Transkript
FORTBILDUNG
Postoperative Wundversorgung
Tipps für die Nachsorge
Die postoperative Wundversorgung ist einer der wichtigsten Bereiche in der Operationsnachsorge. Das Wundmanagement beginnt schon im Operationssaal und zieht sich über den kompletten Genesungsprozess. Je nach Stadium der Wunde sind unterschiedliche Massnahmen gefragt.
Janett Theuerkorn
Die Wundheilung ist ein komplexer biologisch-chemischer Vorgang, der in mehreren, sich überschneidenden Phasen verläuft (Abbildung 1) (1). Die Exsudationsphase (auch Entzündungs-, Inflammations- oder Reinigungsphase) beginnt unmittelbar nach der Wundsetzung. Durch den Austritt von Wundsekret kommt es zunächst zu einer Reinigung der Wunde und zu einem vorläufigen Verschluss mit einem sogenannten Fibrinnetz. Die Granulationsphase (auch proliferative Phase) beginnt zirka 24 Stunden nach der Entstehung der Wunde, und sie erreicht innerhalb von 72 Stunden ihr Maximum. In dieser Phase entsteht neues Gewebe, das die Wunde sowohl von den Wundrändern als auch vom Wundgrund zunehmend auffüllt. Die reparative Phase (auch Regenerations-, Reparations- oder Epithelisierungsphase) beginnt nach drei bis vier Tagen und kann mehrere Wochen dauern. In dieser Phase bildet sich über dem Granulationsgewebe eine neue Hautschicht, die aus Epithelzellen besteht. Durch die Epithelisation wird die Wunde geschlossen. Als Ergebnis aller Vorgänge entsteht eine Narbe. Bis diese «ausgereift» ist und
MERKSÄTZE
� Unmittelbar postoperativ erfolgen gegebenenfalls häufige Verbandswechsel. Im weiteren Wundheilungsverlauf wird ein zwei- bis dreitägiges Intervall für den Verbandswechsel empfohlen.
� Bei jedem Verbandswechsel und beim Entfernen des Nahtmaterials sollte entweder die No-touch-Technik zur Anwendung kommen oder mit sterilen Handschuhen gearbeitet werden.
� Duschen ist relativ früh wieder möglich, Baden erst nach Abheilen der Wunde.
� Mit Massnahmen zur Besserung des Narbenbildes kann man nach dem Entfernen des Nahtmaterials beginnen.
sich optisch nicht mehr verändert, können ein bis zwei Jahre vergehen. Diese Phase wird Narbenreifungs- oder Remodellierungsphase genannt.
Optimale Wundheilung fördern
Für eine ungestörte Wundheilung ist – neben der infektionsfreien Wunde – auch die Vermeidung mechanischer Belastungen eine wichtige Voraussetzung. Der Operateur bemüht sich deshalb stets, die Wunde möglichst spannungsarm zu verschliessen, denn infizierte Wunden oder Wundflächen, die unter ständigem Zug stehen beziehungsweise Spannungen ausgesetzt sind, heilen schlechter.
Wann und wie wird der Verband gewechselt?
Die primär verschlossene, nicht sezernierende Operationswunde wird am Ende der Operation mit einer geeigneten Wundauflage (Wundschnellverbandpflaster) für mindestens 48 bis 72 Stunden steril abgedeckt. Dieser Verband schützt die Wunde vor Verunreinigungen und nimmt Blut und Wundsekret während der ersten nachoperativen Heilungsphase auf. Sollte es zu einer vermehrten Durchfeuchtung, Verschmutzung oder Lageverschiebung kommen, muss man den Verband sofort wechseln. Im weiteren Wundheilungsverlauf wird die Wunde bis zur Nahtmaterialentfernung steril abgedeckt. Dabei ist ein zweibis dreitägiges Intervall für den Verbandswechsel empfohlen. Bei allen Wunden, auch bei der Entfernung von Nahtmaterial, sollte entweder die No-touch-Technik zur Anwendung kommen oder mit sterilen Handschuhen gearbeitet werden (2). Die benötigten Utensilien (Pinzette, Kompressen, ggf. Spüllösung) sollte man immer auf einer zuvor wischdesinfizierten Arbeitsfläche vorbereiten. Folgende Punkte sind bei der Durchführung zu beachten: s 30 Sekunden lang hygienische Händedesinfektion; das gilt
sowohl für die durchführende als auch für die assistierende Person. s Gegebenenfalls Schutzkleidung anlegen (Mund-NasenSchutz, Schürze, Handschuhe).
