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Titel
Gastroenterologie – Eine gewisse Vorsicht bei der Supplementierung mit Kalzium:Vitamin D ist angebracht
Untertitel
Interview mit Prof. Dr. med. Stephan Vavricka Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie AG Zürich
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Rückblick 2019/Ausblick 2020
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43304
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Rückblick 2019/Ausblick 2020

Gastroenterologie
Prof. Dr. med. Stephan Vavricka Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie AG Zürich
Eine gewisse Vorsicht bei der Supplementierung mit Kalzium/Vitamin D ist angebracht
Welche neuen Erkenntnisse des abgelaufenen Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend?
Da gibt es einige. Fangen wir oben bei der Speiseröhre an. In der Behandlung der eosinophilen Ösophagitis gibt es mit der Budesonid-Schmelztablette (Jorveza®) eine neue Therapieform, die die Behandlung wesentlich vereinfacht. Das darf man als Meilenstein bezeichnen, denn bisher behalf man sich mit einer sehr anstrengenden Elementardiät oder off-label mit Fluticason (Axotide®), das man erst aus dem Blister pulen musste, um es zu schlucken. Mit der neuen orodispersiblen Form (Schmelztablette) von Budesonid, das an der Speiseröhre sozusagen kleben bleibt, wird die Therapie deutlich bequemer (1). Pankreas: Zum Thema Pankreas gab es auch eine interessante Publikation. Sie beschäftigt sich mit den zystischen Pankreasläsionen, die im Rahmen von immer häufiger durchgeführten Bildgebungen zufällig entdeckt werden. Meist handelt es sich dabei um intraduktale papillär muzinöse Neoplasien (IPMN), von denen niemand so recht weiss, was in der Folge zu tun ist. In dieser europäischen Guideline sind nun Kriterien und Vorgehensweisen im Umgang mit so einem Zufallsbefund aufgeführt. Beispielsweise empfiehlt sie eine regelmässige Überwachung. Bei besorgniserregenden Veränderungen wie zum Beispiel einer Grössenzunahme, einer akuten Pankreatitis oder einer Diabetesneuentwicklung sollte eine chirurgische Entfernung dieser IPMN in Betracht gezogen werden (2). Colitis ulcerosa: Bezüglich chronisch entzündlicher Darmerkrankungen ist die neue Therapie mit Tofacitinib (Xeljanz®) zu erwähnen, die zur Behandlung der Colitis ulcerosa zugelassen ist. Zu den schon etwas älteren Zulassungsstudien OCTAVE-1 und -2 zur Wirksamkeit sind dieses Jahr interessante Daten einer Post-hoc-Analyse hinzugekommen. Diese zeigten, dass Patienten unter Tofacitinib sehr schnell, das heisst innerhalb von drei Tagen, ansprechen (3) und dass es demnach eine gute Idee ist, einen Patienten mit Colitis ulcerosa damit zu behandeln, wenn eine schnelle Wirkung erwünscht ist. Zu diesem Produkt gab es eine Einschränkung: Die hohe Dosierung (2 × 10 mg) sollte bei Patienten mit erhöhtem Risiko für eine Lungenembolie nicht an-

