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BERICHT
Behandlung respiratorischer Erkrankungen
Asthma braucht Steroide, COPD nur gelegentlich
Während beim Asthma der Lungenfunktionsabfall mit einer Therapie rückgängig gemacht werden kann, bleibt er bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung irreversibel. Entsprechend richte sich die Therapie der beiden Entitäten anders aus. Bei der Asthmatherapie gehörten inhalative Kortikosteroide zur Basistherapie, bei der COPD-Behandlung seien sie dagegen nur in vereinzelten Fällen angezeigt, wie Prof. Jörg Leuppi, Chefarzt Innere Medizin, Kantonsspital Baselland, am FOMF Allgemeine Innere Medizin in Basel erläuterte.
Etwa 4 bis 7 Prozent der Schweizer Bevölkerung leiden unter einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) oder unter Asthma. Asthma ist eine potenziell schwerwiegende chronische Er krankung, die heutzutage oft gut kontrolliert, aber nicht geheilt werden kann. Früher sei man daran noch gestorben, erinnerte Leuppi. Asthma ist häufig mit einer Allergie verge sellschaftet, was irgendwann zu einer eosinophilen Infiltra tion der bronchialen Schleimhaut und Muskulatur und in der Folge zu einer Verdickung der Bronchialmuskulatur führt, die leichter verkrampft. Eine bronchiale Hyperreagibilität ist das Resultat. Die verdickte Muskulatur führt durch Entzün dung schneller zu einer Obstruktion mit lungenfunktioneller Einschränkung und Husten. Die Erkrankung verursacht Symptome wie Keuchen, Kurz atmigkeit, Engegefühl in der Brust und Husten. Die Sym ptome können im Lauf der Zeit in ihrem Auftreten, in der Häufigkeit und in der Intensität variieren. Sie sind mit vari ablem exspiratorischen Luftfluss verbunden, respektive mit Schwierigkeit bei der Ausatmung infolge Bronchokonstrik tion, Atemwegswandverdickung oder vermehrten Schleims. Die Symptome können durch virale Infektionen, Allergene, Tabakrauch, Anstrengung und Stress ausgelöst werden oder sich verschlechtern.
KURZ & BÜNDIG
� Spirometrie ist wichtig für Diagnose, Prognose und Therapie von Asthma und COPD.
� Basistherapie bei symptomatischer COPD ist eine duale Bronchodilatation mit LAMA/LABA, inhalative Kortikosteroide braucht es nur in wenigen Fällen.
� Basistherapie bei Asthma ist die Kombination eines inhalativen Kortikosteroids mit einem Bronchodilatator.
� Patientenschulung, insbesondere die Inhalationstechnik, sollte regelmässig repetiert werden.
Asthma beweisen
Die Asthmadiagnose sollte auf der Anamnese eines charakte ristischen Symptommusters und dem Nachweis einer variablen Atemwegsobstruktion mithilfe eines Reversibilitäts- oder eines positiven Bronchoprovokationstests basieren. Eine Re versibilität wird spirometrisch bewiesen, wenn die Messung zuerst eine obstruktive Ventilationsstörung zeigt und nach anschliessender Gabe eines sofort wirksamen Bronchodila tators (z. B. Salbutamol) eine Verbesserung des forcierten exspiratorischen Volumens (FEV1) um ≥ 12 Prozent und der forcierten Vitalkapazität (FVC) um 200 ml eintritt. Wenn die Lungenfunktion normal ist, was bei 60 Prozent der Patienten der Fall ist, sind weitere Abklärungen nötig. Die Peak-Flow-Variabilität liefert zusätzliche Hinweise. Man lässt den Patienten zu Hause zu verschiedenen Tageszeiten je zwei- bis dreimal den Peak-Flow messen und jeweils den bes ten Wert eintragen. Während bei Patienten ohne Asthma die Werte immer etwa gleich sind (< 5% Variabilität), variieren sie bei Patienten mit Asthma im Tagesverlauf um > 10 Pro zent und zwischen den Tagen um > 20 Prozent. Je grösser die Variabilität, desto sicherer ist die Diagnose Asthma oder die Tatsache, dass das Asthma nicht gut kontrolliert ist. Einen weiteren Hinweis auf Asthma liefert die bronchiale Hyperreagibilität mittels Bronchoprovokationstest. Dabei wird die Lungenfunktion (FEV1) spirometrisch nach Inhala tion steigender Dosen einer bronchokonstriktiven Substanz wie zum Beispiel Methacholin gemessen. Je früher ein Lungenfunktionsabfall von > 20 Prozent eintritt, desto schwerer ist die bronchiale Hyperreagibilität. Ein negativer Methacholin test schliesst dagegen ein Asthma aus.
