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BERICHT
Hausärzte fragen Spezialisten zu COVID-19
«Immunität ist nur eine angenehme Nebenwirkung»
Foto: KD
Wiederholt hatten Hausärzte in einer Webkonferenz Gelegenheit, Prof. Philip Tarr, Co-Chefarzt Medizinische Universitätsklinik, Infektiologie und Spitalhygiene Kantonsspital Baselland, Fragen zum praktischen Umgang mit COVID-19 zu stellen. Hier finden Sie eine Übersicht.
Prof. Philip Tarr
? Soll man das Praxispersonal testen?
Prof. Philip Tarr: Asymptomatische Personen soll man nicht abstreichen, weil ein negatives Resultat keine Aussagekraft hat. Es hat einen schwachen Vorhersagewert und könnte am nächsten Tag positiv sein. Gegen eine serielle Testung alle zwei Tage ist von fachlicher Seite eigentlich nichts einzuwenden, momentan reichen die vorhandenen Testmaterialien inklusive Abstrichtupfer jedoch nicht aus, sodass die Priorität auf der Testung von symptomatischen Personen liegt.
? Rachenabstrich oder Nasenabstrich?
Tarr: Beim Testen einer symptomatischen Person ist ein Abstreichen in der Nasopharynx zielführender, weil beim Rachenabstrich je nach Technik die Möglichkeit besteht, das Virus zu verpassen. Auch Nasopharynxabstriche müssen gut gemacht sein: Einführung des Abstrichtupfers fünf bis sieben Zentimeter tief bis an die Hinterwand der Nasopharynx, etwa fünfzehn Sekunden in dieser Position den Tupfer leicht drehen, dann erst herausziehen. Bei den Rachenabstrichen muss der Abstrichtupfer bis zu den Tonsillen und der Rachenhinterwand eingeführt werden, um am richtigen Ort zu sein, was häufig einen Würgereiz hervorruft: Weil die richtige Durchführung nicht immer möglich ist, ist das Resultat des Rachenabstrichs mit Vorsicht zu geniessen.
? Wann wird ein positiver Abstrich im PCR
wieder negativ?
Tarr: Im Moment stellt sich diese Frage für uns nicht. Gemäss Zahlen aus China kann der Abstrich etwa drei Wochen lang positiv bleiben, in Extremfällen auch bis zu 37 Tage. Doch sinkt die Virenzahl etwa eine Woche nach Symptombeginn deutlich und damit auch die Ansteckungsfähigkeit. Eine Ausnahme bilden jene Patienten in Intensivstationen mit schweren Verläufen mit Atemnot und Pneumonie, bei ihnen kann die Virenzahl noch weiter ansteigen. Mit der Verbesserung der Klinik nimmt auch die Virenzahl in der Nasopharynx ab, das weiss man von der Influenza. Eine Entisolation braucht demnach keinen negativen Abstrich. Es genügt die Symptomfreiheit von mindestens 48 Stunden plus zehn Tage nach Symptombeginn. Die dann noch vorhandene Virenzahl gilt als zu gering, um andere Personen infizieren zu können. Zahlen zu Spezifität und Sensitivität des Tests sind noch nicht vorhanden, wichtig ist eine gute Abstrichtechnik.
? Die WHO wie auch einige Epidemiologen
empfehlen «testen, testen, testen ...»
Tarr: Grundsätzlich einverstanden. Vor dem Hintergrund, dass die Testkapazitäten wie auch die Testutensilien momentan begrenzt sind, ist die Empfehlung des BAG aber richtig, wonach nur symptomatische Personen getestet werden. Auch ein Durchtesten des Gesundheitspersonals alle zwei Tage aufgrund der Ressourcenknappheit ist nicht machbar. Auch hier gilt: Nur wenn sie Symptome haben.
? Soll man Risikopatienten mit leichten
Symptomen, die man ambulant behandeln könnte, testen oder nur dann, wenn eine Hospitalisation notwendig wird?
Tarr: Man sollte solche Risikopatienten eher testen aus der Sorge heraus, dass der Verlauf ungünstig sein könnte. O ffiziell aber nicht testen, wenn die Symptome nur leicht sind.
? Besteht nach durchgemachter Infektion
eine Immunität? Wenn ja, wie lange?
