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Titel
Orthopädie – Kreuzbandriss – auch eine OP führt nicht zur Heilung
Untertitel
Interview mit Dr. med. Luzi Dubs Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates FMH Winterthur
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Datum
Autoren
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Rubrik
Rückblick 2019/Ausblick 2020
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Artikel-ID
43305
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Rückblick 2019/Ausblick 2020

Orthopädie
Dr. med. Luzi Dubs Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates FMH Winterthur
Kreuzbandriss – auch eine OP führt nicht zur Heilung
Welche neuen Erkenntnisse des letzten Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend?
Besonders interessant waren zwei Arbeiten zur Thematik der vorderen Kreuzbandschädigung: In der ersten ging es um die Indikationsstellung zu einer vorderen Kreuzbandrekonstruktion. Hierzu ist eine überarbeitete Leitlinie der Deutschen und Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie erschienen. Die kritische Analyse der darin zitierten Literatur zeigt eindrücklich, dass alle genannten Arbeiten wegen ihrer erheblichen Mängel nicht oder wenig tauglich sind, um eine Indikation zur vorderen Kreuzbandrekonstruktion plausibel zu begründen. Die Erkenntnis, dass die Autoren der Leitlinie dies zulassen, gibt zu denken. In der zweiten ging es um eine Studie, die von Krismer et al. (Bern/Rotterdam) durchgeführt wurde. Es handelte sich um eine gematchte Vergleichsstudie zur Operation nach einer vorderen Kreuzbandschädigung. Die Autoren verglichen den Verlauf von 62 nicht operierten Patienten und 62 mit DIS operierten (DIS: dynamic intraligamentary stabilisation, auch bekannt unter dem Namen Ligamys®) nach einem Jahr. Die Verlaufsbeobachtung erfolgte klinisch und mit einer MRT-Bildgebung bezüglich der Heilungsrate. Klinisch waren beide Gruppen im Resultat nahezu gleich. In der operativ stabilisierten Gruppe war es in keinem einzigen Fall zu einer Heilung beziehungsweise Regeneration der gerissenen VKB-Fasern gekommen, während in der nicht operierten Gruppe im MRT bei immerhin 20 Prozent der Patienten eine durchgehende Narbenbildung erkennbar war. Das Resultat hängt somit nicht von der biologischen Heilung am Schadensort ab. Das vordere Kreuzband der Operierten entwickelte sich nicht wegen, sondern trotz der Operation gleich gut wie bei den nicht Operierten. Das Kartenhaus mit der Idee der operativen Stabilisation des vorderen Kreuz-

bandes kommt einmal mehr ins Wanken. Vorgestellt wurden die Daten am Deutschem Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie. Man darf gespannt sein, ob und allenfalls in welcher Zeitschrift diese Resultate zur Publikation zugelassen werden.
Welche dieser neuen Erkenntnisse könnten Diagnose und/oder Therapie in der Hausarztpraxis künftig verändern?
Nach einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes kann mit gutem Gewissen der spontane Heilungsverlauf über mindestens sechs bis neun Monate und unter Physiotherapie beobachtet werden. Die Erwartungen an das Resultat müssen schädigungsgerecht formuliert werden. Einen Status quo ante darf man nicht erwarten. Es resultiert im Durchschnitt und in der Regel ein leichter Verlust der Sportfähigkeit, der durch eine Operation nicht rückgängig gemacht werden kann.
Wurden 2019 in Ihrem Fachgebiet neue Medikamente zugelassen, die die Therapie erheblich verbessern könnten?
Nein, hierzu sind mir keine Neuigkeiten bekannt.
Auf welche Studienresultate sind Sie für 2020 besonders gespannt?
Spannend und wertvoll sind immer Studien über den natürlichen Heilungsverlauf (natural history).
Und was «fürchten» Sie am meisten?
Randomisierte Studien werden weiterhin oft deshalb vergöttert, weil sie unter dem Banner des Evidenzlevels I laufen und dadurch suggerieren, sie seien besonders wertvoll. Von der Natur her befassen sie sich in der Regel mit klinisch wenig relevanten Ergebnisunterschieden, sonst könnte und müsste man nicht randomisieren. Sie haben zweifellos ihren Stellenwert, müssen aber unabhängig vom Evidenzlevel gewürdigt werden.
Was ist Ihre wichtigste Botschaft für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis 2020?
Wer nach Leitlinien arbeiten möchte, muss sich Klarheit verschaffen, inwieweit die Aussagen in der zitierten Literatur patientenrelevant und nachvollziehbar sind. In der Regel werden Leitlinien durch Interessenvertreter erstellt, sodass die Unabhängigkeit der «Experten» zu diskutieren ist. s

ARS MEDICI 1+2 | 2020

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