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STUDIE REFERIERT
Prostatakarzinomdiagnose
MRI-gesteuertes Biopsieren besser als TRUS
Bei der Diskussion um das Pro und Contra des PSA-Screenings spielt die Sorge wegen unnötiger Prostatabiopsien und der damit verbundenen Risiken eine grosse Rolle. In den letzten zehn Jahren hat sich neben dem klassischen, ultraschallgestützten Biopsieverfahren (TRUS) die magnetresonanztomografiegesteuerte Biopsie (MRI-TB) etabliert. Gemäss einem kürzlich publizierten Review bietet Letztere eine Reihe von Vorteilen.
European Urology
In dem Review (1) ging es um den Vergleich der Detektionsraten klinisch relevanter und klinisch irrelevanter Prostatatumoren mit MRI-gestützter oder mit klassischer, systematischer Biopsienentnahme bei Männern mit Verdacht auf ein Prostatakarzinom. Im Fall eines solchen Verdachts, sei es wegen erhöhter PSA-Werte oder eines verdächtigen Tastbefunds, wurde früher standardmässig eine erhebliche Anzahl von Prostatabiopsien unter Ultraschallkontrolle entnommen (trans-
BERICHTrektaler Ultraschall: TRUS-Verfahren).
Bei diesem, von manchen Autoren als
«Schrotschuss»-Methode bezeichneten Verfahren besteht neben der relativ hohen Anzahl von Biopsien das zusätzliche Risiko, dass anteriore Tumoren übersehen werden (2). Bei der MRI-gesteuerten Biopsie (multiparametrische Magnetresonanztomografie: mpMRI) werden hingegen nur die verdächtigen Bereiche biopsiert. Diese Biopsien erfolgen entweder direkt während des MRI (In-bore-Biopsie), oder der Urologe hat während der Biopsieentnahme den MRI-Befund im Gedächtnis (sogenannte kognitive Fusionsbiopsie),
oder eine Software errechnet ein Bild aus dem vorliegenden MRI-Befund und der Echtzeit-TRUS (MRI-Ultraschall-Fusionsbiopsie) (3).
Studien und Endpunkte
Verglichen wurde die Treffsicherheit von MRI-gestützten Biopsieverfahren (MRI-TB) mit systematischen Biopsien, das heisst TRUS-gestützte Biopsien oder perineale Template-Biopsien (TPM: Biopsieraster mit 36 oder mehr Stanzen). Einbezogen wurden 68 prospektive und retrospektive Studien, bei denen beim
KOMMENTAR
Dr. med. Jean-Luc Fehr Zentrum für Urologie Zürich Zertifiziertes Prostatakrebszentrum DKG Klinik Hirslanden, Zürich
PSA erhöht? MRI statt Biopsie!
Die Frage, ob eine MRI-gezielte Biopsie besser sei als die konventionelle TRUS-Biopsie, ist bereits durch verschiedene Studien hinlänglich geklärt: Die MRI-gezielte Biopsie ist deutlich überlegen. Die derzeit heiss diskutierte Frage lautet: Ist eine MRI-gezielte Biopsie ausreichend, oder sollen gleichzeitig mit der gezielten Biopsie auch systematische Biopsien über die ganze Prostata vorgenommen werden? Diese Frage stellt sich, weil die Studienlage zeigt, dass hierdurch wenige signifikante Karzinome zusätzlich diagnostiziert werden können; nachteilig ist bei diesem Vorgehen aber, dass viele nicht signifikante Prostatakarzinome gefunden werden. Die Precision-Studie (Kasivisvanathan et al., N Engl J Med 2018) zeigte eindrücklich, dass dank der Einführung der Prostata-MRI bei 30 Prozent der Männer auf eine Biopsie verzichtet werden konnte. In hierfür spezialisierten Prostatakarzinomzentren zeigen neueste Daten eine Ver-
minderung von gar 50 Prozent, was durchaus im Sinne einer «smarter medicine» zu sehen ist. Diese Errungenschaft kann jedoch mit zusätzlichen systematischen Standardbiopsien (Template-Biopsie, TRUS-Biopsie) wieder zunichtegemacht werden, weil damit 50 Prozent mehr insignifikante Tumoren diagnostiziert werden und den Patienten auch im Falle einer «active surveillance» belasten. Die Diagnostik von mehr insignifikanten Tumoren führt zwangsläufig zu einer Übertherapie. Die wenigen, durch alleinige MRI-gezielte Biopsie verpassten Prostatakarzinome werden zudem meistens in einer späteren Verlaufskontrolle diagnostiziert. Obschon die Übertherapie beim Prostatakarzinom in den letzten Jahren abgenommen hat, ist dieses Problem noch nicht genügend korrigiert. Damit kommen wir wieder zur Diskussion über den Sinn einer Vorsorge mittels PSA-Wert: Dank der MRI-Untersuchung werden im Falle eines Normalbefundes nun auch bei erhöhten PSA-Werten keine Biopsien durchgeführt und somit auch keine insignifikanten Karzinome festgestellt, da diese meistens in der MRI nicht sichtbar sind. Unsere Anstrengungen gehen dahin, die Qualität der multiparametrischen MRI und die gezielte Biopsietechnik zu steigern und auf Mehrfachbiopsien zu verzichten. Nur so können wir den Ansprüchen einer «smarter medicine» genügen. Prostatabiopsien ohne vorgängige MRI sollten der Vergangenheit angehören: PSA ja, aber bei erhöhtem Wert MRI und nicht Biopsie!
