Transkript
Auf den richtigen Mix kommt es an
Interview mit Prof. Klara Landau, Zürich
INTERVIEW
Die Professorin Klara Landau hat über 16 Jahre die Universitäts-Augenklinik in Zürich geführt. Die Pensionierung hat mehr Freiheit mit sich gebracht. «Wichtig ist aber auch das Gefühl, immer noch nützlich zu sein», sagt sie. Wie ihre Stelle als erste Klinikdirektorin am Universitätsspital Zürich ihre Tätigkeit nach der Pensionierung beeinflusst hat, verrät sie uns im Interview.
ARS MEDICI: Frau Prof. Landau, Sie wurden am 21. Juni 2018 offiziell am Universitätsspital Zürich (USZ) verabschiedet. Wie geht es Ihnen heute? Prof. Dr. med. Klara Landau: Das Gefühl, partiell frei zu sein, ist überwältigend. Die Pensionierung erlaubt mir, Dinge zu tun, für die ich vorher keine Zeit hatte. Egoistische Dinge, wie an einem Nähkurs teilzunehmen oder vermehrt zu reisen. Daneben geniessen mein Mann und ich die Zeit mit unseren Kindern und zwei Enkelinnen. Was ich noch nicht umgesetzt habe, ist, wieder mehr Klavier zu spielen oder etwas Sport zu treiben. Es wäre aber unbefriedigend, wenn ich mich nur mit solchen Dingen beschäftigen würde. Daneben muss man auch das Gefühl haben, gebraucht zu werden, sein Wissen und seine Erfahrungen einbringen zu können und etwas Nützliches für die Gesellschaft zu tun. Die Tatsache, dass ich am Dienstag und Donnerstag immer noch den Wecker stellen muss, um zur Arbeit zu gehen, ist sehr gut. Denn so ist von beidem etwas da. Ich bin aber auch deshalb zufrieden, weil ich die Augenklinik in einem guten Zustand übergeben konnte. Von dem Gefühl, meine Arbeit gut abgeschlossen zu haben, zehre ich ein bisschen.
Auf ein langes Berufsleben gesehen, können die Fehlzeiten, die durch die Geburt von zwei Kindern entstehen, aber kein Grund sein, eine Karriere von Frauen von vornherein auszuschliessen.
Wegen Ihres vollen Terminkalenders mussten wir das Interview verschieben. Womit beschäftigen Sie sich nach Ihrer Pensionierung? Ich bin mit einem Teilzeitpensum als Delegierte für die ärztliche Weiterbildung am Universitätsspital Zürich angestellt und zusätzlich für die Gleichstellung im ärztlichen Kader zuständig. Mit meinem Weggang hat die Zahl der Ärztinnen im oberen Kader noch weiter abgenommen. Mein Vorschlag, mich nach der Pensionierung für einen höheren Frauenanteil im ärztlichen Kader zu engagieren, stiess in der Spitaldirek-
Zur Person
Geboren am 20. Juli 1953 in Prag, Hauptstadt der damaligen Tschechoslowakei Studium 1972 bis 1978 an der Universität Zürich Von 2005 bis 2018 Direktorin der Augenklinik am Universitätsspital Zürich (zuvor 3,5 Jahre interimistische Leiterin) Wohnhaft: in Rapperswil, St. Gallen Verheiratet, 2 Kinder, 2 Enkelkinder
tion auf Interesse. Später kam die Stelle der Delegierten für die ärztliche Weiterbildung dazu. Die neuen Aufgaben sind sehr interessant und lassen sich gut miteinander verbinden. Seitdem ich mehr Zeit habe, beschäftige ich mich zudem intensiver mit meinem Amt als Präsidentin des Schweizer Vereins «Licht für die Welt», eines Ablegers der internationalen Fachorganisation. Ich bin sehr überzeugt von der Tätigkeit des Vereins, zu der ich mit meinem Know-how als Augenärztin viel beitragen kann. Natürlich gehe ich auch auf Kongresse und bilde mich fachlich weiter. Ich arbeite noch an einigen Forschungsprojekten und habe bis Juni 2019 die European Neuro-Ophthalmology Society (EUNOS) präsidiert. Im Moment stimmt das so für mich. Allerdings weiss ich nicht, ob ich irgendwann gern wieder Patienten sehen möchte.
Warum glauben Sie, die richtige Person für die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten am USZ zu sein? Ich war die erste Klinikdirektorin am Universitätsspital Zürich und habe ein erfülltes Familienleben. Kurzum: Ich bin das beste Beispiel dafür, dass man als verheiratete Frau mit Kindern Karriere machen kann. Mein Mann und ich haben zwar
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relativ langsam Karriere gemacht, weil der eine immer auf den anderen warten musste, aber es ist uns beiden gelungen. Natürlich sind es die Frauen, die schwanger werden, gebären und stillen. In der Regel kann man aber während der Schwangerschaft noch arbeiten. Erst ab der Geburt gibt es eine Zeit, in der die Mutter zu Hause sein muss und auch soll. Auf ein langes Berufsleben gesehen, können die Fehlzeiten, die durch die Geburt von zwei Kindern entstehen, aber kein Grund sein, eine Karriere von Frauen von vornherein auszuschliessen.
