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BERICHT
Rheumatoide Arthritis
Behandlung innerhalb von drei Monaten beginnen
Wird die rheumatoide Arthritis vom Hausarzt bereits in ihrer Frühform erkannt, besteht die Chance, den Verlauf mit einer rechtzeitig einsetzenden Therapie entscheidend beeinflussen zu können. Woran man die Früharthritis erkennt und worauf bei der Therapie zu achten ist, erklärte Dr. Stephan Erni, Leitender Arzt Rheumatologie RehaClinc, Bad Zurzach, am FOMF Allgemeine Innere Medizin in Basel.
Rheumatoide Arthritis als häufigste Form idiopathischer Arthritiden tritt in der Gesamtbevölkerung mit 0,5 bis 1 Prozent recht häufig auf (1). Bis zu 50 Prozent der Patienten sind nach 10 Jahren nicht mehr arbeitsfähig. Das führt zu beträchtlichen direkten und indirekten Kosten. Arthritiden mit persistierender Entzündung und eher schwerem Verlauf sind oft charakterisiert durch weibliches Geschlecht, viele schmerzhaft geschwollene Gelenke, hohes CRP/BSR, positiven Rheumafaktor/anticitrullinierte Antikörper (ACPA) sowie Gelenkschäden bei erosiver Erkrankung. Wichtig sei es deshalb, die Arthritis in einem Frühstadium zu erkennen, denn es gebe Hinweise für ein «window of opportunity», ein günstiges Zeitfenster für die Behandlung, um Erosionen in Gelenken zu verhindern und vielleicht sogar eine Remission herbeizuführen, erklärte Erni. Dieses Zeitfenster wird heute in den 3 Monaten nach Krankheitsbeginn lokalisiert (1). Patienten mit einer frühen entzündlichen Arthritis, die sich später zur rheumatoiden Arthritis weiterentwickelt, weisen bereits in den ersten 3 Monaten eine Synovitis mit einem bestimmten transienten Zytokinmuster auf (2). Entsprechend trägt eine frühzeitige Therapie mit krankheitsmodifizierenden Antirheumatika (disease-modifying antirheumatic drugs, DMARD) auch zu einem vorteilhafteren Krankheitsverlauf bei, wie eine parallel geführte Fall-Kontroll-Studie zeigte. Dabei wurden je 20 Patienten mit rheumatoider Arthritis 3 Monate versus 12 Monate nach Krankheitsbeginn einer 3-jährigen DMARD-Therapie unterzogen. Bereits nach 3 Monaten Behandlung zeigten sich in der Frühtherapiegruppe signifikante Verbesserungen im DAS28 (disease activity score), die sich im Studienverlauf weiter fortsetzten. Nach 3 Jahren zeigten die Patienten in der Frühtherapiegruppe, verglichen mit der Spättherapiegruppe, Verbesserungen von 2,8 vs. 1,7 im DAS28 und eine signifikant langsamere radiologische Krankheitsprogression (3). Die frühzeitige Diagnose und Therapie schaffen demnach einen durch die später einsetzende Therapie nicht aufzuholenden Vorteil in der Krankheitsprogression (3). Die Morbidität von Patienten, die nicht richtig behandelt sind, ist gemäss Erni sehr hoch.
Wann sollten Patienten zum Rheumatologen überwiesen werden?
Empfehlungen für den Hausarzt weisen auf eine frühe Überweisung hin, denn strukturelle Schäden entstehen bei der
aktiven rheumatoiden Arthritis bereits sehr früh. Eine Früharthritis lässt sich an wenigen Zeichen erkennen: weiche Gelenkschwellung ohne Trauma, vor allem wenn gleichzeitig 3 oder mehr Gelenke betroffen sind oder wenn die Morgensteifigkeit mehr als 30 Minuten andauert. Ein positiver Gaenslen-Test an Händen und Füssen ist ebenfalls ein Hinweis. Dabei wird die Hand oder der Vorfuss des Patienten im Bereich der Grundgelenke quer zusammengedrückt. Ein dabei auftretender Schmerz weist auf entzündliche Gelenkveränderungen hin. Eine bestehende Therapie mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR), aber auch Kortikosteroide, welche jedoch nicht ohne Diagnose gegeben werden sollten, können die Symptome maskieren und die Progression verschleiern (4).