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STUDIE REFERIERT
gleichen Patienten MRI-TB und eine systematische Biopsie (TRUS oder TPM) erfolgte, sowie 8 randomisierte Studien, bei denen die Patienten entweder mit MRI-TB oder systematischer Biopsie untersucht wurden. Die Resultate der Studien mussten bis spätestens Anfang Juli 2018 verfügbar sein. Es wurden die Daten von insgesamt 14 709 Männern einbezogen. Zur Beantwortung der nachfolgend genannten Fragestellungen wurden jeweils die Studien herangezogen, deren Design am besten dafür geeignet war. In erster Linie ging es um die Frage, ob die MRI-TB die systematischen Biopsien bei der Diagnose von Prostatakarzinomen ersetzen kann. Dabei wurde der Einfluss von drei Faktoren untersucht: Verfahren der systematischen Biopsieentnahme (TRUS oder TPM), Status vor Biopsie (noch nie biopsiert, zuvor bereits biopsiert mit positivem/ negativem Befund) und Art der MRI-TB (in bore, kognitiv, visuell, softwareunterstützt). Darüber hinaus wurden drei weitere Endpunkte definiert: Anteil positiver Biopsien, Anteil der Patienten, deren Karzinom nach radikaler Prostatektomie neu eingestuft wurde, und Anteil der Prostatakarzinome, die mit MRI-TB verpasst und mittels zusätzlicher systematischer Biopsie entdeckt wurden.
Mit MRI-TB werden mehr Karzinome entdeckt
Mit der MRI-TB wurden mehr Patienten mit einem klinisch relevanten Prostatakarzinom entdeckt als mit systematischen Biopsien. Das Detektionsverhältnis (DR) zugunsten der MRI-TB betrug 1,16 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,09–1,24; p < 0,0001). In den beiden randomisierten Studien, in denen alleinige MRI-TB direkt mit alleiniger TRUS verglichen wurde, zeigte sich eine klare Überlegenheit der MRI-TB (DR: 1,46; 95%-KI: 1,12–1,90 bzw. DR: 2,43; 95%-KI: 1,53–3,84). Im Detail zeigte sich, dass die MRI-TB insbesondere im Vergleich mit dem weitverbreiteten TRUS besser war (DR: 1,22; 95%-KI: 1,13–1,32), während sich die TPM der MRI-TB bezüglich Sensitivität als annähernd ebenbürtig erwies (DR: 0,99; 95%-KI: 0,91–1,07), was angesichts der sehr hohen Biopsieanzahl der TPM nicht erstaunlich ist. Gleichzeitig sei die MRI-TB mit der sehr
viel geringeren notwendigen Biopsieanzahl aber viel effizienter, betonen die Studienautoren. Die Anzahl positiver Biopsien ist mit der MRI-TB höher (31% vs. 11%), was für eine höhere Treffsicherheit der MRI-TB spricht sowie dafür, dass mit der MRI-TB weniger Biopsien notwendig sind. Bezüglich der anderen oben genannten Parameter (Biopsiestatus, Art der MRI-TB) zeigten sich keine Unterschiede. Während man früher die MRI-TB nur für Männer ohne Biopsie in der Vorgeschichte empfahl, sei diese Methode demnach doch für alle Patienten geeignet, so die Studienautoren.
