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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
COVID-19
FDA entzieht Genehmigung für Hydroxychloroquin und Chloroquin
Erst kürzlich erlaubte die WHO die Fortsetzung von Studien mit Hydroxychloroquin und Chloroquin bei COVID-19, nachdem zwei grosse Metaanalysen, die gegen den Gebrauch der beiden Substanzen gesprochen hatten, wegen unklarer Qualität der zugrunde liegenden Daten zurückgezogen worden waren (1, 2). Unabhängig davon hat die FDA am 15. Juni ihre Genehmigung, Hydroxychloroquin und Chloroquin bei COVID-19-Patienten ausserhalb von Studien einzusetzen, widerrufen (3). Die Genehmigung war Ende März er-
teilt worden, weil vorläufige Daten aus China für einen möglicherweise positiven Effekt sprachen. Mittlerweile sind jedoch mehrere Studien erschienen, die gegen den breiten Einsatz von Hydroxychloroquin oder Chloroquin bei COVID-19 sprechen. Dazu gehören nicht nur die oben genannten zurückgezogenen Beobachtungsstudien, sondern auch neue randomisierte Studien. So wurde beispielsweise der Hydroxychloroquin-Arm der RECOVERY-Studie am 5. Juni eingestellt, weil eine Zwischenauswertung ergeben hatte, dass die Patienten nicht davon profitierten (4). RECOVERY ist eine grosse plazebokontrollierte Studie mit mehr als 11 000 COVID-19-Patienten, die verschiedene Substanzen zusätzlich zur üblichen Behandlung erhalten: Lopinavir-Ritonavir, Dexamethason, Azithromycin, Tocilizumab, Plasma von genesenen COVID-19-Patienten oder das jetzt gestoppte Hydroxychloroquin. Auch als Postexpositionsprophylaxe scheint Hydroxychloroquin nicht zu taugen. In einer randomisierten Studie mit 821 Personen, die riskanten Kontakt mit einem bestätigten COVID19-Patienten hatten, erkrankten in der Folge mit oder ohne Hydroxychloroquin ungefähr gleich viele Personen (14,3% mit Plazebo und 11,8% mit Hydroxychloroquin); der Unterschied
war statistisch nicht signifikant (5). In
der Schweiz ist kürzlich eine Studie zur
Postexpositionsprophylaxe mit Hydro-
xychloroquin, Lopinavir-Retonavir
und Plazebo angelaufen (6).
Die europäische Arzneimittelbehörde
(EMA) hatte Hydroxychloroquin und
Chloroquin nie für den breiten Einsatz
bei COVID-19-Patienten ausserhalb
von Studien zugelassen. Swissmedic
warnte bereits Ende April vor potenziell
schwerwiegenden Nebenwirkungen der
beiden Substanzen, die normalerweise
bei Malaria und bei Rheuma infrage
kommen.
RBO s
1. Mehra MR et al.: Hydroxychloroquine or chloroquine with or without a macrolide for treatment of COVID-19: a multinational registry analysis. Lancet 2020; published online May 22, retracted June 5.
2. Mehra MR et al.: Cardiovascular Disease, Drug Therapy, and Mortality in Covid-19. N Engl J Med 2020; published online May 1, retracted June 4.
3. https://www.fda.gov/media/138945/download; abgerufen am 16. Juni 2020.
4. Statement from the chief investigators of the randomised evaluation of COVID-19 therapy (RECOVERY) trial on hydroxychloroquine, 5 June 2020; https://www.recoverytrial.net; abgerufen am 16. Juni 2020.
5. Boulware DR et al.: A randomized trial of hydroxychloroquine as postexposure prophylaxis for Covid-19. N Engl J Med 2020; published online June 3.
6. Neue Studie zur Erprobung prophylaktischer Behandlungen für COVID-19-Kontaktpersonen. Medienmitteilung von Swiss TPH und den Universitätsspitälern Genf und Basel am 23. April 2020.
