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FORTBILDUNG
Phytopharmaka im Fokus
Akute Atemwegsinfektionen möglichst natürlich behandeln
Akuter Husten aufgrund eines banalen Atemwegsinfekts zählt in der kalten Jahreszeit bei Patienten in der Hausarztpraxis zu den häufigsten Beschwerden. In den meisten Fällen ist der Infekt viral bedingt, weshalb Antibiotika in der Regel primär nicht indiziert sind. Die Möglichkeiten für eine evidenzbasierte symptomatische Behandlung des akuten Hustens sind begrenzt. Eine Alternative zu chemisch-synthetischen Medikamenten stellen rationale Phytopharmaka dar, die mittlerweile gut in klinischen Studien untersucht sind.
Justus de Zeeuw
Erkältungskrankheiten werden gerne als «banale» akute Atemwegsinfektionen bezeichnet. Viele Betroffene empfinden aber auch eine herkömmliche Erkältung als sehr belastend. Sie leiden unter der ständig laufenden Nase in Verbindung mit Niesen, Druckgefühl im Kopf, Heiserkeit und quälendem Husten, der oft besonders hartnäckig ist. Rasche Symptomlinderung ist der dringendste Wunsch der Patienten, aber ohne ein bisschen Geduld geht es leider auch bei umfassender Behandlung nicht. Die Hoffnung vieler Patienten, dass eine Erkältung innerhalb einer Woche wieder verschwunden ist, ist eher als Wunschdenken zu bezeichnen. In einer Metaanalyse von 19 Studien bei Patienten mit undifferenzierten akuten Atemwegsinfektionen wurde eine Hustendauer von im Schnitt 17,8 Tagen dokumentiert (1). Inzwischen gibt es effiziente Mittel zur Hustenlinderung. Neben chemisch definierten Wirkstoffen wie Ambroxol ist vor allem die Wirksamkeit von Pflanzenextrakten, unter anderem mit ätherischen Ölen, aus Pelargonium-sidoides-Wurzeln, Extraktfixkombinationen aus Thymiankraut mit Efeu-
blättern, Primelwurzel oder reinem Efeublätterextrakt belegt (2). In einer aktuellen Studie mit einem Efeublättertrocken extrakt (EA 575) konnte eine Verkürzung der Hustendauer um bis zu 1 Woche belegt werden (3).
Was passiert beim Atemwegsinfekt?
Dringen Viren in die Atemwegsschleimhäute ein, sinkt die dünnflüssige Sekretschicht ab, es wird auch weniger Schmierund Gleitfilm (= Surfactant [surface active agent]) gebildet, und die Flimmerhaare verkleben (Abbildung 1). Dies führt zu einer gestörten mukoziliären Clearance, die zähe Sekretschicht kann nicht mehr abtransportiert werden und sammelt sich in den Atemwegen an. In den oberen Atemwegen äussert sich dies symptomatisch vor allem als lästige Verstopfung der Nase durch zähflüssigen Schleim, in den unteren Atemwegen kommt es zur Verkrampfung der Bronchialmuskulatur und zu Husten, der häufig mit Auswurf einhergeht. Der produktive Husten ersetzt die natürliche Eigenreinigung der Atemwege (Abbildung 2).
MERKSÄTZE
� Bei akuten Atemwegsinfektionen sollten anatomische und physiologische Aspekte gezielt berücksichtigt und zur Behandlung sollte auf das am stärksten beeinträchtigende Symptom fokussiert werden.
� Inzwischen gibt es effiziente Mittel zur Hustenlinderung. Neben chemisch definierten Wirkstoffen wie Ambroxol ist vor allem die Wirksamkeit von Pflanzenextrakten belegt.
� Eine initiale Antibiotikatherapie ist in der Regel nicht indiziert. Keinesfalls sollte eine längere Symptomdauer zu einem unkritischen Einsatz von Antibiotika verleiten. Bei Zweifeln hilft die Procalcitonin-Bestimmung im Blut.
� Wer möglichst gut durch die Erkältungssaison kommen will, sollte auch auf Vorbeugung setzen.
Antibiotika bei Patientenwunsch?