Asthmatherapie mehrstufig
Die Therapie des Asthmas ist in erster Linie inhalativ, Haupt bestandteil ist ein inhalatives Kortikosteroid. Kurz oder lang wirksame Betamimetika (SABA oder LABA) zusammen mit einem niedrig dosierten inhalativen Kortikosteroid (ICS) sind gemäss den GINA-Guidelines bereits in der ersten Stufe bei mildem Asthma zur Verabreichung empfohlen. Therapie der ersten Wahl ist ICS/Formoterol, zweite Wahl ist ICS/SABA.
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Die bisherige Strategie mit SABA allein schützt trotz kurz fristiger Linderung der Asthmasymptome die Patienten nicht vor schweren Exazerbationen, und eine regelmässige SABA-Anwendung erhöht das Exazerbationsrisiko. Um die ses Risiko zu reduzieren, sollten deshalb alle adoleszenten und erwachsenen Patienten mit Asthma eine tägliche oder bedarfsgesteuerte ICS enthaltende Therapie erhalten (1). Bei Patienten mit mildem Asthma ist eine Bedarfstherapie mit ICS/Formoterol (ICS/LABA) einer Behandlung mit einem kurz wirksamen Betamimetikum (SABA) in Bezug auf die Asthmakontrolle und die Exazerbationsreduktion überlegen, wie eine Studie gezeigt hat (2). Als Notfallmedikament ist ebenfalls die Kombination ICS/Formoterol empfohlen (1). Je nach Schweregrad der Asthmaerkrankung empfehlen die GINA-Guidelines verschiedene Stufen für die Therapie (1): s Stufe 1: tief dosiertes ICS/Formoterol bei Bedarf; alter
nativ: ICS bei jeder SABA-Applikation. s Stufe 2: täglich tief dosiertes ICS oder tief dosiertes ICS/
Formoterol bei Bedarf. Alternativ können Leukotrienantagonisten (LTRA) oder tief dosiertes ICS zu jeder SABA-Anwendung zum Einsatz kommen. s Stufe 3: tief dosiertes ICS/LABA; alternativ eine mittlere ICS-Dosis oder tief dosiertes ICS/LTRA. s Stufe 4: mitteldosiertes ICS/LABA; alternativ eine hohe ICS-Dosis plus Tiotropium oder LTRA. s Stufe 5: hoch dosiertes ICS/LABA plus Tiotropium, Anti-IgE, Anti-IL-5/5R oder Anti-IL-4R; alternativ orale Kortikosteroide
Bei einer Asthmatherapie müsse der Patient gut geschult wer den, und die regelmässige Therapiekontrolle sei sehr wichtig, betonte Leuppi. Dabei sollten die Symptome der letzten 4 Wo chen sowie die Risikofaktoren für einen schlechteren Verlauf überprüft werden. Ausserdem sollte die Inhalationstechnik jedes Mal kontrolliert werden, eine falsche Anwendung sei sehr häufig. An Komorbiditäten wie Rhinosinusitis, gastroösopha gealer Reflux, Adipositas, obstruktive Schlafapnoe, COPD, Depression oder Angststörungen sollte ebenfalls gedacht wer den, sie können Symptome und Lebensqualität verschlechtern.
