Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
«Kratz einen Altruisten und du siehst einen Heuchler bluten.» (Michael Ghiselin) Schwierige Diskussion bei einem guten Glas Portwein (Colheita Càlem 1978): Gibt es selbstloses Helfen? Ja, gibt es, sogar im Tierreich. Sogar? Müsste man nicht sagen: «nur», denn: Gibt es wirklich menschliche Altruisten? Oder hat Ghiselin recht und alles Helfen ist verkappte Heuchelei? Tat Mutter Theresa das viele Gute wirklich nur, um in den Himmel zu kommen? Möglich, aber unwahrscheinlich. Denn wenn’s Altruismus bei unsern tierischen Vorfahren gibt, warum soll es ihn bei uns auf einmal nicht mehr geben? Oder ist Freude am Helfen etwa bereits Egoismus? Eines ist klar: ein einziges Glas Porto reicht hier nicht.
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Der Schwarm von Piranhas, der freiwillig beschliesst, vegetarisch zu werden, muss erst noch gefunden werden.
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Glaubst du, dass Pflanzen eine Seele haben? – Orchideen ja, Schnittlauch nein!
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Ob es uns (Schweizern) gut geht, erkennen wir am Bruttonationaleinkommen (BNE). Das ist der Wert aller Waren und Dienstleistungen, der von Einwohnern der Schweiz egal wo auf der Welt erwirtschaftet wurde und sich in deren Besitz befindet. Früher hiess das Bruttosozialprodukt (BSP). Im kleinen Königreich Bhutan (irgendwo zwischen Indien und China) gilt eine andere Kennzahl: das BNG: das Bruttonationalglück. Es steht sogar in der bhutanischen Verfassung. Zu den Säulen des Glücks gehören soziale Gerechtigkeit, Religion/Kultur, Umwelt und Verwaltungsstruktur. Sie bestimmen das Mass der Lebensqualität. Das BNG wird nicht gemessen, sondern
erfragt. Der vielleicht wichtigste Satz in der Verfassung Bhutans aber lautet: «Wenn die Regierung kein Glück für ihr Volk schaffen kann, dann gibt es keinen Grund für die Existenz der Regierung.»
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Kennen Sie den «Boiled-Frog-Effekt»? Frösche sind Wechselblüter, sie passen ihre Temperatur der Umgebung an. Heisst: Setzt man sie in heisses Wasser, jucken sie sofort heraus. Setzt man sie hingegen in kaltes Wasser und steigert die Wassertemperatur ganz, ganz langsam, harrt der Forsch aus, bis es zu spät ist und er gegart stirbt. Kein schönes Experiment (es wurde Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführt), aber ein vielsagendes. Wir verhalten uns wie Frösche. Egal, ob’s um Klimaerwärmung, Islamisierung, Schuldenwirtschaft, Verbote, Überwachung, Toleranz gegen Intoleranz oder Zensur geht: unser gesellschaftliches Alarmsystem reagiert schlecht auf langsame Veränderungen – oft bis es zu spät ist.
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Nudge (schubsen, stupsen) nennt sich die perfide (manchmal auch nützliche) Methode, andere unbemerkt, aber suggestiv zu motivieren, etwas zu tun, zu lassen, wahrzunehmen oder zu akzeptieren. Das funktioniert mit der Fliege im Pissoir so (für Frauen: Männer lieben Zielübungen und pinkeln seltener über das Urinal hinaus, wenn eine aufgemalte Fliege in der Mitte sitzt …), aber auch mit Moden, Vorbildern oder Ängsten. Industrie und Regierende lieben Nudging, weil man damit Kunden und Regierte leichter dazu bringt, das zu tun oder für normal zu halten, was man von ihnen will. Sie sehen den Zusammenhang zum «boiled frog»? Ganz einfach: Wir sollen nicht merken, dass und wie wir gegart werden – bis es zu spät ist.
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Gelesen zum Thema «Wir produzieren zu wenig Kinder»: Übst du heut’ dich in Askese, pflegt dich morgen ein Chinese.
sss
Bis 2049 will China wirtschaftlich, militärisch und technologisch führend sein. Die lapidare Erklärung eines EU-Kommissars: «Der Chinese duscht halt kürzer und kälter.» Mag sein, Askese ist eher ihr Ding, aber vielleicht hat ja ein anderer Kommentator recht: in China behindern weder Gentechnikverbot noch CO2-Hysterie, weder Frauenquoten noch Genderquatsch und auch kein absurder Datenschutz Universitäten, Wissenschaft und Technik. Der Preis für den kollektiven Erfolg: totale Überwachung und soziale Gängelung. Der Preis wäre uns zu hoch, oder? Sind Sie sicher? Leisten wir nicht grad die ersten à-conto-Zahlungen: Google, Facebook, Amazone & Co. im Besitz all unserer Daten, Bankgeheimnis und Bargeld ade. Ausserdem: Huawei hat ohnehin alles im Griff.
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Gelesen: «Hassen ja, aber die Richtigen.» Und: «Die meisten Kritiker der Hetzer sind selber welche.» Wohl wahr.
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Und das meint Walti: Schweinefleisch kann man jahrelang frisch halten, indem man die Sau am Leben lässt.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 23 | 2019