Keinesfalls sollte eine längere Symptomdauer zu einem unkritischen Einsatz von Antibiotika verleiten, betonen die Autoren der eingangs zitierten Metaanalyse. Rund 90 Prozent aller akuten Atemwegsinfektionen werden durch Viren verursacht, am häufigsten durch Rhinoviren (30–50%), ausserdem durch Corona-, Parainfluenza-, Respiratory-syncytial-, Influenza-, Adeno-, Entero- und Metapneumoviren. Eine akute Bronchitis kann ausserdem durch Infektionen mit Pilzen oder Schädigungen der Schleimhaut durch Chemikalien oder Zigarettenrauch ausgelöst werden (4). Eine primär bakteriell verursachte akute Atemwegsinfektion ist hingegen selten. Deshalb ist eine initiale Therapie mit Antibiotika in der Regel nicht indiziert. Viele Betroffene müssen allerdings in der Praxis davon erst überzeugt werden. Eine klassische Situation: Der Patient fordert ein Antibiotikum, und der Arzt, der unter Erwartungsdruck steht, denkt: «Dem Patienten das Antibiotikum
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(chronic obstructive pulmonary disease) erfolgen (13). Wird ein Antibiotikum verschrieben, sollte auf die Wahl des richtigen Präparats mit nachgewiesener Wirksamkeit gegen die wichtigsten Atemwegserreger geachtet werden. Ciprofloxacin hat eine Pneumokokkenlücke und kommt für eine empirische Therapie nicht infrage, gut geeignet ist zum Beispiel Amoxicillin. Bei einer Kombinationstherapie von Antibiotikum und Schleimlöser gibt es ebenfalls Ausschlusskriterien: Acetylcystein sprengt Disulfidbrücken und inaktiviert dadurch Antibiotika, es sollte deshalb ein anderer Schleimlöser eingesetzt werden, zum Beispiel Ambroxol oder rationale Phytotherapeutika.
Abbildung 1: Die Eigenreinigung der Atemwege kommt bei einer Infektion ins Stocken.
Abbildung 2: Spezielle Bedürfnisse bei produktivem Husten
auszureden, dauert länger, als ihm ein Rezept dafür mitzugeben. Und ein Plazeboeffekt ist ja immerhin möglich.» Nicht berücksichtigt wurde dabei: Antibiotika zerstören das Mikrobiom und können auch zu Nebenwirkungen wie Durchfall führen. Und natürlich wird durch unkritische Antibiotikaverordnung das Problem zunehmender Resistenzen verschärft.
Procalcitonintest hilft weiter
Auch Husten mit grünlich verfärbtem Auswurf ist kein eindeutiges Kriterium für eine bakterielle Superinfektion. Bei Zweifeln, ob ein Antibiotikum verschrieben werden sollte, hilft die Procalcitonin(PCT-)Bestimmung im Blut. Der Test, der gut zur Differenzierung zwischen bakteriellen und viralen Infekten eingesetzt werden kann, vermag den ärztlichen Arbeitsalltag erheblich zu erleichtern. Der Wert ist in der Regel innerhalb eines halben Tages verfügbar. Eine bakterielle Infektion ist bei PCT-Werten ≥ 0,25 µg/l wahrscheinlich und bei ≥ 0,5 µg/l sehr wahrscheinlich, bei Werten < 0,25 µg/l respektive < 0,1 µg/l hingegen unwahrscheinlich oder sehr unwahrscheinlich (5). Ein weiterer Aspekt: Dem Patienten wird durch den Test mit Blutabnahme das Gefühl vermittelt, «der Arzt kümmert sich», was auf den Krankheitsverlauf einen positiven Effekt haben kann. Grosszügiger können nach derzeitigem Stand der entsprechenden Leitlinie der AWMF(Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) Antibiotikaverordnungen hingegen bei Risikopatienten mit zugrunde liegenden Atemwegserkrankungen wie COPD
Erkältungen vorbeugen
Wer möglichst gut durch die Erkältungssaison kommen will, sollte auch auf Vorbeugung setzen. Ärzte können hier die Patienten durch gute Beratung an ihre Praxis binden. Denn auch bei den Möglichkeiten einer Infektprophylaxe gibt es seitens der Patienten durchaus Aufklärungsbedarf. Ein Mundschutz hilft vor allem Patienten mit einem Infekt dabei, andere Menschen nicht anzustecken. Empfehlenswert ist es deshalb, im Wartezimmer entsprechenden Patienten einen Mundschutz zur Verfügung zu stellen. Ein Mundschutz für gesunde Personen zur Vorbeugung einer Ansteckung ist hingegen nur mässig effektiv. Denn kleine infektiöse Tropfenkerne, die beim Niesen freigesetzt werden, können ihn durchdringen. Umgekehrt können beim Tragen eines Mund schutzes gar keine Tropfenkerne freigesetzt werden, weil die beim Niesen freigesetzten Tröpfchen im Mundschutz hängenbleiben. Als klassischer Infektionsweg bei einer Erkältung gilt die Tröpfcheninfektion über Aerosole, die beim Niesen etwa 1,5 Meter weit geschleudert werden. Daneben gibt es aber auch die aerogene Infektion über die deutlich kleineren Tropfenkerne, die bis zu 10 Meter weit fliegen können. Tropfenkerne eines erkälteten Patienten können alle anderen Menschen im Wartezimmer infizieren, sogar noch, wenn der Patient mit einer Erkältung gar nicht mehr im selben Zimmer ist. Zur Vorbeugung einer Ansteckung hilft es auch, wenn erkältete Menschen beim Niesen nicht nur die Hand, sondern zur besseren Abschirmung der infektiösen Wolke die ganze Innenseite des Ellenbogens vor das Gesicht halten.
