Transkript
FORTBILDUNG
Akute Blutung des oberen GI-Trakts – was tun?
Aktuelle Guidelines zu Sofortmassnahmen, Endoskopie und Nachsorge
Blutungen der Speiseröhre, des Magens oder des Zwölffingerdarms können lebensgefährlich sein. In einem Review hat eine britische Arbeitsgruppe den aktuellen Wissensstand zum Management akuter Blutungen des oberen Gastrointestinal-(GI-)Trakts zusammengefasst.
British Medical Journal
Blutungen des oberen GI-Trakts gelten weltweit als medizinische Notfälle und enden in 2 bis 10 Prozent aller Fälle tödlich. Die Betroffenen präsentieren sich mit Hämatemesis (blutig oder kaffeesatzartig) oder Meläna. Im Zusammenhang mit schweren Blutungen kann auch eine Hämatochezie auftreten, die meist mit hämodynamischer Instabilität einhergeht. Patienten mit Meläna weisen oft niedrigere Hämoglobinwerte auf als Patienten mit Hämatemesis, was vermutlich auf die verzögerte Präsentation zurückzuführen ist. Bei Teerstühlen sind daher häufiger Transfusionen erforderlich, die Sterblichkeit ist im Vergleich zur Hämatemesis jedoch geringer.
Sofortmassnahmen
Viele Patienten sind hämodynamisch stabil. Bei schweren Blutungen ist eine möglichst rasche Kreislaufstabilisierung erforderlich. Dazu stehen intravenöse Kristalloid- oder Kolloidlösungen zur Verfügung. Ab einem Hb-(Hämoglobin-)Schwellenwert von 70 bis 80 g/l wird eine Erythrozytentransfusion empfohlen. Nur bei schweren Blutungen in Verbindung mit Hypotonie sollte die Bluttransfusion bei höheren Hb-Werten vorgenommen werden. In Studien war eine restriktive Transfusionsstrategie im Hinblick auf erneute Blutungen und die Mortalität mit günstigeren Ergebnissen verbunden als eine liberale Transfusionsstrategie. Bei anhaltendem Erbrechen kann eine tracheale Intubation zur Sicherung der Atemwege vorgenommen werden. Dies ist vor allem bei erhöhtem Aspirationsrisiko von Nutzen, beispielsweise bei verändertem Mentalstatus oder fehlendem Würgereflex.
Risikoabschätzung
Für Patienten mit Blutungen des oberen GI-Trakts wurden
MERKSÄTZE
� Patienten mit einem GBS ≤ 1 können ambulant behandelt werden.
� Ab einem Hämoglobinwert von 70 bis 80 g/l wird eine Erythrozytentransfusion empfohlen.
� Obere gastrointestinale Blutungen werden im Rahmen einer Endoskopie diagnostiziert und behandelt.
� Eine antithrombotische Behandlung sollte nach Erreichen der Homöostase rasch wiederaufgenommen werden.
mehrere Scores zur Prädiktion v erschiedener Endpunkte entwickelt. Zu den am häufigsten verwendeten präendoskopischen Scores gehören der Glasgow-Blatchford-Score (GBS), der präendoskopische Rockall-Score (pre-RS; beim FullRockall-Score [RS] wird auch der endoskopische Befund berücksichtigt) und der AIMS65-Score (Albumin < 3 mg/ dl; INR [International Normalized Ratio] > 1,5; veränderter Mentalstatus, systolischer Blutdruck < 90 mmHg; Alter > 65 Jahre). In Studien hat sich der GBS am genauesten zur Prädiktion des kombinierten Endpunkts der Notwendigkeit einer endoskopischen Intervention und des Todes erwiesen. Ein niedriger GBS ≤ 1 wird daher von Guidelines in den USA, in Grossbritannien und in Europa zur Identifizierung von Personen mit sehr geringem Risiko empfohlen, die ambulant behandelt werden können.
