Transkript
BERICHT
Behandlung von Atemwegserkrankungen
Mit Phytotherapeutika Antibiotika sparen
Atemwegsinfektionen sind sehr häufig. Dabei sei es wichtig, zwischen einer Pneumonie und einem viralen Infekt zu unterscheiden, betonte Prof. Michael Tamm, Chefarzt Pneumologie und Leiter des Lungenzentrums, Universitätsspital Basel, an der Jahrestagung für Phytotherapie in Baden. Während bei einer Pneumonie eine Antibiotikatherapie angebracht ist, ist eine solche bei viralen Infekten nicht sinnvoll. Im Gegenteil: Mit Phytotherapeutika kann der virale Infekt schneller überwunden werden.
Über zwei Drittel der Antibiotikaverschreibungen betreffen Atemwegsinfekte. Dabei sei die Ursache der akuten Bronchitis wie auch jene bei akuten Asthmaexazerbationen zu mehr als 95 Prozent der Fälle viral (Kasten), gab der Lungenspezialist zu bedenken. Häufigste Verursacher sind Rhinoviren, bei Epidemien können auch Influenzaviren sowie Coronavirus, RS-Virus oder Parainfluenzavirus verantwortlich sein. Ungeachtet der Ätiologie erfolgen 75 Prozent aller Antibiotikaverschreibungen bei Atemwegserkrankungen. Der übermässige Einsatz von Antibiotika bei respiratorischen Infekten führt zu einer problematischen Resistenz. Eine schon ältere doppelblind randomisierte Studie mit Azithromycin versus Vitamin C bei akuter Bronchitis zeigte keinen Unterschied in der Dauer bis zur Erholung (1). Was also führt dazu, bei respiratorischen Infekten Antibiotika zu verschreiben?
Antibiotika nur in ausgewählten Situationen
Als häufige Gründe gaben befragte Hausärzte in Grossbritannien auffällige Auskultationsbefunde, verfärbtes Sputum, Fieber, Atemnot oder den Zustand des Patienten an (2). Das verfärbte Sputum führe nicht weiter, es habe diesbezüglich keine Aussagekraft, so Tamm. Zudem spiele auch die Erwartungshaltung der Patienten eine Rolle. Denn viele glaubten, dass Antibiotika bei viralen Infekten wirkten. Diesbezüglich sei Aufklärung wichtig. Wann sind Antibiotika bei respiratorischen Infekten indiziert? Gemäss den Guidelines der European Respiratory Society ist die Verabreichung von Antibiotika angebracht, wenn ein Verdacht auf eine Pneumonie besteht oder diese bestätigt ist, hier
MERKSÄTZE
� Nur wenige Patienten mit Atemwegsinfekten profitieren von Antibiotika.
� Pneumonien müssen diagnostiziert und entsprechend behandelt werden.
� Pflanzliche Therapien beschleunigen die Heilung bei viralen Infekten.
kann ihr Einsatz sogar lebensrettend sein. Bei ausgewählten COPD-Exazerbationen, Alter > 75 Jahre und Fieber, bei Herzinsuffizienz, insulinabhängigem Diabetes und schwerwiegender neurologischer Erkrankung sind Antibiotika aufgrund gehäuft vorkommender bakterieller Superinfektionen ebenfalls indiziert (3). Bei Pneumonieverdacht hilft gemäss Tamm der Cut-off-Wert des C-reaktiven Proteins (CRP) weiter, dieser zeigt mit ≥ 100 mg/l eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Pneumonie an, ein Wert von < 20 mg/l dagegen keinen Infekt. Zu berücksichtigen sei jedoch der Umstand, dass das CRP erst etwa 24 Stunden nach Beginn eines bakteriellen Infekts oder einer Sepsis ansteige, so der Experte weiter. Bei starkem Verdacht auf einen Infekt ist deshalb eine erneute Messung nach 24 Stunden sinnvoll. Eine weitere Möglichkeit, einen bakteriellen Infekt zu beweisen, besteht aus der Messung des Procalcitonins. Diese muss aber ins Labor geschickt werden, was die Frage erst nach 24 Stunden beantwortet. Ein tiefer PCT-Wert steht für eine Infektion nicht bakterieller Ursache. CRP und PCT sind gemäss Tamm zuverlässige Parameter, um eine Pneumonie zu diagnostizieren, Sputum, Auskultation, Fieber und Leukozyten dagegen weniger (4). Pflanzliche Therapie statt Antibiotika In der Behandlung von Atemwegsinfekten kann der Einsatz von Phytotherapeutika die Antibiotikagabe verzögern und vermeiden. Das zeigte eine retrospektive Studie bei 1067 Hausärzten und 194 Pädiatern in Deutschland mit über 200 000 Patienten mit und 200 000 Patienten ohne Phytotherapeutikum in den ersten drei Tagen nach der Atemwegsinfektdiagnose. Von Interesse war, wie viele Patienten zwischen Tag 4 und Tag 21 eine Antibiotikatherapie erhielten. Die Verordnung der pflanzlichen Produkte war mit einem dreifach geringeren Risiko für eine Antibiotikatherapie in der Hausarztpraxis (Odds Ratio [OR]: 0,29) und einem zweifach tieferen Risiko bei Pädiatern (OR: 0,47) verbunden (5). Ausserdem