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EDITORIAL
Corona verleiht der Forschung Flügel
Der Schweizer Forschungsplatz erfährt seit dem Ausbruch der Coronapandemie einen regelrechen Forschungshype. Als Antwort auf die Sonderausschreibung Coronaviren des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) von Anfang März sind innerhalb von 20 Tagen 284 Projekte eingereicht worden. 96 Projekte befassen sich mit Viren und Infektionen, 35 mit der Immunantwort des Menschen, 40 mit der Verbreitung der Krankheit in der Bevölkerung. 19 untersuchen die Kommunikation und 60 die psychologischen, sozialen, rechtlichen und ökonomischen Konsequenzen der Krise. In 34 Projekten sollen Impfstoffe oder neue Heilmittel erforscht werden. Für jene Projekte, die vom SNF grünes Licht beziehungsweise Forschungsbeiträge erhalten haben, fiel der Startschuss im Juni.
Zusätzlich hat der SNF einen nationalen Forschungsschwerpunkt NFP 78 «Covid-19» ausgeschrieben, der thematisch gegliedert ist und in den Bereichen Grundlagen, Epidemiologie, Prävention, Medikamente und klinische Forschung neue Erkenntnisse liefern soll. Der Forschungsschwerpunkt ist mit 20 Millionen Franken ausgestattet und unterstützt die Projekte während zweier Jahre. Projektstart ist im August.
Ein Projekt, das vom SNF eine schnelle Starthilfe erhalten hat, ist die Beteiligung von 15 Schweizer Spitälern an der internationalen klinischen Studie zu Medikamenten gegen das neue Coronavirus. Die von der
WHO lancierte Studie untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit von potenziell antiviralen, bereits bekannten Medikamenten. Darunter sind Remdesivir, Chloroquin oder Hydroxychloroquin, Ritonavir/Lopinavir in Verbindung mit oder ohne Betainterferone. An der Studie nehmen bis zu 1000 hospitalisierte, an COVID-19 erkrankte Patienten teil, die zum Rekrutierungszeitpunkt noch nicht gegen COVID-19 behandelt wurden. Die Studie läuft ein Jahr und soll zuverlässige Daten über die Wirksamkeit dieser potenziell antiviralen Behandlungen generieren, die zurzeit «off-label» angewendet werden, solange keine Impfung zur Verfügung steht.
Eine gute Gesundheitsversorgung braucht auch sta-
bile Verhältnisse. Die Coronapandemie hatte nicht nur
auf die unmittelbare Gesundheit Einfluss, sie wirkte
sich, wie wir alle am eigenen Leib erfahren haben, auch
auf unser ganzes Leben in Gesellschaft, Arbeit und
Politik aus. Gewohnheiten im Handeln und Denken
wurden über den Haufen geworfen. Informationsflut,
Notrecht und Homeoffice stellten die ganze Gesell-
schaft vor neue Herausforderungen. Das ist nur eine
der Umwälzungen, die ein politisches System strapa-
zieren kann. Demokratische Regierungsführung in
turbulenten Zeiten ist das Thema des europäischen
NORFACE-Programms, bei dem auch die Schweiz mit
zwei SNF-geförderten Projekten mitmacht. Das eine
Projekt untersucht, ob der Wohnort (Stadt oder Land)
zu unterschiedlichen Überzeugungen der Menschen
beiträgt. Gemeint sind soziale Identität, Wahrneh-
mung von Ungerechtigkeit und Bedrohung sowie poli-
tische Einstellungen. Das zweite Projekt untersucht,
wie technische Veränderungen in der Arbeitswelt den
tiefgreifenden politischen Wandel beeinflussen und
wie die Politik der erwerbstätigen Bevölkerung und der
Gesellschaft helfen kann, mit der sich rasch verän-
dernden Wirtschaft und der zunehmenden Unsicher-
heit umzugehen. Insgesamt werden während der
nächsten drei Jahre 14 Projekte mit Forschern aus 16
europäischen Ländern Fakten zusammentragen, die
Anregungen dazu liefern, wie wir stabile Verhältnisse
bewahren können. Hoffentlich.
s
Valérie Herzog
Quelle: www.snf.ch
ARS MEDICI 13 | 2020
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