Mit dem eigenen Erfahrungsschatz könnte man viele andere Personen bei ihrer Arbeit unterstützen, aber niemand fragt danach. Aus diesem Grund muss man die Zeit gut vorbereiten und sich aktiv um eine neue Aufgabe kümmern.
Was unternehmen Sie konkret für mehr Gleichstellung im ärztlichen Kader? Zunächst einmal habe ich analysiert, wie es um den weiblichen Kadernachwuchs im Universitätsspital steht. Derzeit haben wir mit einem Verhältnis von 55:45 mehr Assistenzärztinnen als Assistenzärzte. Auf Ebene der Oberärzte hat es bereits eine Verschiebung zugunsten der Frauen gegeben, wie sich am Verhältnis von 45 Prozent Frauen zu 55 Prozent Männern zeigt. Der grosse Einbruch findet auf dem Weg zur leitenden Ärztin statt, weil dafür die Habilitation die Voraussetzung am USZ ist. Das bedeutet, man muss das eigene Fach in der Zeit der Familiengründung klinisch und wissenschaftlich auf hohem Niveau repräsentieren können. Das ist auch ohne Familie nicht einfach. Meine Analyse zeigt auch, dass es zwischen den Fächern und Kliniken grosse Unterschiede gibt. Einige Kliniken haben ein fast ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei den Oberärzten und Oberärztinnen sowie bei den leitenden Ärzten und Ärztinnen. Umgekehrt gibt es
Kliniken, bei denen man auf der oberen Leitungsebene keine Frauen findet. Ich habe mir auch angeschaut, welche Ärztinnen an den Kliniken des Universitätsspitals die Kriterien für die nächste Karrierestufe erfüllen. Als Nächstes möchte ich mir von den Direktorinnen und Direktoren erklären lassen, was sie für eine bessere Gleichstellung an ihrer Klinik unternehmen, und diskutieren, ob für die nächste Beförderung gegebenenfalls eine Frau infrage kommt. Das ist eine heikle Aufgabe, aber ein Schritt hin zu unserem Ziel, ein Drittel der leitenden Arztstellen am USZ mit Frauen zu besetzen.
Sie wurden 2005 zur ersten Klinikdirektorin überhaupt am USZ gewählt. Was hat Ihnen das bedeutet? Die Augenklinik am USZ lag nach dem vorzeitigen Abgang meines Vorgängers am Boden. Ich war damals die älteste, klinisch versierte, habilitierte leitende Ärztin, sodass man mir die Klinikleitung interimistisch für sechs Monate übertrug. Es war vorgesehen, die Stelle des Klinikdirektors mittels einer Direktberufung zu besetzen. Das funktionierte nicht, und so wurden aus den sechs Monaten dreieinhalb Jahre. Die Klinik wieder aufzubauen, war viel Arbeit. Mein Mann arbeitete in dieser Zeit in Texas, meine Tochter war für ein Austauschjahr in Chile, und mein Sohn studierte in England: Ich hatte also genügend Zeit und besass auch die notwendige Energie für diese Aufgabe. Als die Stelle regulär ausgeschrieben wurde, habe ich mich beworben und wurde unter vielen Kandidaten gewählt. Das war ein ganz normales Verfahren, und das war auch gut so, denn das verschaffte mir die Legitimation als Direktorin der Klinik. Als störend empfinde ich, dass ich nur aufgrund der vorhergehenden Notsituation als Frau die Chance bekam, eine Klinik zu führen.
Hätten Sie sich nach Ihrer Pensionierung wieder eine Frau als Leitung der Augenklinik gewünscht? Mit der Wahl meines Nachfolgers bin ich sehr zufrieden. Es standen acht Personen zur Auswahl, darunter zwei interne Bewerber vom USZ: der heutige Klinikdirektor Prof. Barthelmes und eine leitende Ärztin. Ich hoffe, die Bewerberin bekommt eine neue Chance aufzusteigen. Sie ist fachlich kompetent, ehrgeizig und hätte die Klinik sicher auch gut geführt. Ver-
Klara Landau mit ihren beiden Enkelinnen
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gleicht man die Curricula der beiden miteinander, dann war Prof. Barthelmes besser qualifiziert, deshalb unterstützte ich seine Wahl.
