Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Hormonsubstitution
Zurückhaltung wird empfohlen
Die Expertengruppe für Risikobewertung der europäischen Zulassungsbehörde EMA empfiehlt, dass Frauen in den Wechseljahren eine Hormonsubstitution (HRT) allenfalls nur kurz und so niedrig dosiert wie möglich durchführen sollten. Die Experten des PRAC (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee) fordern darüber hinaus, dass die Beipackzettel mit neuen Warnhinweisen ergänzt werden müssen (1). In den neuen Beipackzetteln soll darauf hingewiesen werden, dass ein erhöhtes Brustkrebsrisiko bis zu 10 Jahre nach
Ende der HRT fortbestehen kann, falls diese mehr als 5 Jahre lang erfolgte. Dies gelte sowohl für die kombinierte HRT (Östrogen/Progestagen) als auch für die HRT mit Östrogen. Für ein Kombipräparat aus konjugierten Östrogenen und Bazedoxifen sei ein erhöhtes Brustkrebsrisiko zwar nicht bekannt, im Beipackzettel solle man aber wegen der enthaltenen Östrogene den gleichen Hinweis wie bei den Östrogenmonopräparaten einfügen, so das PRAC. Für Tibolon gebe es keine Daten, die für ein persistierendes, erhöhtes Brustkrebsrisiko nach
Absetzen der Behandlung sprechen; das Risiko könne aber auch nicht ausgeschlossen werden, sodass im Beipackzettel darauf hinzuweisen sei. Bei vaginal applizierten, niedrig dosierten Östrogenpräparaten gebe es keine Hinweise auf ein erhöhtes Brustkrebsrisiko für Frauen ohne Brustkrebs in der Vergangenheit; unbekannt sei, ob der Gebrauch auch für Frauen mit Brustkrebs
sicher sei, heisst es in der Medienmitteilung zu den PRAC-Beschlüssen. Den Ausschlag für die eher kritische Stellungnahme des PRAC gab eine im letzten Jahr erschienene Studie (2). Wenn Frauen mit 50 Jahren eine Hormontherapie beginnen und diese mindestens 5 Jahre lang durchführen, ist die Brustkrebsinzidenz von Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren demnach folgendermassen erhöht: – 1 Fall mehr bei 50 Frauen mit Östro-
gen/Progestagen – 1 Fall mehr bei 70 Frauen mit Östro-
gen und intermittierender Progestagengabe – 1 Fall mehr bei 200 Frauen mit Östrogenmonopräparaten. Bei einer 10-jährigen Anwendungsdauer sei mit der doppelten Anzahl zusätzlicher Brustkrebsfälle zu rechnen, so die Autoren der Kohortenstudie (2). RBO s
1. Meeting highlights from the Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) 11–14 May 2020. https://www.ema.europa. eu; abgerufen am 2. Juni 2020.
2. Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer: Type and timing of menopausal hormone therapy and breast cancer risk: individual participant meta-analysis of the worldwide epidemiological evidence. Lancet 2019; 394: 1159–1168.
Foto: klimkin, pixabay.com
Gesundheitspolitik
SAMW-Ethikkommission gegen schwarze Listen
In der Schweiz begleichen schätzungsweise 166 000 Menschen ihre Krankenkassenprämien und Kostenbeteiligungen nicht, was zu Ausständen von über 453 Millionen Franken pro Jahr führt. Die Kantone sind verpflichtet, 85 Prozent der offenen Forderungen (Prämien, Kostenbeteiligungen, Verzugszinsen und Betreibungskosten) an die Krankenkassen zu bezahlen. Die Parlamente mehrerer Kantone beschlossen vor acht Jahren, sogenannte schwarze Listen einzuführen und säumige Zahler mit Leistungssperren zu
belegen. Diese gelten für alle Behandlungskosten mit Ausnahme von Notfallbehandlungen. Allerdings wird der Notfallbegriff im medizinischen Alltag unterschiedlich ausgelegt. Zurzeit führen gemäss Medienberichten die Kantone Aargau, Luzern, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau, Tessin und Zug solche Listen mit insgesamt über 30 000 Personen. Im Kanton Thurgau gilt die Leistungssperre auch für Minderjährige. In den Kantonen Solothurn und Graubünden wurden die schwarzen Listen wieder abgeschafft,
da sich die erhoffte abschreckende Wirkung nicht eingestellt hat und der administrative Aufwand erheblich war. Die Zentrale Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) empfiehlt nun, auf schwarze Listen und Leistungssperren zu verzichten, weil sie mit den ethischen Prinzipien der Fürsorge und Gerechtigkeit nicht vereinbar und auch rechtlich nicht haltbar seien. SAMW/RBO s
Medienmitteilung der SAMW vom 19. Mai 2020.