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Nahtmaterialentfernung: der richtige Zeitpunkt
Der nächste Schritt zur Heilung einer Wunde wird vor allem bei der Entfernung des Nahtmaterials deutlich (3). Hautklammern werden gezogen, wenn die Wunde ausreichend fest verheilt ist. Gleiches gilt für die Entfernung der Fäden. Der Zeitpunkt der Entfernung hängt von der Operation, der Lokalisation der Wunde und anderen individuellen Faktoren ab (Abbildung 2) (3). Grundsätzlich legt der Operateur fest, !"#$*% wann das Nahtmaterial entfernt wird.
Abbildung 1: Die drei Phasen der Wundheilung (mod. nach [1])
Wunde am Hals: 6 bis 8 Tage
Wunde am Bauch: 12 bis 14 Tage Wunde in der Leiste: 10 bis 14 Tage
Wunde am Bein: 14 Tage
Wunde in Gelenknähe: 14 bis 21 Tage
Abbildung 2: Wann werden die Fäden gezogen? (Nach [3])
s Entfernung des alten Verbands inklusive Klebereste sowie Begutachtung des Verbands: Exsudatmenge, -farbe und -geruch geben wichtige Hinweise auf das Heilungsstadium. Anschliessend Verband und Handschuhe direkt in den Abwurfbehälter entsorgen.
s Erneute Händedesinfektion für 30 Sekunden. s Wundinspektion vornehmen: Hier vor allem auf Infek-
tionszeichen wie Rötung, Schwellung, Schmerz und Überwärmung achten. s Die Wundreinigung sollte entweder mit nicht sterilen Handschuhen und sterilen Instrumenten oder mit sterilen Handschuhen erfolgen. s Beim Einsatz eines Desinfektionsmittels (z. B. Octenisept®) muss die zu desinfizierende Fläche satt benetzt sein. Die Wischdesinfektion ist gegenüber einer Sprühdesinfektion zu bevorzugen: Einwirkzeit beachten! s Danach prüfen, ob ein weiterer Verband erforderlich ist, und frisches Verbandsmaterial auflegen. s Handschuhe im Abwurfbehälter entsorgen und abschliessend eine hygienische Händedesinfektion für 30 Sekunden durchführen. s Arbeitsfläche mit alkoholischer Flächendesinfektion abwischen. s Dokumentation des Verbandswechsels in der Patientenakte eintragen.
Wann dürfen die Patienten wieder duschen?
Die Vorschriften sind heute nicht mehr so streng wie noch vor einigen Jahren. Das nach 24 bis 72 Stunden gebildete Granulationsgewebe stellt eine Keimbarriere dar und schützt die Wunde vor einer Infektion. Ein frisch operierter Patient darf 48 Stunden nach dem Eingriff duschen, wenn er sich dementsprechend fühlt und der Kreislauf stabil ist (s. Kasten) (4). Da auch in der Schweiz das Leitungswasser in der Regel sehr keimarm ist, kann man nach vorsichtiger Einschätzung von einem geringen Infektionsrisiko für einen gesunden Menschen ausgehen. Beim Verwenden eines Duschgels sollte man darauf achten, dass es pH-neutral ist. Zusätzlich kann man ein wasserabweisendes Pflaster benutzen. Damit ist die Naht geschützt, und nichts kann ungewollt nass werden. Baden sollte man allerdings wirklich erst, wenn das Nahtmaterial entfernt wurde. Saunagänge sind bis zum Abschluss der Wundheilung nicht erlaubt.
Wann kann der Patient wieder Sport treiben?