Ist die gesetzliche Rege-
lung, dass man mit 65
Jahren aufhören muss zu
arbeiten, zeitgemäss?
Natürlich nicht: das vor dem
Hintergrung des steigenden
Lebensalters, der Frage, wie
die AHV finanziert werden
soll, und der Tatsache, dass
es den Leuten heute mit 65
Jahren gesundheitlich viel
besser geht als früher. Es ist
ja auch nicht so, dass man
nicht mehr arbeiten darf.
Man kann nicht mehr in
der gleichen Position tätig
sein, aber damit habe ich
kein Problem. In den USA
gibt es keine vergleichbare
Regelung des Ruhestands.
Die Chefs wissen oft nicht,
Geniesst die gewonnene Freiheit:
wann es Zeit ist aufzuhören,
Klara Landau mit ihrem Ehepartner
und verhindern, dass Jün-
Ehud Landau
gere nachrücken. Aus mei-
ner Sicht ist eine klare Re-
gelung, so wie wir sie in der
Schweiz haben, von Vorteil. Man kann ja danach noch etwas
anderes machen. In der Medizin ist die Auswahl an Möglich-
keiten gross. Prinzipiell bin ich aber dafür, das Rentenalter in
der Schweiz anzuheben. Warum die Frauen früher pensioniert
werden sollen, verstehe ich schon gar nicht. Ich finde, das Alter
sollte bei allen gleich sein.
Ab wann haben Sie sich Gedanken gemacht oder konkret geplant, womit Sie Ihre Zeit im Ruhestand verbringen? Etwa zwei bis drei Jahre vor der Pensionierung habe ich angefangen, mich damit auseinanderzusetzen. Eigentlich hatte ich geplant, für ein bis zwei Tage pro Woche in einer ophthalmologischen Praxis in Zürich zu arbeiten. Ich hatte den Vertrag schon fast unterschrieben, da kam mir die Idee mit der Gleichstellungsbeauftragten. Ich war mehrere Jahre Mitglied der Gleichstellungskommission an der Universität Zürich und habe ein gutes Netzwerk. Später hat man mir die Stelle der Delegierten für die ärztliche Weiterbildung angeboten. Für die Reglementierung der ärztlichen Weiterbildung ist die FMH als standespolitische Organisation zuständig. Die Durchführung obliegt jedoch den Weiterbildungsstätten und ist eine wichtige Aufgabe. Die Kombination der beiden Stellen hat mir gut gefallen, sodass ich das Angebot angenommen habe.
Welchen Rat können Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg geben, die demnächst in den Ruhestand gehen? Die Pensionierung ist der Beginn eines ganz tollen Lebensabschnitts. Dank der neu gewonnenen Freiheit kann man – wenn man das Glück hat, gesund zu sein – so viel unternehmen. Aus meiner Sicht kann man sich darauf freuen, sollte den Lebensabschnitt aber gut vorbereiten. Für wichtig halte ich den Mix aus Dingen, die man immer machen wollte, und Tätigkeiten, die einem das Gefühl geben, nützlich zu sein. Mit dem eigenen Erfahrungsschatz könnte man viele andere Personen bei ihrer Arbeit unterstützen, aber niemand fragt danach. Aus diesem Grund muss man die Zeit gut vorbereiten und sich aktiv um eine neue Aufgabe kümmern.
Das Interview führte Regina Scharf.
Wie haben Sie sich gefühlt, als der Zeitpunkt der Berentung näher rückte? Es gab am Schluss noch so viel zu tun, dass ich gar keine Zeit hatte, mir über meine Gefühle Gedanken zu machen. Allein das Büro aufzuräumen, war ein Horror. Um die Klinik gut an meinen Nachfolger zu übergeben, wollte ich nochmals alles durchgehen. Was ich sehr schön fand, waren die Sympathiebekundungen vonseiten der Mitarbeitenden und der langjährigen Patientinnen und Patienten. Da gab es schon sehr emotionale Momente, in denen man denkt, dass einem die Klinik fehlen wird. An meinem Abschiedssymposium, am 21. Juni 2018, war ich im siebten Himmel. Genau so hatte ich es mir gewünscht: mit Vorträgen von guten Freunden und hoch geschätzten Fachleuten, fröhlicher Stimmung und schönem Wetter. Es hätte nicht besser sein können!
Gehen Sie, beeinflusst durch Ihre Religion und Kultur, anders mit diesem Lebensabschnitt um? Ich bin als Jüdin aufgewachsen, aber sehr religiös bin ich nicht. Wahrscheinlich hat mich meine Herkunft schon beeinflusst, aber wie genau, kann ich nicht sagen.
Auf dem Thron: Am Ende ihrer Amtszeit als Präsidentin der EUNOS wurde Klara Landau zur «Queen of NeuroOphthalmology» gekürt.
Fotos: zVg
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