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Titel
Innere Medizin – Besserung in Bezug auf Antibiotikaresistenzen bringt nur ein allgemeines Umdenken
Untertitel
Interview mit PD Dr. Markus Schneemann Chefarzt Klinik für Innere Medizin Kantonsspital Schaffhausen
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Rückblick 2019/Ausblick 2020
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43480
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Rückblick 2019/Ausblick 2020

Innere Medizin
PD Dr. Markus Schneemann Chefarzt Klinik für Innere Medizin Kantonsspital Schaffhausen
Besserung in Bezug auf Antibiotikaresistenzen bringt nur ein allgemeines Umdenken
Welche neuen Erkenntnisse des letzten Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend?
Beeindruckend fand ich die neuen Daten zu den SGLT2-Hemmern, wonach diese auch bei Herzinsuffizienten ohne Diabetes die Mortalität und die herzinsuffizienzbedingten Hospitalisationen senken. Das wird auf die Therapie dieser Patienten direkten Einfluss haben. Ebenso beeindruckend, aber nicht im positiven Sinn, ist die Zunahme multiresistenter Bakterien. Vor allem die vancomycinresistenten Enterokokken machen uns in den Spitälern grosse Probleme, wie zuletzt am Berner Inselspital.
Welche davon könnten Diagnose und/oder Therapie in der Hausarztpraxis künftig verändern?
Die neue Möglichkeit der Herzinsuffizienztherapie mit den SGLT2-Hemmern wird in der Hausarztpraxis sicher Anwendung finden. Einige Kollegen haben schon damit angefangen. Für eine breite Anwendung ausschlaggebend werden aber die Empfehlungen der Fachgesellschaften sein, und in diesen ist die neue Option noch nicht aufgenommen. Mit dem Phänomen der vancomycinresistenten Enterokokken muss sich nun die gesamte Ärzteschaft auseinandersetzen. Denn auch solche Träger werden einmal aus dem Spital nach Hause entlassen. Der Hausarzt wird sich danach organisieren müssen. Kommt ein solcher Patient in die Sprechstunde, sollte dieser als letzter des Tages einbestellt werden. Und danach sollten die Praxis beziehungsweise alle Räume, in denen dieser Patient war, einer gründlichen Reinigung unterzogen werden. Wichtig ist es, bei diesen Patienten Kontrollabstriche zu nehmen, auf der Haut (Leiste) und/oder rektal. Die Infektion ist selbstlimitierend, doch muss kontrolliert werden, ob die Bakterien noch da oder bereits verschwunden sind. Das kann bis zu eineinhalb Jahre dauern, manchmal auch weniger lang. Wichtig ist, dass sich diese Patienten wieder normal ernähren, damit ihre normale Darmflora diese Enterokokken wieder verdrängt. Die Patienten sollten in dieser Zeit, sofern möglich, keine Antibiotika nehmen. Probiotika können zur Unterstützung derzeit nicht empfohlen werden, weil es dazu keine Evidenz gibt. Träger lassen sich nur durch Abstriche identifizieren, sonst gibt es keine Erkennungsmerkmale. Zu den Risikogruppen gehören beispielsweise Patienten, die in ausländischen Spitälern waren. Im Kampf gegen Spitalkeime gibt es nur die konsequente Handhygiene. Und Besserung in Bezug auf Antibiotikaresistenzen bringt nur ein allgemeines Umdenken beim Antibio-

tikaeinsatz in der Humanmedizin und in der Landwirtschaft beziehungsweise in der Tierhaltung.
Wurden 2019 in Ihrem Fachbereich Medikamente zugelassen, die die Therapie erheblich verbessern?
Das Einsatzgebiet von direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) wird immer breiter. Nach deren Zulassung bei Vorhofflimmern ist nun die Indikationserweiterung auf das chronische Koronarsyndrom, das heisst auf die Phase nach einem akuten Koronarsyndrom, dazugekommen. Das chronische Koronarsyndrom ist die neue Bezeichnung für die stabile Koronarerkrankung. Im Bereich der Onkologie/Hämatologie sind es die Immuntherapeutika, wie beispielsweise die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, die zu einer wesentlichen Verbesserung der Therapie beigetragen haben. Sie bringen aber auch neuartige Nebenwirkungen. Patienten haben zum Beispiel vermehrt entzündliche Erkrankungen. Hier gilt es wachsam zu sein und zu wissen, welche Medikamente die Patienten gerade einnehmen.
Was hat Sie am meisten gefreut?
Es hat mich sehr gefreut, dass man in der Politik gemerkt hat, dass die Hausärzte und die Hausarztmedizin wichtig sind. Ebenso, dass die Palliativmedizin einen höheren Stellenwert auf Bundesebene erhalten hat und dies nun beispielsweise mit der Einrichtung eines Hospizes in meinem Kanton Schaffhausen umgesetzt wurde.
Und was «fürchten» Sie am meisten ...?
Am meisten ärgern mich die Tarifdiskussionen, und ich befürchte, dass das Globalbudget kommen wird, wenn die Politik das Gefühl hat, noch mehr gegen die Kostensteigerungen unternehmen zu müssen. Der Kostendeckel als vermeintlich einfache Lösung wird aber zu viel mehr Beschränkungen und Problemen führen, auch zu einer tieferen Behandlungsqualität für die Patienten.
Was ist Ihre wichtigste Message für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis 2020?
Ein wichtiges Anliegen an die Hausärzte ist die Vermittlung eines positiven Berufsbildes. Wenn immer nur von den Problemen dieses Berufsstandes zu hören ist, wird das den ersehnten Nachwuchs nicht in die Richtung der Hausarztmedizin motivieren. Der Nachwuchs orientiert sich dorthin, wo er sieht, dass die Leute mit Freude dabei sind. Die Vorzüge dieses Berufsstandes sollten mehr herausgestrichen werden. Zum Beispiel, dass man Langzeitverläufe sieht und dass man medizinisch ein sehr breites Spektrum hat. Zur erbaulichen privaten Lektüre empfehle ich ein Buch, das mir sehr gefallen hat: «Factfulness» des schwedischen Arztes Hans Rosling, das gibt es jetzt auch auf Deutsch. Der Gesundheitsforscher geht mit Fakten gegen Unwahrheit und schlechte Stimmung vor. Es ist ein Plädoyer für den Fortschritt und für die heilende Wirkung fundierter Fakten. Einen Teil seiner brillanten Vorträge findet man auch im Internet, zum Beispiel bei seiner Stiftung Gapminder: https://www.gapminder.org/videos/. s

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