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Titel
Nephrologie – Wichtige Durchbrüche – SGLT2-Hemmer als Superstars
Untertitel
Statement PD Dr. med. Andreas Kistler Chefarzt der Medizinischen Klinik Kantonsspital Frauenfeld
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Rückblick 2019/Ausblick 2020
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43479
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Rückblick 2019/Ausblick 2020

Nephrologie
PD Dr. med. Andreas Kistler Chefarzt der Medizinischen Klinik Kantonsspital Frauenfeld
Wichtige Durchbrüche – SGLT2-Hemmer als Superstars
Verglichen mit anderen Disziplinen wie der Onkologie oder der kardiovaskulären Medizin – wo Leitlinien mit einer derartigen Frequenz weiterentwickelt werden müssen, dass es sich kaum mehr lohnt, sie zu drucken – sind die Entwicklungen in der Nephrologie überschaubarer. Das liegt unter anderem daran, dass viele Nierenerkrankungen relativ selten sind und die häufigen Nierenerkrankungen relativ langsam verlaufen und «harte Endpunkte» daher spät auftreten, was die Durchführbarkeit therapierelevanter klinischer Studien erschwert. Um so freudiger werden wichtige Durchbrüche aufgenommen. Und hier waren – wie schon im Jahr davor – auch 2019 die SGLT2-Hemmer die Superstars. In der DECLARE-TIMI58-Studie (1) konnten im Wesentlichen die Resultate, die für Empagliflozin (EMPA-REG OUTCOME [2]) und Canagliflozin (CANVAS [3]) bereits gezeigt worden waren, auch für Dapagliflozin bestätigt werden. Diese Studien schlossen vorwiegend Patienten mit relativ normaler Nierenfunktion und mehrheitlich normaler Albuminurie ein und konnten eine 30- bis 40-prozentige Reduktion bezüglich Neuauftreten einer chronischen Niereninsuffizienz beziehungsweise relevanter Verschlechterung der Nierenfunktion zeigen. Mit der CREDENCE-Studie konnte nun auch gezeigt werden, dass Canagliflozin bei Typ-2-Diabetikern mit etablierter diabetischer Nephropathie (eGFR 30–60 ml/min/1,73m2 und «Makroalbuminurie») relevante renale Endpunkte signifikant und klinisch relevant (um ca. 30%) senkt (4). Wurde initial eine reduzierte Nierenfunktion als Kontraindikation für SGLT2-Hemmer erachtet (da bei tieferer GFR eine geringere glukosurische Wirkung zu erwarten ist), so entwickelt sich nun eine diabetische Nephropathie zu einer der Hauptindikationen für SGLT2-Hemmer – denn die nephroprotektive Wirkung von SGLT2-Hemmern ist unabhängig vom blutzuckersenkenden Effekt.
Mit Spannung erwartet
Und damit kommen wir auch gleich zu den Studien, auf deren Daten die nephrologische «Community» wohl gespannt wartet: Dapa-CKD (voraussichtlich Ende 2020 abgeschlossen) und EMPA-KIDNEY (voraussichtlich Mitte 2022 abgeschlossen) untersuchen den Effekt von Dapagliflozin beziehungsweise Empagliflozin bei Patienten mit Niereninsuffizienz – mit oder ohne Diabetes mellitus. Aber noch einmal zurück zur diabetischen Nephropathie: Hier wird