COPD braucht Öffner
Im Gegensatz zu Asthma ist COPD eine nicht reversible Lungenerkrankung. Ursache für ihre Entstehung sind meist Rauchen oder landwirtschaftliches Arbeiten mit Inhalation von Endotoxinen aus Mistbestandteilen. Die Erkrankung gründet in einer neutrophilen Entzündung mit irreversibler obstruktiver Ventilationsstörung, was zu einem jährlichen lungenfunktionellen Verlust bis zu 70 ml (bei empfindlichen Rauchern) führen kann. Als Symptome zeigen sich chroni scher Husten mit Auswurf, zunehmende Dyspnoe und Ex azerbationen. Bei der COPD gibt es viele Phänotypen: bei spielsweise den «pink puffer», bei dem Lungenemphysem und Gewichtsverlust, trockener Husten und Dyspnoe im Vordergrund stehen, den «blue bloater» mit Übergewicht, produktivem Husten, Zyanose und Schlafapnoesyndrom, den Phänotyp mit vielen Exazerbationen oder mit einem Asthma-COPD-Overlap-Syndrom. Je nach Phänotyp wird
Therapieoptionen bei Asthma
Wirkstoffklasse ICS SAMA SABA SAMA + SABA LABA LABA + ICS Cromoglicinsäure Leukotrien- antagonisten Monoklonale Antikörper
Wirkstoff Ciclesonid Fluticasonpropionat Fluticasonfuroat Beclometason Budesonid Ipratropium Fenoterol Terbutalin Salbutamol Ipratropium/Fenoterol Ipratropium/Salbutamol Formoterol Salmeterol Formoterol/Fluticasonpropionat Formoterol/Beclometason Vilanterol/Fluticasonfuroat Salmeterol/Fluticasonpropionat Formoterol/Budesonid Cromoglicinsäure Montelukast Zafirlukast Reslizumab Benralizumab Mepolizumab Omalizumab
Handelsname
Dosierung
Alvesco®
1–2 x täglich
Axotide®
2 x täglich
Arnuity Ellipta®
1 x täglich
Beclo Orion Easyhaler®, Qvar® AutohalerTM
2 x täglich
Budesonid Steri-Nebs®, Miflonide® Breezhaler®, Pulmicort® 1–2 x täglich
Atrovent®, Atropair Steri-Nebs®
3–4 x täglich
Berotec® N
3 x täglich
Bricanyl® Turbuhaler
4 x täglich
Salamol®, Salbu Orion Easyhaler®, Ventolin®
max. 8 x täglich
Berodual®
3 x täglich
Dospir®
3–4 x täglich
Foradil®, Oxis® Turbuhaler
1–2 x täglich
Serevent®
2 x täglich
Flutiform®
2 x täglich
FOSTER®
2 x täglich
Relvar® Ellipta®
1 x täglich
Seretide®
2 x täglich
Symbicort® Turbuhaler®, VannairTM
2 x täglich
Cromosol® UD
max. 8 x täglich
Singulair®, Lukair®, div. Generika
1 x täglich
Accolate®
2 x täglich
CINQAERO®
alle 4 Wochen
Fasenra®
alle 4 bzw. 8 Wochen
Nucala®
alle 4 Wochen
Xolair®
alle 4 Wochen
SABA = short-acting beta-antagonist; SAMA = short-acting muscarinic antagonist; LABA = long-acting beta-antagonist; ICS = inhaled corticosteroid Quelle: www.swissmedicinfo.ch
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Therapieoptionen bei COPD
Wirkstoffklasse Wirkstoff
SABA
Terbutalin
Salbutamol
SAMA
Ipratropium
SAMA + SABA
Ipratropium/Fenoterol
Ipratropium/Salbutamol
LAMA
Aclidinium
Umeclidinium
Glycopyrronium
Tiotropium
LABA
Formoterol
Indacaterol
Salmeterol
Olodaterol
LAMA + LABA
Vilanterol/Umeclidinium
Olodaterol/Tiotropium
Indacaterol/Glycopyrronium
ICS Budesonid
LABA + ICS
Formoterol/Beclometason
Vilanterol/Fluticasonfuroat
Salmeterol/Fluticasonpropionat
Formoterol/Budesonid
LAMA + LABA+ Umeclidinium/Vilanterol/
ICS Fluticasonfuroat
Handelsname Bricanyl® Turbuhaler Salamol®, Salbu Orion Easyhaler®, Ventolin® Atropair Steri-Nebs®, Atrovent® Berodual® N Dospir® Eklira® Genuair® Incruse® Ellipta® Seebri® Breezehaler® Spiriva® Respimat® Foradil®, Oxis Turbuhaler® Onbrez® Breezhaler® Serevent® Striverdi® Respimat® Anoro® Ellipta® Spiolto® Respimat® Ultibro® Breezhaler® Budesonid Steri-Nebs®, Miflonide® Breezhaler®, Pulmicort® FOSTER® Relvar® Ellipta® Seretide® Symbicort® Turbuhaler®, VannairTM Trelegy®
Dosierung 4 x täglich max. 8 x täglich 3–4 x täglich 3 x täglich 3–4 x täglich 2 x täglich 1 x täglich 1 x täglich 1 x täglich 1–2 x täglich 1 x täglich 2 x täglich 1 x täglich 1 x täglich 1 x täglich 1 x täglich 2–4 x täglich 2 x täglich 1 x täglich 2 x täglich 2 x täglich 1 x täglich
SABA = short-acting beta-antagonist; SAMA = short-acting muscarinic antagonist; LAMA = long-acting muscarinic antagonist; LABA = long-acting beta-antagonist;
ICS = inhaled corticosteroid
Quelle: www.swissmedicinfo.ch
die Therapie an die vorherrschende Symptomatik angepasst. Die Diagnosestellung fusst auf der spirometrischen Erfassung des irreversiblen Lungenfunktionsverlusts und dessen Eintei lung in die Kategorien GOLD 1 bis 4. Therapiebestimmend sind jedoch Symptomschwere und Exazerbationshäufigkeit, die mittels CAT (COPD assessment test) und mMRC (mo dified British Medical Research Council) erhoben werden und die Grundlage für die Gruppeneinteilung A bis D liefern.
