistance as a physiological defense against me-
tabolic stress: implications for the management of subsets of type 2 diabetes. Diabetes. 2015; 64: 673–686.
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