war die Krankheitsdauer beziehungsweise die Dauer der Krankschreibungen in der Phytotherapeutikagruppe kürzer (5). Nach einem Einsatz von Phytotherapeutika bei Atemwegsinfekten war demnach die spätere Antibiotikaverordnung signifikant seltener, was für eine virale und möglicherweise auch bakterielle Wirkung der pflanzlichen ARS MEDICI 1+2 | 2020 31 Enzian (Foto: Wikimedia/Innocenti.rob) BERICHT Präparate spricht. Unter den verwendeten Phytotherapeutika befanden sich Pelargonium, Thymian, Efeu, Enzian, Eisenkraut, Eukalyptus und Cineol, wobei sich für Pelargonium die tiefste OR ergab (0,49 bzw. 0,57). Der Extrakt aus den Wurzeln von Pelargonium sidoides (EPs 7630) wirkt antiviral, antibakteriell und sekretomotorisch. Wie eine Untersuchung zeigte, supprimiert der Extrakt die Replikation der Influenza-A-Viren H1N1, H3N2 und RSV komplett und reduziert die Virustiter von Coxsackie-A9-, Parainfluenza- und Coronavirus markant (6). Ob der Extrakt auch beim häufigsten Atemwegserreger Rhinovirus wirkt, untersuchte Tamm mit seinem Team in Bronchialepithelzellen aus menschlichen Biopsaten. Die Epithelzellen wurden mit Rhinovirus infiziert und anschliessend mit dem Extrakt oder mit Plazebo behandelt. Es zeigte sich, dass der Pelargoniumextrakt die Replikation der Rhinoviren vermindert, die Epithelzellen länger überleben und die inflammatorische Kaskade gebremst wird. Dabei habe es keine Rolle gespielt, Kasten: Ätiologie der Atemwegsinfekte Asthmaexazerbation Akute Bronchitis COPD-Exazerbation Pneumonie > 95% viral > 95% viral 30–50% viral 40–80% bakteriell
Quelle: Prof. M. Tamm, Basel, Phytotherapie Baden
ob die Biopsate Patienten mit COPD, Asthma oder Kontrollen entnommen worden seien, so Tamm. Aus den klinischen Studien mit Pelargoniumextrakt ergab sich bei Patienten mit akuter Bronchitis eine um 2 Tage schnellere Erholung von der Erkrankung (7). Eine prophylaktische Verabreichung verlängert bei Patienten mit COPD (Stadium II/III) mit vielen Exazerbationen die exazerbationsfreie Zeit und vermindert die Anzahl der Exazerbationen, wie eine Studie mit 200 COPD-Patienten zeigte. Die Unterschiede zu Plazebo waren dabei statistisch signifikant und klinisch relevant. Entsprechend war der Antibiotikaverbrauch in der Phytotherapeutikumgruppe in der Folge geringer als in der Plazebogruppe (8). Demnach beschleunigten pflanzliche Therapien die Heilung bei Infekten, so Tamm.
Optionen bei akuter Rhinosinusitis
Bei der akuten Rhinosinusitis stehe die Wiederherstellung der
Belüftung an erster Stelle, betont der niedergelassene
HNO-Facharzt Dr. Kaspar Strub aus Basel. Dazu eignen sich
abschwellende Nasensprays wie auch eine hypertone
NaCl-Lösung. Letztere kann selbst hergestellt werden und
entzieht der Schleimhaut jedoch Flüssigkeit, das Sekret ver-
flüssigt sich. Bei längerer Anwendung trocknet die Schleim-
haut aus, deshalb soll die NaCl-Spülung nur kurzzeitig an-
gewendet werden. In zweiter Linie folgt eine antiphlogistische
Therapie, für die topische Steroide und nicht steroidale Anti-
phlogistika eingesetzt werden können. Unter den topischen
Steroiden wirke das Kombinationspräparat Azelastin/Fluti-
cason am schnellsten und verursache keine systemischen
Nebenwirkungen, so der Spezialist.
Um die Abheilung zu beschleunigen, können auch hier Phyto-
therapeutika eingesetzt werden. Bei der intranasalen Kortiko-
steroidtherapie bewirkt beispielsweise der Zusatz des Phytothe-
rapeutikums (Sinupret®), bestehend aus Enzianwurzel,
Primelblüten, Krauser Ampfer, Holunderblüten und Eisenkraut,
eine beschleunigte Abheilung der Symptome, wie eine Studie
zeigte. In dieser erhielten 46 Patienten mit akuter Rhinosinusitis
während 7 Tagen entweder Mometasonspray 200 µg 2 ×/Tag
plus das pflanzliche Kombinationspräparat 160 mg 3 ×/Tag oder
das Mometasonspray allein. Nach 7 Tagen Therapie waren die
Symptome im Vergleich zu vorher in beiden Gruppen signifikant
zurückgegangen. In der Phytotherapiegruppe lag die Punktzahl
des «total symptom score» jedoch signifikant tiefer, was eine
bessere Wirksamkeit der Kombination nahelegt (9).
s
Valérie Herzog
Quelle: «Virale Atemwegsinfektionen – Prophylaxe und (Phyto-)Therapie» und «Rhinosinusitis ohne Antibiotika». Jahrestagung für Phytotherapie 2019, 21. November 2019 in Baden.
Referenzen unter www.arsmedici.ch
Holunderblüte (Foto: Wikimedia/Wilhelm Zimmerling)
32 ARS MEDICI 1+2 | 2020