Weniger klinisch irrelevante Befunde mit MRI-TB
Mit der MRI-TB erhielten weniger Männer die Diagnose eines klinisch irrelevanten Prostatakarzinoms als mit TRUS/TPM (DR: 0,66; 95%-KI: 0,57– 0,76; p < 0,0001). Ob die MRT-TB dabei mit TRUS oder mit TPM verglichen wurde, spielte für diesen Vorteil der MRI-TB keine Rolle, ebensowenig der Biopsiestatus und die Art der MRI-TB. In einer kleinen Studie mit insgesamt 57 Patienten wurde über die neue Einstufung eines Prostatakarzinoms nach radikaler Prostatektomie berichtet. Hier gab es zwischen MRI-TB und den Biopsieverfahren keine wesentlichen Unterschiede (Upgrading bei 17% vs. 15% und Downgrading bei 20% vs. 15% der Patienten).
Wie viele Karzinome verpasst die MRI-TB?
Mit MRI-TB werden mehr klinisch relevante Karzinome entdeckt, aber – wie bei jeder diagnostischen Methode – auch einige Karzinome verpasst. In vier der randomisierten, zum teil sehr kleinen Studien wurden Männer mit negativem MRI-TB-Befund biopsiert. Die Rate verpasster Prostatakarzinome war in zwei der Studien gleich null (0/23 Patienten bzw. 0/130 Patienten), in einer Studie betrug sie 4 Prozent (1/26 Patienten) und in der vierten Studie 23 Prozent (1/13 Patienten). In den anderen Studien mit insgesamt 4652 Männern, in denen die Patienten zusätzlich zur MRI-TB biopsiert wurden, entdeckte man bei 13 Prozent der Männer ein klinisch relevantes Karzinom, das in der MRI-TB verpasst worden war. Auf der anderen Seite zeigte
sich in den randomisierten Studien, dass die Biopsie zusätzlich zur MRI-TB wiederum zu mehr klinisch irrelevanten Befunden führte und damit einen Vorteil der MRI-TB zunichte machte. Es sei klar, dass die Vermeidung von Biopsien mittels MRI-TB mit einem niedrigen klinischen Risiko für ein Prostatakarzinom einhergehe, schreiben die Autoren der Übersichtsarbeit. Aus diesem Grund sei ein sorgfältiges Follow-up von Patienten mit Prostatakarzinomverdacht und negativem Befund immer notwendig. Einiges spreche aber dafür, dass ein negativer MRI-TB-Befund für Ärzte wie Patienten beruhigender sei als ein negativer TRUS-Befund.
Kann die MRI-TB systematische Biopsien ersetzen?
Auf diese Frage gibt der Review keine eindeutige Antwort. Die Autoren betonen, dass die Qualität der MRI-TB von entscheidender Bedeutung sei, und raten den Spitälern, sich zunächst über den negativ prädiktiven Wert ihrer MRI-Untersuchungen klar zu werden, bevor man auf systematische Biopsien verzichtet. Wo genau die richtige Balance zwischen hoher Detektionsrate klinisch relevanter Prostatakarzinome einerseits und falsch positiver Befunde andererseits liege, sei noch nicht klar. Die vorliegende Übersichtsarbeit liefere jedoch eine gute Datenbasis, um im individuellen Fall zu einem «informed consent» zu gelangen, so die Studienautoren.
RBO s
Quellen: 1. Kasivisvanathan V et al.: Magnetic resonance imaging-targeted biopsy versus systematic biopsy in the detection of prostate cancer: a systematic review and meta-analysis. Eur Urol 2019; 76(3): 284–303. 2. Fehr JL: Prostatakarzinome richtig einschätzen. ARS MEDICI 2016; 2: 58–61. 3. Umbehr MH, Müntener M: Prostatabiopsie: aber wie? Swiss Med Forum 2018; 18(3): 68–70.
Interessenlage: Die Autoren der Übersichtsarbeit (1) wurden vom britischen National Institute for Health Research (NIHR) und verschiedenen Stiftungen unterstützt. Die Autoren aller genannten Quellen erklären, dass im Zusammenhang mit den genannten Publikationen keine potenziellen Interessenkonflikte bestehen.
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