Foto: Gerd Altmann, pixabay.com
COVID-19
Schweizer Studie zur Nachbehandlung
Bei schweren Verläufen geht COVID-19 häufig mit einer Pneumonie einher, die das Lungengewebe dauerhaft schädigen kann, und genesene COVID-19-Patienten klagen häufig über persistierende Atembeschwerden. Auch andere Folgen, wie Thrombosen und Embolien, sind bekannt. Noch hat man keinen Überblick über die mittel- und langfristigen Folgeschäden von COVID-19, und es gibt keine Empfehlungen, wie
die optimale Behandlung aussehen sollte, um diese zu verhindern. Eine neue Schweizer Studie mit dem Titel «Prospective observational cohort study to investigate long-term pulmonary and extrapulmonary effects of COVID-19» soll Antworten auf diese Fragen liefern. In die Studie, die zunächst an den Universitätsspitälern Bern und Zürich sowie am Kantonsspital St. Gallen be-
ginnt, werden Patienten innert drei Monaten nach einer COVID-19-Erkrankung eingeschlossen. Ziel der Studie ist es, rasch einen evidenzbasierten Standard für die Nachbehandlung von COVID-19-Patienten zu etablieren, den Hausärzte und niedergelassene Pneumologen dringend benötigen. RBO s
Medienmitteilung der Insel Gruppe AG vom 11. Juni 2020.
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ARS MEDICI 13 | 2020
Coronaviruspandemie
Mehr Schlaf im Lockdown
Rückspiegel
Gut ausgebildete Arbeitnehmer mit einem Homeoffice-tauglichen Job konnten in den Zeiten des strengen Lockdowns länger und regelmässiger schlafen, ihre Schlafqualität war allerdings etwas schlechter als zuvor. Das ist das Ergebnis einer Onlineumfrage, die vom 23. März bis zum 26. April 2020 in der Schweiz, Deutschland und Österreich von der Universität Basel und den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel durchgeführt wurde. Das Kollektiv der Befragten war nicht repräsentativ für die Bevölkerung. Die meisten Antworten lieferten jüngere Frauen mit Hochschulabschluss und einem mittleren bis hohen sozioökonomischen Status. Sie waren meist Angestellte, die während des Lockdowns im Homeoffice arbeiteten, aber auch zuvor relativ flexible Arbeitszeiten hatten. Pensionäre und Schichtarbeiter mit Nachtdienst waren von der Umfrage ausgeschlossen. Insgesamt wurden die Antworten von 435 Personen ausgewertet, rund ein Viertel davon waren Männer. Etwas mehr als die Hälfte der Antworten kam aus der Schweiz
(54,3%), die restlichen aus Deutschland
(27,6%), Österreich (15,6%) und anderen
Ländern (2,5%).
Erwartet wurde, dass die erzwungene Ruhe
während des Lockdowns zu Veränderungen
der Schlafmuster führte. Tatsächlich schliefen
die Befragten im Mittel 13 Minuten mehr pro
Tag, der Schlaf konnte bei einigen aber auch
fast eine Stunde länger dauern als zuvor. Der
Unterschied zwischen der Schlafdauer unter
der Woche und am Wochenende schmolz auf
durchschnittlich 25 Minuten, was für einen
regelmässigeren Schlaf während des Lock-
downs spricht.
Als qualitativ besser wurde der Schlaf jedoch
nicht empfunden, im Gegenteil, sogar ein we-
nig schlechter als zuvor. Daran könnten die
belastende Situation während des Lockdowns
sowie mangelnde körperliche Aktivität und zu
wenig Zeit an der frischen Luft schuld sein, so
die Studienautoren.