Mythos Immunabwehrstärkung
Eine Erkältungsprophylaxe durch Stärkung des Immunsystems gibt es, anders als viele Menschen glauben, nicht. Hinter diesem Gedanken steht ja die Idee, dass man bei gestärktem Immunsystem gar nichts von einer Erkältung merkt. Aber: Die Symptome einer Erkältung wie Husten und Niesreiz sind ja Reaktionen des Körpers auf Keime, ausgelöst durch die Infektabwehr. Auch eine Metaanalyse von Studien bei COPD-Patienten, in der die vorbeugende Wirkung einer Einnahme von Bakterienextrakten untersucht worden ist, verlief enttäuschend. Zwar wurde in 5 Studien eine signifikante Verbesserung der Symptomatik nachgewiesen, aber alle waren von schlechter Qualität. So basierte zum Beispiel die Bewertung der Wirksamkeit auf der subjektiven Einschätzung durch den verordnenden Arzt. In der einzigen Studie mit hoher Qualität konnten weder das Risiko für eine Exazerbation noch die Exazerbationsdauer positiv beeinflusst werden (6).
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Therapie, welche die anatomischen und physiologischen Aspekte gezielt berücksichtigt.
Abbildung 3: Typischer Verlauf einer Erkältung
Erkältung oder Grippe?
Missverständnisse gibt es auf Patientenseite häufig auch darüber, was durch eine Grippeimpfung zu erreichen ist. Die Patienten sollten darüber informiert werden, dass eine Influenzaimpfung nicht vor einer Erkältung schützt, aber eine Grippe- und Pneumokokkenimpfung erheblich dazu beitragen könnte, dass man gesund durch die Erkältungszeit kommt, a rbeitsfähig bleibt und – im Falle von vorbestehenden Atemwegserkrankungen – weniger Exazerbationen hat. Erkranken geimpfte Patienten dennoch an einer Influenza, ist der Verlauf meistens zumindest abgeschwächt, und die Mortalität ist verringert. Verwechselt werden können eine herkömmliche Erkältung und eine Influenza eigentlich kaum. Patienten mit einer Erkältung zeigen meist einen mehrphasigen Krankheitsverlauf: zuerst Kopf- und Halsschmerzen, dann zunehmender Schnupfen (Rhinosinusitis), im weiteren Verlauf trockener Reizhusten und produktiver Husten (akute Bronchitis) (Abbildung 3). Meist gehen die Patienten erst 2 Tage nach Sym ptombeginn zum Arzt. Insgesamt hält die Symptomatik aber häufig bis zu 3 Wochen an. Charakteristisch für eine echte Grippe ist dagegen der per akute Krankheitsbeginn. Gerade haben sich die Patienten noch gesund gefühlt, nur einen Moment später sind sie schon krank. Typisch sind Kopf- und Gliederschmerzen, im weiteren Verlauf auch Fieber, hingegen fehlen in der Regel Nasenbeteiligung und Husten. Da die oberen und unteren Atemwege funktionell und anatomisch eine Einheit bilden, betreffen akute Atemwegsinfektionen in der Regel sowohl obere als auch untere Atemwegschleimhäute. Auch die Erreger sind oben und unten – von der Nase bis in die Lungenbläschen – meist ähnlich. Dies erklärt, warum eine akute Sinusitis häufig in eine Bronchitis übergeht. Allerdings können die Beschwerden bei einer herkömmlichen Erkältung individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Dies ist unter anderem mit anatomischen Unterschieden im Atemwegstrakt und der Abh ängigkeit der Symptomatik vom Infektherd zu erklären. So kommen in den oberen Atemwegen mehr schleimbildende Becherzellen als in den unteren Atemwegen vor. In den Nasennebenhöhlen gibt es keine nennenswerte glatte Muskulatur, sodass eine Bronchospasmolyse, anders als in den Bronchien, hier therapeutisch weniger relevant ist. Notwendig ist daher eine
Symptomatische Behandlung
Die Behandlung der Patienten sollte diese anatomischen Aspekte berücksichtigen und auf das am stärksten beeinträchtigende Symptom fokussieren. Dies kann die Schleimlösung sein oder auch eine hustenlindernde Therapie, zum Beispiel weil der Schlaf durch nächtlichen Husten beeinträchtigt wird. Neben der Hustenlinderung zählt der Wunsch, rasch wieder mehr Luft zu bekommen, zu den grössten Patientenbedürfnissen. Idealerweise verschafft ein Medikament gegen Erkältungssymptome auf mehreren Wegen Erleichterung: Der Hustenreiz wird gelindert, der Schleim verflüssigt und die Schwellung der Schleimhäute verringert. Dies können manche Phytotherapeutikaextrakte ermöglichen, die nicht nur symptomatisch wirken, sondern auch die Schleimhautfunktion unterstützen.
