Transkript
FORTBILDUNG
PSA-Screening: ja, nein, vielleicht?
Vor- und Nachteile der Vorsorgeuntersuchung auf Prostatakarzinome
Sowohl der Check-up ab 35 als auch Krebsfrüherkennungsuntersuchungen wie das Hautkrebsscreening, der Test auf okkultes Blut im Stuhl zur Früherkennung von Darmkrebs sowie die Untersuchung zur Früherkennung von Prostatakrebs gehören zum täglichen Brot in Hausarztpraxen. Der Nutzen der Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) ist allerdings umstritten.
Thomas Kötter
Die Bestimmung des PSA-Werts im Blut zur Früherkennung von Prostatakrebs ist in Deutschland und auch in der Schweiz keine Kassenleistung, wird aber von vielen Männern als individuelle Gesundheitsleistung in Anspruch genommen (1–3).
Leitlinienempfehlungen
Evidenzbasierte Leitlinienempfehlungen zum PSA-Screening sind international und auch national uneinheitlich. Während sich die United States Preventive Services Task Force in ihrer aktualisierten Empfehlung nach wie vor gegen ein generelles PSA-Screening ausspricht (4), wird in der 2018 aktualisierten deutschen S3-Leitlinie (federführende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Urologie) eine ausführliche Information aller Männer ab 45 Jahren empfohlen, die eine mutmassliche Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren haben (5). Ein solches systematisches Ansprechen von Männern ab 45 (unabhängig vom Beratungsanlass) wird von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) explizit nicht empfohlen (6). Ein entsprechendes Sondervotum in der S3-Leitlinie sowie eine DEGAM-Praxisempfehlung wird damit begründet, dass der Nutzen des PSA-Screenings in der Hausarztpraxis nach aktueller Studienlage aus Sicht der DEGAM nicht
MERKSÄTZE
� Die Bestimmung des PSA-Werts im Blut zur Früherkennung von Prostatakrebs wird von vielen Männern als individuelle Gesundheitsleistung in Anspruch genommen, ihr Nutzen ist allerdings umstritten.
� Ein für den Patienten relevanter Nutzen der PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs gilt aus wissenschaftlicher Sicht als nicht belegbar.
� Der Schaden durch PSA-Screening infolge von falsch-positiven Befunden sowie Überdiagnosen/Übertherapie ist aus Sicht der DEGAM ausreichend gut belegt, um von einem proaktiven Ansprechen von Männern auf diese Früherkennungsuntersuchung abzuraten.
� Männer sollten über die Vor- und Nachteile der Früherkennung mittels PSA-Bestimmung individuell informiert werden.
ausreichend belegt ist (5). Laut den Ausführungen von Dubben wird ein Nutzen auch zukünftig kaum belegbar sein (7). Der Schaden durch PSA-Screening infolge von falsch-positiven Befunden sowie Überdiagnosen/Übertherapie (Diagnose und Therapie von Prostatakrebs, der ohne das PSA-Screening nie klinisch auffällig geworden wäre) ist jedoch aus Sicht der DEGAM ausreichend gut belegt, um von einem proaktiven Ansprechen von Männern auf diese Früherkennungsuntersuchung abzuraten (6).
Beratung von Männern in der Hausarztpraxis
Vonseiten der Patienten kommt es in Hausarztpraxen, gerade auch im Zusammenhang mit anderen präventiven Beratungsanlässen, mutmasslich recht oft zur expliziten Frage nach PSA-Screening. In dieser Situation ist eine fundierte, ergebnisoffene und patientenverständliche Beratung durch den Hausarzt notwendig und sinnvoll. In diesem Punkt sind sich auch die weiter oben zitierten Leitlinien einig: Männer sollen über die Vor- und Nachteile der Früherkennung mittels PSA-Bestimmung individuell informiert werden.
Vorteile einer PSA-Bestimmung
Eine Zusammenfassung aller randomisierten, kontrollierten Studien zum PSA-Screening durch die Cochrane Collaboration zeigte keinen Einfluss des Screenings auf die krankheitsspezifische und die Gesamtmortalität. Betrachtet man nur die mit Abstand grösste randomisierte, kontrollierte Studie (ERSPC-Studie) (8) und blendet man die Ergebnisse der ebenfalls grossen, aber aufgrund von methodischen Mängeln zuletzt in Kritik geratenen PLCO-Studie (9) aus, dann zeigt sich in dem untersuchten Kollektiv von knapp 250 000 Männern eine Reduktion der prostatakarzinomspezifischen Sterblichkeit. Die Grössenordnung dieses Effektes liegt bei etwa einem verhinderten Todesfall aufgrund eines Prostatakarzinoms pro 1000 gescreenten Männern. Allerdings zeigt sich in den Daten der ERSPC-Studie kein Einfluss eines Screenings auf die Gesamtmortalität (8). Um eine mögliche Verschlechterung der Gesamtmortalität durch ein Screening, zum Beispiel durch die Überdiagnostik und Übertherapie bedingt, ausschliessen zu können, wären Studien mit mehreren Millionen Teilnehmern nötig (7).
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ARS MEDICI 22 | 2019
FORTBILDUNG
Abbildung: Um 1 Todesfall (grün) durch Prostatakrebs zu verhindern, müssen 781 beschwerdefreie Männer 13 Jahre lang zur Früherkennung mittels PSA eingeladen werden. Von diesen werden in dieser Zeit im Screening ca. 133 ein positives Testergebnis (gelb, orange, rot) und ca. 36 die Diagnose Prostatakarzinom (orange, rot) bekommen. Bei ca. 15 dieser Männer (rot) wäre der Krebs nie auffällig geworden, jegliche Diagnostik und Therapie sind unnötig. In dieser Zeit sterben ca. 6 Männer ohne Früherkennung an Prostatakrebs und ca. 5 Männer, die an der Früherkennung regelmässig teilgenommen haben (8).