Tarr: Das kann man noch nicht mit Sicherheit beantworten. Doch alle Experten gehen davon aus, dass man nach durchgemachter COVID-19-Erkrankungen gegen das pandemische SARS-CoV2-Virus immun wird. Ob die Immunität sechs, neun oder zwölf Monate anhält, wissen wir noch nicht. Die Experten gehen auch davon aus, dass COVID-19 hier endemisch wird und uns immer wieder infizieren könnte, so wie beispielsweise Rhinoviren, weitere Coronaviren oder Parainfluenzaviren.
? Wurden die restriktiven Massnahmen nicht
zu früh eingeführt, sodass sich letztlich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung infiziert und mit einer zweiten Infektionswelle zu rechnen ist?
Tarr: Das ist eine gute Frage. Die behördlichen Massnahmen in Grossbritannien zielten anfänglich darauf ab, mittels einer breiten Ansteckung in der Bevölkerung eine Herdenimmunität entstehen zu lassen. Diese Strategie wurde wieder ver lassen, weil man befürchten musste, dass ein zu grosser Teil der Bevölkerung daran schwer erkrankt. Das Phänomen der Immunität nach durchgemachter Krankheit ist allenfalls eine angenehme Nebenwirkung. Man muss alles daran setzen, die Risikogruppen vor einer schweren Erkrankung zu schützen und Verhältnisse wie in der Lombardei zu verhindern, wo Patienten, die beatmet werden müssten, wegen Überlastung des Systems keine Beatmung erhalten.
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? Sind gegen Grippe geimpfte Patienten besser
geschützt als solche ohne Grippeimpfung?
Tarr: Dazu gibt es meines Wissens keine Daten. Eine Grippeimpfung schützt vor einer Ansteckung mit Influenzaviren, aber nicht auf eine allgemeine Art gegen die Ansteckung mit anderen Viren.
? Wer ist besonders gefährdet?
Tarr: Das sind vor allem ältere Patienten oder Patienten mit chronischen Erkrankungen. Junge gesunde Personen sind weniger betroffen und sehr selten auf der Intensivstation mit einer SARS-CoV2-Erkrankung. Wenn junge Gesunde be atmet werden müssen, kann man davon ausgehen, dass ihre Überlebenswahrscheinlichkeit grösser ist als jene von Älteren oder chronisch Erkrankten.
Die Patienten werden nach ihrem Reanimationswunsch und dem Wunsch nach einer allfälligen Verlegung auf die Intensivstation gefragt.
? Sollen alle reanimiert werden?
Tarr: Im Kantonsspital Baselland richten wir uns nach den Empfehlungen der Schweizerischen Akademie für medizinische Wissenschaften SAMW. Das heisst, beim Eintritt in die Notfallstation werden die Patienten nach ihrem Reanimations wunsch und dem Wunsch nach einer allfälligen Verlegung auf die Intensivstation gefragt.
? Welche Masken schützen das Gesundheits
personal?
Tarr: Der beste Schutz ist, mindestens 180 cm Distanz zu halten und die Hände regelmässig zu desinfizieren. Das Wartezimmer sollte so umgerüstet sein, um Abstand wahren zu können. Chirurgische Masken sind bezüglich Schutz vor SARS, pandemische H1N1 und Influenza gemäss Literatur gleich gut wie FFP2-Masken. Die Masken sollen im Kontakt mit allen Patienten immer getragen werden. Vor dem Anlegen der Maske müssen die Hände desinfiziert werden. Man muss auch aufpassen, dass man sich nicht mehr als sonst ins Gesicht fasst, weil die Maske juckt, herunterrutscht oder die Brille anläuft. Chirurgische Masken können mehrere Tage getragen werden. Über Nacht soll man sie irgendwo deponieren, wo sie nicht beschädigt werden kann, wie es beispielsweise in der Kitteltasche zusammen mit Schlüsseln passieren kann. Man muss die Maske nicht in Alkohol einlegen oder besprühen, die Viren sterben bis zum nächsten Morgen ab. Eine FFP2-Maske braucht es nur bei aerosol-generierenden Verrichtungen, die am besten vermieden werden. Unsere Anästhesisten bevorzugen eine niederschwellige Intubation gegenüber einer längeren nicht invasiven Beatmung, weil hier Viren aerosolisiert werden können. Feuchtinhalation beispielsweise bei COPD- oder Asthmaexazerbationen sind bei uns nicht mehr erlaubt, stattdessen Dosieraerosole mit Vorschaltkammer.
? Welche Kontakte sind gefährlich?
