Transkript
Androgenetische Alopezie
Wege zum vollen Schopf
BERICHT
Der Haarausfall nach dem klassischen androgenetischen Muster ist weltweit für viele Männer ein Problem. Entsprechend wird auch international nach Lösungen gesucht. Diese Forschungen haben nun Früchte getragen: So gibt es aktuelle Ergebnisse zu den bewährten Substanzen Finasterid oral und Minoxidillösung. Aber auch neue Verfahren wie die Low-Laser-Therapie oder Injektionen mit Plättchenplasma lassen offenbar wieder Haare spriessen.
Zur Palette der Therapien gegen den männlichen Haarausfall mit dem klassischen Muster mit Geheimratsecken und Hinterhauptsplatte gehört seit 1999 die Einnahme von täglich 1 mg Finasterid. Der selektive 5α-Reduktase-Hemmer (5αRI = 5α-reductase inhibitor) blockiert die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron (DHT). Die Haarfollikel können dann mit einer Verlängerung der Anagenphase reagieren. Da Finasterid schon lange auf dem Markt ist, liegen auch Langzeitergebnisse vor, über die Prof. Won-Soo Lee aus Wonju (Südkorea) auf dem diesjährigen 24. Weltkongress für Dermatologie in Mailand berichtete.
Mehr Haare mit Finasterid-Langzeitbehandlung
Unter anderem stellte er die Ergebnisse einer 5-jährigen Langzeitstudie mit 801 Japanern vor. Ausser der zu erwartenden Effektivität (99,4% der Probanden sprachen auf die Behandlung an) stellte sich heraus, das Finasterid besonders gut bei denjenigen Patienten wirkt, deren Haarausfall noch nicht sehr weit fortgeschritten ist und die jünger als 40 Jahre sind. Das Stresslevel wurde in der Studie ebenfalls evaluiert. Ergebnis: Stress zu Beginn der Behandlung wirkt sich signifikant negativ auf das Haarwachstum aus (1). Etwas anders sahen die Ergebnisse aus, wenn die Behandlung über 10 Jahre fortgeführt wurde: Hier waren bessere Ergebnisse in der Altersgruppe über 30 Jahre registriert worden. Erstaunlich war zudem, dass eine Therapie über 5 Jahre hinaus das Haarwachstum weiter verbesserte. Und dieses Ergebnis hielt über die gesamte Behandlungsphase an (2).
Dutasterid – verbesserter 5α-Reduktase-Hemmer in Sicht?
Dutasterid hemmt ebenfalls die 5α-Reduktase, aber nicht wie Finasterid die Typen II und III, sondern die Typen I und II. Es wird bereits ebenso wie Finasterid zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie eingesetzt, wirkt aber auch gegen den androgenetischen Haarausfall (AGA = androgenetic alopecia) – allerdings ist Dutasterid für diese Indikation noch nicht zugelassen. Bereits 2010 wurde in einer Phase-III-Studie festgestellt, dass Dutasterid in einer Dosierung von 0,5 mg täglich Haare spriessen lassen kann. Lee berichtete, dass Dutasterid Plazebo
und Finasterid überlegen war – sowohl bei der Anzahl als auch bei der Dicke der Haare (3). Lee beleuchtete auch die Seite der Nebenwirkungen: Insgesamt wurde Dutasterid über alle Studien hinweg gut vertragen. Die häufigsten une rwünschten Effekte waren ein Verlust der Libido, Dysp epsie, Impotenz und Fatigue. Bei den Laborwerten fiel eine Erhöhung des Cholesterins auf, diese blieb jedoch unter dem Grenzwert von 200 mg/dl. Der koreanische Experte berichtete auch von positiven Nebenwirkungen. So wurde in einer Studie mit 6-jährigem Follow-up auch die emotionale Befindlichkeit erhoben. Dieser Wert stieg in der Verumgruppe, das heisst, diese Probanden waren unter der Therapie – möglicherweise durch das Ergebnis mit dem dichteren Haupthaar – besser gelaunt (4).
Künftig topische 5α-Reduktase-Hemmer?
Aufgrund der häufig befürchteten Nebenwirkungen, insbesondere der Störungen der Sexualfunktion, und der Beschränkung auf das männliche Geschlecht wird auch an einer topischen Formulierung für 5α-RI geforscht. Das Problem: Wie soll der 5α-RI zu den Haarwurzeln gelangen? Derzeit wird an Liposomen, einfachen und kristallinen 5α-RI-Lösungen und Nanopartikeln gearbeitet, die in verschiedenen galenischen Darreichungsformen wie Schaum, Mikronadelinjektionen, Cremes und Lösungen appliziert werden könnten. Doch die Forschung zu den topischen 5α-RI steckte noch in den Anfängen, so Lee.