Husten als zentrales Symptom
Husten ist im Rahmen eines akuten Atemwegsinfekts ein spezielles Symptom: Einerseits kann er chronifizieren, andererseits die Beschwerden verstärken. Beim Husten entweicht schlagartig Atemluft, die entzündeten Bronchialschleimhäute prallen aufeinander und reizen die dort sitzenden Hustenrezeptoren. Weitere Hustenreize sind die Folge. Es lohnt sich deshalb sehr, bei der Behandlung von erkälteten Patienten insbesondere das Symptom Husten zu bekämpfen. Dabei hilft auch die richtige Hustentechnik. Den Patienten sollte geraten werden, sanft in den Ellenbogen zu husten. Bei der dabei üblicherweise eingenommenen Körperhaltung kann der Schleim besser abgehustet werden; gleichzeitig werden die Menschen in der Nähe vor einer Infektion geschützt. Zur besseren Sekretlösung gibt es auch einige technische Geräte wie Flutter und Cornet, die bei der Exspiration über Vibration zur Schleimlösung beitragen.
Schlechte Datenlage für Antitussiva und chemisch definierte Expektoranzien
Zur Symptomlinderung bei Erkältungskrankheiten sind viele unterschiedliche Medikamente verfügbar. Allerdings: Es gibt kaum Präparate gegen akuten Husten, deren Wirksamkeit nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin durch aktuelle plazebokontrollierte Studien belegt worden ist. Antitussiva wie Codein und Codeinderivate sind beim Erkältungshusten nicht wirksamer als Plazebo, können aber die Fähigkeit zu schlafen verbessern. In der Leitlinie der DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin) zum Husten werden sie bei nicht produktivem und quälendem Reizhusten zur nächtlichen Anwendung für maximal 14 Tage empfohlen (2). Auch die Datenlage hinsichtlich einiger chemisch definierter Expektoranzien (Mukolytika, Sekretolytika) ist nicht sehr gut. Bei der Therapie der chronischen Bronchitis mit Acetylcystein konnten in einem Review eine Verringerung von Exazerbationen und eine Symptombesserung gezeigt werden (2, 7). Ambroxol verfügt über eine solide Datenbasis und ist weiterhin Gegenstand der Forschung (12).
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Abbildung 4: Vergleich des Hustenschweregrads auf der visuellen Analogskala (VAS) Mittelwert + SD) zwischen Efeublätterextrakt (EA 575) und Plazebo (3)
Einsatz von Phytopharmaka
Umfangreiche Daten für eine Wirksamkeit bei Erkältungshusten liegen inzwischen für einige rationale Phytotherapeutika vor. In einer randomisiert-kontrollierten Studie (RCT) mit Myrtol bei Patienten mit akuter Bronchitis waren am Tag 7 die Hustenattacken tagsüber um 62,1 Prozent (vs. 49,8% mit Plazebo) zurückgegangen (8). Auch für ein Thymian-Efeu- und Thymian-Primel-Präparat gibt es aus RCT Hinweise für eine Verkürzung beziehungsweise Linderung von Hustensymptomen bei akuter Bronchitis (9, 10). In der aktuellen DEGAM-Leitlinie aus dem Jahr 2014, die 2019 durch eine überarbeitete Version ersetzt werden soll, sind reine Monopräparate mit dem Wirkstoff Efeublättertrockenextrakt noch nicht aufgeführt. Deren Wirksamkeit bei akuter Bronchitis wird durch neuere Daten belegt. Nach 7-tägiger Behandlung wurde eine deutliche Hustenlinderung erzielt, die in der Plazebogruppe erst rund eine Woche später erreicht worden ist (Abbildung 4) (3). In der Multizenterstudie in Deutschland wurden insgesamt 181 Patienten mit akuter Bronchitis über 7 Tage (Visite 5) mit Efeublättertrockenextrakt (Hustenliquid 3-mal 5 ml) oder Plazebo behandelt. Der Schweregrad des Hustens, beurteilt auf einer visuellen Analogskala (VAS), sowie die mit Husten und Bronchitis assoziierten Symptome wurden im Verlauf von 7 Tagen signifikant und deutlich stärker als in der Plazebogruppe verringert. In der Nachbeobachtungszeit von weiteren 7 Tagen (Visite 6) blieb der Therapievorsprung der Verumpatienten erhalten (Abbildung 4).