Besonderes bei der medikamentösen Therapie
Der Krankheitsverlauf sollte zu Beginn der medikamentösen Therapie alle 3 Monate mit Scores wie DAS28, SDAI (simplified disease activity index) und CDAI (clinical disease activity index) engmaschig kontrolliert werden. Später wird diese Strategie durch eine Treat-to-Target-Strategie abgelöst, die das Ziel der Remission oder einer niedrigen Krankheitsaktivität durch konsequente Therapieanpassung beziehungsweise Eskalation verfolgt. Dafür stehen heute, abgesehen von NSAR und Steroiden, konventionelle DMARD (cDMARD), biologische DMARD (bDMARD) und neue targetspezifische DMARD (nDMARD) zur Verfügung (Tabelle). Bei der Therapie mit Methotrexat sind iatrogene Fehldosierungen zunehmend zu beobachten (5), die rheumatologische Dosierung besteht aus einer einmal wöchentlichen Gabe per os oder subkutan. Häufige Gründe für Fehldosierungen sind gemäss Erni unter anderem Kommunikationspannen, mangelnde Fachkenntnis und Unterschätzung des toxischen Potenzials. Leflunomid ist eine gute Alternative zu Methotrexat, doch ist bei dieser Substanz zu beachten, dass sie eine sehr lange Halbwertszeit von bis zu 2 Jahren aufweist. Weil es in Tierstudien teratogene Eigenschaften gezeigt hat, muss Leflunomid 2 Jahre vor einer geplanten Schwangerschaft abgesetzt werden. Die Substanz kann nach Absetzen auch mit Colestyramin ausgewaschen werden. Bei den Anti-IL-6-Rezeptor-Inhibitoren Tocilizumab und Sarilumab gilt es zu bedenken, dass eine CRP-Messung falsch negativ sein kann. Denn die CRP-Produktion sei IL-6-abhängig, erklärte Dr. Erni.
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DMARD für die Therapie der rheumatoiden Arthritis (Auswahl)
Konventionelle DMARD (cDMARD)
Methotrexat (Metoject®, Methotrexx®, div. Generika)
Dosierung
Initial: 5–15 mg/Woche Erhaltung: 10–30 mg/Woche
Leflunomid (Arava®, div. Generika)
Initial: 100 mg/Tag während 3 Tagen Erhaltung: 10–20 mg/Tag
Sulfasalazin (Salazopyrin®)
Azathioprin (Azafalk®, Azarek®, Imurek®) Ciclosporin (Ciqorin®, Sandimmun®)
Antimalarika (Hydroxychloroquinsulfat/ Plaquenil®, Chloroquinidinphosphat/ Chlorochin®, Chloroquinsulfat/ Nivaquine®)
Biologische DMARD (bDMARD) Infliximab (Inflectra®, Remicade®, Remsima®) Adalimumab (Amgevita®, Humira®, Hyrimoz®) Etanercept (Benepali®, Enbrel®, Erelzi®) Golimumab (Simponi®) Certolizumab (Cimzia®)
Tocilizumab (Actemra®)
Sarilumab (Kevzara®)
Initial: 500 mg/Tag Erhaltung: 2 g/Tag Initial: 1 mg/kg KG/Tag Erhaltung: 1,5–2,5 mg/kg KG/Tag Initial: 2–3 mg/kg KG/Tag bis max. 5 mg/kg KG/Tag Plaquenil®: initial: 400 mg/Tag Erhaltung: ≤ 5 mg/kg/Tag Chlorochin®: initial: 250 mg/Tag Erhaltung: 250 mg/Tag Nivaquine®: initial: 300 mg/Tag Erhaltung: 150 mg/Tag
3–5 mg/kg 0–2–6 Wochen, dann 4–8 mg wöchentlich 40 mg s.c. alle 2 Wochen
50 mg/Tag s.c. 50 mg oder 100 mg s.c. 1 ×/Monat 400 mg s.c. 0–2–4 Wochen, dann 200 mg s.c. alle 2 Wochen Infusion 8 mg/kg KG, s.c. 162 mg/Woche 200 mg s.c. alle 2 Wochen
Abatacept (Orencia®)
125 mg s.c. 1 ×/Woche
Rituximab (MabThera®, Rixanthon®,
1000 mg i.v. alle 2 Wochen
Truxima®)
Neue targetspezifische DMARD (nDMARD)
Tofacitinib (Xeljanz®)
5–10 mg 2 ×/Tag
Baricitinib (Olumiant®)
4 mg/Tag
Upadacitinib (RINVOQ®)
15mg/Tag
Quelle: Dr. St. Erni, FOMF AIM Basel 2020; www.swissmedicinfo.ch, www.rheuma-net.ch
Bemerkungen
Bei enoralen Aphten und gastrointestinalen Symptomen (→ 1–2 × Folsäure 5 mg/Woche); Dosierungen > 15 mg s.c. verabreichen, da die Bioverfügbarkeit oral eingeschränkt ist t1/2 bis 2 Jahre, teratogen in Tierstudien (→ 2 Jahre vor Schwangerschaft absetzen oder mit Colestyramin auswaschen)
Plaquenil®: Bull’s-Eye-Retinopathie, keine ophthalmologische Routinekontrolle während der ersten 5 Jahre oder bis zu einer kumulativen Dosis von > 1000 g und ohne Risikofaktoren wie Leber- und Niereninsuffizienz sowie vorbestehende Retinopathie