Minoxidil wirkt besser auf feuchter Kopfhaut
Bewährt hingegen als topisches Arzneimittel bei AGA ist die Minoxidillösung, die seit den 1980er-Jahren auf dem Markt ist und heute hauptsächlich als 5-Prozent-Schaumformulierung angeboten wird. Sie ist aufgrund der fehlenden Hormonwirkung auch für Frauen geeignet. Doch auch hier wird produktb egleitend geforscht, denn nicht bei allen Patienten funktioniert das Minoxidiltopikum. Als Ursache dafür wird die Barrierefunktion des Stratum corneum der Haut gesehen. Um diese Barriere zu umgehen, wird an verschiedenen neuen Dosierungen (bis 15%) und Formulierungen gearbeitet, zum Beispiel an Nanopartikellösungen.
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Auch der Feuchtezustand der Kopfhaut könnte eine Rolle spielen: Lee berichtete über Tests an Tieren, bei denen sich eine höhere Minoxidilkonzentration in der Haut ergab, wenn die Lösung auf die handtuchfeuchte Haut (bzw. ins Fell) gegeben wurde.
Mit Laser zu mehr Haar
Sowohl die 5α-RI als auch die Minoxidilexterna müssen täglich angewendet werden, wenn man sein Haar behalten möchte. Anders bei der Low-Level-Laser-Therapie (LLLT): Hierbei wird in mehreren Sitzungen die Kopfhaut mit niedrig energetischem Laserlicht (LLL) mit einer Wellenlänge von 600 bis 850 nm bestrahlt. Die LLLT wurde zwar bereits in den 1980er-Jahren entwickelt, dennoch gibt es keinen Behandlungsstandard zu Wellenlänge und Häufigkeit der Sitzungen. Lee berichtete über mehrere Studien, die die Wirkung hinsichtlich Haardichte wie auch Dicke des einzelnen Haares belegen – und in denen die LLLT sogar im Vergleich zu den Standardtherapien (5α-RI, Minoxidil) besser abschneidet. Der Wirkmechanismus der LLLT ist noch unklar und besteht wohl aus vielen Komponenten. Es wird unter anderem postuliert, dass mit LLLT die Durchblutung der Kopfhaut verbessert wird und so die Haarfollikel besser mit Nährstoffen, Wachstumsfaktoren und Sauerstoff versorgt w erden. Zudem wird die Anagenphase der Haare verlängert, und in der Telogenphase befindliche Haare werden in die Anagenphase überführt. Bei der Induktion der Anagenphase der Haarfollikel könnte möglicherweise der intrazelluläre Wntb10/β-catenin- Pathway eine Rolle spielen, wie Lee berichtete. Auch hier hält der koreanische Dermatologe weitere Studien für dringend erforderlich, vor allem um die therapeutischen Parameter wie Wellenlänge, Bestrahlungshäufigkeit, Grösse des Bestrahlungsfeldes und Bestrahlungszeit festzulegen.
Lässt Haare spriessen: plättchenreiches Plasma
Ebenfalls in den Fokus der Forschung in Sachen Haarausfall
ist die Behandlung mit plättchenreichem Plasma (platelet rich
plasma, PRP) gerückt. Das Prinzip: Dem Patienten werden 8
bis 10 ml Blut entnommen, die Erythro- und Leukozyten
werden abzentrifugiert, und das verbliebene PRP – es enthält
40 bis 95 Prozent Blutplättchen – wird in die Kopfhaut inji-
ziert. Die in den Thrombozyten enthaltenen Wachstumsfak-
toren sollen das Haarwachstum anregen. Dass a llerdings die
Wirkung tatsächlich darauf beruht, darf bezweifelt werden.
Won-Soo Lee zitierte eine Studie, in der eine Steigerung der
Haaranzahl, der Haardichte sowie des prozentualen Anteils
der Anagenhaare nachgewiesen werden konnte. Es wurde
aber auch die Wachstumsfaktorenkonzentration gemessen:
Hier konnte keine Korrelation zwischen dem Haarwachstum
und der Plättchenzahl sowie dem Spiegel der Wachstums-
faktoren PDGF (platelet derived growth factor), EGF (epi-
dermal growth factor) und VEGF (vascular endothelial
growth factor) belegt werden (5).
Wie Lee weiter berichtete, lägen zwar v ereinzelt Studien vor,
die die Effektivität von PRP-Behandlungen belegten, doch
seien diese nicht vergleichbar. Die Methoden, auch die der
Aufbereitung des Patientenblutes, sowie die Vorgehensweise,
zum Beispiel die Anzahl der Injektionen, unterscheiden sich
stark. D eshalb hält Lee weitere Studien, insbesondere zu
einem standardisierten Behandlungsprotokoll, für
erforderlich.
s
Angelika Ramm-Fischer
Literatur unter www.rosenfluh.ch
Quelle: Symposium «Management of androgenetic alopecia» am 24. Weltkongress für Dermatologie, 13. Juni 2019 in Mailand.
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