Metainformationen


Titel
Neurologie/Pychiatrie – Neue Schwindeldiagnose
Untertitel
Interview mit Dr. med. Rita Schaumann-von Stosch FA Neurologie FMH Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie (D) MAS Versicherungsmedizin Luzern
Lead
-
Datum
Autoren
-
Rubrik
Rückblick 2019/Ausblick 2020
Schlagworte
-
Artikel-ID
43472
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/43472
Download

Transkript


Rückblick 2019/Ausblick 2020

Neurologie/Psychiatrie
Dr. med. Rita Schaumann-von Stosch FA Neurologie FMH Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie (D) MAS Versicherungsmedizin Luzern

Hinsichtlich der Therapie heisst das für den Hausarzt, dass neben den verschiedenen therapeutischen Methoden, die bei PPPD zum Einsatz kommen (Einzel- und Gruppentherapie, medikamentöse Behandlung mit SSRI, Vagusnervstimulation, vestibuläre Therapie oder tDCS), ein Fokus darauf zu legen ist, die häufigen psychischen Komorbiditäten zu beachten und gegebenenfalls gesondert zur Diagnose und Therapie durch einen psychiatrischen Facharzt zu bringen.

Neue Schwindeldiagnose
Welche neuen Erkenntnisse in Ihrem Fachgebiet waren 2019 für Sie besonders spannend?
Die neue Diagnose Persistent Postural-Perceptual Dizziness (PPPD oder Triple-PD) im ICD-11 entspricht einer neuen Einordnung/Klassifikation von Diagnosen wie phobischem Schwankschwindel und chronischem subjektiven Schwindel. Beide sind sehr häufige Diagnosen in der Praxis.
Wie könnte das Diagnose und/oder Therapie in der Hausarztpraxis künftig verändern?
Die neue Einordnung dieser oben genannten funktionellen, neurologischen Störungen soll mehr strukturierte diagnostische Kriterien anbieten (s. Tabelle). Hinsichtlich der Diagnose heisst das für den Hausarzt, dass eine organische Schwindelursache durch den Spezialisten (HNO, Neurologe) ausgeschlossen sein muss. Angst und Depression werden als Komorbidität des phobischen Schwankschwindels und nicht mehr als Teil der Erkrankung angesehen. Zum Beispiel zeigte sich in einer Studie, dass bei einem Drittel der Patienten mit phobischem Schwankschwindel eine Angststörung die Ursache war.

Auf welche Studienresultate sind Sie 2020 besonders gespannt?
Auf die Ergebnisse der Erforschung neurodegenerativer
­Erkrankungen in den nächsten Jahren.

Und was «fürchten» Sie am meisten?
Die Erkenntnisse aus den USA bezüglich Opioidmissbrauch sollten nicht dazu führen, dass diese wirkungsvollen Medikamente bei entsprechenden Indikationen den Patienten vorenthalten werden. Selbstverständlich sollten sie aber auch nicht undifferenziert eingesetzt werden, wie es offensichtlich in den USA und vielleicht auch in der Schweiz geschieht oder geschah. Es braucht einen differenzierten Umgang mit diesen Substanzen in der Schmerztherapie. Die Konsequenz für die Hausarztpraxis lautet kurz gefasst: Einen Patienten mit andauernden Schmerzen sollte man besser frühzeitig einem Spezialisten vorstellen – Diagnose kommt vor Therapie!

Wie lautet Ihre wichtigste Botschaft für die Kolle-

ginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis 2020?
Chronifizierung verhindern durch frühzeitige Abklärung

­organischer Ursachen bei unspezifischen Symptomen, wie es

Schmerzen und Schwindel sein können!

s

Tabelle
Wichtige diagnostische Kriterien zu PPPD (Persistent Postural-Perceptual Dizziness)
A Schwindel oder Unsicherheit – oder beides – werden typischerweise länger als drei Monate an den meisten Tagen empfunden. B Die Symptome sind auch ohne spezifische Auslöser vorhanden, sie können sich aber steigern bei – aufrechter Körperhaltung – aktiven oder passiven Eigenbewegungen, ohne dass dies einen Bezug zu einer bestimmten Position oder Richtung hat – der Exposition von grossflächigen, bewegten Objekten oder komplexen visuellen Anforderungen – der Durchführung kleinflächiger, präziser visueller Aufgaben. C Die Störung wird durch Bedingungen ausgelöst, die Schwindel, Unsicherheit oder Übelkeit verursachen oder Probleme mit der Balance beinhalten, einschliesslich akuter episodischer oder chronischer vestibulärer Syndrome, neurologischer oder medizini scher Krankheiten oder psychischer Krisen. D Die Symptome führen zu erheblichen Belastungen oder Funktionsstörungen. E Die Symptome können keiner anderen definierten Erkrankung oder Störung zugeordnet werden.

Die Übersetzung und Zusammenfassung der wichtigsten Kriterien für PPPD in der Tabelle wurde übernommen aus: Schaaf H: Wenn der Schwindel die Akutphase überdauert. HNO-Nachrichten 2018; 48(2): 30–35. Eine offizielle deutsche Übersetzung für PPPD gibt es noch nicht. Mehr Informationen und die komplette Kriterienliste zu PPPD finden Sie in folgenden Review-Artikeln:

Popkirov S et al.: Persistent postural-perceptual dizziness (PPPD): a common, characteristic and treatable cause of chronic dizziness. Pract Neurol 2018; 18: 5–13. Chrobok AI: Phobischer Schwankschwindel. Nervenheilkunde 2019; 38: 542–546.

56 ARS MEDICI 3 | 2020