Tarr: Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung ist hoch, wenn der Kontakt drinnen stattgefunden hat, mindestens 15 bis 30 Minuten dauerte, die Distanz weniger als 180 cm betrug und keine chirurgische Maske getragen wurde. Flüchtige Begegnungen draussen beim Joggen sind dagegen gefahrlos. Was nichts nützt, ist immer eine FFP2-Maske zu tragen, denn die chirurgische Maske ist ausreichend. Astronautenanzüge, Schutzbrillen und Umgebungsdesinfektionsaktionen sind ebenfalls unnötig. Tische, Türklinken, Untersuchungsliegen und Stühle sollen dagegen nach jedem Patientenbesuch desinfiziert werden. Die Infektionsgefahr von Viren auf Arbeitsschürzen, die so durch die Räume getragen werden, gilt als klein.
? Sollen Patienten, die sich in der
momentanen Erkältungs- und Heuschnupfen saison mit Schnupfen in der Praxis anmelden, in Abklärungszentren geschickt werden?
Tarr: Wichtig ist, zu beobachten, ob die Symptome schlimmer werden. Bleibt es beim leichten Erkältungs- oder Heuschnupfen oder beim leichten Husten, muss zu den vom BAG verordneten Hygiene- und Distanzmassnahmen nichts Zusätzliches unternommen werden. Personen im gleichen Haushalt sind ohnehin bereits angesteckt, sodass für die Familienmitglieder das Gleiche gilt. Werden die Symptome schlechter, soll abgeklärt werden, ob es sich um COVID-19 handelt.
? Besteht beim Gesundheitspersonal mit
durchgemachter COVID-19-Infektion die Gefahr, andere Personen anzustecken?
Tarr: Kontroll-PCR werden nicht gemacht. Betroffene Mitarbeiter sollen weiterhin eine Maske tragen und die Hände vorbildlich desinfizieren, um Kollegen nicht zu infizieren. Im Vergleich zur Phase mit Fieber und starken Symptomen, in der Millionen von Viren ausgeschieden werden, besteht keine Gefahr mehr, auch wenn vielleicht noch ein paar Hundert Viren pro Milliliter Nasensekret zu finden sind. Mithilfe von Antikörpertests, die in Entwicklung sind, wird es bald möglich sein, Personen zu identifizieren, die immun geworden sind und unbesorgt wieder arbeiten gehen können.
? Patienten fragen häufig, ob sie Lebensmittel
verpackungen nach dem Kauf desinfizieren sollen.
Tarr: Man weiss, dass das Virus auf Oberflächen für kurze Zeit überlebt. Der Hauptansteckungsweg ist aber über die Atemwege. Wenn die Distanz- und Händehygienemassnahmen befolgt werden, braucht es gegen die wenigen Viren auf Lebensmittelverpackungen keine zwanghaften Desinfektions aktionen.
? Ibuprofen soll gemäss Berichten den Verlauf
verschlechtern. Ist es überhaupt notwendig, das Fieber zu senken?
Tarr: Bei einem bestätigten COVID-19-Fall soll das Fieber nicht routinemässig gesenkt werden. Falls nötig, das heisst bei subjektivem Leiden, Gliederschmerzen und beeinträchtigtem Allgemeinzustand, ist Paracetamol erste Wahl und Metamizol zweite Wahl. Ibuprofen soll eher nicht eingesetzt werden,
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obwohl es keine genügend guten Daten gibt, die eine Gabe bei Fieber grundsätzlich verbieten würden.
? Gehören Patienten mit chronischem Asthma
zur Risikogruppe?
Tarr: Ein gut eingestellter Asthmatiker gehört nicht dazu. Zwingen ihn Exazerbationen jedoch häufig in die Notfallstation, ist er nicht gut eingestellt und gehört damit zur Risikogruppe.
? Sollen Antikörpertests gemacht werden?
Tarr: Mit Antikörpertests kann man die Durchseuchung feststellen. Sie sind aber momentan noch nicht genügend validiert, um verlässliche Aussagen treffen zu können. Ein Antikörpertest muss zum Beispiel zuverlässig zwischen den vier existierenden Coronavirustypen unterscheiden können. Das heisst, man muss sicher sein, dass der COVID-19-Antikörpertest nicht falsch positiv ist. So weit sind wir noch nicht. Bis es soweit ist und es genügend validierte Test gibt, ist noch Zurückhaltung geboten.
? Korreliert der CRP-Wert mit dem Krankheits
verlauf?
Tarr: Hierzu gibt es keine guten Daten. Ein tiefer CRP-Wert muss deshalb nicht unbedingt beruhigen. Auch wenn das CRP bei schwachen Symptomen tief ist, sagt das nicht zuverlässig einen benignen klinischen Verlauf voraus. Typischerweise tritt eine Verschlechterung erst nach sieben bis zehn Tagen ein.
