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BERICHT
Neues zu chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
Frühe Operation mit Vorteilen
Foto: KD
Ist eine möglichst späte Operation bei Morbus Crohn wirklich immer die beste Lösung? Beeinflusst eine chronisch entzündliche Darmerkrankung bei schwangeren Frauen auch die Darmflora des Nachwuchses? Können bislang nur intravenös applizierte Biologika auch subkutan verabreicht werden? Am Kongress der European Crohn‘s and Colitis Organisation (ECCO) in Wien gab es Antworten auf diese und viele andere Fragen.
Bei nahezu allen Patienten mit Morbus Crohn ist im Laufe des Lebens zumindest eine Operation notwendig. Bislang wollte man das jedoch möglichst lang hinausschieben. Am Jahreskongress der europäischen Spezialisten für chronisch entzündliche Darmkrankheiten in Wien wurde eine lang erwartete Langzeitstudie vorgestellt, nach der auch eine frühe Ileozökalresektion bei gewissen Patienten eine sehr gute Therapiestrategie sein könnte.
Prof. Sévérine Vermeire
Früher Eingriff – keine Medikamente
Im LIR!C-Trial wurden Patienten mit ileozökalem, limitiertem (Erkrankungsausdehnung am terminalen Ileum < 40 cm), strikturfreiem Morbus Crohn, dessen konventionelle Therapie gescheitert war, in zwei Gruppen eingeteilt (1). An 73 von ihnen wurde eine laparoskopische Darmresektion vorgenommen, während man 70 mit dem TNF-a-Hemmer Infliximab behandelte und zu Beginn nicht operierte. Nach einem medianen Follow-up von fünf Jahren zogen die Forscher nun Bilanz: In der Resektionsgruppe benötigten 42 Prozent der Teilnehmer keine zusätzlichen TNF-Hemmer. Keine Person musste ein zweites Mal operiert werden. Dagegen war in der Biologikagruppe trotz der Medikation fast die Hälfte der Patienten (48%) gezwungen, sich im Lauf der Studienzeit ebenfalls einer Resektion zu unterziehen. Die Behandlungseffekte waren in beiden Gruppen sehr ähnlich: Die mediane Zeit ohne zusätzliche Therapie betrug 33 respektive 34 Monate. In beiden Gruppen konnten prophylaktische Immunmodulatoren das Risiko einer zusätzlichen Behandlung senken. «Diese Daten unterstützen eine frühe laparoskopische Ileozökalresektion bei Patienten mit ileozökalem Morbus Crohn, deren konventionelle Behandlung gescheitert ist», erklärte Studienleiter Dr. Toer Stevens vom Universitären Medizinischen Zentrum Amsterdam bei der Vorstellung der Ergebnisse. Auch Prof. Dr. Dr. Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich zeigte sich im Gespräch mit ARS MEDICI beeindruckt: Wenn bei der Hälfte der Operierten über fünf Jahre keine Medikation mehr notwendig sei, solle man bei geeigneten Patienten mit limitiertem Morbus Crohn und kurzem Befall im terminalen Ileum eine solche Option frühzeitig in Erwägung ziehen.
Mikrobiom von Säuglingen durch Mutter beeinflusst
Seit einiger Zeit ist das Interesse am Mikrobiom stark gewachsen, insbesondere wenn es um chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) geht. Das schlug sich auch in einer Vielzahl neuer Studien am ECCO-Kongress zur Rolle der Darmbakterien nieder. Eine zentrale Frage dabei: Haben wir ein verändertes Mikrobiom, weil wir krank sind, oder macht uns ein verändertes Mikrobiom krank? Wissenschaftler aus den USA, Belgien und weiteren Ländern setzten bei dieser Frage in der MECONIUM-Studie (Exploring Mechanisms of Disease Transmission In Utero Through the Microbiome) sehr früh an: Inwiefern wirkt sich das veränderte Mikrobiom von schwangeren Frauen mit CED auf die Darmflora ihrer Kinder aus? Um dem nachzugehen, sammelten die Forscher Stuhlproben von 1037 werdenden Müttern (mit und ohne CED) und 294 Säuglingen, bei diesen innerhalb der ersten beiden Lebensjahre (80 hatten CED-Mütter, 214 hatten keine CED-Mütter) (2). Die Datenauswertung zeigte, dass das Mikrobiom der Kinder von der Art der Geburt (natürlich vs. Kaiserschnitt), dem CED-Status der Mutter, der Nahrungsaufnahme (Brust vs. Trinkflasche) und möglichen Antibiotikabehandlungen signifikant beeinflusst wird. Diese Parameter gingen einher mit einer signifikant veränderten Zusammensetzung der Bakteriengattungen Bacteroides, Bifidobacterium und Klebsiella (alle p = 0,001). Die Reduktion von Bacteroides in den ersten Lebensmonaten von Kaiserschnittkindern wurde dabei mit dem fehlenden Kontakt mit der Vaginalflora während der Geburt erklärt. Zwar konnte nach zwei Jahren immer noch ein Mikrobiomunterschied zwischen Kindern von CED-Müttern und Kindern von gesunden Müttern beobachtet werden, mit der Zeit glichen sich die Bakterienzusammensetzungen jedoch an. Das sei mit der Exposition der Kinder mit verschiedenen äusseren Bakterienquellen zu erklären, so die Forscher. Zudem wurde auch die intestinale Inflammation in Form des fäkalen Calprotectinstatus der Mütter während der Schwangerschaft und der Kinder in den ersten drei Lebensjahren untersucht (3). Werdende Mütter mit CED (unabhängig davon, ob Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa) zeigten im Vergleich zu Gesunden erhöhte Calprotectinwerte, diese verminderten sich jedoch im Laufe der Schwangerschaft, und zwar von 130,8 µg/g im
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ersten auf 85,9 µg/g im dritten Trimester. Auch die Nachkommen von CED-Patientinnen wiesen zwischen dem 2. und dem 36. Monat erhöhte Calprotectinspiegel auf. Dabei waren vor allem Babys betroffen, deren Mütter während der Schwangerschaft unter einer aktiven Entzündung gelitten hatten. Möglicherweise hat die Schwangerschaft einen günstigen Einfluss auf die CED-Aktivität der Mütter. Zudem scheint eine Darmentzündung der Mütter auch das Mikrobiom und damit den inflammatorischen Status des Nachwuchses zu verändern, so das Fazit der Autoren.
