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EDITORIAL
Ein Joint mit Folgen auch für andere
«Ein Joint zum Entspannen» ist wie «ein Gläschen in Ehren» ein oft gehörter Spruch. Doch seit dem Nachweis des erhöhten Risikos für Psychosen bei intensivem Cannabisgebrauch mussten gesundheitsbewusste Cannabisliebhaber solcherlei Entspannung tunlichst auf das Wochenende beschränken. Nun wird ihnen auch dieses gelegentliche Vergnügen, zumindest den männlichen mit Familienwunsch, gehörig vermiest. Eine amerikanische Studie zeigte nämlich ein doppelt so hohes Risiko für einen Spontanabort, wenn potenzielle Väter in den zwei der Befruchtung vorangegangenen Monaten wöchentlich ein- bis mehrmals Cannabis konsumierten. Bei dieser prospektiven Studie machten über 1400 Paare zwischen 21 und 45 Jahren mit Kinderwunsch mit. Verglichen wurden Männer ohne Cannabisgebrauch mit solchen, die weniger als einmal in der Woche kifften, oder solchen mit mehrmals wöchentlichem Konsum (1).
50 000 Joints Trotz gesundheitlichen Folgen in Hirn und Hoden erfreut sich Cannabis dennoch ungebrochener Beliebtheit. 50 000 gerauchte Joints pro Tag – und das nur im KantonWaadt! Das zeigt die MASTRUP-Untersuchung (2) über den Cannabismarkt im Kanton Waadt, durchgeführt von Sucht Schweiz, dem Institut für Kriminaltechnik und Kriminologie und der Universität Lausanne. Mit Daten aus Statistiken und Befragungen
sowie Abwasseranalysen vermassen die drei Institu-
tionen die «Kifferei»: Etwa 60 000 bis 85 000 Waadt-
länder (ca. 7,5–10% der Waadtländer Bevölkerung)
konsumieren 3,5 bis 5,1 Tonnen Cannabis pro Jahr
(2017). Dabei liegt der Gehalt des berauschenden
Tetrahydrocannabinols (THC) bei Marihuana bei etwa
13 Prozent, bei Haschisch etwa bei 28 Prozent.
Trotz vielen Konsumenten wird mit Cannabis nicht so
viel Geld verdient. Nicht weil die Marge trotz günsti-
gem Preis (Haschisch: 13 Franken pro Gramm, Mari-
huana: 10 Franken pro Gramm) zu tief wäre, sondern
weil der Eigenanbau gemäss dem Bericht bis zu
10 Prozent des konsumierten Cannabis ausmacht. Da-
mit kiffen viele Hobbyhanfbauern und vermutlich
auch deren Freunde gratis. Trotzdem werden im
Waadtländer Cannabismarkt jährlich bis zu 30 Millio-
nen Franken Gewinn erzielt. Der gelegentliche Kon-
sum, der sich auf Wochenenden beschränkt, belastet
das Portemonnaie mit etwa 30 Franken pro Monat
nicht stark, doch ein intensiver, mindestens fünfmal
wöchentlicher Konsum kostet über 300 Franken im
Monat. Dafür braucht es ein regelmässiges Einkom-
men oder eine eigene Plantage.
Schweizweit gaben 2017 4 Prozent (2012: 2,9%) der
Wohnbevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren an, im
letzten Monat Cannabis konsumiert zu haben, wie aus
dem Schweizer Suchtpanorama 2020 hervorgeht (3).
Geht man von den Waadtländer Schätzungen aus,
werden in der gesamten Schweiz rund 40 bis 60 Ton-
nen Cannabis konsumiert. Damit sei der Cannabis-
markt gemäss Sucht Schweiz bei Weitem der grösste
illegale Drogenmarkt, auch wenn der Umsatz kleiner
sei als bei anderen Drogen (3).
s
Valérie Herzog
Referenzen: 1. Harlow AF et al.: Male marijuana and spontaneous abortion. Abstr. O-4
presented at American Society for Reproductive Medicine Scientific Congress, Philadelphia, 12.–16. Oktober 2019 in Philadephia. 2. Zobel F et al.: Structure et produits du marché des stupéfiants (MARSTUP) dans le canton de Vaud: Les cannabinoids. Lausanne, Addiction Suisse/ Ecole des sciences criminelles/Unisanté 2020. www.suchtschweiz.ch 3. Sucht Schweiz: Suchtpanorama 2020. www.suchtschweiz.ch
Das Suchtpanorama 2020 finden Sie auf der Seite von Sucht Schweiz unter: www.suchtschweiz.ch
ARS MEDICI 5 | 2020
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