Der Zeitpunkt, ab wann der Wundpatient für sportliche Aktivitäten wieder fit ist, hängt von vielen Faktoren ab und wird in der Regel vom Operateur festgelegt. Für eine gute Wundheilung ist es wichtig, dass die Wunde nicht zu früh belastet wird. Arzt und Patient sollten hinsichtlich der sportlichen Belastung gemeinsam folgende Grundsätze beachten: s Belastung nur bis zur Schmerzgrenze. s Reduzierung eventuell noch verordneter Schmerzmittel in
Absprache mit dem Arzt. s Spazierengehen und normale tägliche Bewegungen sind
immer zu empfehlen. s Dauerlauf, Schwimmen und sportliches Fahrradfahren
sind je nach Operation und Schmerzen meist nach zwei bis drei Wochen wieder möglich. s Nach Operationen am Bauch sollten sicherheitshalber für mindestens vier Wochen nicht mehr als 10 kg Gewicht gehoben werden. s Nach Operationen im Schulter-, Rücken- und/oder Fussbereich sollte man besondere Vorsicht walten lassen, da diese Regionen beim Sport ständig bewegt werden. Kommt es zum Beispiel zu dauerhaftem Druck auf die Wunde oder zu Spannungen beziehungsweise Zug an den Wundnähten, kann das, wie erwähnt, die Wundheilung beeinträchtigen. Im schlimmsten Fall können die Wundränder auseinanderklaffen (Dehiszenz) und eine weitere chirurgische Versorgung notwendig machen.
Ernährung
Essen und Trinken hält nicht nur Leib und Seele zusammen, sondern es unterstützt auch die Aufrechterhaltung der Kör-
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Kasten:
Wann darf der Patient nach einer Operation wieder duschen?
▲ Kurzes Duschen (ohne längeres Einweichen) ist ab dem 2. Tag nach der Operation möglich.
▲ Wenn etwas Shampoo oder Duschgel über die Wunde läuft, ist das nicht schlimm. Am besten sollte pH-neutrales Duschgel verwendet werden.
▲ Das «Abschrubben» der Wunde sollte unterlassen werden. ▲ Baden ist erst möglich, wenn die Wunde verheilt ist (etwa ab dem
10. Tag nach der Operation). ▲ Ausnahmen gelten für abwehrgeschwächte Patienten.
perfunktionen. Eine gesunde Ernährung ist somit ein wichtiger Faktor für die Wundheilung. Fehlen dem Körper durch einseitige und unausgewogene Nahrung wichtige Nährstoffe, kann es zur Fehl- beziehungsweise Mangelernährung kommen. Um den Stoffwechsel, die Durchblutung und demzufolge auch die Wundheilung zu unterstützen, ist die ausgewogene Zufuhr von Kohlenhydraten, Fetten und Eiweissen sowie Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen wichtig (5). Der Patient sollte zusätzlich auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten.
Was kann der Patient tun, damit die Narbe unauffälliger wird?
Viele Narben heilen bei guter Wundheilung und entsprechender Veranlagung ohne zusätzliche Massnahmen gut zu beziehungsweise ab. Um die Narbenreifung zu beeinflussen und die Bildung eines guten Narbengewebes zu unterstützen,
kann eine Narbenmassage sinnvoll sein. Hierzu kann man sogenannte Narbensalben/-cremes verwenden. Nach der Entfernung des Nahtmaterials, etwa 10 bis 14 Tage nach der Operation, kann man mit Massnahmen zur Besserung des Narbenbildes und zur Vermeidung überschiessender Narbenbildung beginnen (6).
Komplikationen erkennen
Nachblutungen oder Infektionen sind die häufigsten Kompli-
kationen von Wunden nach einer Operation. Eine Wund-
infektion ist in der Regel auf das Eindringen von Bakterien
zurückzuführen. Eindeutige Zeichen für eine Komplikation
oder Infektion sind Rötung, Schwellung, Schmerzen und
Überwärmung sowie der Austritt von Sekret wie Eiter. Häu-
fig werden diese Zeichen durch Fieber und/oder Schüttelfrost
begleitet. Hier sollte schnellstmöglich ein Wundabstrich mit
Austestung auf Erreger und Resistenzen erfolgen und gege-
benenfalls der Operateur informiert werden (7). Gemeinsam
sollte man im Anschluss entscheiden, ob der Patient stationär
aufgenommen werden muss oder ob der Hausarzt eine kon-
servative beziehungsweise antibiotische Therapie zur Wund-
heilung einleiten kann.
s
Janett Theuerkorn Hygienefachkraft, Pflegetherapeutin Wund ICW MediClin Herzzentrum Coswig Lerchenfeld 1 D-06869 Coswig
Interessenlage: Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift «Der Allgemeinarzt» 5/2020. Der leicht bearbeitete Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Autorin und Verlag.
Literatur bei der Verfasserin.
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