Bei selbst genähten Masken oder Halstüchern zum Schutz ist jedoch Vorsicht geboten, weil das Gewebe der verwendeten Stoffe zum Schutz vor Viren zu wenig dicht ist. Es kann zu einem falschen Sicherheitsgefühl kommen, ohne wirklichen Schutz zu bieten.
? Wie soll der residuelle Reizhusten behandelt
werden?
Tarr: Gemäss einer Cochrane-Analyse* ist die Wirksamkeit von rezeptfreien Hustenstillern leider enttäuschend. Wir setzen sie trotzdem ein, denn es hat auch eine psychologische Wirkung, wenn der Arzt etwas gegen den Husten verschreibt. Man soll keine Angst haben, dass solche Medikamente die COVID-19-Pneumonie verschlechtern könnten. Bei Atemnot und Angst können gemäss erfahrenen Internisten auch tiefe Morphindosierungen zur Entspannung beitragen und so die Sauerstoffsättigung indirekt ansteigen lassen.
? Sollen bei einer ambulant behandelbaren
Pneumonie bei Verdacht auf COVID-19 Antibiotika eingesetzt werden?
Tarr: Zuallererst sollte COVID-19 per Nasopharynxabstrich bestätigt werden. Ist der Test positiv und sind Infiltrate im Thorax-Röntgenbild sichtbar, dann müssen wir definitionsgemäss von einer Pneumonie ausgehen. Dann kommt bei uns Azithromycin zum Einsatz, weil es gleichzeitig auch immunmodulierend wirkt. Sind keine Infiltrate sichtbar, und geht es dem Patienten gut, verzichten wir auf Antibiotika.
Bei selbst genähten Masken oder Halstüchern zum Schutz ist Vorsicht geboten.
? Wie soll man mit residuellem Husten nach
Abklingen aller anderer Symptomen umgehen?
Tarr: Diese Frage beschäftigt die Hausärzte bei allen respiratorischen Infekten, nicht nur bei COVID-19. Es kann noch mehrere Wochen lang ein lästiger Reizhusten bleiben, das ist sehr häufig. Die COVID-19-Patienten dürfen gemäss BAG nach durchgemachter Infektion, das heisst nach mindestens 10 Tage Symptomdauer plus 48 Stunden Symptomfreiheit, aber dennoch entisoliert werden. Das Gesundheitspersonal in Reha- oder Pflegeinstitutionen ist angehalten, sich bei der Pflege dieser Patienten trotzdem wie gewohnt zu schützen. Denn in geringer Zahl können die Viren immer noch ausgeschieden werden. Patienten, die nach Hause entlassen werden, können auch wieder arbeiten gehen, wenn sie sich wohl fühlen. Sie sollen aber, solange der Husten andauert, eine Maske tragen, insbesondere dann, wenn sie bei der Arbeit in Kundenkontakt stehen wie beispielsweise das Verkaufspersonal.
* Smith SM et al.: Over-the-counter (OTC) medications for acute cough in children and adults in community settings. Cochrane Database Syst Rev 2014; 11: CD001831.
? Warum hat Bangkok, das von so vielen
Touristen besucht wird, viel weniger Fälle?
Ist es das Klima oder das konsequente
Maskentragen?
Tarr: Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Vielleicht hat
das wärmere Klima teilweise einen Einfluss. Es rechnet aber
niemand damit, dass die Pandemie in den Sommermonaten
bei uns wegen der Wärme automatisch vergehen wird. Das
weit verbreitete Maskentragen nützt meiner Meinung nach
dagegen sicher etwas. Masken schützen den Träger vor Infek-
tionen und umgekehrt die Umgebung vor einer Übertragung
durch den Maskenträger. Um aber in der Schweiz flächen-
deckend alle Personen bei der Arbeit, beim Benutzen der öf-
fentlichen Verkehrsmittel usw. mit Masken auszurüsten,
bräuchte es gemäss Hochrechnungen 4 Millionen Masken
pro Tag. Momentan stehen aber niemals so viele zur Verfü-
gung.
s
Valérie Herzog
Quelle: FOMF-WebUp vom 26. März 2020 und 6. April 2020
Weitere Informationen zum Thema
Interessante Beiträge und Links zu COVID-19 finden Sie auf unserer Homepage unter: www.rosenfluh.ch/news
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