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ARS MEDICI 11+12 | 2020
COVID-19
Berner Studie mit Tocilizumab
Rückspiegel
Die Berner Universitätsklinik für Rheumatologie, Immunologie und Allergie hat eine multizentrische Studie mit Tocilizumab für COVID-19-Patienten initiiert. Der in der Rheumatologie therapeutisch etablierte Antikörper gilt als aussichtsreicher Kandidat, um die dramatische Verschlechterung des Zustands der Patienten nach der ersten, meist grippeähnlichen Phase der Erkrankung aufgrund seiner immunmodulatorischen Eigenschaften zu verhindern. So zeigte sich in einer kleinen retrospektiven Fallkontrollstudie in Frankreich, dass schwer an COVID-19 erkrankte Patienten von Tocilizumab profitierten: Ihre Überlebenschance war besser, und sie mussten seltener in die Intensivstation aufgenommen werden. Auch aus Italien und Wuhan sind ähnliche Fallserien bekannt. An der Studie CORON-ACT beteiligen sich neben dem Inselspital Bern das CHUV Lausanne, das Universitätsspital Zürich und das Kantonsspital Tessin in Lugano. Es handelt sich um eine randomisierte, doppelblind durchgeführte Phase-II-Studie. Die Patienten erhalten entweder Tocilizumab oder ein Pla-
zebo. In die Studie aufgenommen werden COVID-19-Patienten im Alter von 30 bis 80 Jahren, deren Zustand sich plötzlich verschlechtert; Patienten im Alter von 30 bis 60 Jahren werden nur aufgenommen, wenn sie zusätzliche Risikofaktoren aufweisen. Geplant ist die Studie für maximal 100 Patienten; sie soll spätestens im Oktober 2020 abgeschlossen sein. Wenn jeweils 10 Studienteilnehmer die definierten Endpunkte erreicht haben, erfolgt eine erste statistische Auswertung. Sobald sich ein klarer Trend für oder gegen die Wirksamkeit des Antikörpers bei den COVID-19-Patienten abzeichnet, soll die Studie gegebenenfalls vorzeitig beendet werden. RBO s
Klopfenstein T et al.: Tocilizumab therapy reduced inten sive care unit admissions and/or mortality in COVID-19 patients. Med Mal Infect 2020; doi: 10.1016/j.med mal.2020.05.001, online ahead of print.
Medienmitteilung der Insel Gruppe vom 22. Mai 2020
https://clinicaltrials.gov/ct2/show/record/ NCT04335071, abgerufen am 2. Juni 2020.
Suchtmedizin
Alkohol, Zigaretten und Cannabis bei Schweizer Jugendlichen
Vor 10 Jahren
Künstliches Bakterium
Der Biochemiker Craig Venter verkündet, erstmals ein lebensfähiges, sich vermehrendes Bakterium im Labor erschaffen zu haben, das von einer synthetisch erzeugten DNA gesteuert wird. Sein Team baute das etwas mehr als 1 Million Basenpaare umfassende Genom eines Mykobakteriums nach und brachte diese synthetische DNA in die Hülle eines Bakteriums ein, aus dem man zuvor die DNA entfernt hatte. Der neu gebastelte Organismus sei «die erste selbst replizierende Spezies, deren Eltern eine Computerdatei sind», so Venter.
Vor 50 Jahren
Krebs wegen Grilliertem
Nach der Entdeckung aromatischer Kohlenwasserstoffe in grillierten oder gerösteten Nahrungsmitteln wird empfohlen, auf Grilliertes zu verzichten oder den Grillvorgang technisch so zu gestalten, dass die Entstehung der potenziell krebserregenden Moleküle weitgehend vermieden wird. Vor allzu scharfem Anbraten wird gewarnt, ebenso davor, Fett und Öl in die Grillkohle tropfen zu lassen.
Die WHO publizierte vor Kurzem die Resultate der jüngsten Umfrage zum Gesundheitsverhalten und Wohlbefinden Jugendlicher im Rahmen des HBSC-Projekts (Health Behaviour in School-aged Children). Die Umfrage wurde 2017/18 mit rund 220 000 Jugendlichen in 45 Ländern (Europa und Kanada) durchgeführt. Alkohol ist überall die von Jugendlichen am häufigsten konsumierte psychoaktive Substanz. Im Alter von 15 Jahren fühlten sich in der Schweiz 13 Prozent der Knaben und 8 Prozent der Mädchen mindestens einmal im letzten Monat vor der Befragung betrunken. Während Frankreich ähnliche Werte aufweist wie die Schweiz, sind sie in Italien höher und in Österreich sowie Deutschland deutlich höher. Im Alter von 15 Jahren geben 16 Prozent der Knaben und 14 Prozent der Mädchen in der Schweiz an, mindestens einmal im letzten
Monat herkömmliche Zigaretten geraucht zu haben. Die Werte in Deutschland sind ähnlich hoch wie in der Schweiz, während Österreich, Frankreich und vor allem Italien höhere Raten aufweisen. Beim Konsum von illegalem Cannabis liegt die Schweiz weit vorn (Knaben: 13%; Mädchen: 8%), ähnlich wie Italien, Deutschland und Frankreich. Österreich belegt hier einen Platz im oberen Mittelfeld. Im Verlauf der regelmässig durchgeführten HBSC-Umfrage zeigt sich, dass der Konsum von Alkohol und herkömmlichen Zigaretten in der Schweiz zwischen 2010 und 2014 stark zurückging und seit 2018 stagniert; auch der Gebrauch von Cannabis ist unverändert.
Sucht Schweiz/RBO s
Medienmitteilung von Sucht Schweiz vom 19. Mai 2020.
Vor 100 Jahren
Heiratsverbot wegen Tuberkulose
Nur für tuberkulöse Männer empfehlen Ärzte die Heirat, sofern das Leiden nicht zu weit fortgeschritten sei. Für an Tuberkulose erkrankte Frauen seien die häuslichen Mühen und Sorgen, der bisher unbekannte Geschlechtsverkehr und vor allem die Schwangerschaft und das Wochenbett hingegen sehr ungünstig, berichtet der preussische Tuberkuloseexperte Hillenberg nach Sichtung der einschlägigen Literatur. Manche Autoren wollten tuberkulösen Frauen das Heiraten sogar gesetzlich verbieten.
RBO s