Ein für den Patienten relevanter Nutzen der PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs gilt daher aus wissenschaftlicher Sicht als nicht belegbar.
Nachteile einer PSA-Bestimmung
Wenn man die invasive Prozedur der Blutentnahme, eine mögliche seelische Belastung in der Zeit, in der man auf das Ergebnis wartet, und die Kosten für die Untersuchung ausklammert, sind als Nachteile einer PSA-Bestimmung im Wesentlichen die Wahrscheinlichkeit falsch-positiver und falsch negativer Befunde, das Risiko von Folgeuntersuchungen sowie das Risiko für das Entdecken und die Therapie von Tumoren, die ansonsten weder klinisch auffällig geworden wären noch das Leben des Mannes verkürzt hätten, zu nennen. Vergleicht man durch Autopsie ermittelte Prävalenzdaten mit der Häufigkeit von Prostatakarzinomen als Todesursache, fällt eine erhebliche Diskrepanz gerade in höheren Altersgruppen auf (7). Der überwiegende Anteil aller Männer stirbt also mit einem (unentdeckten) Prostatakarzinom, die wenigsten sterben daran. Ein akribisches Suchen nach Tumoren, zum Beispiel im Rahmen von Screeningprogrammen, führt zwangsläufig zum Finden auch solcher Tumoren, die das Leben der betroffenen Patienten ohne das Screening nie negativ beeinflusst hätten. Solche Überdiagnosen und die konsekutive Übertherapie in Form von Operationen, Chemo- und Strahlentherapien, damit verbundene Komplikationen, weitere Diagnostik usw. sind also für Betroffene ausschliesslich als Schaden zu werten. Pro Mann, der durch eine PSA-Bestimmung vor einem Tod an Prostatakarzinom bewahrt wird, erhalten etwa 15 Männer eine in jeglicher Hinsicht unnötige Krebsdiagnose und gegebenenfalls eine Krebstherapie (Abbildung) (8). Auch das Risiko von Folgeuntersuchungen wie vor allem der Prostatabiopsie bei auffälligem PSA-Wert ist als Nachteil der PSA-Bestimmung zu nennen: Pro Mann, der durch eine PSA-Bestimmung vor einem Tod aufgrund eines Prostatakarzinoms bewahrt wird, erleiden 45 Männer diagnostikbedingte Komplikationen wie unter anderem Schmerz, Fieber, Blutung, Infektion und vorübergehende Miktionsbeschwerden. Einer davon erleidet eine schwere Komplikation, die zu einer Krankenhauseinweisung führt (8, 10).
Individuelle Entscheidungsfindung
Eine Herausforderung bei der Beratung von Männern bezüglich PSA-Screening stellt die starke Altersabhängigkeit der Prävalenz und damit auch der prädiktiven Werte des PSA-Tests dar. Pauschale Darstellungen der oben genannten Zahlen werden damit den meisten Männern nicht gerecht. Auch gelten diese Zahlen nicht für Männer mit erhöhtem Risiko, beispielsweise wenn Verwandte ersten Grades von einem Prostatakarzinom betroffen sind. Für diese komplexe Situation könnte der neu entwickelte PSA-Risiko-Rechner der arriba-Genossenschaft (https://bit.ly/2OXHMN8; Downloadlink der Demoversion unter https://bit.ly/2PgBN9P) eine Hilfe für die hausärztliche Beratung darstellen (11). Mittels patientenverständlicher Smiley-Grafiken können die Vor- und Nachteile eines PSA-Screenings individuell erarbeitet und gemeinsam kann eine informierte Antwort auf die Frage «PSA-Wert – ja oder nein» gefunden werden. Das Dilemma, dass ein patientenrelevanter Nutzen der PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs nicht belegt und auch nicht belegbar ist, ein Schaden jedoch schon, wird auch der Risikorechner nicht auflösen können. Diese Tatsachen sollten umso mehr allen Männern, die nach der Untersuchung fragen, klar vermittelt werden.
PD Dr. med. Thomas Kötter, MPH Hausärzte vor dem Mühlentor Kronsforder Allee 17 D-23560 Lübeck
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 7/2019. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Literatur: 1. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin: DEGAM-Zukunftspositionen: Allgemeinmedizin – spezialisiert auf den ganzen Menschen. 2012; https://bit.ly/2NCUb8U 2. Kassenärztliche Bundesvereinigung: Übersicht Früherkennungsuntersuchung. 2018; https://bit.ly/2qWsqil 3. Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen: IGeL Monitor. 2018; https://bit.ly/2BnThtz 4. U.S. Preventive Services Task Force: Prostate Cancer: Screening. 2018; https://bit.ly/2pqhR4s 5. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms, Kurzversion 5.0, AWMF-Registernummer: 043/022OL. 2018; https://bit.ly/1s2uAt4 6. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin: DEGAM-Praxisempfehlung Hausärztliche Beratung zu PSA-Screening. 2018; https://bit.ly/2KST6YR 7. Dubben HH: Früherkennung des Prostatakarzinoms. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2014; 57: 318–326. 8. Schröder FH et al.: Screening and prostate cancer mortality: results of the European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) at 13 years of follow-up. Lancet 2014; 384: 2027–2035. 9. Andriole GL et al.: Mortality results from a randomized prostate-cancer screening trial. NEJM 2009; 360: 1310–1319. 10. Moyer VA; U.S. Preventive Services Task Force: Screening for prostate cancer: U.S. Preventive Services Task Force recommendation statement. Ann Intern Med 2012; 157: 120–134. 11. arriba Genossenschaft (Marburg): arriba-Modul PSA-Screening. 2018; https://bit.ly/2OXHMN8
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