Medikamente vor der Endoskopie
In manchen Fällen ist die Applikation von Protonenpumpenhemmern (PPI) vor der Endoskopie von Nutzen. Dies gilt vor allem, wenn die Endoskopie erst mit Verzögerung durchgeführt werden kann. Prokinetische Substanzen fördern die gastrische Entleerung und verbessern so die Sichtverhältnisse bei der Endoskopie. Die intravenöse Applikation von 250 mg Erythromycin (Erythrocin® i.v.) im Abstand von 30 bis 120 Minuten vor der E ndoskopie ist die am besten untersuchte Vorgehensweise. Tranexamsäure (TXA; Cyklokapron®) hemmt die fibrinolytische Aktivität von Plasmin und senkt die Mortalität. Allerdings muss TXA möglichst rasch verabreicht werden. In einer Metaanalyse mit 40 138 Patienten verbesserte eine sofortige Applikation das Überleben (Odds-Ratio [OR]: 1,72; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,42–2,10). Mit jeder Verzögerung um 15 Minuten verringerte sich das Überleben dann um 10 Prozent, und ab 3 Stunden Wartezeit wurde kein Nutzen mehr beobachtet. Zirrhosepatienten mit Varizenblutung erhalten vasoaktive Medikamente wie Terlipressin (Glypressin®, Haemopressin®), Somatostatin (Stilamin®) oder die Somatostatinanaloga Octreotid (Sandostatin® und Generika) und Vapreotid (nicht im AK der Schweiz). Diese Substanzen führen zur V asokonstriktion der splanchnischen Arterien und weisen in Verbindung mit einer endoskopischen Behandlung eine ähnliche Wirksamkeit auf. In aktuellen Richtlinien wird empfohlen, bereits bei einer vermuteten Varizenblutung mit vasoaktiven Substanzen zu beginnen. PPI sollten nicht gleichzeitig mit Somatostatin (oder den Analoga) gegeben werden, weil Somatostatin eine ähnliche Hemmung der Magensäure-
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produktion bewirkt wie PPI. Des Weiteren empfehlen Guidelines für Zirrhosepatienten bei Blutungen des oberen GI-Trakts eine Antibiotikabehandlung über bis zu 7 Tage. In einer Metaanalyse mit 1241 Patienten senkten Antibiotika die Raten von Infektionen, erneuten Blutungen und der Sterblichkeit.
Timing der Endoskopie
Richtlinien empfehlen für die meisten Patienten eine Endoskopie innerhalb von 24 Stunden nach der Kreislaufstabilisierung. Für Patienten mit hohem Risiko wird in manchen Richtlinien eine Endoskopie innerhalb von 12 Stunden empfohlen. Zu den Charakteristika, die mit einem hohen Risiko verbunden sind, gehören ein GBS ≥ 8 bis 12, eine Magen spülung mit Blutbeimengung oder eine im Hospital persistierende Hämatemesis sowie Hypotonie, Tachykardie und Komorbiditäten wie eine Zirrhose. Bei persistierender hämodynamischer Instabilität trotz umfangreicher Stabilisierungsmassnahmen ist eine sofortige Endoskopie erforderlich.
Endoskopische Behandlung
Zu den empfohlenen Optionen zur Behandlung von Ulkusblutungen gehören die Injektion von Adrenalin oder Sklerosanzien (z.B. absolutes Ethanol), eine thermische Koagulation mit bipolaren Elektrokoagulationssonden oder Thermosonden sowie die Applikation von Through-the-scope-Clips. Die Effektivität kontaktfreier thermischer Verfahren wie der Argonplasmakoagulation ist bei Ulkusblutungen in randomisierten, kontrollierten Studien weniger gut untersucht. Eine gastrale, antrale vaskuläre Ektasie wird ebenfalls mit thermischen Verfahren behandelt – meist mit der Argonplasmakoagulation und gelegentlich auch mit der Radiofrequenztherapie. Die endoskopische Injektion von Adrenalin sollte keine Einzelmassnahme bleiben. Adrenalin kann zur temporären Kontrolle der Blutung angewendet werden, um die Visualisierung der Läsion vor der definitiven Behandlung mit thermischen oder mechanischen Verfahren zu verbessern oder um das Risiko einer Blutungsinduktion durch die sekundäre Massnahme zu senken. Zur Risikostratifizierung von Ulkusblutungen wird die Forrest-Klassifikation herangezogen. Bei spritzender Blutung oder sickernder Blutung (Forrest 1a oder 1b) sowie bei sichtbarem Gefässstumpf (2a) vermindert die Endoskopie signifikant das Risiko für weitere Blutungen. Bei einem Ulkus mit Koagelauflagerung (Forrest 2b) wird in Guidelines entweder eine endoskopische Therapie in Kombination mit einer medikamentösen Behandlung oder ein alleiniges medikamentöses Management empfohlen. Bei einem Ulkus mit Hämatinauflagerung oder bei sauberem Ulkusgrund ist keine endoskopische Behandlung erforderlich (Forrest 2c oder 3). Bei Varizenblutungen ist die Sterblichkeit höher als bei nicht varikösen Blutungen, was vor allem mit der Schwere der z ugrunde liegenden Lebererkrankung zusammenhängt. Als optimale endoskopische Therapie für ösophageale Varizenblutungen gilt die Varizenbandligatur, weil sie mit weniger Nebenwirkungen verbunden ist als die Sklerotherapie. Zur Behandlung gastrischer Varizenblutungen wird die endoskopische Injektion von Gewebeadhäsiva wie N-Butyl-Cyanoacrylat empfohlen. Eine Thrombininjektion kann hier ebenfalls erwogen werden; dieses Verfahren wurde jedoch noch nicht in randomisierten kontrollierten Studien mit anderen Therapien verglichen.