Moderate Vorteile durch höhere Dosierung
Viel bringt viel – ist das auch bei Biologika so? Und muss das nicht mit mehr oder/und stärkeren Nebenwirkungen bezahlt werden? Mediziner um Prof. Jean Fred Colombel vom Mount Sinai Medical Center in New York und Kollegen gingen dieser Frage in der randomisierten, doppelblinden Phase-III-SERENE-UC-Erhaltungsstudie nach (4). Eingeschlossen wurden 757 erwachsene Patienten mit moderater bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa. Acht Wochen nach einer Adalimumabinduktionstherapie teilte man die Patienten in drei Gruppen (n = 371) auf: Adalimumab 40 mg wöchentlich (40 EW), Adalimumab 40 mg zweiwöchentlich (40 EOW) oder exploratorisch Adalimumab 40 mg mit therapeutischem Drug-Monitoring. Nach 52 Wochen wiesen
in den jeweiligen Gruppen 39,5 Prozent, 29,0 Prozent und 36,5 Prozent eine klinische Remission auf (Mayo-Score). «Zwar zeigten die Teilnehmer unter Adalimumab 40 mg wöchentlich hinsichtlich der Remissionsraten einen numerischen Vorteil, die Differenz war jedoch statistisch nicht signifikant», so Colombel in Wien. Allerdings offenbarten diese Daten in Verbindung mit einer ebenfalls neuen japanischen Studie nach 52 Wochen signifikant höhere Remissionsraten, das heisst eine Differenz von 11,1 Prozent, für die einmal wöchentliche Applikation des Biologikums (p = 0,045). Auch die Talspiegel waren sowohl im EW- als auch im exploratorischen Studienarm klar höher als im EOW-Arm. Die Verträglichkeit erwies sich in beiden Gruppen als gleich, es zeigten sich keine neuen Sicherheitssignale. Möglicherweise, so Colombel, profitierten Patienten, deren Response nachlasse, von einer solchen Erhöhung der Dosierung.
Vedolizumab auch subkutan applizierbar ...
Die intravenöse Applikation von Medikamenten im Spital oder in der Praxis wird von vielen Patienten als umständlich angesehen. Am ECCO-Kongress stellte Prof. Severine Vermeire vom Universitätsspital Leuven (BE) nun Resultate einer Phase-III-Studie vor, in der bei Patienten mit Morbus Crohn erstmals Vedolizumab als Erhaltungstherapie subkutan injiziert wurde (5). In der VISIBLE-2-Studie erhielten 644 Teil-
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nehmer mit moderatem bis schwerem Morbus Crohn in der Induktionsphase Vedolizumab 300 mg i.v. in Woche 0 und 2. Ab Woche 6 wurden 412 klinische Responder (≥ 70 Punkte Abnahme im CDAI) entweder jede zweite Woche mit 108 mg Vedolizumab (n = 275) oder mit Plazebo (n = 134) für die nächsten 52 Wochen behandelt. Über die Hälfte (61% und 53%) hatte in der Vergangenheit eine Anti-TNF-Therapie erhalten. Den primären Endpunkt erreichten 48 Prozent der Patienten unter Vedolizumab s.c. im Vergleich zu 34,3 Prozent der Plazebogruppe (p = 0,008). Hinsichtlich der erweiterten klinischen Response konnten – trotz numerischer Überlegenheit – keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden (52,0% vs. 44,8%), ein Ergebnis, das laut Vermeire auf den anhaltenden Effekt der Induktionstherapie zurückzuführen sein könnte. Dagegen waren von den Patienten, die mit Kortikosteroiden zu Beginn der Studie noch behandelt worden waren, 45,3 Prozent in der Verumgruppe nach 52 Wochen steroidfrei (Plazebo 18,2%). Die subkutane Vedolizumabtherapie sei gut toleriert worden und sei dem unter i.v.-Applikation bekannten Sicherheitsprofil ähnlich, so die belgische Gastroenterologin. «Obwohl solche Medikamente seit vielen Jahren im Einsatz sind, wäre die subkutane Formulierung für unsere Patienten, aber auch für unser System ein grosser Fortschritt», erklärte auch Prof. Markus PeckRadosavljevic vom Klinikum Klagenfurt im Gespräch mit ARS MEDICI.