Chemisch definiert oder pflanzlich?
Pflanzliche Arzneimittel haben bei akuten Atemwegserkrankungen ein umfassenderes Wirksamkeitsprofil als chemisch-synthetische Wirkstoffe: Sie lindern nicht nur die Symptome, sondern unterstützen auch den mukoziliären Reinigungsmechanismus des oberen Respirationstrakts, fördern die Schleimhautfunktion, wirken entzündungshemmend und können zu einer Bronchospasmolyse führen (11). Erklärt wird dies mit ganz unterschiedlichen Wirkungen der
pflanzlichen Vielstoffgemische: Dokumentiert sind, je nach Extrakt, zum Beispiel antiphlogistische Effekte (u.a. ätherische Öle), sekretolytische und sekretomotorische Wirkungen (z.B. Saponindrogen wie Efeublätter), bronchospasmoly tische (z.B. Campher, Efeu) und schleimhautabdeckende Wirkungen (z.B. Schleimdrogen wie Isländisch Moos oder Eibischkraut) (11). Darüber hinaus wirken einige Inhaltsstoffe auch kausal, etwa antibakteriell (ätherische Öle) und immunstimulierend (u.a. ätherische Öle). Aufgrund verschiedener Produktionsverfahren sind unterschiedliche Extrakte jedoch nicht austauschbar und können sich, auch wenn sie aus derselben Pflanze gewonnen wurden, in ihrer Wirkung unterscheiden. Zu den Vorteilen von Phytopräparaten zählt zudem die sehr gute Verträglichkeit, die in allen erwähnten Studien dokumentiert worden ist. Auch für eine Kombinationstherapie mit chemisch-synthetischen Wirkstoffen inklusive Antibiotika sind Phytopräparate geeignet.
Weitere therapeutische Einflüsse
Bei der Empfehlung eines Phytopräparats sollte den Patien-
ten mit auf den Weg gegeben werden, sich bei ausbleibender
Besserung wieder vorzustellen.
Zu beachten ist zudem, dass ein Substanzeffekt von 20 Pro-
zent und mehr, wie er mit Phytotherapeutika bei akuten
Atemwegserkrankungen erzielt werden kann, schon als sehr
gut einzustufen ist. Denn es handelt sich dabei um den spezi-
fischen Behandlungseffekt, der gerade bei Erkältungskrank-
heiten nur ein kleiner Teil des wahrgenommenen gesamten
therapeutischen Effekts sein kann. Zu berücksichtigen sind
auch der natürliche selbstlimitierende Verlauf einer Erkäl-
tung und weitere therapeutische Einflüsse wie die Empathie
durch ärztliche Zuwendung, der Plazeboeffekt und der soge-
nannte Hawthorne-Effekt nach dem gängigen Muster: «Ich
werde beobachtet, also melde ich Erfolg.» Zudem geben die
meisten Patienten per se am Folgetag nach dem Arztbesuch
an, dass es ihnen besser gehe, was als Regression zur Mitte
bezeichnet wird.
Trotz all dieser Punkte, die zur (gefühlten) Besserung des
Krankheitszustands beitragen, sollten sich aber Ärzte ebenso
wie Patienten bewusst sein: Wird kein spezifisch wirkendes
Mittel gegen Erkältung beziehungsweise akuten Husten ein-
genommen, wird auf eine um rund 20 Prozent schnellere
Symptomlinderung verzichtet.
s
Dr. med. Justus de Zeeuw Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie D-51105 Köln
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 1/2019. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Referenzen: www.arsmedici.ch
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