Postendoskopisches Management
Ulkuspatienten mit geringem Risiko erhalten üblicherweise 4 bis 8 Wochen lang 1-mal täglich orale PPI. Patienten mit Hochrisikoläsionen (aktive Blutung, sichtbarer Gefässstumpf, Koagelauflagerung) sollten 72 Stunden lang hoch dosierte PPI und anschliessend von Tag 4 bis Tag 14 2-mal täglich orale PPI erhalten. In einer Metaanalyse senkte ein PPI-Bolus von 80 mg, gefolgt von einer kontinuierlichen Infusion (8 mg/h über 72 h), bei Hochrisikopatienten nach einer erfolgreichen endoskopischen Behandlung die Rate erneuter Blutungen (Risk-Ratio [RR]: 0,40; 95%-KI: 0,28–0,59) und der Mortalität (RR: 0,41; 95%-KI: 0,20–0,84). Eine intermittierende PPI-Applikation senkte ebenfalls die Rate erneuter Blutungen (RR: 0,53; 95%-KI: 0,35–0,78), die der Mortalität jedoch nicht. Zirrhosepatienten mit oberer GI-Blutung sollten die Antibiotikabehandlung unabhängig von der Blutungsquelle bis zu 7 Tage lang fortsetzen. Zirrhosepatienten mit endoskopisch nachgewiesener Varizenblutung werden zudem bis zu 5 Tage lang mit vasoaktiven Medikamenten behandelt. Die kombinierte Behandlung mit einer endoskopischen Ligatur und vasoaktiven Medikamenten ist den jeweiligen Einzelmassnahmen im Hinblick auf die Vermeidung weiterer Blutungen überlegen. Bei Patienten mit einer Zirrhose im Child-Pugh-Stadium C (Score: 10–13) kann nach initialer endoskopischer Therapie innerhalb von 3 Tagen nach der Präsentation zur Behandlung einer ösophagealen Varizen blutung auch ein transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS) appliziert werden.
Wiederaufnahme der antithrombotischen Behandlung
Eine Behandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS; Aspirin®), die der Sekundärprävention dient, sollte fortgesetzt oder unmittelbar nach Wiederherstellung der Homöostase erneut begonnen werden. Die Behandlung mit anderen antithrombotischen Medikamenten sollte nach Erreichen der Homöostase ebenfalls rasch wieder aufgenommen werden.
Management rezidivierender Blutungen
Bei rezidivierenden Ulkusblutungen kann eine erneute Endo-
skopie durchgeführt werden. Zur Behandlung endoskopie
refraktärer Ulkusblutungen wird eine transarterielle Embo
lisation empfohlen. Alternativ kann auch ein chirurgischer
Eingriff erwogen werden. Bei rezidivierender Varizenblutung
kann ebenfalls eine weitere endoskopische Behandlung durch-
geführt werden. Bei persistierender Blutung oder bei schwe-
ren rezidivierenden Blutungen empfehlen Experten die Anlage
eines TIPS. Bei massiven refraktären Varizenblutungen soll-
ten entfernbare selbstexpandierende beschichtete Metallstents
einer Ballontamponade zur temporären Überbrückung bis zur
abschliessenden Behandlung vorgezogen werden.
s
Petra Stölting
Quelle: Stanley A et al.: Management of acute upper gastrointestinal bleeding. BMJ 2019; 364: I536.
Interessenlage: Einer der beiden Autoren der referierten Originalarbeit war einmalig für Takeda und Bayer beratend tätig.
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