RBO s
Blume C et al.: Effects of the COVID-19 lockdown on human sleep and rest-activity rhythms. Current Biology 2020, doi:10.1016/j.cub.2020.06.021
Morbus Parkinson
Tiefe Hirnstimulation bewährt sich in plazebokontrollierter Studie
Erstmals wurden die Effekte einer tiefen Hirnstimulation mit denjenigen einer Scheinstimulation verglichen: Die tägliche Symptomfreiheit der Patienten mit echter Stimulation dauerte durchschnittlich 3 Stunden länger, und sie hatten eine deutlich höhere Lebensqualität. An der INTREPID-Studie sind 23 Behandlungszentren der USA mit insgesamt 313 Parkinson-Patienten zwischen 22 und 75 Jahren beteiligt. Bei Aufnahme in die Studie waren die Patienten seit mindestens 5 Jahren erkrankt, und sie erhielten seit mindestens 28 Tagen eine stabile medikamentöse Parkinson-Therapie. Allen Teilnehmern wurden beidseitig Elektroden in den Nucleus subthalamicus implantiert.
In den ersten 3 Monaten der Studie erfolgte
die elektrische Stimulation entweder aktiv mit
therapeutischer Dosierung der Stromdosis
(Verumgruppe) oder mit einer subtherapeuti-
schen Stimulationsdosis (Kontrollgruppe);
die Patienten wurden nach dem Zufallsprin-
zip den beiden Gruppen im Verhältnis 3:1
zugeteilt. Nach den ersten 3 Monaten wurde
die Studie mit anderen Fragestellungen für
alle Patienten mit therapeutischen Stimulatio-
nen fortgesetzt.
DGN/RBO s
Vitek JL et al.: Subthalamic nucleus deep brain stimulation with a multiple independent constant current-controlled device in Parkinson’s disease (INTREPID): a multicentre, double-blind, randomised, sham-controlled study. Lancet Neurol 2020; 19: 491–501. Medienmitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vom 29. Mai 2020.
Vor 10 Jahren
Langlebigkeitsgene
In der Zeitschrift «Science» publiziert das Team um Paola Sebastiano und Thomas T. Perls, dass sie im Genom von 801 Personen, die über 100 Jahre alt geworden waren, spezifische Genmuster für Langlebigkeit gefunden haben. Die Publikation ist allerdings nicht langlebig: Sie wird ein Jahr später wegen methodischer Mängel zurückgezogen. An der grundsätzlichen Aussage, dass es Genmuster für Langlebigkeit gebe, halten die Autoren jedoch fest. Ein weiteres Jahr später publizieren sie eine korrigierte Version mit gleicher Konklusion, wobei die relevanten Genmuster aber offenbar andere sind als die zuerst publizierten.
Vor 50 Jahren
Erste Raumstation
Sowjetische Kosmonauten stellen einen neuen Rekord für den Aufenthalt im All auf: Nach 18 Tagen in der Erdumlaufbahn landet das Raumschiff Sojus 9 wieder auf der Erde. Nachdem die USA den Wettlauf um die Mondlandung für sich entschieden haben, konzentriert man sich in der Sowjetunion auf den Bau der ersten Raumstation. Diese geht ein Jahr später unter dem Namen Saljut 1 für insgesamt 175 Tage in Betrieb, und sie wird während 23 Tagen von drei Kosmonauten bewohnt.
Vor 100 Jahren
Splanchnikusanästhesie
Der am Krankenhausstift Zwickau tätige Chirurg Gerhard Buhre berichtet von 104 Laparotomien unter lokaler Anästhesie. Der Patient wird zunächst mit einer Mischung aus Morphium und Scopolamin in einen Dämmerschlaf versetzt, dann wird die Bauchdecke anästhesiert und oberhalb des Nabels eröffnet. Sodann wird die Leber «nach oben und rechts gehalten», und der Chirurg appliziert mit einer 12 cm langen Hohlnadel 100 ml einer Procain-Adrenalin-Lösung an der Wirbelsäule, um die benachbarten Gewebe mit den Nervi splanchnici und dem Plexus coeliacus zu infiltrieren.
RBO s
ARS MEDICI 13 | 2020