gewendet werden. Diese sollten auf eine Dosierung mit 2 × 5 mg täglich ein- oder umgestellt werden (4). Zöliakie: Zum Thema Zöliakie fand ich eine im «British Medical Journal» publizierte, prospektive Fall-Kontroll-Studie aus Norwegen sehr interessant. Diese fand einen Zusammenhang zwischen frühkindlichen Enterovireninfekten und einer späteren Ausbildung einer Zöliakie (5). Ein möglicher Trigger? Adipositas: In der frühen Kindheit könnte sich auch eine spätere Entwicklung einer Adipositas anbahnen: Eine amerikanische Kohortenstudie mit über 333 000 Kindern fand einen Zusammenhang von Therapien mit Antibiotika und Säurehemmern in den ersten zwei Lebensjahren und einer Adipositasentwicklung in der späteren Kindheit (6). Man vermutet, dass diese Medikationen das kindliche Mikrobiom verändern und damit die Gewichtszunahme fördern. Kolon: Eine weitere interessante Publikation ist zur Frage erschienen, ob eine Supplementierung von Kalzium und Vitamin D das Risiko für kolorektale Adenome senkt. Überraschenderweise ist bei dieser gut durchgeführten Studie herausgekommen, dass eine präventive Einnahme von Kalzium oder Kalzium/Vitamin D längerfristig das Risiko für die Entstehung von serratierten Polypen, also Vorläufern des Kolonkarzinoms, erhöht (7). Das zeigt, dass eine gewisse Vorsicht bei der heute eher grosszügigen Tendenz zur Supplementierung mit Kalzium und Vitamin D angebracht ist. Leber: In der Hepatologie fand ich eine Arbeit sehr interessant, die zeigte, dass mit einer Hepatitis-C-Therapie auch eine Risikoreduktion für kardiovaskuläre Ereignisse einhergeht. Hepatitis-C-Patienten, die mit den direkten antiviralen Medikamenten behandelt wurden, hatten das niedrigste Risiko (Hazard Ratio [HR]: 0,57) im Vergleich zu anderen Hepatitis-C-Therapien (HR: 0,78) oder Plazebo (8). Vor dem Hintergrund der Kostendiskussion über Hepatitis-C-Therapien ist das ein weiteres Argument für eine grosszügige Therapieallokation aller Hepatitis-C-Infizierten.
Auf welche Entwicklungen sind Sie im Jahr 2020 besonders gespannt?
Es sind Forschungen im Gange, bereits fibrosiertes Gewebe beispielsweise bei Leberzirrhose oder Stenosen im Rahmen von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wieder aufzuweichen. Eine doppelblind randomisierte Phase-IIa-Studie mit dem pegylierten humanen Fibroblastenwachstumsfaktor-21-Analogon Pegbelfermin zeigte diesbezüglich ganz ermutigende Resultate. Bei adipösen Patienten mit nicht alkoholischer Steatohepatitis bewirkte eine subkutane Therapie während 16 Wochen eine Reduktion des Fettgehalts in der Leber um 30 Prozent sowie eine Reduktion des Fibrosemarkers PRO-C3 und damit eine Verbesserung der Leberhistologie (9). Man ist heute also nicht mehr nur in der Lage, den Fettgehalt der Fettleber zu verändern, sondern auch die Fibrose. Die kommenden Publikationen auf diesem Gebiet werden sehr spannend sein. In der Behandlung der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen gibt es auch eine spannende Entwicklung. Mittler-

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weile gibt es viele Therapien mit Biologika und neuerdings

auch Head-to-Head-Vergleichsstudien wie VARSITY, die

Vedolizumab mit Adalimumab verglich. Diese zeigte, dass

Vedolizumab in Bezug auf die klinische und endoskopische

Remission Adalimumab überlegen war, nicht aber bei der

steroidfreien Remission (10). Interessant ist dabei nicht nur

das Resultat, sondern auch der sichtbare Paradigmenwechsel

hin zu mehr Head-to-Head-Vergleichsstudien. Beispielsweise

plant Roche in der Entwicklung von Etrolizumab mit ihrem

Studienprogramm nicht nur Vergleiche mit Plazebo, sondern

auch mit Konkurrenzpräparaten. Das finde ich bemerkens-

wert.

s

Referenzen: 1. Lucendo AJ et al.: Efficacy of budesonide orodispersible tablets as induc-
tion therapy for eosinophilic esophagitis in a randomized placebo-controlled Trial. Gastroenterology 2019; 157: 74–86.e15. 2. The european study group on cystic tumours of the pancreas: European evidence-based guidelines on pancreatic cystic neoplasms. Gut 2018; 789–804.

3. Hanauer S et al.: Tofacitinib induction therapy reduces symptoms within 3 days for patients with ulcerative colitis. Clin Gastroenterol Hepatol 2019; 17: 139–147.
4. Swissmedic: DHPC Xeljanz (Tofacitinib), https://www.swissmedic.ch/ swissmedic/de/home/humanarzneimittel/marktueberwachung/health-professional-communication--hpc-/dhpc_xeljanz.html
5. Kahrs CR et al.: Enterovirus as trigger of coeliac disease: nested case-control study within prospective birth cohort. BMJ 2019; 364: l231.
6. Stark CM et al.: Antibiotic and acid-suppression medications during early childhood are associated with obesity. Gut 2019; 68: 62–69.
7. Crockett SD et al.: Calcium and vitamin D supplementation and increased risk of serrated polyps: results from a randomised clinical trial. Gut 2019; doi: 10.1136/gutjnl-2017-315242.
8. Butt AA et al.: Direct-acting antiviral therapy for HCV infection is associated with a reduced risk of cardiovascular disease events. Gastroenterology 2019; 156: 987–996.
9. Sanyal A et al.: Pegbelfermin (BMS-986036), a PEGylated fibroblast growth factor 21 analogue, in patients with non-alcoholic steatohepatitis: a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 2a trial. Lancet 2019; 392: 2705–2717.
10. Sands BE et al.: Vedolizumab versus adalimumab for moderate-to-severe ulcerative colitis. N Engl J Med 2019; 381: 1215–1226.

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