Anfang 2020 die FIDELIO-Studie abgeschlossen, welche die Wirksamkeit von Finerenon, einem nicht steroidalen Mineralkortikoidantagonisten, bei diabetischer Nephropathie evaluiert und an der auch verschiedene Schweizer Zentren teilgenommen haben. Möglicherweise wird sich das Arma­ mentarium in der Behandlung der diabetischen Nephropathie mit derzeit ACE-Hemmern/Angiotensinrezeptorblockern und SGLT2-Hemmern also noch einmal erweitern. Ich bin gespannt!
Progression bremsen
Zu unspezifischen Progressionsfaktoren chronischer Nierenerkrankungen – also Faktoren, die unabhängig sind vom ursprünglichen Auslöser einer Nierenerkrankung – sind neue Erkenntnisse in zwei Bereichen zu erwähnen: Am europäischen Nephrologie-Jahreskongress wurden die Resultate der UBI-Studie vorgestellt (5). Dabei konnte belegt werden, dass die Behandlung einer metabolischen Azidose mit Natriumbicarbonat bei Patienten mit Niereninsuffizienz die Progression der Niereninsuffizienz deutlich verlangsamt. Diese Resultate stimmen überein mit Resultaten früherer kleinerer Studien. Damit wird zunehmend klarer, dass bei Patienten mit Niereninsuffizienz der Bestimmung des Bicarbonats im Blut und der Behandlung einer metabolischen Azidose eine wichtige Bedeutung zukommt. Diesbezüglich auch von Interesse ist ein neuer Therapieansatz mit einem Polymer (Veverimer), das im Gastrointestinaltrakt Protonen bindet, anstatt sie mit Bicarbonat zu neutralisieren. Bezüglich der Korrektur einer Azidose war dieser Ansatz wirksam und könnte theoretisch gewisse Vorteile zeigen – der Vergleich mit Bicarbonat hinsichtlich relevanter Endpunkte steht aber noch aus. Immer wieder diskutiert wurde in den letzten Jahren, bisher aufgrund indirekter Evidenz, ob die Behandlung einer ­Hyperurikämie die Progression einer chronischen Niereninsuffizienz zu verlangsamen vermag. Hier haben wir nun die Antwort: leider nein. Eine publizierte Studie, die diesbezüglich Febuxostat getestet hat (6), sowie zwei am ameri­ kanischen Nephrologie-Jahreskongress vorgestellte Studien, die Allopurinol bei diabetischer beziehungsweise nicht diabetischer Nierenerkrankung evaluierten, zeigten negative Resultate. Es gilt also weiterhin: Allopurinol (bzw. Febuxostat) soll für die Prophylaxe einer rezidivierenden Gicht (die bei Niereninsuffizienz auch gehäuft vorkommt) angewendet werden, aber nicht für die Therapie einer asymptomatischen Hyperurikämie.
Antikoagulanzien bei Niereninsuffizienz
Für den Hausarzt von Bedeutung ist eine Niereninsuffizienz oft auch aufgrund der daraus resultierenden Kontraindikationen beziehungsweise der notwendigen Dosisanpassungen für gewisse Medikamente. Eine wichtige Substanzgruppe sind hier Antikoagulanzien. Teils aufgrund pharmakokinetischer Überlegungen, teils aber auch schlicht aufgrund fehlender Daten sind DOAK bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz derzeit kontraindiziert – wobei sich die Grenze bereits etwas nach unten verschoben hat. Hierzu konnte

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eine Metaanalyse zeigen, dass DOAK bei Patienten mit einer eGFR von 15–60 ml/min/1,73m2 wohl einer Behandlung mit Phenprocoumon bei Vorhofflimmern bezüglich des Risikos für ischämische Schlaganfälle wie auch Blutungen über­ legen scheinen (7). Definitive Klärung werden randomisierte, kontrollierte Studien zum Einsatz von DOAK bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz inklusive Dialyse bringen. Davon sind mehrere aktuell am Laufen, erste Resultate aber wohl erst ab 2021 zu erwarten sein.
Für den Hausarzt wohl von weniger direkter Bedeutung, aber dennoch kurz erwähnt seien hier zwei weitere Bereiche aus der Nephrologie
In der Behandlung der renalen Anämie konnte bei Dialysepatienten in der PIVOTAL-Studie gezeigt werden, dass eine grosszügige Gabe von i.v. Eisen den Bedarf an Epo-Präparaten senkt und bezüglich bisher diskutierter möglicher Nebenwirkungen sicher scheint: Es kam zu keinen erhöhten Infektionsraten, und die kardiovaskulären Ereignisse konnten gar leicht reduziert werden (8). Wichtiges «new kid on the block» 2019 ist der HIF-Stabilisator (HIF=hypoxia inducible factor) Roxadustat. Roxadustat kann oral eingenommen werden und führt nicht nur zu einer erhöhten endogenen Produktion von Epo, sondern auch zu verschiedenen anderen Effekten, die die Blutbildung beeinflussen. In zwei publizierten chinesischen Studien (9, 10) sowie in internationalen Studien, die am amerikanischen Nephrologie-Jahreskongress vorgestellt wurden, konnte die Wirksamkeit dieses Ansatzes zur Behandlung der renalen Anämie bei Dialysepatienten und bei prädialytischen Patienten gezeigt werden. Im Bereich glomerulärer Erkrankungen ist die MENTORStudie (11) zu erwähnen, die erstmals solide nachweisen konnte, dass Rituximab bei der primären membranösen Nephropathie sehr wirksam und gut verträglich ist (was bisher aufgrund kleinerer bzw. nicht randomisierter Studien schon vermutet wurde) – nach Jahrzehnten sehr toxischer Therapien (Cyclophosphamid, Ciclosporin) bei der membranösen Nephropathie stellt dieser Therapieansatz einen wichtigen Durchbruch dar.