CRP kann falsch negativ sein, da CRP-Produktion IL-6-abhängig ist CRP kann falsch negativ sein, da CRP-Produktion IL-6-abhängig ist
Vermehrt Herpes zoster und Divertikulitis/Per foration, Transaminaseerhöung, LDL-Erhöhung, fraglich vermehrte venöse Thromboembolien (cave bei Risikofaktoren) Vermehrt Herpes zoster und Divertikulitis/Per foration, Transaminaseerhöung, LDL-Erhöhung, fraglich vermehrte venöse Thromboembolien (cave bei Risikofaktoren)
Impfungen vor Therapiebeginn auffrischen
Bevor eine immunmodulierende oder -supprimierende Therapie gestartet wird, empfiehlt die Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie (5), die Grundimmunisierung gemäss Schweizerischem Impfplan (6) zu aktualisieren. Empfohlene
Auffrischimpfungen sind Diphterie und Tetanus, gegen Herpes zoster soll grundimmunisiert werden. Zur Verhinderung von invasiven Pneumokokkenerkrankungen bei Risikogruppen soll eine einmalige Impfung mit PCV13 (Prevenar®) verabreicht werden. Bei bereits mit PPV23 geimpften Patienten
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wird eine Impfung mit PCV13 frühestens nach 1 Jahr empfoh
len (7). Darüber hinaus ist eine jährliche Grippeimpfung ratsam.
Bei Patienten mit immunsuppressiven Basistherapien sind
Lebendimpfstoffe kontraindiziert. Zu immunsuppressiven
Basistherapien zählen die Steroidbehandlung mit Dosierun-
gen > 20 mg/Tag und konventionelle Basistherapien mit
Methotrexat, Leflunomid, Azathioprin, Ciclosporin und
Cyclophosphamid. Ebenso sind Biologikatherapien mit
TNF-Hemmern, Rituximab, Abatacept, Tocilizumab sowie
JAK-Inhibitoren dazuzuzählen.
Zu den Lebendimpfstoffen gehören Impfstoffe gegen BCG,
Cholera, Polio oral, Varizellen, Herpes zoster (Zostavax®),
Gelbfieber, Masern, Mumps, Röteln und Typhus oral.
Bei Patienten mit nicht immunsupprimierenden Basisthera-
pien wie Steroiden < 20 mg/Tag, Antimalarika, Sulfasalazin und Gold sei die Verabreichung von Lebendimpfstoffen da- gegen möglich (5, 8), so Erni abschliessend. s Valérie Herzog Quelle: «Rheumatoide Arthritis», FOMF Allgemeine Innere Medizin, 29. Januar bis 1. Februar 2020 in Basel. Referenzen: 1. Burgers LE et al.: Window of opportunity in rheumatoid arthritis – defini- tions and supporting evidence: from old to new perspectives. RMD Open 2019; 5: e000870. 2. Raza K et al.: Early rheumatoid arthritis is characterized by a distinct and transient synovial fluid cytokine profile of T cell and stromal cell origin. Arthritis Res Ther 2005; 7: R784–R795. 3. Nell VP et al.: Benefit of very early referral and very early therapy with disease-modifying anti-rheumatic drugs in patients with early rheumatoid arthritis. Rheumatology 2004; 43: 906–914. 4. Emery P et al.: Early referral recommendation for newly diagnosed rheumatoid arthritis: evidence based development of a clinical guide. Ann Rheum Dis 2002; 61: 290–297. 5. Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie: Impfempfehlungen für Patieten mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen. www. rheumanet.ch. Letzter Abruf: 5.2.20. 6. Bundesamt für Gesundheit: Schweizerischer Impfplan 2020. https:// www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/i-und-b/richtlinienempfehlungen/allgemeine-empfehlungen/schweizerischer-impfplan. pdf.download.pdf/schweizerischer-impfplan-de.pdf 7. Bundesamt für Gesundheit: Pneumokokkenimpfung: Empfehlungen zur Verhinderung von invasiven Pneumokokkenerkrankungen bei Risikogruppen. BAG Bull 2014; 8: 129–141. 8. Bundesamt für Gesundheit: Pneumokokkenimpfung: Impfprinzipien und Empfehlungen für Personen mit autoimmun-entzündlichen rheumatischen Erkrankungen. BAG Bull 2014; 8: 159–161. Behandlungsempfehlung der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie https://www.rheuma-net.ch/de/fachinformationen/behandlungsempfehlungen 210 ARS MEDICI 7 | 2020