Therapie je nach Symptomstärke
Patienten in der Gruppe A haben milde Symptome und prak tisch keine (0–1) spitalpflichtigen Exazerbationen, Gruppe B zeichnet sich durch stärkere Symptome, aber ohne (0–1) spitalpflichtige Exazerbationen aus, Gruppe C durch milde Symptome und mehrere (≥ 2 oder ≥ 1 spitalpflichtige) Ex azerbationen, Gruppe D durch stärkere Symptome mit meh reren (≥ 2 oder ≥ 1 spitalpflichtigen) Exazerbationen. Entsprechend brauchen gemäss Leuppi Patienten der Gruppe A einen Bronchodilatator, Patienten aus der Gruppe B brau chen ein LAMA (lang wirksames Anticholinergikum) oder LABA oder eine Kombination aus beiden. Patienten der Gruppe C sollten eine duale Bronchodilatation (LAMA/ LABA) und eventuell ein Steroid (LABA/ICS) erhalten. Bei Patienten der Gruppe D ist die Rücksprache mit einem Pneu mologen sinnvoll, um die anfänglich duale Bronchodilata tion entsprechend zu eskalieren (LAMA/LABA/ICS) und nö tigenfalls durch Zugabe des Phosphodiesterase-4-Hemmers Roflumilast oder von Makroliden zu ergänzen. Die Zugabe eines ICS zur Bronchodilatation sei bei den Pa tienten sinnvoll, die eine messbare Erhöhung von Eosinophi
len aufwiesen, so Leuppi. Ohne diese Beteiligung reduzieren
zusätzliche ICS gegenüber einer dualen Bronchodilatation
(LAMA/LABA) die Exazerbationshäufigkeit nicht weiter,
wie eine Studie zeigen konnte (3). Eine weitere Studie, die
eine Dreifachkombination LAMA/LABA/ICS mit den Zwei
erkombinationen LAMA/LABA und LAMA/ICS verglichen
habe, habe für die Dreierkombination eine tiefere Exazerba
tionsrate als unter den Zweierkombinationen gezeigt, dies al
lerdings vorwiegend bei Patienten mit erhöhten Eosinophilen
oder mit einer Asthmabeteiligung (4), wie Leuppi erklärte.
Besteht ein Asthma-COPD-Overlap-Syndrom, betrifft das
Patienten, die beide Erkrankungen haben. Das sind einerseits
COPD-Patienten mit erhöhten Eosinophilen, die auf Steroide
oder spezifische antieosinophile Therapie ansprechen, ande
rerseits Asthmatiker, die rauchen und eine vorwiegend neut
rophile Entzündung haben, oder aber Asthmatiker mit einer
weitgehend irreversiblen Atemwegsobstruktion.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Asthma und COPD», FOMF Allgemeine Innere Medizin, 29. Januar bis 1. Februar 2020 in Basel.
Referenzen: 1. Global Initiative for Asthma (GINA): Global strategy for asthma manage-
ment and prevention (2019 update). Available at: http://www.ginasthma. org/. Letzter Zugriff: 19.2.20. 2. O’Byrne PM et al.: Inhaled combined budesonide-formoterol as needed in mild asthma. N Engl J Med 2018; 378: 1865–1876. 3. Magnussen H et al.: Withdrawal of inhaled glucocorticoids and exacerbations of COPD. N Engl J Med 2014; 371: 1285–1294. 4. Lipson DA et al.: Once-daily single-inhaler triple versus dual therapy in patients with COPD. N Engl J Med 2018; 378: 1671–1680.
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