... ebenso wie Infliximab-Biosimilar
Auch Biosimilars sind auf dem Weg zur subkutanen Injektionstherapie. In einer aktuellen Studie wurde eine neue subkutane Formulierung von Infliximab (CT-P13 SC) bei Patienten mit aktivem Morbus Crohn und aktiver Colitis ulcerosa im Vergleich zur intravenösen Applikation getestet (6). Die insgesamt 131 Teilnehmer wiesen nach 54 Wochen vergleichbare Verbesserungen hinsichtlich klinischer Response, Remission und Mukosaheilung auf (CDAI-Score und partielle Mayo-Scores). Auch die Sicherheitsdaten waren in beiden Studiengruppen ähnlich. Der Wechsel von i.v. zu s.c. ab Woche 30 verlief zudem problemlos. Die Ergebnisse würden zeigen, dass diese erste subkutane Infliximabformulierung eine praktikable therapeutische Möglichkeit zur Erweiterung der Behandlungsoptionen sei, sagte Studienleiter Prof. Shomron Ben-Horin vom Sheba Medical Center der Universität Tel Aviv/Israel.
Ustekinumab: Remission für zwei Drittel
Auch zum Interleukin-12/23-Hemmer Ustekinumab gab es
neue Zwischenergebnisse. In die STARDUST-Studie wurden
500 Patienten mit moderatem bis schwerem Morbus Crohn
eingeschlossen (7). Erstmalig setzten die Wissenschaftler
dabei auf eine Treat-to-Target-Strategie mit endoskopischer
Kontrolle. Die Teilnehmer hatten bereits mindestens eine
zuvor gescheiterte Therapie mit konventionellen Medika-
menten und/oder Biologika hinter sich. Sie erhielten initial
intravenös Ustekinumab (6 mg/kg) und nach acht Wochen
Ustekinumab 90 mg subkutan. Nach 16 Wochen zeigten 79
Prozent der Patienten ein klinisches Ansprechen und 67 Pro-
zent eine klinische Remission. Im weiteren 16 Wochen dau-
ernden Follow-up der Responder erreichten 37 Prozent der
Teilnehmer der Treat-to-Target-Gruppe ein endoskopisches
Ansprechen. Überdies zeigte sich bei rund der Hälfte eine sig-
nifikante Verbesserung der Calprotectin- und CRP-Level, bei
einem Drittel sogar eine Normalisierung. Das Sicherheitspro-
fil erwies sich mit den Profilen aus Untersuchungen anderer
Indikationen identisch.
s
Klaus Duffner
Quelle: 15. Kongress der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO). 12. bis 15. Februar 2019 in Wien.
Referenzen: 1. Stevens T et al.: Reduced need for surgery and medical therapy after early
ileocaecal resection for Crohn’s disease: Long-term follow-up of the LIR!C trial. OP03, presented at ECCO-IBD 2020, February 12–15, Vienna. 2. Guedelha Sabino J et al.: Influence of early life factors on the development of intestinal microbiota of infants born to mothers with and without IBD. OP16, presented at ECCO-IBD 2020, February 12–15, Vienna. 3. Tarassishin L et al.: Dynamics of intestinal inflammation and microbial dysbiosis in pregnant women with IBD and their infants. P030, presented at ECCO-IBD 2020, February 12–15, Vienna. 4. Colombel JF et al.: Higher vs. standard adalimumab maintenance regimens in patients with moderately to severely active ulcerative colitis: results from the SERENE-UC maintenance study. OP01, presented at ECCO-IBD 2020, February 12–15, Vienna. 5. Vermeire S et al.: Efficacy and safety of vedolizumab SC in patients with moderately to severely active Crohn’s disease: results of the VISIBLE 2 study. 2020; OP23, presented at ECCO-IBD 2020, February 12–15, Vienna. 6. Ben-Horin S et al.: A novel subcutaneous infliximab (CT-P13): 1-year results including switching results from intravenous infliximab (CT-P13) in patients with active Crohn’s disease and ulcerative colitis. OP24, presented at ECCO-IBD 2020, February 12–15, Vienna. 7. Danese S et al.: Clinical and endoscopic response to ustekinumab in Crohn’s disease: week 16 interim analysis of the STARDUST trial. OP13, presented at ECCO-IBD 2020, February 12–15, Vienna.
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