Meine Botschaften für die Kollegen in der Haus-

arztpraxis 2020
s Jeder Typ-2-Diabetiker mit beginnender Nephropathie (Al-

buminurie) hat einen SGLT2-Hemmer verdient! Beachten

Sie, dass die Verschreibung bei Patienten mit einer eGFR

< 45 beziehungsweise 60 ml/min/1,73m2 (je nach Präparat) zurzeit noch «off-label» ist. Aber das wird sich nächstens ändern – halten Sie die Augen offen! s Weiterhin ist bei jedem Patienten mit Niereninsuffizienz zu überlegen: Ist die Ätiologie klar? Könnte eine spezifische Nierenerkrankung dahinterstecken? Zur G­ runddiagnostik gehört eine Urinanalyse, und bei relevanter Proteinurie oder auffälligem Sediment ist eine nephrologische Abklä- rung angezeigt. Die ätiologisch eindeutige hypertensive oder diabetische Nephropathie kann dagegen lange in der Hausarztpraxis behandelt werden. s Zum Weiterlesen: 1. Wiviott SD et al.: DECLARE–TIMI 58 Investigators: Dapagliflozin and ­cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2019; 380(4): 347–357. 2. Wanner C et al.; EMPA-REG OUTCOME Investigators: Empagliflozin and progression of kidney disease in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375(4): 323–334. 3. Neal B et al.: Canagliflozin and cardiovascular and renal events in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 644–657. 4. Perkovic V et al.: Canagliflozin and renal outcomes in type 2 diabetes and nephropathy. N Engl J Med 2019; 380: 2295–2306. 5. Di Iorio BR et al.: Treatment of metabolic acidosis with sodium bicarbonate delays progression of chronic kidney disease: the UBI Study. J Nephrol 2019; 32(6): 989–1001. 6. Kimura K et al.: Febuxostat therapy for patients with stage 3 CKD and asymptomatic hyperuricemia: a randomized trial. Am J Kidney Dis 2018; 72: 798–810. 7. Ha JT et al.: Benefits and harms of oral anticoagulant therapy in chronic kidney disease: A systematic review and meta-analysis. Ann Intern Med 2019; 171: 181–189. 8. Macdougall IC et al.: Intravenous iron in patients undergoing maintenance hemodialysis. N Engl J Med 2019; 380: 447–458. 9. Chen N et al.: Roxadustat treatment for anemia in patients undergoing long-term dialysis. N Engl J Med 2019; 381(11): 1011–1022. 10. Chen N et al.: Roxadustat for anemia in patients with kidney disease not receiving dialysis. N Engl J Med 2019; 381(11): 1001–1010. 11. Fervenza FC et al.: Rituximab or cyclosporine in the treatment of membranous nephropathy. N Engl J Med 2019; 381: 36–46. 52 ARS MEDICI 3 | 2020